"Sorben/Wenden im „Vormundschaftlichen Staat“ 1947 bis 1961 – Vortrag und Gespräch mit Dr. Pětš Šurman, Historiker am Sorbischen Institut, so lautete die Einladung des Lausitzbüros der Rosa- Luxemburg-Stiftung Brandenburg zu einer Veranstaltung innerhalb der Reihe „Reden über Philosophie, Kunst und Politik“ am 25. August 2016 in Tenglers Buchhandlung in Senftenberg. Grundlage des Vortrags sollte das kürzlich erschienene Buch von Pětš Šurman sein: Sorbische Interessen und staatliche Minderheitenpolitik in der DDR. Quellenedition (1947 – 1961), Bautzen 2016.
Etwa zwanzig Interessierte, darunter Mitglieder der Domowina-Ortsgruppe Senftenberg, waren gekommen. Die Anwesenden waren auf Wissenschaftliches gefasst, auf Sachlichkeit und Strenge in verwendeten Dokumenten, so wie es sich für einen Historiker geziemt. Gerd-Rüdiger Hoffmann, Moderator und Gesprächspartner sagte in seiner Begrüßung, als er auf das Buch verwies, etwas provokatorisch: „Es handelt sich sicherlich nicht um ein spannendes Buch, das man zu Weihnachten verschenken kann und in einem Zug durchliest.“ Damit hatte er nur teilweise recht. In einem Zug durchlesen kann man dieses Werk vermutlich nicht, aber es wurde ein spannender Abend.
Pětš Šurman, der 1997 an der Freien Universität Berlin zur sorbischen nationalen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg promoviert hat, konnte anhand der 190 veröffentlichten Dokumente, seines umfangreichen Quellenstudiums sowie seines großen Hintergrundwissens vieles beleuchten, was zum Teil als gegensätzliche Positionen beim Betrachten der Minderheitenpolitik der DDR aufeinanderprallt. Viele Vorurteile und Gerüchte wurden angesprochen und die Zuhörer erfuhren interessante Fakten. Zum Beispiel, dass es in Sachsen bereits 1948 ein vom Parlament beschlossenes Sorbengesetz gab, in Brandenburg hingegen im September 1950 eine Sorbenverordnung durch die Regierung beschlossen wurde oder dass die Domowina als Dachverband sorbischer Vereine unter der sowjetischen Besatzungsmacht eine sorbische Massenorganisation wurde, die bis zum Ende der DDR, anders als Parteien und andere Massenorganisationen, nie Mandatsträgerin war. Auch dass es ein Programm „Zweisprachige Lausitz“ gab, in dessen Folge die zweisprachige Beschilderung von Orten, Bahnhöfen und staatlichen Einrichtungen vorgenommen wurde, die vermutlich in den 1970er Jahren sang- und klanglos verschwand, so auch in Senftenberg, weil dann von der „Sozialistischen Lausitz“ die Rede war.
Gerade auch im Hinblick auf die Wiederaufnahme Senftenbergs ins angestammte wendische/sorbische Siedlungsgebiet waren die Ausführungen von Dr. Šurman hochinteressant, wie viele Nachfragen bewiesen. In Senftenberg hat sich in den letzten drei Jahren eine rege Beschäftigung mit sorbischer Sprache und Geschichte entwickelt, zunächst ausgehend von wenigen, die aber immer mehr Interessenten fand. Die Vorträge sind sehr gut besucht, die wöchentlichen Gesprächskreise und die Intensivlehrgänge der Schule für niedersorbische Sprache und Kultur Cottbus werden seit Jahren angenommen und in den Ortsteilen lebt wendisches/sorbisches Brauchtum ganz selbstverständlich fort.
Vor fast zwei Jahren wurde ein Domowina-Ortsverband in Senftenberg gegründet. Günter Paulisch, Impulsgeber und Gründungsmitglied, drückte sein dringendes Anliegen an diesem Abend so aus: „Wie können wir unseren Mitmenschen vermitteln, dass die Sorben eine wichtige Nationalität in Deutschland sind und nicht nur ein kultureller Verein?“
Der Grundtenor bei den meisten an diesem Abend war, dass Schutz und Förderung von Minderheiten eine große Bereicherung für die jeweiligen Regionen darstellt, sprachlich, kulturell, touristisch, wirtschaftlich und dass es nicht auf die Anzahl der Menschen in einem Gebiet ankommt, die sich zu einer Minderheit bekennen. Europäische Vereinbarungen, die Gesetzeskraft in Deutschland haben, verbieten genau dieses, nämlich Minderheitenfragen allein durch Mehrheitsentscheid zu beschließen.
Die Senftenberger Domowina-Ortsgruppe wird jedenfalls nicht aufhören die Chancen dieses Vorhabens für die Region zu vermitteln."
Auch das Lausitz-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird sich dieser Aufgabe weiterhin annehmen, am 14. Oktober 2016 ist so zum Beispiel der sorbische Schriftsteller Jurij Koch zu Gast bei einer Veranstaltung in Senftenberg und stellt seine Tagebuchaufzeichnungen vor, musikalisch kommentiert von Matthias Kießling.