Die Zwischenwahlen in den USA Anfang November 2006 haben aufregende Ergebnisse gebracht: die Schwächung der Regierungsmacht der politischen Rechten, die Schwächung der republikanischen Partei, die beschleunigte Anpassung der Irakpolitik und die Schwächung des Blocks an der Macht. Ich werde diese Ergebnisse im Folgenden im Einzelnen durchgehen.
Schwächung der Regierungsmacht der Rechten
Präsident George W. Bush wurde früher als angenommen in eine lame duck verwandelt. Er ist doppelt desavouiert. Sein Agieren im Wahlkampf wurde von der Wählerschaft und seiner Partei zwiespältig aufgenommen. 60% der rund 80 Millionen US-Amerikaner, die zur Wahl gingen (40,4% der Wahlberechtigten), erklärten in den Nachwahlbefragungen, dass sie mit Bush unzufrieden seien, und 37% (!) jener, die gegen Kandidaten der Republikaner stimmten, gaben an, ihre Stimme vor allem als Opposition gegen Bush abzugeben (gegenüber 22%, die ihn unterstützen wollten). Ein Drittel der Wähler erklärte, "verärgert" über den Präsidenten zu sein - 92% (!) von ihnen wählten Demokraten. Moderate Kandidaten der Republikaner etwa in Rhode Island, Iowa oder Ohio verloren, weil die Wähler gegen den Präsidenten und seine Irakpolitik standen. Die Zustimmung zu seiner Amtsführung war auf einem historischen Tief (vergleichbar nur mit Harry S. Truman 1946) - Bushs heroisch-kitschige Selbstvergleiche mit den "Kriegspräsidenten" Truman oder Roosevelt in der Endphase des Wahlkampfes bestätigten sich unerwartet. Ein Großteil der amerikanischen Wählerschaft kann Bush nicht mehr sehen. Die Hälfte der Sitzverluste der Republikaner wird auf das schlechte standing des Präsidenten und die Ablehnung seiner Militärpolitik zurückgeführt.
Auf der anderen Seite hat die stil- und glanzlose Abservierung des Kriegsministers Donald Rumsfeld die Unzufriedenheit der US-Elite über die operative Kerngruppe der Bush-Koalition (die Machtquadriga Bush-Cheney-Rice-Rumsfeld) gezeigt. Dass am Vorabend der Wahl die Military Times die Abberufung Rumsfelds forderte, macht deutlich, dass sogar die Militärelite Rumsfeld nicht mehr zutraute, die USA zum Sieg im Irakkrieg zu führen. Ähnlich gläsern wird der Abgang des neokonservativen US-Botschafters John Bolton bei der UNO arrangiert werden. Zudem akzeptierte ein Teil der parlamentarischen Elite den faktischen Zusammenbruch der ohnehin schwach ausgeprägten parlamentarischen Kontrolle über die Außen- und Militärpolitik der Exekutive nicht mehr. Zwischen der Ermächtigung zum Krieg im Oktober 2002 durch den Kongress und einer Debatte des Repräsentantenhauses am 15. Juni 2006 gab es keine Parlamentssitzung, die sich mit dem Irakkrieg befasste. Der zuständige Ausschuss des Kongresses (Armed Services Committee) führte 2003 und 2004 kein einziges Hearing zum Afghanistankrieg durch. Bereits unter Reagan, Bush und Clinton war im House die Zahl der Anhörungen von 782 (1. Halbjahr 1983) auf 287 (1. Halbjahr 1997) gefallen, im Senat nahmen sie von 429 auf 175 ab. Unter Bush verschwand die parlamentarische Kontrolle fast völlig: Während der republikanische Kongress Mitte der 90er Jahre noch 140 Stunden lang Zeugen anhörte, ob Clinton seine Weihnachtsmailingliste für Spendenakquisition missbraucht habe, reichten der republikanischen Mehrheit des Unterhauses in Sachen Abu Grahib in 2004/50 zwölf Stunden Anhörung.
Dass die New York Times zum ersten Mal in ihrer Geschichte keinen einzigen republikanischen Kandidaten unterstützte, spricht Bände: Sie war der Ansicht, dass die Regierung Bush weder wirtschafts-, umwelt-, noch militärpolitisch und erst recht nicht moralpolitisch eine Perspektive bot.
