Beitrag zur Debatte »Welche politische Bildung braucht eine neue Linke?« in der Tageszeitung Neues Deutschland*.
Der an dieser Stelle vorausgegangene Diskussionstand braucht jetzt Konkretisierung und Zuspitzung. Für diese Notwendigkeit stehen auch die Beiträge von Reinhard Weil (F. Ebert-Stiftung) und Michael Lingenthal (K. Adenauer Stiftung). Ganz im Sinne des Beutelsbacher Konsenses (Überwältigungsverbot, keine ideologische Indoktrination, Pluralität, Ermöglichung von selbstbestimmter politischer Interessenwahrnahme) wird hier berichtet.
Für unsere Diskussion jedoch sind all diese Appelle zur Demokratieerziehung, Bildung und Loyalität zu unserer repräsentativen Demokratie, für die Werte unseres Grundgesetzes, so richtig und allgemein – wie entbehrlich. Nach neusten Umfrageergebnissen würden sich ca. 70 Prozent der Bürger unseres Landes mit ihren politischen Realitäten und Veränderungswünschen davon immer weniger angesprochen fühlen. Ja, wir haben eine repräsentative Demokratie … Und wir haben eine Diktatur des Kapitals! Demokratische Grundrechte, wie sie im Grundgesetz stehen, werden gegenwärtig zunehmend ausgehöhlt und abgebaut. Es bleiben Worthülsen wie Selbstbestimmungsrecht, Meinungsfreiheit, Demonstrations- und Streikrecht, Recht für alle auf Bildung, Kultur, Daseinsfürsorge u.a. Warum aber soll Mensch verstehen lernen wollen, was doch für ihn nicht gilt?
Die alle demokratischen Bürgerrechte und -werte niederwalzende Diktatur des Geldes (übrigens Marx) ruft nach einer anderen politischen Bildung: Welche politische Bildung, welche Inhalte und Formen braucht Bildung für die linke Bewegung?
Zunächst einmal: Was sie nicht braucht, ist eine politische Bildung, die ausschließlich das Vermögen fördert, die politische Realität zu verstehen, zu akzeptieren, wie sie erscheint und sich als deren Souverän in ihr einzurichten. Damit allerdings hätten wir schon alle Hände und Köpfe voll zu tun. Es blieben keine Ressourcen, keine Aufmerksamkeit mehr für Alternativen. Und manch einer kapituliert vor gewollter Verwirrung.
Die linke Bewegung braucht eine politische Bildung, die auf Veränderung des Bestehenden setzt. Die also Wissen fördert gegen den hegemonialen neoliberalen Diskurs, Urteils- und Kritikfähigkeit entwickelt gegen den medialen Mainstream, für die Fähigkeit, Moden und Trends der Werbung, dieser Manupulation unserer Bedürfnisse, der “Vergeudung von Leben durch Bussiness“ (F. Schandl), zu widerstehen. Und sie braucht die Förderung einer alternativen, nicht ausschließlich von der kapitalistischen Verwertungslogik bestimmten Lebensweise, die Fähigkeit sie zu definieren und das Können, sie individuell zu pflegen. Die Stichworte heißen also: Gegenwissen, Gegenkultur, Gegenidentität, Widerständigkeit, Distanzfähigkeit (mistraue den Bildern), die Fähigkeit, politischen Druck zu erzeugen, der nicht den Erfinder blamiert, Autonomie leben in neuen Bündnissen…
Das bedeutet nicht, dass Linke nun zu depressiven, nihilistischen, weltabgewandten Asketen mutieren sollen. Alles „Gegen“ braucht auch ein „Dafür“. Das verlangt das natürliche menschliche Streben nach einem harmonischen Verhältnis von innen und außen, von Individualität und gesellschaftlicher Umwelt! Der zunehmende Rückzug von Mitmenschen ins Private (jener Einflussbereich, der scheinbar noch selbstbestimmten Gestaltungsmöglichkeiten Raum übrig lässt, der den eigenen Körper als letzte Bastion von Selbstbestimmung ausbeutet) ist ein beredter Ausdruck dafür, dass diese Balance längst gestört ist.
