Publikation International / Transnational Für ein Europa des Friedens

Ein Diskussionsangebot für die Konferenz „Europa neu gründen?“ von GUE/NGL und Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 9. bis 11. März 2007

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Patrizia Sentinelli,

Erschienen

März 2007

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Nur online verfügbar

Ein Diskussionsangebot für die Konferenz „Europa neu gründen?“ von GUE/NGL und Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 9. bis 11. März 2007.

Von Patrizia Sentinelli, stellvertretende Außenministerin Italiens.

Wenn ein Europa des Friedens über die Supermacht Europa die Oberhand gewinnen soll, müssen wir für ein politisches Europa arbeiten. Dabei gibt es einige Startschwierigkeiten.

Wir wollen ein Europa, das in der internationalen Gemeinschaft eine aktive und dynamische Rolle spielt. Dafür brauchen wir jedoch eine europäische Linke, die in der Lage ist, die Realität zu beeinflussen und ihr den Stempel aufzudrücken.

Ein politisches Europa muss sich auf eine Demokratie gründen, in der die Teilhabe der Bürger bei der Ausarbeitung eines Verfassungsvertrages eine wichtige Rolle spielt. Europa wird nie an Ansehen gewinnen, wenn die Bürger der Mitgliedstaaten außen vor bleiben. Blankoschecks für Regierungen darf es nicht geben. Vertretungsorgane sind vorhanden – die Parlamente. Daher müssen Parlamentarier und Bürger in der neuen Phase die Hauptakteure sein. Das Modell, das sich vorrangig auf die Zusammenarbeit der Regierungen gründet, ist zu überwinden.

Ein politisches Europa muss sich auch auf soziale und ökologische Rechte gründen.

Wenn wir ein Europa des Friedens errichten wollen, dann müssen die neoliberalen Parameter in Frage gestellt werden, denn sie führen zu Prekarität, zur Privatisierung der sozialen Daseinsfürsorge, gemeinschaftlicher Güter (wie dem Recht auf sauberes Wasser), der politischen Institutionen, ja, des gesamten Lebens.

Ein politisches Europa muss also ein soziales Europa sein, das sich für den verstärkten Schutz der Umwelt einsetzt.

Frieden ist nicht nur Abwesenheit von Krieg. Es ist ein täglich praktiziertes positives Verhältnis zwischen den Völkern, aber auch zwischen ihnen und der Umwelt. In dessen Mittelpunkt stehen die Rechte der Menschheit, nicht einzelner Menschen.

Die Vision von einem politischen Europa muss multilateral und multipolar sein. Die unilaterale Politik der Bush-Administration steckt heute in einer tiefen Krise, aber sie wird fortgesetzt und verstärkt den permanenten Krieg. Mit einer  selbstständigen Politik kann Europa ihr wirksam entgegentreten, so wie es im Zusammenhang mit der Mission von Unifil in Libanon geschehen ist. Damit wurde eine neue Etappe eingeleitet.

In Italien hat Rifondazione Comunista hart für dieses Ziel gearbeitet und es schließlich auch erreicht.

Wenn wir das Modell eines monetären Europas überwinden wollen, können Fortschritte bei der Integration Europas von Nutzen sein. Ein Europa, in dem eine Linke, die eng mit den sozialen Bewegungen zusammenwirkt, etwas zählt. Ein erweitertes Europa.

In diesem Zusammenhang sehen wir auch den Beitritt der Türkei positiv, der zur Lösung der Kurdenfrage beitragen könnte.

Eine Grundfrage für das politische Euroopa, das sich für einen dauerhaften Frieden einsetzt, ist die Lösung der historisch entstandenen Nahostfrage. Eine Zweistaatenlösung verbunden mit gegenseitiger Anerkennung wird nur möglich sein, wenn Europa eine selbstständige Außenpolitik verfolgt, die sich nicht dem Spiel mit dem permanenten Krieg unterordnet.

Gleiches trifft auf die Somalia-Frage zu.

Das Zusammenwirken mit den sozialen Bewegungen hat grundsätzliche Bedeutung. Seit dem Anfang des neuen Jahrhunderts haben sie sich zu umfassenden, global aktiven Subjekten entwickelt. Es sind Bewegungen für den Frieden und für das Recht auf eine mögliche andere Welt. Ohne starke Verbindungen zu den sozialen Bewegungen verliert das Streben nach einem politischen Europa seine Orientierung.