Die Schwächung der republikanischen Partei
Die Republikaner, also die gegenwärtig weitaus stärkste parteipolitische Rechtsformation in den entwickelten kapitalistischen Ländern, müssen ihren Traum von der raschen Verwandlung der USA in ein rechtes homeland etwas zurückstellen. Seitdem sie 1994 unter Newt Gingrich die Kontrolle des Kongresses erlangten, war ihr propagiertes Ziel, sich innerhalb einer Generation als Mehrheitspartei auf Dauer zu etablieren - ähnlich wie einst die New Deal-Demokraten in den 1930ern: Building Red America war deren Traum. Ihre Wahlniederlage ist aber unerwartet deutlich ausgefallen - nur wenige Demokraten hofften explizit darauf, dass die Republikaner beide Häuser des Kongresses verlieren würden. In den fünf Wahlen seit 1994 verlor die republikanische Partei nur neun Sitze, nun ein Vielfaches. Im Repräsentantenhaus gewannen die Demokraten 239 der 400 Sitze.
Zwar stimmten wie 2004 mehr als 90% jener, die sich als Republikaner oder Demokraten verstehen, für ihre Partei. Doch es gelang den Demokraten weit mehr als zuvor, bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus "Unabhängige" (mit 57 zu 39 gegenüber 50 zu 46% bei den Wahlen 2004) und "Gemäßigte" (61 zu 38%) zu gewinnen und damit deren starke Bindung an die republikanische Rechte zu schwächen; vergleichbare Veränderungen gab es bei den Wahlen zum Senat. "Unabhängige" machen mittlerweile rund ein Viertel der Wählerschaft in den USA aus. Die Demokraten erhielten rund die Hälfte der Wählerstimmen in den Vororten und sogar fast die Hälfte der Stimmen auf dem Land (48%). Gewerkschaftlich organisierte Haushalte - immerhin ein Viertel aller Wähler! - wählten zu 74% Kandidaten der Demokraten. Welche Rolle gewerkschaftliche Mitgliedschaft für die Wahlentscheidung immer noch spielt, zeigt sich daran, dass unter den weißen "wiedergeborenen" Christen (die mit 41 Punkten Vorsprung republikanisch wählten) die gewerkschaftlich Organisierten mit 15 Punkten Vorsprung demokratisch wählten. Von Seiten der AFL-CIO war sogar zu hören, dass von Gewerkschaftshaushalten 5,6 der insgesamt 6,8 Millionen Stimmen Vorsprung der Demokraten über die Republikaner gekommen seien - nach neueren Angaben von Pew Research liegt der Stimmenabstand bei 4,4 Millionen Wählern.
In einzelnen Bundesstaaten sind die Demokraten stärker denn je: In Massachusetts etwa war die republikanische Partei seit 150 Jahren nicht mehr so schwach wie 2006. Noch nie waren so wenig Republikaner im Landesparlament wie heute. Besonders schwer wiegt ihr Machtverlust in Nordosten der USA. Von Neu-England über Pennsylvanien und die Großen Seen bis hin zum Mittleren Westen streckt sich nun ein Band regionaler Macht der Demokraten. Wer mit seinem Auto Manhattan verlässt und nach Norden fährt, wird erst nach 300 Kilometern republikanisches Territorium erreichen. Dort konnten sie erstmals eine ähnliche Stärke demonstrieren wie die Republikaner im Süden der USA, der schon lange - seit dem Niedergang der rechten und oft rassistischen Dixie-Democrats - ihre regionale Bastion ist. Die politische Segmentierung zwischen red und blue nimmt territorial zu, die Republikaner werden südlicher, die Demokraten nördlicher. Bundesstaaten wie Colorado, Arizona oder Virginia wechseln langsam ihren sozialen und kulturellen Zuschnitt; sie können immer weniger als southern states angesehen werden.
