Pressemeldung | »Ich versuchte, kritisch zu sein«

Historiker und Zeitzeugen diskutierten in Leipzig das Jahr 1956 (Neues Deutschland, 30.3.2006)

Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen ist in die Jahre gekommen. Zum 15. Gründungsjubiläum lud sie zu einem Kolloquium über das Jahr 1956 und dessen Bedeutung für die Geschichte der linkssozialistischen Bewegung.
Der sachkundige Einführungsbeitrag von Siegfried Prokop über »Tauwetter, Frühling und Frost«, die DDR nach dem XX. Parteitag der KPdSU, dürfte nicht wenige Zuhörer auch auf sein neues Buch »1956. DDR am Scheideweg« (Kai Homilius Verlag) neugierig gemacht haben. Gerhard und Ingrid Zwerenz erinnerten an die damaligen Vorgänge am Institut für Philosophie der Karl-Marx-Universität Leipzig. Auf einen seiner Beiträge in der kulturpolitischen Wochenzeitung »Sonntag« verweisend, resümierte Gerhard Zwerenz: »Ich habe versucht, analytisch kritisch für mein Vaterland DDR tätig zu sein.« Doch er musste wie viele andere erfahren, dass Versuche, dem Stalinismus im Lande entgegenzutreten, als konterrevolutionäre Tätigkeit diffamiert und bestraft wurden. Das bestätigten auch die Konferenzbeiträge von Jörn Schütrumpf zu Ursachen und Erscheinungen des Stalinismus, Wolfgang Geier zu Wirklichkeitsverlusten und Wahrheitsverweigerungen sowie von Karl-Heinz Gräfe zu den mit der Krise des Stalinismus in Osteuropa verbundenen Chancen linkssozialistischer Entwicklung. Nicht nur in der DDR, auch in Polen, Ungarn und in der CSSR wurden neue Ideen und Konzepte für grundlegende Veränderungen im Sinne eines demokratischen Sozialismus entwickelt und leidenschaftlich diskutiert. In Polen und Ungarn endeten die demokratischen Aufbruchsversuche für Veränderungen in Staat und Partei blutig, in der DDR nicht, aber auch hier erfolgte keine korrigierende Wende. Jedoch: Was war vor 50 Jahren, unter den Bedingungen des voll entfachten Kalten Krieges und einer latent drohenden Kriegsgefahr – Aspekte, die in der Debatte unberücksichtigt blieben – innenpolitisch und innerparteilich überhaupt real möglich? Diese Frage wurde nicht aufgeworfen.
Neuen Utopien und utopischen Denken widmeten sich Helmut Seidel, Michael Brie, Andreas Heyer und Hans-Gert Gräbe. Interessante, anregende Überlegungen, die offenbaren, was für ein kreatives Wissenschaftspotenzial der Linkspartei nahe steht. Und das es zu nutzen, auszuschöpfen gilt im Ringen um die Neubestimmung politischer Programmatik zur Bändigung und letztlichen Überwindung einer antihumanistischen Weltordnung.
Als stetige Mahnung für die neue Linkspartei wie auch Linksbündnisse bleibt jedenfalls die in Leipzig – gewinnbringend für alle Teilnehmer – diskutierte Praxis, Sozialismus ohne Demokratie zu begründen, nur auf Disziplinierung und Ausgrenzung zu setzen. Das musste scheitern. Zwingende Schlussfolgerung daraus sind die Wahrung des innerparteilichen Pluralismus und die Verpflichtung zu einer politischen Kultur der Freiheit.