Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos und seine Kabinettskollegin für Arbeit, Eftychia Achtsioglou, haben sich am Donnerstag (15. Dezember) in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin zur ökonomischen und sozialen Situation in ihrem Land und den Gesprächen des griechischen Staates mit seinen internationalen Gläubigern geäußert.
Tsakalotos verwies auf große Fortschritte bei der Umsetzung des laufenden Kreditprogramms. Die griechische Regierung verfüge über einen «klaren Fahrplan», etwa bei der Rekapitalisierung der Banken. Sie habe seit der Übereinkunft mit den europäischen Institutionen vom Sommer 2015 eine Vielzahl von Reformen in Angriff genommen, etwa beim Aufbau einer unabhängigen Steuerbehörde oder im Energiesektor. Die Wirtschaft werde aller Voraussicht nach im dritten Quartal in Folge wachsen, die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer stiegen und die Steuerhinterziehung werde erfolgreich bekämpft. «Wir haben unsere Ziele übertroffen», sagte der Minister.
Es gelte nun aber auch, diesen Wachstumsweg mit sozialem Inhalt zu füllen. Es bedürfe eines Ausgleichs zwischen den Interessen der Gläubiger und denen der griechischen Bevölkerung, die in den vergangenen sechs, sieben Jahren bereits viele Opfer gebracht habe, betonte Tsakalotos. Hintergrund ist die aktuelle Kritik aus einzelnen EU-Mitgliedsstaaten an Plänen, rund 1,6 Millionen RentnerInnen zu Weihnachten eine Gratifikation zu zahlen sowie die Mehrwertsteuererhöhung auf mehreren Inseln in der Ostägäis zu verschieben. Angesichts der bereits unternommenen Reformschritte müsse Europa der Regierung Tsipras dazu die Freiheit lassen. Es wäre eine «Schande», wenn es hierzu keine Übereinkunft gebe. Das Wohlergehen Griechenlands wie auch Europas hänge davon ab, dass benachteiligte Gruppen am Wachstum beteiligt würden. Sonst gerate der Kontinent in «große Schwierigkeiten», warnte der Minister. Tsakalotos zeigte sich zugleich vom Internationalen Währungsfonds (IWF) enttäuscht, der die EU für die harten Auflagen für Griechenland kritisiert hatte. Statt eines «Löwen», als den sich der IWF selbst betrachte, könne er freilich nur ein «Kätzchen» erkennen, sagte Tsakalotos.
Arbeitsministerin Achtsioglou ging auf den Umbau des Arbeitsmarktes ein, der ebenfalls Bestandteil der Vereinbarungen mit den europäischen Institutionen ist. Seit 2010 sei das Tarifvertragssystem in Griechenland kollabiert, sagte sie. Heute gebe es nur noch acht landesweit gültige Branchentarifverträge, die Mehrheit der LohnempfängerInnen schlössen individuelle Arbeitsverträge ab. Untere Lohngruppen hätten starke Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, viele Einstellungen erfolgten nur noch in Teilzeit. Die Ministerin verwies darauf, dass sich die Arbeitslosenrate bis 2013 auf fast 28 Prozent vervierfacht habe und unter Jugendlichen in diesem Jahr bei etwa 50 Prozent liege. Griechenland sei zu einem «Niedriglohnland mit dereguliertem Arbeitsmarkt» geworden, Armut trotz Arbeit nehme zu. Die Regierung mache sich daher für die Rückkehr zu einem flächendeckenden Tarifvertragssystem stark.
Am Abend nahm Tsakalotos an einer Diskussionsrunde in der Berliner Urania zum Thema «Europa am Scheideweg» teil. Bei der gemeinsamen Veranstaltung der Stiftung mit der Tageszeitung «taz» und dem Westend-Verlag sprachen zudem die Politologin Gesine Schwan, der Grünen-Politiker Jürgen Trittin und Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung.