Publikation Parteien / Wahlanalysen - International / Transnational Das Dilemma des Sieges

Wahlen in Serbien: Demokraten gehen als Sieger hervor, Sozialisten werden wichtigster Partner. Analyse von Dorit Riethmüller.

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Reihe

Online-Publ.

Autorin

Dorit Riethmüller,

Erschienen

Mai 2008

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Bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag erhielt Boris Tadić mit seinem Wahlbündnis „Für ein europäisches Serbien“ eine überraschend klare Unterstützung der serbischen Wählerinnen und Wähler, auch zukünftig mit seinem pro-europäischen Kurs die Politik des Landes zu bestimmen.

Noch im April bescheinigte eine Meinungsumfrage des unabhängigen CeSID Institutes in Belgrad der Serbischen Radikalen Partei (SRS) einen sicheren Wahlsieg. Diese kamen jedoch letztendlich nur auf 29,1 Prozent der Stimmen und damit 77 Sitze im Parlament - im Gegensatz zu 38,7 Prozent und 103 Sitzen[1] die das pro-europäische Wahlbündnis erhielt.

Für den Stimmenzuwachs des Wahlbündnisses „Für ein europäisches Serbien“ hat sicher das noch im April von der EU zur Unterschrift angebotene Stabilisierungs- und Assoziierungs­abkommen nicht unerheblich beigetragen, womit die Strategie der Union, den Wahlkampf und damit einen möglichen Sieg von Tadić zu unterstützen, aufging.

Wenn jetzt auch vielen in der EU ein Stein vom politischen Herzen gefallen sein dürfte, fangen in Belgrad die wirklichen Probleme erst an. So sagte etwa der kroatische Philosoph und Politikwissenschaftler Žarko Puhovski auf einer Veranstaltung der RLS kurz nach den Wahlen[2], dass er natürlich Boris Tadić den Sieg gewünscht habe, dass der gewonnenen Wahl jedoch eine Zeit des schwachen Regierens folgen werde. Die Demokraten müssten vorsichtig sein und würden sich voraussichtlich schwer tun, anstehende Entscheidungen treffen, um die Wählergunst nicht zu verlieren. Unterdessen könnten die Radikalen um den stellvertretenden Parteichef Tomislav Nikolić (Parteichef Vojislav Šešel befindet sich seit 2003 in Den Haag in Haft) aus der Opposition heraus weiter polemisieren und nationalisieren.

Den in Kroatien gesammelten Erfahrungen zufolge kann sich eine nationalistische Partei eher in der Regierungsverantwortung erfolgreich demokratisieren als in der Opposition. Die momentan stärkste Partei im dortigen Parlament, die Kroatische Demokratische Union, war unter Franjo Tuđman gegründet worden, dem u.a. Kriegsverbrechen während des Bürgerkrieges in den 90er Jahren vorgeworfen wurden. Ihr derzeitiger Chef Ivo Sanader hat die ehemals nationalistische Partei grundlegend erneuert. Inzwischen gibt es ein umfassendes Gesetz zum Schutz der Minderheiten in Kroatien und die Partei der serbischen Minderheit sitzt sogar mit in der Regierung.

Während auf Verliererseite zunächst Koalitionsgespräche zwischen Parteichef Nikolić (SRS) und Parteichef Koštunica (DSS) stattfanden, bei denen sich beide schnell auf eine Zusammenarbeit einigten, trafen sich danach ebenso beide mit dem Wahlbündnis-Chef der Sozialisten Ivica Dačić (SPS) zu Verhandlungen. Dieser hatte sich entschlossen, zunächst mit der DSS Gespräche zu führen, bevor er sich mit den Demokraten des Wahlbündnisses träfe. Sollten sich alle drei Parteien auf eine Koalition einigen können, wäre damit die Mehrheit im Parlament besiegelt.[3]

Bisher gab es jedoch gestern vorerst eine Einigung über die 5 Hauptziele einer zukünftigen Zusammenarbeit – alles zu tun für den Verbleib Kosovos innerhalb serbischer Grenzen, die ökonomische Entwicklung voranzutreiben, die Reform und Verbesserung des Sozialrechts, die europäische Integration voranzutreiben ohne auf das Kosovo zu verzichten und stärker gegen Korruption und Kriminalität anzukämpfen.

Für die noch ausstehende endgültige Unterschrift unter die Koalitionsvereinbarung stehen weitere Verhandlungsrunden an. Heute ist Dačić zunächst zu Gesprächen nach Russland aufgebrochen, wo er sich u.a. mit dem Vorsitzenden der Partei „Gerechtes Russland“ Sergei Mironow treffen wird.

Boris Tadić (DS) will im Gegenzug mit den Parteien verhandeln, die sich für Stabilität und ökonomischen Aufschwung einsetzen, die Integration des Landes in die EU unterstützen und die Zugehörigkeit Kosovos zu Serbien sichern.

Damit schienen Verhandlungen mit den Liberalen, die als Koalitionspartner (5,3 Prozent der Stimmen und damit 13 Sitze) in Frage kommen, aber als einzige serbische Partei die Abspaltung Kosovos akzeptieren, schwierig. Außerdem weigerten sich die Liberalen noch bis vor Kurzem, Regierungsverantwortung zu übernehmen, sollten dort auch die Sozialisten sitzen, denen sie einen fehlenden Willen zur Erneuerung der Partei vorwerfen.

Inzwischen bestätigte jedoch Čedomir Jovanović (Vorsitzender der Liberalen Partei), dass er mit der DS koalieren würde, auch wenn diese möglicherweise mit den Sozialisten zusammengingen. Es gelte alles zu tun, um eine pro-europäische demokratische Regierung zu Stande zu bringen und damit dem Willen des Wählers nachzukommen.

