Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der Philosophin Hannah Arendt, der Sozialistin Emmy Scholem und dem »Spatz von Berlin«, der Kabarettistin und Sängerin Claire Waldoff? – Auf den ersten Blick wohl nicht, doch alle drei und noch neun weitere Frauen sind im aktuellen „Wegbereiterinnen“-Kalender für das kommende Jahr zu finden. Die Historikerin und Herausgeberin Gisela Notz hat darin Porträts von Frauen versammelt, »die sich in Politik, Gewerkschaften, im Widerstand, in der Literatur, Musik, Photographie oder im Sport für die Rechte der Frauen, für Freiheit, Gleichheit und eine friedlichere Welt eingesetzt haben.«
So wird die wohl bedeutendste politische Philosophin Hannah Arendt unter dem Titel »Denken ohne Geländer« vorgestellt, die auf Grundlage ihrer »Ethik des selbstverantwortlichen Handelns« zur Vordenkerin zivilgesellschaftlicher und direktdemokratischer Aktionsformen wurde. Sie verbrachte die Nazizeit im Exil in Paris und später zusammen mit ihrem Mann, dem antistalinistischen Kommunisten Heinrich Blücher, in den USA, wo sie die »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« als eines ihrer zentralen Werke verfasste.
Auch Claire Waldoff floh vor den herrschenden Nazis, allerdings vom lebendigen Berlin in die bayrische Provinz und damit in bittere Armut. Der Spatz von Berlin war auf ihre Art ebenso eine eigenständige Protagonistin, die sich ihre Freiheiten nahm – allerdings war ihr Metier der öffentliche Auftritt auf der Bühne, wo sie es »verstand, den Ton zu treffen, der die Menschen berührte.«
Emmy Scholem als Bildungsarbeiterin und Stenotypistin der Kommunistischen Partei Deutschlands hingegen »steht für eine Generation von Frauen in Angestelltenberufen, die die Arbeiterbewegung am Laufen hielten, jedoch oft hinter der ‚großen Politik‘ unsichtbar blieben.« Als ihr Mann Werner 1926 als Gegner Stalins aus der KPD ausgeschlossen wurde, wurde Emmy für seine Ansichten in Sippenhaft genommen und entlassen. Nach Verhaftung durch die Nazis 1933 konnte sie ein Jahr später zusammen mit ihren Töchtern nach England fliehen.
Allen Wegbereiterinnen ist gemeinsam, dass sie zu einer Zeit, in der Frauen sehr stark benachteiligt waren, gelebt haben und sich für das »gute Leben« in einer besseren Zukunft für alle eingesetzt haben. Die Porträtierten stammen nicht nur aus Deutschland des letzten und vorletzten Jahrhunderts, sondern auch aus Ungarn, Österreich, den USA sowie aus der Türkei des frühen 20. Jahrhunderts – wie Zabel Yesayan, die inzwischen bedeutende armenische Schriftstellerin und Zeitzeugin des Völkermords an den ArmenierInnen.
Die von historisch arbeitenden Frauen und Männern individuell geschriebenen Porträts sind informativ und haben dennoch keinen lexikalischen Charakter. Ausdrucksstarke Bilder und ein zurückhaltendes Layout machen den Kalender zum Platz für wertvolle Erinnerungen an Frauen, die vor unserer Zeit schon am Weg in eine andere Welt gearbeitet haben.
Seit mittlerweile 15 Jahren erscheint der Wegbereiterinnen-Kalender, der sich zum Sammelobjekt entwickelt hat und aus vielen Wohn- und Arbeitszimmern nicht mehr wegzudenken ist. Erstmals erscheinen die Porträts zusätzlich als Postkartenset.
Peter Streiff
Gisela Notz (Hrsg.): Wegbereiterinnen XV – Kalender 2017, AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2016, 15 Seiten, Format DIN A3, 14,50 EUR. Postkartenset mit allen Frauenporträts, DIN A6, 9 Euro. Direktbezug auch bei: spak-buecher@leibi.de, bei Abnahme von 10 Ex. 1 zusätzl. Ex. sowie portofrei.
Peter Streiff ist Redakteur von CONTRASTE, der Monatszeitung für Selbstorganisation.