Am Mittwoch, dem 22. März, wandte sich der somalische Minister Abdirahman Mohamed Hussein an die Weltöffentlichkeit und gab bekannt, dass in den letzten Stunden in der Region Jubaland 26 Menschen verhungert seien. Am selben Tag tötete Khalid Masood in London bei einem terroristischen Anschlag drei Menschen. Während der Anschlag die westliche Medienberichterstattung in den folgenden Tagen beherrschte, ging der Appell des somalischen Ministers weitgehend unter. Bilder von hungernden Menschen und Tieren im Südsudan und in Somalia zeigen die Redaktionen der Mainstream-Medien zwar seit Wochen, aber sie bleiben Randnotizen. In diesen Randnotizen werden immer wieder Krieg und Dürre als quasi-natürliche Ursachen des Hungers genannt.
Es stimmt: Kriege machen den Südsudan und Somalia zu den Epizentren der Hungerkatastrophe. Kriege vertreiben Menschen, zerstören Ernten, Infrastruktur und Ernährungssysteme. Im Südsudan tobt seit 2013 ein Kampf um Macht und Ressourcen zwischen dem Präsidenten Salva Kiir und seinem ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar, der die Rebellen anführt. Beide mobilisieren für ihre Machtinteressen entlang ethnischer Linien und tragen einen grausamen Machtkampf aus. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung - 2,2 Millionen Menschen - wurden vertrieben, 40.000 Menschen sind akut vom Verhungern bedroht. Auch der seit 1991 andauernde Bürgerkrieg in Somalia hat nach UN-Schätzungen eine Million Menschen zur Flucht aus dem Land getrieben, etwa eine weitere Million Menschen wurden zu Binnenflüchtlingen innerhalb des Landes. Sechs Millionen Somalis sind chronisch unterernährt. Anfang März hatte die somalische Regierung bekannt gegeben, dass binnen 48 Stunden 110 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, verhungert seien. Zum Hunger hinzu kommt die Cholera, die sich ausbreitet.
Der Krieg ist jedoch nicht der einzige Faktor. Der Hungernotstand herrscht aktuell in ganz Ostafrika. 23 Millionen Menschen sind in der Region betroffen und benötigen Nothilfe, auch in Äthiopien, Sudan, Kenia, Tansania und Uganda. Wichtig ist dabei nicht so sehr, »welches Land« betroffen ist, sondern welche sozialen Gruppen. Von massiven Nahrungsmittelpreissteigerungen aufgrund der Ernteausfälle in den letzten Monaten sind alle einkommensarmen Haushalte betroffen. Von der Dürre direkt aber sind insbesondere die Menschen betroffen, die in den ariden und semiariden, den trockenen und halbtrockenen Zonen Ostafrikas leben.
Ackerbau ist hier nur sehr begrenzt möglich, zentrale Grundlage ist die pastorale Viehhaltung mit ihrer Naturweidewirtschaft auf Busch- und Grasland. In Kenia beispielsweise sind 80 Prozent der Landesfläche arid oder semiarid. Ein Viertel der kenianischen Bevölkerung lebt hier. Anfang Februar hatte die kenianische Regierung den Notstand erklärt. 23 von 47 counties des Landes sind betroffen, die Zahl der akut unterernährten Menschen in Kenia hat sich auf mehr als 2,6 Millionen verdoppelt.
Die Hungersnot war absehbar, die Politik versagt
Drastische Dürren sind für die Pastoralist_innen der Region nichts Neues. Im Nordosten Kenias etwa waren im Verlauf des 20. Jahrhunderts alle fünf bis acht Jahre Dürrezyklen festzustellen. Eine lokale Dezimierung der Viehbestände um bis zu 50 Prozent war in extremen Trockenzeiten keine Seltenheit. In der Regel reagieren Pastoralist_innen auf die Zyklen, indem sie zwischen den Dürrejahren möglichst große Herden anlegen, um während der Dürre einen Teil zu verkaufen. Von den Einnahmen wiederum werden Grundnahrungsmittel, insbesondere Mais, gekauft. Die Menschen agieren in fragilen Ökosystemen, und passen sich diesen Ungleichgewichten durch Migration an. Temporärer Zugang zu Futter und Wasserressourcen sind essentiell, um mit den Dürren zurecht zu kommen.
