Aufgrund ihrer Rolle als (angeblicher) „Energiewende-Champion“ ist die Bundesrepublik ein nicht ganz unwichtiger Baustein im klimadiplomatischen Gefüge. Der von sozialen Bewegungen begonnene und durch das EEG dynamisierte und stabilisierte Zuwachs erneuerbarer Energien im Stromsektor erlaubte es der Bundeskanzlerin, sich auf dem G8-Gipfel 2007 als Klimakanzlerin zu feiern und gar im vergangenen Jahr auf dem G7-Gipfel im bayerischen Elmau das Wort „Dekarbonisierung“ salonfähig zu machen. Dass Deutschland noch immer der weltgrößte Braunkohleproduzent ist, alles dafür tut, die Welt mit Millionen fossil betankter Autos zu versorgen, und sein massiver Energiehunger als Exportweltmeister seinen Treibhausgasausstoß zwangsläufig auf hohen Niveau hält, hat dem Champion-Image lange nicht schaden können. Wenn es eine hochindustrialisierte Volkswirtschaft wie Deutschland schaffen kann, komplett auf Erneuerbare umzusteigen, so die Erzählung, dann ist der Wandel machbar. Dann können ihn andere nachahmen und die Welt muss nicht im Klimachaos versinken.
Nun hat Deutschland tatsächlich als erstes Land der Welt einen Klimaschutzplan vorgelegt, der bis in das Jahr 2050 reicht und den Weg zur Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, sprich: in eine Zukunft ohne Klimachaos, vorgeben soll. Das passt in die Erzählung vom Champion. "Mit diesem Klimaschutzplan können wir uns international sehen lassen", verkündetete Barbara Hendricks denn auch am Montag nach Verabschiedung des Plans durch das Kabinett. Eben, um das verkünden zu können, ist der Klimaschutzplan wohl doch noch während des UN-Klimagipfels in Marrakesch beschlossen worden – obwohl es in den letzten Tagen solch ein Gezerre um den Plan gab, dass es Deutschland erstmals den Anti-Preis der Klimaverhandlungen eingebracht hat, den “Fossil of the Day“. Den Preis verleihen NGOs während der Klimaverhandlungen täglich an das Land, das im Klimaschutz „am meisten tut, um am wenigsten zu machen“.
Widersprüchliche Bewertungen des Klimaschutzplans
Die Frage, was mit dem Klimaschutzplan gewonnen ist, wird sehr unterschiedlich bewertet: Während der WWF, die Deutsche Umwelthilfe, die Grünen und DIE LINKE kritisieren, dass der Klimaschutzplan zum Kohleschutzplan geworden sei, loben Germanwatch und Teile von Greenpeace, dass nun endlich der Kohleausstieg irgendwann zwischen 2030 und 2040 und gar das Ende des Verbrennungsmotors beschlossen sei. Auch die Medien liefern widersprüchliche Interpretationen: Die Süddeutsche Zeitung nennt das Dokument „nur schöne Prosa“, der britische Guardian dagegen gratuliert zum gelungenen Dekarbonisierungsplan.
Warum diese Kluft zwischen tosendem Jubel und harscher Kritik? Tatsächlich sind die im Klimaschutzplan vorgelegten Ziele ziemlich ambitioniert. Der Energiesektor zum Beispiel soll seine Emissionen bis 2030 gegenüber dem üblichen Basisjahr 1990 um 61 bis 62 Prozent senken. Wie groß die Herausforderung ist, wird deutlich, wenn man sich anschaut, was zwischen 1990 und 2014 schon geschafft wurde: nämlich 23 Prozentpunkte von den 62 Prozent, die nun im Plan stehen. Und in diesen 23 Prozentpunkten steckt noch die volle Wucht des Zusammenbruchs der DDR-Wirtschaft. Da stellt sich die Frage: Welche Instrumente können in einem weitaus kürzeren Zeitraum eine weitaus größere Emissionsreduktion bewirken?
Die Abschaltung von Kohlekraftwerken, ohne die sich das nicht machen lässt, steht nämlich nicht nur nicht im Plan. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat auch dafür gesorgt, dass jede Formulierung aus dem Text fliegt, die auch nur den Anschein erwecken könnte, dass die Klimaschutzziele – die ‚raison d’être’ des Klimaschutzplans – oberste Priorität haben könnten.
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Die Passage zum Stopp für neue Kraftwerke und Tagebaue wurden gestrichen – schon jetzt aber reicht die Kohle in den Revieren, um die im Plan genannten Ziele zu sprengen.
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„Hocheffiziente“ Kohlekraftwerke sollen weiter im Einsatz bleiben – eine Schutzformulierung für die Kohleindustrie.
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Aus der Kommission für „Klimaschutz, Wachstum, Strukturwandel und Vollendung der Energiewende“, die eigentlich den Kohleausstieg und dessen Umsetzung in den Braunkohlerevieren vorbereiten soll, ist die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Regionalentwicklung“ geworden. Das Wort ‚Klimaschutz’ ist bezeichnenderweise aus dem Namen herausgefallen und taucht auch im entsprechenden Absatz nur ganz am Ende auf – das zeichnet den Weg ab, den diese Kommission nehmen wird. Zudem soll sie überhaupt erst nach der Bundestagswahl anfangen zu arbeiten.