Viel Arbeit also für politische Bildung. Denn auch der kritische Blick auf das Private lässt ein zunehmendes Eindringen kapitalistischer Verwertungslogik erkennen. Oder wissen Sie noch, ob Sie als Einziger über Ihr Handy verfügen? Das Private ist politisch – so hieß es mal. Heute ist es noch viel politischer, aber häufig durch die Autorität scheinbarer monetärer Sachzwänge verschleiert und anonymisiert, unserem politischen Zugriff entzogen. Ziel politischer Bildung sollte es sein, die Verfügungsgewalt des „Souveräns“ über das Öffentliche und dessen Veränderung, eben über das Politische, zurückzugewinnen. Die Fähigkeiten für politische Gestaltung (z.B. Politikmanagement für Haupt- und Ehrenamt) sind zu motivieren und zu entwickeln. Die Erfolge der G8-Protestbewegung und die der Brandenburger Bürger zur Verhinderung eines Bombodroms in der Ruppiner Heide machen Mut dazu.
Im Sinne der “Linie Gramsci-Luxemburg“ (vgl. Schlönvoigt, ND v. 13.7. 07) bedeutet dies, die gegenwärtige politische Praxis zum Ausgangs- und Endpunkt, deren Erfolge und Misserfolge als Lernfeld politischer Bildung zu nutzen. So können sich die Selbstentfaltungspotentiale politischer Akteure am effektivsten entwickeln. Solcherart Bildung bricht mit der tradierten pädagogischen Praxis einer ausschließlich intellektuellen, edukativen politischen Bildung. Einer paternalistischen »Pflichtbeglückung« vieler Unwissender durch wenige Wissende.
Sie braucht Bildungsarbeiter mit einer besonderen Qualifikation für eben jene emanzipatorische politische Bildung: Denn alle Deklarationen über die Mitwirkung von Bildungsarbeitern am Veränderungsanspruch der Linken bleiben unglaubwürdig, wenn jene sich nicht selbst verändern. Die Art und Weise, die Praxis von politischer Bildung sollte diesen Veränderungsanspruch verkörpern. Verkörpern durch Lernbedingungen, in denen sozialer Autoritarismus, also ein Missbrauch von Führung und Definitionsmacht, demütigende Kontrollen, moralischer Rigorismus u.a. vermieden werden. Linke Politische Bildung braucht die Verstärkung kritischer Barrieren gegen die Reproduktion von Machtstrukturen. Sie sollte die Entwicklung von Selbstreflexionsmechanismen und -strukturen für politische Akteure und deren Organisationen fördern.
Sie sollte eine Lernkultur, in der Werte, wie Selbstbestimmtheit, Gleichberechtigung, Kooperation, Solidarität, Reflexivität, Veränderungsbereitschaft, Distanz- und Kritikfähigkeit die Wahl der Methoden und Bildungsformate bestimmt, pflegen.
Die Bereitstellung von Lernorten, wo sich Betroffene repressiver politischer Verhältnisse angstfrei begegnen, ihre Rolle und Lage reflektieren und neue Bündnisse entstehen können ist ebenso notwendig wie die Entwicklung einer eigenen politischen Sprache und die Rückgewinnung der Deutungshoheit für missbrauchte politische Begriffe. Bildungsarbeiter sollten den Mut haben, die politische Lebenswelt von Akteuren aufzusuchen und Wissen bedarfsgerecht zu erarbeiten, Lernen in Bewegung zu praktizieren, prozesshaft, ganzheitlich, exemplarisch.
Das alles sind Lernnotwendigkeiten für Bildungsarbeiter. Dafür stehen auch die linken Bildungsvorstellungen von E. FROMM, O.NEGT, P. FREIRE.
* Bisher sind folgende Beiträge aus dem ND zu der Debatte online erschienen:
05.05.07: Gegen das falsche Bewusstsein, von Dr. Edelbert Richter
20.07.07: Wichtiger Baustein zur Veränderung, von Wolfgang Schallehn
Weitere Debattenbeiträge:
Warten auf Godot Text der Woche 29/2007, von Dieter Schlönvoigt