Der Klimawandel hat die Situation jedoch verschärft. Die genannten zyklischen Dürren beschränkten sich im 20. Jahrhundert meist auf ein Jahr. In den letzten zehn Jahren aber blieb in vielen Regionen am Horn von Afrika mehrere Jahre hintereinander die kurze Regenzeit zwischen Oktober und Dezember ganz aus, die lange Regenzeit war zum Teil erheblich verkürzt. Spätestens mit ausbleibenden Niederschlägen während der Regenzeit von Oktober bis Dezember 2016 war klar, auf welche Situation die Region zusteuerte. Das »Famine Early Warnings Systems Network (FEWS NET)« schlug nach Monaten der Warnungen im Januar dieses Jahres Alarm und gab bekannt, dass mit einer Hungerkrise zu rechnen ist, die bis Juni dauern wird. Längst hat das UN-Koordinierungsbüro in Krisenfällen, UN-OCHA, die aktuelle Krise mit der Hungerkatastrophe 2011 verglichen.
Die soziale Lage der Pastoralist_innen in Kenia
Weltweit gibt es schätzungsweise 200 Millionen Pastoralist_innen. Sie alle gehören in ihren Gesellschaften zu den Gruppen, die politisch und sozial am stärksten marginalisiert sind. Sie sind deutlich unterrepräsentiert in Regierungen, Parlamenten und Funktionseliten wie den Medien, im Gerichtswesen oder in der Wissenschaft. Entsprechend haben moderne Staaten im 20. Jahrhundert Pastoralist_innen und ihrer Wirtschaftsform die Anerkennung versagt, sie von ihren Weide- und Wassergründen verdrängt und oft gezwungen, sesshaft zu werden. Die Massai in Kenia etwa wurden von den ersten weißen Siedlern noch als besonders reiche Gesellschaftsgruppen wahrgenommen. Vom Kolonialstaat wurden sie jedoch im Interesse der Siedler bald aus der klimatisch milden nördlichen Provinz Rift Valley in den trockenen Süden verdrängt, und verloren so gut 60 Prozent ihrer Fläche.
Erst in der späten kolonialen Phase der 1950er Jahre fingen die Briten an, staatliche Unterstützungsprogramme aufzubauen. Es wurde erkannt, dass für die wachsenden Städte wie Nairobi die Fleischproduktion von Bedeutung war. Die Kolonialregierung investierte daher in einen besseren Zugang zu Wasserstellen für Vieh, in Veterinärdienstleistungen, um die Rinderpest und das Ostküstenfieber zu bekämpfen. Zugleich versuchte sie, die Vermarktungsmöglichkeiten zu verbessern, wenngleich die von Pastoralist_innen hergestellte Produkte gegenüber den Milchviehbetrieben der weißen Siedler diskriminiert wurden.
Der postkoloniale Entwicklungsstaat ab 1963 verbesserte die Bedingungen für Viehhüter_innen spürbar. Um den Zugang zu Weideland zu sichern, wurde von der kenianischen Regierung gemeinsam mit dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) das Konzept der Group Ranches eingeführt: kollektiv verwaltete, riesige Flächen. Insgesamt 30 solcher »Ranches« von insgesamt über 700.000 Hektar wurden gegründet. Zugleich kaufte das staatliche Livestock Marketing Department im trockenen Nordosten des Landes Jungvieh zu Mindestpreisen auf und verkaufte es an Produzent_innen in fruchtbareren Gebieten.