Bei den Wahlen hatte alles mit der Politik der Rechten und wenig mit der Politik der Demokraten zu tun. Vielleicht ein Grund, warum die Demokraten keinen einzigen Sitz verloren. Die neue richtungspolitische Konstellation ist daher gleichsam zufällig und diffus. Alle neuen Parlamentsabgeordneten der Demokraten sind für eine Erhöhung der Mindestlöhne und häufig protektionistisch wie auch nationalistisch/immigrationsfeindlich eingestellt ("ökonomischer Populismus"); sie sind gegen die Privatisierung der Sozialversicherung und (mit einigen Ausnahmen) für eine Gesundheitsreform, für die Wahlfreiheit, abtreiben zu können (pro-choice) und für neue Anstrengungen in der nicht bloß marktorientierten Umweltpolitik. Zu den Demokraten gehört aber auch der um acht Mitglieder angewachsene "Progressive Caucus", dem mit nun 71 Parlamentariern etwa ein Drittel der demokratischen Abgeordneten angehören, darunter die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi. Die Parteiführung ist weder linksliberal oder progressiv noch populistisch, sondern elitistisch und okkupiert vom Kampf um das Zentrum des rechten Blocks an der Macht. Neben der Kontrolle des Parlaments und aller seiner zentralen Ausschüsse erlangten die Demokraten sechs neue Gouverneurssessel und neue Mehrheiten in neun Bundesstaaten. Sie stellen nun 15 Gouverneure und kontrollieren gleichzeitig die Legislative. Unter ihnen auch Bill Ritter (Colorado), der zum Beispiel einen massiven Ausbau des öffentlichen Bildungswesens und eine Gesundheitsversorgung für alle angekündigt hat. In den Bundesstaaten haben sie ihre dominante Position wiedererlangt, die sie 1994 verloren hatten. Im Spektrum der Republikaner dagegen haben die deutlich rechten Kräfte, die im Süden stark sind, an Einfluss gewonnen. Neun der 20 liberalsten Republikaner verloren ihre Mandate.
Die religiöse Rechte, die rund 24% der Wählerschaft ausmacht (weiße Evangelikale und "wiedergeborene" Christen), ist demgegenüber der republikanischen Partei treu geblieben (70% wählten sie, 2004 waren es 72%). Dennoch können die Republikaner nicht mehr uneingeschränkt auf die Gotteslücke ("God gap") rechnen: Der Anteil der engagierten religiösen ("häufige Kirchgänger") Wähler der Demokraten nahm zu und die Demokraten verringerten den Vorsprung der Republikaner in dieser Gruppe von 22 (Präsidentschaftswahlen 2004) und 18 (Kongresswahlen) auf nunmehr 12 Punkte. Unter den katholischen Wählern votierten 57% für die Demokraten; 2004 hatten nur 47% John Kerry gewählt.
Die Rolle des Geldes hat sich wenig geändert: 93% der Wahlkämpfe um das Repräsentantenhaus und 67% der Senatswahlkämpfe, die bis zum 9. November entschieden waren, gewann der Kandidat, der das meiste Geld ausgegeben hatte. Um ein Mandat im Haus zu bekommen, musste fast eine Million $ ausgegeben werden, für einen Sitz im Senat mussten im Schnitt 7,8 Millionen $ investiert werden. Die Kosten der Wahlen wurden auf insgesamt 2,6 bis 2,8 Mrd. $ geschätzt. In jedem vierten Wahlkampf (112) gab es Kandidaten, deren Gegner keine Mittel oder weniger als 5.000 $ aufwandten!
Parlamentarisch gab es knappe Resultate: Ohne einen Vorsprung von gerade 1,424 Stimmen in Montana hätten die Demokraten keine Mehrheit im Senat erreicht; 18 Sitze im Unterhaus wechselten mit weniger als 5.000 Stimmen die politische Farbe, 22 Sitze wurden mit 2% Mehrheit oder weniger gewonnen. Im Repräsentantenhaus sind auch heute noch mehr Republikaner als zu Zeiten Reagans. Bush vermerkte sehr präzise in seiner ersten Pressekonferenz nach den Wahlen: "Sehen Sie, dies war eine knappe Wahl. Wenn Sie Rennen für Rennen betrachten, war es knapp. Der kumulative Effekt jedoch war nicht gerade knapp. Er war kolossal." In absoluten Zahlen jedoch ist der Zugewinn der Demokraten deutlich. Im Jahr 2000 gewannen in den 33 Staaten, in denen Senatorensitze zur Wahl standen, die Demokraten 48% der Stimmen und die Republikaner 47%; dieses Mal waren es 55% zu 43% - absolut gesehen eine Steigerung von einer halben Million Stimmenvorsprung auf rund sieben Millionen.
