Publikation International / Transnational - Europa - Westeuropa Moldova – ein Sonderfall?

Zur Situation in der Republik Moldau nach den Parlamentswahlen am 5. April. Von Fritz Balke

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Fritz Balke,

Erschienen

April 2009

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Zur Situation in der Republik Moldau nach den Parlamentswahlen am 5. April.

Von Fritz Balke

„Letzte Oase für Sowjetnostalgiker“ überschrieb der Spiegel-Korrespondent seinen Bericht aus Moldovas Hauptstadt Chişinău im Vorfeld der für den 5. April angesetzten Parlamentswahlen. Die Partei der Kommunisten Moldovas (PCRM), die als letzte ihrer Art ein europäisches Land regiert, habe ein mafiöses Clansystem errichtet und fürchte jetzt die Quittung des Wahlvolks.

Nun, das Wahlvolk entschied sich zur Überraschung vieler Beobachter anders. Die PCRM erhöhte sogar die Anzahl ihrer Mandate im Parlament von 56 auf 60 und besitzt damit eine komfortable absolute Mehrheit. Ihre Gegner, ein antikommunistischer Block aus zwei liberalen Parteien und der Allianz „Unser Moldova“, kamen auf insgesamt 41 Sitze. Alle anderen Parteien scheiterten an der Sechs-Prozent-Hürde. Der Wahlkampf war von beiden Seiten mit unerbittlicher Härte und gegenseitigen Unterstellungen geführt worden. Umso größer war die Enttäuschung der Verlierer über die unerwartet deutliche Niederlage. Sie führten dies prompt auf Wahlfälschungen zurück und riefen, noch ehe das Wahlergebnis bekannt war, zu Protestdemonstrationen auf dem zentralen Platz auf. Diese fanden dann tatsächlich statt und mündeten in gewaltsames Eindringen in den Präsidentenpalast und das Parlamentsgebäude. Die überraschten Sicherheitskräfte griffen erst ein, als jugendliche Demonstranten Einrichtungen demolierten und versuchten, Brände zu legen.

Von den Ausschreitungen zeigten sich alle Seiten betroffen. Präsident Wladimir Woronin, zugleich Vorsitzender der PCRM, machte das aggressive Auftreten der Oppositionsparteien, die dafür unreife Jugendliche missbraucht habe, sowie die Einmischung aus dem benachbarten Rumänien dafür verantwortlich. In der oppositionellen Presse war zu lesen, die Regierung selbst habe die Angriffe auf öffentliche  Gebäude inszeniert, um die Opposition gewaltsam unterdrücken zu können; dabei wurde selbst ein Vergleich mit dem Reichstagsbrand von 1933 nicht gescheut.

Inzwischen haben die Zentrale Wahlkommission – die übrigens von einem Vertreter der oppositionellen Demokratischen Partei geleitet wird – und das Verfassungsgericht die Wahlergebnisse bestätigt. Sie konnten sich dabei nicht zuletzt auf die übereinstimmenden positiven Bewertungen Hunderter Beobachter aus der OSZE, der EU und den Staaten der GUS stützen, ganz zu schweigen von den Beobachtern der einzelnen Parteien, die in den Wahllokalen flächendeckend präsent waren und den Ablauf minutiös verfolgten. Die militante antikommunistische Opposition gibt aber offenbar nicht auf. Sie bewertete die vom Präsidenten verfügte Neuauszählung der Stimmen als „Farce“ und forderte umgehend Neuwahlen. Es ist die Rede vom Boykott des neu gewählten Parlaments. Eine erneute Zerreißprobe kündigt sich an, wenn Anfang Mai vom Parlament der neue Präsident gewählt werden soll. Dafür werden laut Verfassung 61 Stimmen benötigt, eine Stimme zu wenig für die Kommunisten, um ihren Kandidaten im Alleingang durchzubringen. Bei der Unversöhnlichkeit der politischen Gegner wäre die Folge ein Patt mit Folgen für die Stabilität der gewählten Institutionen. Die innenpolitische Krise kann damit noch dauern.

