Acht Jahre sind seit dem Crash an der Wall Street vergangen, und den europäischen Eliten fehlt immer noch jede Vorstellung davon, wie sie die europäische Wirtschaft zukunftsfest machen können. Während die Profite der Konzerne wieder ins Unermessliche wachsen und das Finanzkapital allmählich seinen Einfluss auf die nationalen Kapitale und seine Stimme in Brüssel zurückgewinnt, steckt die Realwirtschaft in einer der tiefsten Krisen seit über einem halben Jahrhundert. Vor diesem Hintergrund hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit WirtschaftswissenschaftlerInnen, Gewerkschaften, Think tanks und linken Parteien die Erarbeitung einer progressiven Industriepolitik in Angriff genommen
Ist es überhaupt legitim, sich in Zeiten des Klimawandels und von COP21 mit einer progressiven Industriepolitik zu befassen? Unsere Antwort lautet ganz klar: ja! Eine wirklich progressive Industriepolitik muss notwendigerweise ein Pfeiler jeder zukünftigen nachhaltigen Gesellschaft sein. Erst eine tatsächlich progressive Industriepolitik bietet die Voraussetzung dafür, dass es in einem zukünftig geeinten Europa sozial gerecht zugeht. Nur wenn wir für unsere Gesellschaften eine ökologisch nachhaltige Infrastruktur entwickeln und die Kreislaufwirtschaft durchsetzen, kann es uns gelingen, die Umweltzerstörung zu stoppen. Zudem gilt, dass nur Wirtschaften mit einem industriellen Sektor ausreichend sichere Arbeitsplätze für ihre Bevölkerung bereitstellen können. Eine progressive Industriepolitik hat jedoch nicht nur ökologischen Imperativen Rechnung zu tragen, sondern muss sich auch der im Zuge der Krise und des kulturellen Backlashs gewachsenen Geschlechterungleichheit stellen. Sie muss darüber hinaus anerkennen, dass es wirkliche Demokratie nur auf Grundlage einer ökonomischen Unabhängigkeit von BürgerInnen geben kann. Nur gute und dauerhafte Arbeitsverhältnisse verleihen den BürgerInnen die Macht sowie die soziopsychologischen Ressourcen, die sie zum Aufbau offener und toleranter Gesellschaften brauchen. Nur auf Grundlage solcher materieller Voraussetzungen können Bewegungen, Gewerkschaften und linke Parteien sinnvoll agieren.
Wir haben in den letzten Jahre eine Reihe von Treffen und Tagungen organisiert, auf denen wir den Status quo der Industriepolitik in verschiedenen europäischen Ländern diskutiert und zusammen Umrisse einer linken Industriepolitik entworfen haben. Unweigerlich führten uns diese Diskussionen zu der Frage des nötigen Spielraums für die Umsetzung einer linken Industriepolitik, die wir allerdings ohne entsprechende Forschungsarbeit und tiefer gehende Analyse nicht beantworten können. Ist die Umsetzung einer progressiven Industriepolitik im derzeitigen rechtlichen Rahmen der EU überhaupt denkbar? Ausgehend von diesen Fragen haben wir die nun vorliegende Studie in Auftrag gegeben, damit sie zentrale Fragen beim Wiederaufbau der Realwirtschaft in Europa beleuchtet. Diese aufschlussreiche Studie haben Mario Pianta, Matteo Lucchese und Leopoldo Nascia gemeinsam verfasst und wir bedanken uns hiermit herzlich für ihre herausragende Arbeit.
Ein Produkt des RLS-Büro Brüssel