In den Medienanalysen spielten diese Fragen nach parteipolitischen und religiösen Bindungen sowie nach territorialen Verschiebungen eine große Rolle. Äußerst unterbelichtet blieben zwei weitere, substanzielle Zusammenhänge: die Hautfarbe und das Einkommen. Rick Wolff hat in seiner Wahlanalyse darauf aufmerksam gemacht: Während die Republikaner unter den vier Fünftel der amerikanischen Wähler, die weiss sind, eine sehr knappe Mehrheit erzielten (52:48) entschieden sich Schwarze (89:11), Hispanos und Latinos (70:30) und Asiaten (62:38) für die Demokraten. Die Demokraten hatten in jeder Einkommenskategorie unter 100.000 $ Jahreseinkommen die Mehrheit. Familien, die bei weniger als 15.000 $ Jahreseinkommen lagen, wählten mit 69 zu 31% Demokraten. Jenes Viertel der Wähler, die der Ansicht waren, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtert habe, wählten mit großem Vorsprung die Demokraten. Deren Sieg geht also wahlarithmetisch in beträchtlichen Umfang auf die Armen und Nicht-Weißen zurück. Das ist keine grundsätzlich neue Situation, sieht man von Veränderungen im Detail ab (z.B. den Verlusten der Republikaner unter den Latinos, wo Bush vor zwei Jahren noch 42% der Stimmen erreicht hatte).
Eine andere Entwicklung aber ist neu und erklärungsbedürftig. Familien mit einem hohen Einkommen von mehr als 100.000 $ (das trifft auf rund 23% der Wähler zu, 2004 waren es noch 19%) wählten - nicht überraschend - zu 51% republikanisch und zu 47% demokratisch. In der Einkommensgruppe von über 20.000 $ wählten 53% republikanisch. Angaben der New York Times (9.11.2006) zeigen aber nun, dass die im Osten der USA lebenden Familien dieser Gruppe der "Besserverdienenden" (über 100.000 $) zu 57% Demokraten wählten (2004: 49%) und jene mit sehr hohem Jahreseinkommen von 150-200.000 $ zu 63% Demokraten 2004 entschieden sie sich noch mehrheitlich für die Republikaner (50:48)! Auch Familien mit über 200.000 $ Jahreseinkommen votierten mehrheitlich für die Demokraten (50:48). 2004 hatten hier mit weitem Vorsprung noch die Republikaner dominiert (56:40). Ähnliche, wenngleich nicht ganz so drastische Ergebnisse zeigten sich in den anderen Regionen der USA, sogar im Süden. Das zeigt, dass im Lauf der letzten zwei Jahre viele der reichsten Amerikaner ihre Parteipräferenzen geändert haben.
Warum? Womöglich zeigt sich hier doch, dass die Reichen ihre konsequente ökonomische Bevorteilung durch Bush (insbesondere seine Steuer-, Industrieförderungs- und Immigrationspolitik) und seine Demontage des ohnehin dürftigen US-Wohlfahrtsstaats natürlich goutierten und zunächst auch zufrieden waren mit der unilateralen, präventiven militaristischen Politik dieser Administration. Das Tempo, der Stil und auch die Kosten dieser Politik scheinen aber wohl doch deutlich an Unterstützung verloren zu haben. Wenn ein Joseph E. Stiglitz die möglichen Kosten des Irakkrieges nur noch in der Dimension von Billionen Dollar beschreibt, die Politik der doppelten Verschuldung nicht nur wachsende Unkalkulierbarkeit, sondern auch eine Gefährdung der internationalen Machtposition der USA zu implizieren scheint und die sich verschärfende ökonomische Ungleichheit die Mittelklasse zu radikalisieren droht, dann breitet sich offenbar unter der großen Mittelschicht der Geldmächtigen und Reichen Skepsis über die Solidität und Validität des Kurses der Bush-Administration aus. Eine Option für eine weniger scharfe, langsamere und weniger offensive Politik entsteht. Die Wahlergebnisse haben die Möglichkeit geschaffen, dass die Demokraten eine solche Verlangsamung und Mäßigung durchsetzen. Mehr nicht - und mehr soll es auch nicht sein.