Auch in Afghanistan gehen die Dinge stürmisch voran. Ein Europa des Friedens kann einen wichtigen Beitrag zur Einberufung einer internationalen Konferenz mit allen Staaten der Region leisten. Warum ist eine solche Konferenz für Italien so wichtig? Weil ein Strategiewechsel in Afghanistan nicht länger aufgeschoben werden darf. Ich muss hier nicht noch einmal betonen, dass wir uns sowohl in den Institutionen als auch bei Demonstrationen stets gegen die Truppenpräsenz in Afghanistan ausgesprochen haben. Aber ich möchte eure Aufmerksamkeit auf neue Elemente einer Konferenz lenken, die der amerikanischen Administration gar nicht passt. Sie könnte neue Bedingungen schaffen, um die militärische Option zu überwinden und eine abgestimmte zivile Zusammenarbeit in Gang zu setzen. Diese könnte das Leben der Bevölkerung verbessern, die zu den ärmsten in der Welt mit einer der höchsten Kindersterblichkeitsraten gehört (25 Prozent der Kinder sterben, bevor sie fünf Jahre alt sind). Zivile Projekte könnten auch die Institutionen, vor allem Legislative und Justiz, stabilisieren. Ein weiterer Aspekt sind die Herstellung von Opium und der Drogenhandel.

Aus all diesen Gründen braucht Europa ein stärkeres politische Subjekt der Linken. Dieses muss im Zusammenwirken mit den sozialen Bewegungen das Fundament für ein anderes Europa legen – auch innerhalb der Institutionen, in unserem Falle in der italienischen Regierung. Dabei habe ich sehr konkrete Prozesse im Auge, so zum Beispiel:

1)    Bei den EPA-Verhandlungen [EPA – Economic Partnership Agreement, Abkommen über wirtschaftliche Partnerschaft zwischen der EU sowie den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifischen Raumes – ACP – d. Ü.] müssen die Forderungen der Staaten des Südens berücksichtigt werden und die Richtschnur darstellen, um Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten, gegen die Interessen der multinationalen Agrarkonzerne vorzugehen, die Biodiversität zu erhalten und lokale Entwicklung zu fördern.

2)    Bei der Friedenssicherung sind zivile Friedenstruppen zu schaffen, um vorwiegend militärische Lösungen zu überwinden.

3)    Bei der Entwicklungszusammenarbeit sind Selbstverwaltung und das Wachstum der Zivilgesellschaft zu fördern.

4)    Bei der Errichtung eines Europas des Friedens darf die Rolle der Frauen in den sozialen Kämpfen, in Politik und Wirtschaft nicht unterschätzt werden.

Ich bin überzeugt, dass der neue Dialog zwischen Europa und der anderen Seite des Mittelmeeres, das heißt, dem afrikanischen Kontinent, stark auf der sozialen und wirtschaftlichen Praxis von Frauen beruhen muss. Dabei geht es um die Gleichstellung der Geschlechter, den Kampf gegen jede Art von Missbrauch, Gewalt und Ausgrenzung, auch auf wirtschaftlichem Gebiet.

Vor einigen Tagen habe ich in Bamako, der Hauptstadt von Mali, an einer Konferenz mit westafrikanischen Frauen teilgenommen, die von der italienischen Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert wurde. Afrika verlangt von Europa eine ganz andere, offene Politik in Bereichen wie:

a)    Migration, die bisher ausschließlich als Sicherheitsproblem gesehen und daher unterdrückt wird,

b)    Landwirtschaftspolitik, die die lokale Produktion in Afrika abwürgt,

c)    Entwicklungshilfepolitik, die bisher kaum in der Lage ist, Hunger und Pandemien zu besiegen,

d)    Handel, der die Vorherrschaft der reichen Staaten des Nordens bisher nur weiter verfestigt,

e)    Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Wasser, das für Millionen Menschen nach wie vor unerreichbar ist,


f)    der politischen Dimension des Kontinents, die immer noch heruntergespielt wird.

Ich denke, wenn wir eine neue Linke starten wollen, dann müssen wir uns diesen Herausforderungen stellen, die auf ganz neue Vereinbarungen zwischen Nord und Süd hinauslaufen. Europa ist dazu in der Lage.