Um die für äußere Beobachter überraschende Zuspitzung der Situation zu verstehen, ist ein Blick in die jüngste Geschichte des Landes ratsam. Die Republik Moldau, wie der offizielle Name des Landes lautet, mit 33.700 km² etwas größer als Brandenburg, ist eines der ärmsten Länder Europas. Die frühere Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik erklärte im August 1991, ebenso wie die anderen Bestandteile der UdSSR, ihre Unabhängigkeit. Die Folgejahre brachten einen beispiellosen Niedergang der wirtschaftlichen und sozialen Lage - heute vielfach als „Jahre des Chaos“ bezeichnet - , verursacht durch die Unfähigkeit und den Egoismus der an die Macht gekommenen neuen Politiker. Hinzu kamen die Abspaltung des mehrheitlich von Russen und Ukrainern bewohnten, wirtschaftlich relativ entwickelten Gebietes östlich des Dnestr und die Proklamation einer – international nicht anerkannten – Dnestr-Republik. Diese Region, um die 1992 blutige Auseinandersetzungen geführt wurden, liegt bis heute außerhalb der Kontrolle der Zentralregierung. Probleme gibt es auch mit dem westlichen Nachbarn Rumänien, durch dessen nunmehrige EU-Mitgliedschaft Moldowa in direkte Nachbarschaft zur Europäischen Union kam. Die Moldawier sind ethnisch verwandt mit den Rumänen, Staatssprache ist Moldawisch – d.h. faktisch Rumänisch (während Russisch heute offiziell die „Sprache der interethnischen Kommunikation“ ist). Zwischen den beiden Weltkriegen wurde Moldowa bis zum Dnestr von Rumänien regiert. Bis heute gibt es auf beiden Seiten der Grenze Bestrebungen nach Vereinigung und damit auch Versuche moldawischer Politiker, quasi auf dem Rücken Rumäniens das Tor zur EU zu öffnen. Alle diese Probleme sind eine latente Bedrohung für ein unabhängiges Moldova und eine schwere Hypothek für die politische und ökonomische Entwicklung des Landes.

In den Parlamentswahlen 2001 wurde die PCRM stärkste Partei, Woronin wurde zum Präsidenten gewählt. Ausschlaggebend dafür war ein überzeugendes Programm der ökonomischen Entwicklung und größerer sozialer Gerechtigkeit. Damit kam die Partei dem Sehnen vieler Bürger nach Ruhe, Stabilität und Kontinuität entgegen. Mit bescheidenen Ressourcen - Moldova besitzt kaum Bodenschätze und ist von Energieträgern aus Russland abhängig – wurden erste Schritte unternommen, die bewirkten, dass den Kommunisten 2005 und nun auch 2009 erneut das Vertrauen geschenkt wurde. Das soziale Gefälle hält sich in Grenzen, Grundnahrungsmittel wurden subventioniert, der staatliche Sektor wurde nicht demontiert, dem „Manchester-Kapitalismus“ wurde eine Absage erteilt. Die weltweite Wirtschaftskrise hat das periphere Moldova bisher nicht mit voller Wucht erfasst.

Freilich ist auch die Partei der Kommunisten bei weitem nicht mehr die alte. Sie bezeichnet sich heute als „linke europäische Partei“, sieht zahlreiche Gemeinsamkeiten mit anderen linken und linkssozialistischen Parteien in Westeuropa und möchte von deren Erfahrungen profitieren. Versuche der Sozialdemokratie, sie zu vereinnahmen, lehnte sie ab. Sie zog es auch vor, ihren Namen nicht zu ändern, obwohl sie bereits dadurch ihren Gegnern Angriffsflächen bietet. Die Schärfung ihres eigenen Profils sieht sie als dringliche Aufgabe an. Die Partei setzt auf eine „strategische Partnerschaft“ mit anderen postsowjetischen Staaten, besonders mit Russland.

Wie Präsident Woronin bereits 2006 bei einem Treffen mit der Linksfraktion im Europäischen Parlament betonte, hat die PCRM Kurs auf eine zielstrebige Annäherung an die EU genommen – aber als souveräner Staat mit gleichen Rechten und Pflichten wie z.B. Rumänien, und nicht auf Kosten seiner Unabhängigkeit. Über die Dauer dieses Prozesses mache sie sich keine Illusionen, sie sehe ihre Aufgabe zunächst darin, „Europa zu Hause zu bauen“ und das Land und seine Gesetzgebung langfristig kompatibel zu machen. Diese Strategie bringe der Partei nicht wenige Sympathien ein. Auch die NATO sei „nicht mehr der frühere Popanz“, wiewohl es mit ihr ausschließlich zivile Zusammenarbeit gebe und im Übrigen weder von der NATO, noch von Moldova eine Mitgliedschaft angestrebt werde – dies schließe die auf Neutralität verpflichtende Verfassung des Landes ohnehin aus.

Zur Beilegung der gegenwärtigen politischen Krise setzt Moldova ebenfalls auf Vermittlung der EU, die, wie ihre Repräsentanten nach den Wahlen bei Besuchen in Chişinău betonten, an einer stabilen demokratischen Entwicklung des Landes interessiert ist. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob die politischen Kräfte willens und in der Lage sind, den Weg des konstruktiven Dialogs im Interesse einer friedlichen Zukunft Moldovas einzuschlagen.