Die beschleunigte Anpassung der Irakpolitik
Das gilt auch für den Irakkrieg. Anders als die Vorwahlanalyse in Heft 11-2006 von Sozialismus (S. 20-24) mutmaßte, spielten Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik eine zwar wesentliche, aber gleichwohl klar nachgeordnete Rolle. Die Wahl wurde (ungewöhnlich genug) von einem außenpolitischen Thema bestimmt und entschieden. Krieg und Kriegsfolgen sind das einzige Ereignis, das ökonomische Sujets bei wesentlichen Wahlen überspielen und zu beträchtlichen Verschiebungen im Wahlverhalten führen kann! Auf Seiten der Wählerschaft nimmt die Ablehnung des Krieges zu - weil er nicht gewonnen wird und weil er immer mehr Tote und ökonomische Belastungen mit sich bringt. Dieser Wählerschaft sind offenbar nun die Kosten der Arroganz dieser Administration zu hoch. Im Irakkrieg, in dem Besatzungs- und Bürgerkrieg zusammengehen, sind inzwischen mehr US-Bürger gestorben als durch die Anschläge von 9/11 in New York und Washington. Auf Seiten der USA gibt es über 16.000 Verwundete, die verletzten Iraker zählt niemand. Mit dem Haushaltsentwurf 2007 hat dieser Krieg nunmehr über 507 Mrd. $ gekostet - und dies ist eine sehr eng gezogene Schätzung.
Die Rhetorik des Krieges und der Furcht, die seit Nineeleven bis zur wahlzeitgerechten Verkündigung des Todesurteils gegenüber Saddam Hussein als Politikmedium der Regierung Bush fungiert, hat deutlich an Kraft verloren. Nur noch 20% der Amerikaner glaubt an einen Sieg der USA - im Januar waren es noch 36%. In den Nachwahlbefragungen plädierten 56% der Wähler für einen teilweisen oder vollständigen Rückzug der US-Truppen aus dem Irak. Nur 29% der Amerikaner billigten am Wahltag die Irakpolitik Bushs - so wenig wie nie zuvor. Jene Wähler, für die der Irakkrieg bei ihrer Wahlentscheidung "extrem wichtig" war, votierten 60:38 für die Demokraten; von denen, die den Krieg ablehnten, wählten 80% Demokraten. In der Gruppe, für welche die Frage des Terrorismus von erstrangiger Bedeutung ist, ist der Vorsprung der Republikaner von 29 Punkten 2004 auf 7 Punkte zusammengeschrumpft. In 162 Kommunen in Wisconsin, Illinois und Massachusetts fanden Abstimmungen über die Beendigung des Krieges statt - die Voten waren ausnahmslos positiv! Über 300 Städte und Gemeinden in den USA haben sich mittlerweile für einen schnellen oder sogar "sofortigen" Rückzug der US-Truppen ausgesprochen. Die breite Ablehnung des Krieges in der Bevölkerung und der politische Druck durch die Friedensbewegung auf die Demokraten hat deren einstige vollständige Zustimmung zum Irakkrieg in eine vage Forderung nach einer "neuen Richtung" getrieben. Auch die moralische Zerrüttung der Partei an der Macht, Korruption, Bestechungs- und Sexskandale (wie die Mark Foley-Affäre) haben fast zwei Dutzend Parlamentarier die Sitze gekostet - 41% der Wählerinnen gaben an, dass die Frage der Korruption "extrem wichtig" bei ihrer Wahlentscheidung gewesen sei.