Flächendeckend investierte der Staat in Veterinärdienstleistungen und Trink- und Desinfizierungsstellen entlang von Vermarktungswegen. Die verstaatlichte Maisvermarktungspolitik sicherte stabile Preise - ein zentraler Faktor für die Ernährungssicherheit der Pastoralist_innen. Zwar erwies sich das Konzept der Gruppenranches als zu ambitioniert, dennoch war die Stoßrichtung klar: eine aktive staatliche Politik, die versucht, die Viehhüter_innen der trockenen Gebiete ein Stück weit in die nationale Wirtschaft zu integrieren und ihre Risiken zu reduzieren.
Die Strukturanpassungspolitik und ihre Folgen
Dies änderte sich im Laufe der 1980er und 1990er Jahre mit der Strukturanpassungspolitik. Mitte der 1980er Jahre beendete die Regierung Transporthilfen von Vieh durch Trucks. Von nun an musste das Vieh wieder über Tage und Wochen in die Städte getrieben werden, was es entsprechend schwächte und seinen Wert reduzierte. 1991 wurde der Veterinärsektor privatisiert; ehemalige staatliche Veterinäre stellten ihre Dienstleistungen jetzt privat in Rechnung. Sie fokussierten ihre Arbeit von nun an verstärkt auf die produktiven Milchviehbetriebe der Zentralprovinz und Teile des Rift Valley. Pastoralist_innen in den trockenen Gebieten hingegen gaben in den 1990er Jahren allein für den Kauf der Veterinärmedizin oftmals die Hälfte ihres Geldeinkommens aus und wandten diese selbst an. Ein weiterer Einschnitt war die Privatisierung des National Corn Produce Board. Zunächst weigerte sich die kenianische Regierung, diesen Schritt zu tun, doch als die Weltbank 1992 direkt mit dem Einfrieren von Geldern reagierte, privatisierte sie den Maissektor in kürzester Zeit. Für die Pastoralist_innen sank das Preisverhältnis von Rindfleisch zu Mais (»caloric terms of trade«) zwischen 1991 und 1994 von 7:1 auf unter 4:1.
Aktuell hat die kenianische Regierung 55 Millionen US-Dollar für Nahrungsmittelhilfen und Cash Transfers in die Hand genommen. Insbesondere wirbt sie mit dem Kenya Livestock Insurance Program (KLIP), das mithilfe von Satellitendaten misst, ab welchem Moment Weidegebiete soweit degradiert sind, dass Pastoralist_innen finanzielle Hilfe erhalten. An der Public Private Partnership (PPP) sind die kenianischen Regierung, die Apollo Group, die Weltbank und andere beteiligt. Bislang (Stand: Februar 2017) wurden 2,1 Millionen US-Dollar an 12.000 Haushalte ausgezahlt. Auch die »Gebergemeinschaft« reagierte in den letzten Monaten mit kurzfristigen Hilfen. Dies ist viel zu wenig.
Stetige, massive Investitionen in präventive Risikominderungsstrategien von staatlicher Seite wären notwendig, die aktuell gar nicht oder nur in geringem Umfang angegangen werden: wasserrückhaltende Systeme, Wiederaufbau regionaler Nahrungsmittelreserven, ein staatliches Veterinärsystem, gezielte Subventionierung von Tierfutter, Planung und Instandhaltung von Weiderouten, Transporthilfen zur Vermarktung über weite Distanzen. In der Tat bieten neue Technologien wie Marktinformationssysteme über Handys und Satelliteninformationssysteme zu den Auswirkungen der Dürre wichtige Möglichkeiten, um den Pastoralist_innen selbst den Umgang mit der Dürre zu erleichtern. Der Blick zurück zeigt jedoch, wie weit die kenianische Regierung und die »Geberstaaten« heute von einem Ansatz entfernt sind, der das Recht auf Nahrung der Menschen in den Trockenregionen des Landes gewährleisten könnte. Nicht nur der Krieg, sondern auch der abwesende Staat lässt die Menschen hungern.
Eine Langfassung des Artikels erschien in «analyse&kritik Zeitung für linke Debatte und Praxis» 626