Er gehörte bis zuletzt zu den besonders aktiven Referenten der Stiftung in Berlin sowie in verschiedenen Landesstiftungen, darunter vor allem im Saarland, in Brandenburg und Sachsen.
Kurt Pätzold zählte zu den profiliertesten marxistischen Historikern in der DDR und später im vereinigten Deutschland. Er gehörte der zweiten Generation der DDR-Geschichtswissenschaft an, die nach ihrer akademischen Ausbildung zunächst gemeinsam mit den aus dem Widerstand gegen die NS-Diktatur bzw. deren Haftstätten oder aus der Emigration kommenden Historikern wie Walter Bartel, Ernst Engelberg, Alfred Meusel, Karl Obermann, Erich Paterna, Joachim Streisand und anderen an Universitäten lehrten und deren Werk fortsetzten. Die Analyse des NS-Systems in Deutschland stand bis in die letzten Lebensmonate im Mittelpunkt seines wissenschaftlichen Wirkens. Persönliche Erlebnisse und die Prägung durch ein sozialdemokratisches Elternhaus führten ihn zu einer marxistischen Weltanschauung, der er sich auch im hohen Lebensalter verpflichtet fühlte.
Als die Rosa-Luxemburg-Stiftung im April 2000 in Berlin ein Ehrenkolloquium anlässlich des 70. Geburtstages veranstaltete, erklärte Vorstandsmitglied Prof. Michael Brie: «Wir ehren mit diesem Kolloquium einen Historiker, der sich besonders der Geschichte des deutschen Faschismus gewidmet hat. In seiner politischen Überzeugung, seiner wissenschaftlichen Arbeit geht er stets davon aus, dass nicht nur kein Schlussstrich unter die NS-Zeit gezogen werden darf, sondern dass vielmehr eine intensive Auseinandersetzung – eine nachhaltige, anstrengende und andauernde geistige und politische Auseinandersetzung – mit der NS-Zeit vonnöten ist, um demokratisches Handeln zu ermöglichen und weiterzuentwickeln.»
Kurt Pätzold wurde am 3. Mai 1930 in Breslau geboren. Er erlebte als Kind und Jugendlicher die faschistische Herrschaft unmittelbar. In den letzten Kriegswochen erklärten die Nazis seine Heimatstadt zur Festung gegen die vorrückende Rote Armee.
Der weitere Lebensweg führte ihn 1945 gemeinsam mit der Familie nach Thüringen, wo er sich für den Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschland einsetzte.
Bereits als Student an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena begann Kurt Pätzold, sich auch wissenschaftlich mit der NS-Diktatur in Deutschland zu beschäftigen. In Jena studierte von 1948 bis 1953 die Fächer Geschichte, Philosophie und politische Ökonomie. 1963 wurde er mit einer Arbeit über den Zeiss-Konzern in der Wirtschaftskrise promoviert. Zehn Jahre später legte er an der Humboldt-Universität zu Berlin seine Habilitationsschrift zum Thema «Antisemitismus und Judenverfolgung (Januar 1933 bis August 1935). Eine Studie zur politischen Strategie und Taktik des faschistischen deutschen Imperialismus» vor, die auch in der internationalen Fachöffentlichkeit starke Beachtung fand. Dieses Thema sowie die Geschichte der NSDAP und ihrer Repräsentanten begleiteten ihn als Wissenschaftler bis zu seinem Tode. Gemeinsam mit Manfred Weißbecker veröffentliche er 1982 in der DDR unter dem Titel «Hakenkreuz und Totenkopf. Die Partei des Verbrechens» eine Publikation, die auch in der BRD unter dem Titel «Geschichte der NSDAP» erschien.
Pätzold hatte in den siebziger und achtziger Jahren den Lehrstuhl für deutsche Geschichte an der Humboldt-Universität inne, war dort mehrere Jahre Direktor der Sektion Geschichte, Prodekan und Mitglied des Rates der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät. Er prägte als Professor mehrere Studentengenerationen, die ihn nicht zuletzt auch als fordernden und manchmal unbequemen Lehrer in Erinnerung behalten werden.
Im Zuge der Abwicklung der Sektion Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin erfolgte 1992 die Entlassung. Seine Klage gegen die Kündigung wurde unter Verweis auf die Sonderkündigungsrechte nach dem Einigungsvertrag abgewiesen.
Kurt Pätzold setzte seine Forschungsarbeiten zur deutschen und europäischen Geschichte in den folgenden zwei Jahrzehnten unermüdlich fort. Hiervon zeugen zahlreiche Buchpublikationen, wissenschaftliche Aufsätze sowie Zeitungsartikel, vorwiegend in «neues deutschland» und «junge Welt». Sein letztes Buch ist erst kürzlich unter dem Titel «Der Überfall: Der 22. Juni 1941: Ursachen, Pläne und Folgen» bei «edition ost» erschienen.
Immer wieder beschäftigte ihn die Frage nach der Rolle der Volksmassen in der Geschichte, den Formen und Methoden ihrer Beeinflussung durch Herrschende. Hierzu übermittelte er dem Verlag «edition ost» noch in den letzten Lebenswochen ein Buchmanuskript, dessen Erscheinen er nun nicht mehr erleben kann.
Kurt Pätzold engagierte sich neben seinen wissenschaftlichen Forschungen auch an anderer Stelle. Er war u.a. Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Nun ist Kurt Pätzold im Alter von 86 Jahren verstorben. Wir verlieren mit ihm einen unserer produktivsten Wissenschaftler, einen kritischen, unbequemen, aber vor allem analytischen marxistischen Historiker. Er hatte wesentlichen Anteil am intellektuellen Niveau der Geschichtsarbeit in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und hat als Stiftungs-Mitglied sehr aktiv in verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen mitgewirkt.
Vorstand und Geschäftsführung der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.