Kurz: Auf den 89 Seiten finden sich keinerlei konkrete Schritte, die erklären können, wie Deutschland den sozial-ökologischen Umbau der deutschen Produktionslandschaft in einem Tempo zustande bringen will, das dem Ernst der Lage auch nur annähernd gerecht wird. Der „Plan“ formuliert zwar Ziele – die durchaus den Ernst der Lage reflektieren. Gleichzeitig aber sagen sie nichts dazu, wie diese Mammutaufgabe angegangen werden muss.
Die große Leerstelle der Klimapolitik: Transformation
Damit folgt der Klimaschutzplan der Logik des Pariser Abkommens. Auch das Paris Agreement wurde von derselben Breite politischer Reaktionen aus der globalen Zivilgesellschaft begrüßt. Manche sahen darin ein „klares Signal“ an die fossilen Industrien, dass ihr Ende nah sei. Andere dagegen, darunter wir, argumentierten, dass der Klimagipfel zwar erfolgreich gewesen, der Klimaschutz aber gescheitert sei. Die Grundfrage ist in beiden Fällen dieselbe: Bewertet man die ambitionierten Ziele, wie zum Beispiel das Versprechen, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen? Oder bewertet man die real-existierenden Mechanismen, mit denen das entscheidende Ziel zu erreichen wäre?
Klar ist: Eine realistische Einschätzung des transformatorischen Potenzials der Klimapolitik muss beides bewerten. Zum einen die Ziele, denn diese haben die für ihre Gegner*innen durchaus irritierende Tendenz, sich irgendwann in tatsächlichen Politiken niederzuschlagen. So gesehen bedeutet der Klimaschutzplan durchaus einen Fortschritt, weil er zunehmend scharfe Ziele formuliert – so wie auch das Pariser Abkommen in dieser Hinsicht einen Fortschritt in der Klimapolitik bedeutet, weil es überraschend ambitionierte Ziele formuliert. Das könnte sich – je nach gesellschaftlichen und institutionellen Kräfteverhältnissen – sowohl auf der globalen Ebene wie auch in verschiedenen nationalen Politarenen tatsächlich irgendwann in effektiven Instrumenten und Mechanismen niederschlagen.
Das ist aber bislang kaum der Fall – weder national noch international. Deshalb muss eine realistische Einschätzung des transformatorischen Potenzials der Klimapolitik eben auch die Mechanismen zu ihrer Umsetzung bewerten – die dem notwendigen Zweckoptimismus der Klimapolitiker*innen zum Trotz eine irritierende Tendenz haben, den Status Quo fortzuschreiben. Und hier zeigt sich: Barbara Hendricks hat den Kampf gegen ihre Ministerkollegen aus dem Wirtschafts-, dem Verkehrs-, dem Finanz- und dem Landwirtschaftsressort weitestgehend verloren. Die Instrumente, die im Klimaschutzplan stehen, dienen eher dem Zweck, den Status quo so lange wie möglich zu bewahren. Im Prinzip soll alles (fast) weitergehen wie vorher. Noch mal Barbara Hendricks: "Durch rechtzeitige Weichenstellungen machen wir den Klimaschutz zum Motor für die Modernisierung unserer Volkswirtschaft. Das schafft Jobs und stärkt unsere Rolle auf dem Weltmarkt."
Übersetzt bedeutet das: Die ambitionierten Ziele werden deshalb nicht gleichzeitig in effektive Mechanismen übersetzt, weil sie den Profitinteressen der an der Diskussion beteiligten Unternehmerverbände und den Stabilitätsinteressen ihrer politischen Verbündeten diametral entgegenstehen. Das ist nichts Neues, deutet aber auf die große Leerstelle der Klimapolitik hin: Die Fragen, die gestellt werden müssten, um die oben diskutierten Ziele tatsächlich realistischerweise erreichbar zu machen, spielen im politischen Diskurs eine verschwindend kleine Rolle. Egal ob der Abbau fossiler Subventionen, das Abschmelzen der Autoindustrie und ein Phasing-out energieintensiver Industrien in Deutschland oder die Frage danach, wie ein wachstumsorientiertes Wirtschaftsmodell eine effektive und weitestgehende Reduktion des Energieverbrauchs leisten soll - nichts davon liegt auf dem Tisch. Sowohl in Deutschland als auch auf dem UN-Verhandlungsparkett produziert der Mainstream der Klimapolitik weiterhin den Eindruck, dass durch ein paar Marktmechanismen hier und einige ökonomische Anreize dort das drohende Klimachaos abzuwenden sei.
Das ist eine Illusion. Nur ein grundlegender Wandel unserer Produktions- und Lebensweise kann diese Aufgabe erfüllen. Sowohl das Pariser Abkommen als auch der Klimaschutzplan sind Ausdruck der Unfähigkeit, sich diesem Konflikt zu stellen. Was wir in den nationalen Parlamenten und auf der globalen Ebene der UN-Klimaverhandlungen brauchen, ist mehr als ein bloß imaginierter Energiewende-Champion. Es braucht Akteure, die die Transformation real vorantreiben. Der Klimaschutzplan zeigt, dass Deutschland dies nicht ist. Zeit, dass das auch auf den UN-Verhandlungsparkett ankommt.