Eine wissenschaftliche Konferenz über die »Frauenpolitikerin Clara Zetkin« war längst fällig. Ende vergangener Woche fand sie aus Anlaß ihres 150. Geburstages in Leipzig statt. Eingeladen hatten das Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung, die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Leipzig, die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen.
Am Ort der Tagung, dem Steyberschen Institut, absolvierte die 1857 in Wiederau geborene Clara Eißner eine Ausbildung als Fachlehrerin für moderne Sprachen. Hier begegnete sie ihrem künftigen Gefährten Ossip Zetkin, trat in die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands ein und verzichtete damit auf eine erfolgreiche Zukunft als Lehrerin. Während ihres Aufenthalts in Leipzig habe sich auch ihr Bruch mit der Familie und mit ihrer Lehrerin Auguste Schmidt, einer Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung, vollzogen, sagte Astrid Franzke von der Uni Hildesheim.
Weibliche Perspektive
Die Tagung fand in einem geschichtsträchtigen Jahr statt, denn vor 100 Jahren, am 17. August 1907, versammelten sich 58 »Delegiertinnen« aus 15 Ländern zur I. Internationalen sozialistischen Frauenkonferenz in Stuttgart. Zetkin leitete die Konferenz und begründete die Resolution zum Frauenwahlrecht: Es sei kein Ziel an sich, sondern Programm. Unterstützung erhielt sie, so die Historikerin Gisela Notz, von Rosa Luxemburg und Alexandra Kollontai. Mascha Riepl-Schmidt sprach von der »Bodenhaftung« Zetkins bei dieser Konferenz und erinnerte daran, daß sie, die von 1904 bis 1924 in einer stattlichen Villa in Sillenbuch wohnte, von der bäuerlichen Bevölkerung des Ortes geachtet – und von freiwilligen Helfern bewacht wurde, als sie 1919 Morddrohungen erhielt.
Den besonderen Beitrag der von Zetkin von 1891 bis 1917 herausgegebenen und redigierten Zeitschrift Die Gleichheit bei der Vermittlung von Geschichte und der Sichtbarmachung von Frauen in der Menschheitsgeschichte (Darstellung der »Arbeiterbewegung aus einer weiblichen Perspektive«), hob Mirjam Sachse aus Kassel hervor. Zetkin habe versucht, »historische Vorbilder für ein bewußtes politisches Handeln näherzubringen und gegen den weiblichen Geschichtsverlust anzugehen«.
Ausgeblendete Konflikte
Der Leipziger Historiker Klaus Kinner erinnerte an die Schärfe der Auseinandersetzungen Zetkins mit dem KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann und mit der Kommunistischen Internationale (KI). In der Weimarer Republik verstand Clara Zetkin die Partei wie Rosa Luxemburg als Sammlungsbewegung und nicht als Kaderorganisation. Daher habe sie oft in Opposition zur KPD-Führung und zur KI gestanden, so Kinner. Solche Erkenntnisse gelangten erst mit der Öffnung der Archive in Berlin und Moskau an die Öffentlichkeit.
In seinem Beitrag über die DDR-Forschung zu Zetkins Leben und Werk stellte Hans-Jürgen Arendt (Leipzig) ebenfalls fest, wichtige Aspekte wie ihre Konflikte mit der KPD habe man ausgespart. Doch Beachtliches sei geleistet, Quellenmaterial erschlossen worden. Clara Zetkin habe »einen ersten Platz im DDR-Geschichtsbild« eingenommen. So wurden Gedenkstätten in Zetkins Geburtshaus im sächsischen Wiederau (1956) und in ihrer Wohnung in Birkenwerder bei Berlin (1957) eröffnet. Das Berliner Institut für Marxismus-Leninismus war die zentrale Institution der Clara-Zetkin-Forschung. Vier weitere Einrichtungen setzten sich mit Zetkin wissenschaftlich auseinander: Als Klassikerin der deutschen Pädagogik (an der Humboldt-Universität), als Vertreterin marxistischer Ästhetik (an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED) und als Wirtschaftspolitikerin und Staatstheoretikerin (an der Greifswalder Universität). Schließlich gab es eine einzigartige Forschungsgruppe – die spätere Sektion Geschichte der 1972 gegründeten Pädagogischen Hochschule »Clara Zetkin« in Leipzig: Wissenschaftliche Kolloquien wurden organisiert, Dissertationen über Zetkin verfaßt, Bücher zur Chronik der Frauenbewegung verlegt.
Berührungsängste West
Die Publizistin Florence Hervé berichtete, daß die Auseinandersetzung mit Clara Zetkin in der BRD –wenn es denn überhaupt eine gab – stark ideologisch geprägt gewesen sei: »Man tat sich lange schwer – und tut sich heute noch schwer – , zu einem entkrampften Verhältnis zu ihr zu kommen, weil sie eine Kommunistin war, weil ihr Name für Widerstand steht. In Frankreich scheint man da unbefangener zu sein. Vielleicht, weil dort eine lange Tradition des Widerstands gegen überholte Herrschaftsstrukturen besteht, und weil es eine stärkere Identifikation mit Leitbildern von kämpferischen Frauen als in Deutschland gibt.«
Ist Clara Zetkin noch aktuell? Herta Kuhrig, von 1964 bis 1990 verantwortlich für Frauenforschung an der Akademie der Wissenschaften der DDR, hinterfragte »Gewißheiten« bei der Wiederbegegnung mit Zetkin – sie sei in der DDR ziemlich »vereinseitigt« dargestellt und zu einem Denkmal gemacht worden. Es gelte aber weiterhin Zetkins Erkenntnis, daß die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen Voraussetzung für ihre Emanzipation, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie auch die Veränderung der traditionellen Rolle des Mannes eine Herausforderung und die eigenständige Organisierung von Frauen eine Notwendigkeit ist.
* Die Referate werden in einem Tagungsband der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht
* Weitere Veranstaltungen
Birkenwerder b. Berlin:
7. Juli, ab 18 Uhr, Clara-Zetkin-Gedenkstätte, Summter Straße 4: »Raus mit den Männern aus dem Reichstag...« – kulturelle Genüsse in Claras Garten mit der Tanz- und Musikperformance-Gruppe »Taller«; ab 20 Uhr Lieder von Kreisler, Tucholsky, Knef u.a. mit Angelika Warning (Gesang) und Silke Lang (Akkordeon); 22.30 Uhr Filmvorführung »Sommer vorm Balkon«
8. Juli, 11 Uhr: Lesung von Texten von und über Clara Zetkin mit Manuela Dörnenburg
Oldenburg:
7. Juli, Gasthaus Harmonie, Dragonerstr. 59: Vortrag »Die unbekannte Clara – Ein neues Zetkin-Bild nach Öffnung der Archive« von Eleonora Pfeifer