Zur gleichen Zeit, in der die 52. Konferenz der ITH zu „Güterketten und Arbeitsverhältnisse“ im oberösterreichischen Steyr tagte, demonstrierten und streikten nur wenige hundert Kilometer südlich tausende Arbeiter*innen der italienischen Logistikbranche, nachdem ein Streikposten von einem LKW während der Blockade eines Warenlagers bei Piacenza überfahren worden und seinen Verletzungen erlegen war.[1] Die Ereignisse bildeten den tragischen Höhepunkt einer seit 2014 anhaltenden Streikwelle, in welcher die zumeist migrantischen Arbeiter*innen trotz wirtschaftlicher Krise deutliche Verbesserungen erkämpfen konnten. Die Logistik selbst ist eine boomende Branche, die von der zunehmenden Aufteilung der Produktion auf mehrere Standorte und damit der Ausweitung globaler Güterketten profitiert. Die Auseinandersetzungen dort hätten einen lohnenden Beitrag auf der Konferenz abgegeben, haben die Organisator*innen doch ausdrücklich in ihrem Aufruf die Stellung der Arbeitskräfte in der Güterkette zum Fokus der Tagung erklärt und auch nach ihrer Handlungsmacht gefragt. Tatsächlich war in den meisten Beiträgen von einer solchen leider wenig die Rede.[2]
[Die Langfassung des Konferenzberichtes findet sich im PDF am Fuße dieser Nachricht]
Das Konzept globaler Güterketten wird in der Forschung seit den 1990er Jahren diskutiert und weiterentwickelt. Diese zeichnen sich durch eine Kombination lokal verschiedener Produktionsverhältnisse und unterschiedlicher Arbeitsformen aus, wodurch Kosten eingespart werden können. Bisher weniger beachtet wurden jedoch die Verhältnisse am Arbeitsplatz und ihre Wechselwirkung mit den Veränderungen in den Güterketten. Auf der Tagung versuchten viele Beiträge hierfür eine Verbindung mit Ansätzen aus der Weltsystemtheorie fruchtbar zu machen, welche ebenfalls das Zusammenwirken global ungleicher Verhältnisse auf dem kapitalistischen Weltmarkt untersuchen.
ANDREA KOMLOSY stellte dabei in ihrem Eröffnungsvortrag in historisch langfristiger Perspektive anstelle einer linearen Zunahme eher eine phasenweise Fluktuation bei der Ausbreitung globaler Güterketten fest. Einer Phase dezentrierter Produktion mit unterschiedlichen Arbeitsformen (Industrie und Handwerk, freie und unfreie Arbeit) in der Frühen Neuzeit folgte die Konzentration der (Industrie-)Produktion im globalen Norden im 19. und 20. Jahrhundert, die seit den 1970er Jahren von einer erneuten Dezentralisierung und einer tendenziellen Aufteilung in arbeitsintensive Bereiche im globalen Süden und kapitalintensive im Norden abgelöst wurde. In jüngster Zeit treten zudem sogenannte Upgrading-Strategien in Schwellenländern wie China hinzu.
Ein solcher phasenweiser Wechsel scheint sich auch in der Zusammensetzung der Beiträge widergespiegelt zu haben, so waren sie durchweg entweder in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert oder der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart angesiedelt. In den Beiträgen, welche die erste Phase der Ausbreitung globaler Güterketten behandelten, wurde vor allem die zentrale Rolle des Staates bei der Organisation und Kontrolle von Handel und Transport deutlich, und zwar sowohl in den Kolonien (ROLF BAUER, SANTOSH HASNU für Indien), als auch in Europa (ERICH LANDSTEINER, KLEMENS KAPS, ZDENEK NEBRENSKY, MIROSLAV LACKO für Österreich-Ungarn). In den Beiträgen, welche die jüngere Zeit behandelten, wurde insbesondere die Zunahme informeller und prekärer Tätigkeiten sowie ein Übergreifen auf die Reproduktionssphäre thematisiert. Vor allem wurde eine weltweit dramatisch wachsende Bedeutung von Leiharbeit (beispielsweise HEIDE GERSTENBERGER für die Schifffahrt, MAREK CANEK und DEVI SACCHETTO für die Elektronikindustrie) sowie eine „kapitalistische Ausbeutung des Privaten“ durch Heimarbeit und Nebentätigkeiten festgestellt (so JOHANNA SITTEL für die Automobilindustrie in Argentinien). Wirkliche Handlungsmacht konnten unter diesen Umständen nur wenige Beitragende erkennen. Zu den Ausnahmen gehörten zwei Beiträge, die vermutlich nicht ganz zufällig Arbeitskämpfe in Südostasien behandelten, eine Region, die zur Zeit aufgrund der Verlagerung arbeitsintensiver Produktionszweige boomt (MICHAELA DOUTCH zu Massenstreiks in der kambodschanischen Textilindustrie und OLIVER PYE zu Arbeitskämpfen in der Palmölindustrie in Malaysia und Indonesien).
Insgesamt bleibt festzustellen, dass die Analyse von Arbeitsverhältnissen vor allem bezogen auf zeitlich und räumlich eng eingegrenzte Bereiche erfolgte. Das eigentliche Ziel der Konferenz, die Kombination unterschiedlicher Produktions- und Arbeitsverhältnisse innerhalb globaler Güterketten zu untersuchen und die Forschung in diesem Bereich konzeptionell weiterzuentwickeln, blieb damit unerreicht. Im Rahmen lokaler Untersuchungen gelang es jedoch durchaus eine bereits auf den vorherigen Konferenzen der ITH angemahnte Analyse des Zusammenwirkens verschiedener Formen der Arbeit sowie der Verflechtung von Produktions- und Reproduktionssphäre vorzunehmen.
[2] Der Aufruf und das Programm der Tagung finden sich unter: http://www.ith.or.at/konf/52_index.htm