 

Das Zünglein an der Waage sind die Sozialisten

Die Partei, die unter ihrem Führer Slobodan Milošević das Land in Krieg, ökonomischen Niedergang und internationale Isolation geführt hatte, ist während der Wahlen zum heimlichen Gewinner geworden. Ohne sie ist eine absolute Mehrheit in der Regierung nicht zu haben. Die politischen Prioritäten seiner Partei sind laut Dačić soziale Reformen, der Schutz nationaler und staatlicher Interessen, der Verbleib Kosovos in Serbien und die Integration in die EU. Die Änderung des Arbeitsgesetzes und des Gesetzes zur Rentenversicherung und damit die Verbesserung der Rechte der Arbeitnehmer und der Lebenssituation von Rentnern stehen ebenso auf dem Programm wie eine Änderung des Privatisierungsgesetzes, kostenloser Zugang zu Bildung, Gesundheit und der Schutzes der Kriegsopfer. Kritisch einzuschätzen ist die Unwilligkeit der Sozialisten mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten, insbesondere die Überstellung des serbischen Kriegsverbrechers Ratko Mladić voranzutreiben. Dačić fordert außerdem die Rehabilitation der Milošević-Familie und den Wegfall der bestehenden Auslieferungs­forderung an Russland, wo sich Mira Marković, die Frau des Kriegsverbrechers und ihr Sohn derzeit aufhalten.

Jetzt, wo beide Lager um sie werben, hätte die Partei die Chance, durch eine Koalition mit der DS dass ihr verpasste Urteil, eine ähnlich nationalistische Vereinigung wie die SRS (mit denen sie bereits mehrmals koalierten) zu sein, abzulegen und sich als soziale und pro-europäische Kraft zu etablieren. Geht man jedoch nach dem Stand der Verhandlungen, fühlt sich Dačić wohl auch weiterhin eher zu den Radikalen und Nationalisten hingezogen.

Dabei stehen ihm auch bei den Demokraten viele Türen offen. Dragoljub Mićunović, Mitglied des Parteipräsidiums der Demokraten (DS) und ehemaliges Mitglied der Praxisgruppe, die sich zu jugoslawischen Zeiten für einen undogmatischen Marxismus einsetzte und der auch Žarko Puhovski angehörte, hat keine Berührungsängste gegenüber den Sozialisten. In Radio B92 erklärte er, dass die Sozialisten ein annehmbarer Partner für die DS wären. Die DS hätte schon mehrfach Gespräche mit den Sozialisten geführt und es gäbe bereits gute Beziehungen zu mehreren Mitgliedern der Partei, sowie eine gute Zusammenarbeit in der parlamentarischen Versammlung im Europarat, wo die SD gemeinsam mit der der SPS zur Gruppe der europäischen Sozialisten gehört. Wichtig seien besonders die jüngeren Mitglieder der sozialistischen Partei, welche eine Reform der Partei unterstützen würden und ernstzunehmender Partner im europäischen Integrationsprozess sein wollen.

Für Ivica Dačić war schon vor den Wahlen klar, dass der Gewinner, sei es nun Nikolić oder Tadić, ihn anrufen würde. Von ihm stammt auch der Spruch „Beginnen wir die Liebe von vorn“ – wen er damit konkret meinte, bleibt bisher noch ungewiss.

 

16. Mai 2008, Dorit Riethmüller

 

Die Wahlbeteiligung lag am Sonntag, 11. Mai 2008, im Durchschnitt in Gesamtserbien bei 60,7 Prozent.

 

Den Einzug ins Parlament haben folgende Parteien geschafft:

Partei / Wahlbündnis

Prozent

Mandate

Wahlbündnis „Für ein europäisches Serbien”, (DS)

Za evropsku Srbiju,

Boris Tadić

38.7

103

Liberaldemokratische Partei, (LDP)

Liberalno-demokratska partija,

Čedomir Jovanović

5.2

13

Demokratische Partei Serbiens, (DSS)

Demokratska Stranka Srbije - Nova Srbija,

Vojislav Koštunica

11.3

30

Serbische radikale Partei, (SRS)

Srpska radikalna stranka,

Vojislav Šešelj / Tomislav Nikolić

29.1

77

Sozialistische Partei Serbiens / Partei der vereinten Pensionäre / Einheitliches Serbien, (SPS-PUPS-JS)

Socijalistička partija Srbije-Partije ujedinjenih penzionera Srbije i Jedinstvene Srbije

Ivica Dačić

7.9

20

Bosnische Liste für einen europäischen Sandžak

Bošnjačka lista za evropski Sandžak

Sulejman Ugljanin

0.8

2

Ungarische Koalition

Mađarska koalicija

Ištvan Pastor

1.8

4

Koalition der Albaner des Preševo Tal’s

Koalicija Albanaca Preševske doline

0.5

1

Quelle: www.cesid.org/eng/index.jsp, 14.05.2008

 

 


[1] Angaben ebenfalls CeSID, www.cesid.org/eng/index.jsp, 14.05.2008

[2] Am 08. Mai hielt Žarko Puhovski auf Einladung der RLS und der Südosteuropagesellschaft in der Humboldt Universität Berlin einen Vortrag mit dem Titel „Der Balkan vor den Türen der EU – eine Bestandsaufnahme.“

[3] Würden SRS, DSS und SPS koalieren, hätten sie insgesamt 127 Mandate. Dann bleiben für eine Koalition der DS mit den restlichen Parteien (Liberale, ungarischen Minderheit, Albaner und Bosniaken) nur 123 Mandate.