Am 14. und 15. Oktober 2016 findet der internationale Kongress "Restorative Justice after Genocide" in Berlin statt. Mehr als 50 OvaHerero und Nama-VertreterInnen werden erwartet, um den Kampf um die Anerkennung des Völkermordes zu reflektieren und weitere Schritte zu erarbeiten. Esther Muinjangue und Festus Muundjua, Präsidentin und Mitglied der OvaHerero Genocide Foundation, berichten über aktuelle Entwicklungen und Forderungen.
Esther Muinjangue, Juni 2015 haben Sie das letzte Mal Berlin besucht. Anlass war die Übergabe der Petition „Völkermord ist Völkermord“ an Bundespräsident Gauck. Die Übergabe endete in einem Skandal, da die namibische Delegation vor dem Tor abgewiesen wurde. Seither ist viel passiert: Die Bundesregierung bezeichnet die Vorkommnisse 1904 bis 1908 jetzt offiziell als Völkermord, zwei Unterhändler wurden eingesetzt, mehrere diplomatische Treffen folgten. Wie bewerten Sie die Entwicklungen in den letzten Monaten?
Esther Muinjangue: Das letzte Mal war ich in Anwesenheit von Paramount Chief Rukoro und Ida Hoffmann in Berlin, um die Petition zu übergeben. Ich denke, den Druck den wir im letzten Jahr – und nicht erst seitdem –aufgebaut haben, trug viel zu den aktuellen Entwicklungen bei. Dazu zählen die sogenannten Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen. Jedoch lehnen wir die Verhandlungen ab, da wir aus dem Prozess ausgeschlossen wurden. Wir sagen, der Prozess kann nicht über uns, aber ohne uns geschehen – also ohne direkte Beteiligung von RepräsentantInnen der betroffenen Gemeinschaften. Das bezieht auch VertreterInnen aus der Diaspora wie Südafrika oder Botswana ein. Wir erwarten die gleiche Behandlung wie die jüdische Gemeinschaft, offene Gespräche mit der deutschen Regierung, daher sollte der bisherige Prozess gestoppt und neubegonnen werden.
Was sind Ihre politischen Hauptforderungen?
Festus Muundjua: Unsere politischen Hauptforderungen finden sich zusammengefasst in der namibischen Parlamentsresolution von 2004. Darin steht, dass es eine Anerkennung des Genozids und Zahlung von Reparationen akzeptiert werden muss sowie einen offenen Dialog zwischen der deutschen Regierung und uns als gleichberechtigte Gesprächspartner unter Einbeziehung der namibischen Regierung als Vertretung der namibischen Bürger geben muss.
Was sind die jüngsten politischen Initiativen, die gestartet wurden?
Esther Muinjangue: Seit letztem Jahr sind wir in Kontakt mit Anwälten im Vereinigten Königreich getreten, die uns in einem Schiedsverfahren unterstützen. Dieses Jahr hat ein US-amerikanischer Anwalt aufgrund des Ausschluss der OvaHerero und Nama-Gemeinschaften in den Verhandlungen der beiden Regierungen einen Brief an das Ständige Forum für Indigene Angelegenheiten beim Hochkommissar für Menschenrechte der UN geschickt. Das ist eine weitere Methode, um Druck auszuüben.
Festus Muundjua: Außerdem ist es ein Schritt hin zu einer "Internationalisierung" des ganzen Prozesses. Nicht nur vor Gerichten, sondern auch durch Unterstützung internationaler NGOs, um internationale Solidarität zu erhalten.
Die deutsche Bundesregierung hat früher immer argumentiert, dass die UN-Genozidkonvention von 1948 nicht rückwirkend angewandt werden kann. Dennoch hat der Deutsche Bundestag den Genozid an den ArmernierInnen als solchen anerkannt und die Türkei zur Übernahme von Verantwortung aufgefordert. Wie bewerten Sie die Vorgänge?
Festus Muundjua: Wir wissen nicht viel über den Völkermord an den ArmenierInnen, um uns eine finale Einschätzung zu erlauben. Für uns ist es wichtig zu zeigen, dass Völkermorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren. Das macht für uns keinen Sinn. Moralisch ist eine Kompensation für den Verlust notwendig und gerechtfertigt.
Esther Muinjangue: Für mich ist interessant, dass die deutsche Regierung hier von Völkermord spricht, obwohl dieser ebenfalls vor der Verabschiedung der UN Genozidkonvention 1948 geschah. Was macht diesen Genozid so anders als den Völkermord in Deutsch-Südwestafrika (Namibia), in dem Deutschland zudem direkt involviert ist? Was ist der Unterschied?
Sie sind hier um am NGO-Kongress "Restorative Justice after Genocide" mitzuwirken, an dem viele OvaHerero und Nama-VertreterInnen aus Namibia und der Diaspora sowie NGOs aus Deutschland teilnehmen. Was sind Ihre Erwartungen an den Kongress?
Esther Muinjangue: Mehr als 50 OvaHerero und Nama-VertreterInnen aus Namibia, Südafrika, Botswana, den USA und dem Vereinigten Königreich werden kommen. Der Kongress wird eine Plattform zum Austausch sein und wichtig, um unseren Fall auf eine internationale Ebene zu heben. Wir hoffen den Kongress mit einer Resolution zu beenden, um unsere Meinung zu dem Verhandlungsprozess und zu den immer noch spürbaren Auswirkungen des Völkermordes darzulegen. Die Resolution soll beiden Regierungen übergeben werden.
Was sind Ihre Forderungen an eine gemeinsame namibisch-deutsche Erinnerungspolitik an den Völkermord?
Esther Muinjangue: Ich würde mich freuen, ein Denkmal in Namibia oder Deutschland zu sehen, welches die angetanen Gräueltaten zeigt. Das zweite ist ein gemeinsames Komitee von WissenschaftlerInnen, um Bücher zu schreiben, ebenso sollten Spiel- und Dokumentarfilme gedreht werden. Alles hilft, um die Erlebnisse, die 100 Jahre zurückliegen, lebendig zu halten.
Fragen: Andreas Bohne