Im Ergebnis zeigt sich schneller als erwartet die Krise der bisherigen US-Strategie im Irakkrieg. Modifikationen und Anpassungen werden deutlich schneller offen thematisiert und womöglich auch realisiert werden, als sich vor den Wahlen andeutete. Die Neudefinition der Irakpolitik der USA hat sich in kurzer Zeit auf die im März 2006 vom Kongress mandatierte Baker-Hamilton-Kommission (die Iraq Study Group - ISG) verlagert, die sich früh entsprechend positionierte, diese Rolle anzielte und auch dank des Rückzugs von Rumsfeld innerhalb weniger Tage einnehmen konnte. Das Schlüsselprojekt der Bush-Administration wird nicht mehr von ihr kontrolliert, sie hat das Gesetz des Handelns nicht mehr in der Hand. Und wann Entscheidungen gefällt werden, ist gegenwärtig nicht Sache der Administration. Die revidierte Irakstrategie reflektiert die Schwächung der neokonservativen und neuimperialen Falken in der Bush-Administration; sie wird machtpolitisch eine gleichsam großkoalitionäre Kompromiss-Strategie zwischen der neokonservativ geprägten republikanischen Politik der präemptiven, unilateralen und primär auf militärische Option abstellenden Politik und der durch die demokratische Partei repräsentierten "realistischen", reaganitisch eingefärbten liberalimperialistischen Politik sein, für die der ehemalige CIA-Chef (1991/2003) unter Clinton und den Bushs - Robert M. Gates - als der Nachfolger Rumsfelds ebenso steht wie der ehemalige Außenminister James A. Baker III, der mit George Bush eng befreundet war und als consigliere der Bush-Dynastie gilt. Douglas Feith, der einer der neokonservativen Hauptarchitekten des Irakkriegs war, prognostizierte nach dem Hinauswurf Rumsfelds eine Abkehr von der radikalimperialen Politik des gegenwärtigen Präsidenten. Die Position Cheneys, der mit Rumsfeld stärkste Repräsentant dieser Politik, ist ebenfalls deutlich geschwächt.
Der Block an der Macht ist nicht zerbrochen - aber geschwächt. Wie sehr, ist offen.
"The conservative order has ended", proklamiert William Greider in Nation (4.12.2006). Gemach! Die Wahlen haben weder die Zerstörung der Wählerbasis der Bush-Koalition angezeigt (sondern nur, dass sie geschwächt und ihre Expansionsdynamik gebrochen ist), noch stehen sie für das Zerbrechen des Machtbündnisses der Eliten, das die Bush-Administration repräsentiert (sondern für die gezwungenermaßen deutliche Beförderung seiner Bereitschaft zur kooperativen Politikveränderung). Die unmittelbaren Resultate seiner Militärstrategie im Irak und zunehmend auch in Afghanistan sind ein Desaster; sie sind aber nicht zu verwechseln mit den neuimperialen und präemptiven Grundlagen dieser Strategie. Nichts deutet darauf hin, dass diese in Frage gestellt werden - ungeachtet der taktischen Schwächung der Ölindustrie, die noch (wenn auch anscheinend zunehmend zögernd) hinter Bush steht. Auch die Demokraten des Jahres 2006 (die fast geschlossen den Kriegskurs der ersten Administration Bush und noch darüber hinaus bis 2005 unterstützten) sind den Grundmaximen des klassischen Liberalimperialismus verpflichtet, die er ein Jahrhundert lang verfolgte: der Aufrechterhaltung der imperialen Rolle der USA durch eine flexible Kombination formeller und informeller Herrschaft, unilateraler und multilateraler Politik und des politischen Containment realer oder potenzieller Konkurrenten durch Abschreckung und präventive Intervention. Weiterhin sind es eben nur die USA, die Weltordnung als realistisches Ziel anstreben: Der Satz des liberalen US-Historikers Charles Meier - "Empires are in the business of producing world order" - gilt gegenwärtig und auf absehbare Zeit nur für die USA. Er ist auch die außenpolitische Leitschnur der Demokraten.
Anfang 2007 wird klar sein, wie weit die taktische Modifikation dieser Strategie der US-Eliten gehen wird. Aktuell geht es um Schadensbegrenzung. Die USA können Kriege gewinnen, diesen Besatzungskrieg jedoch und wohl auch jenen in Afghanistan haben sie verloren. Truppen werden bis spätestens zu den Wahlen 2008 "schlimmstenfalls" zurückgezogen oder von den Irakern hinausgeworfen werden, andernfalls nach einer riskanten Übergangsphase mit einer womöglich kurzfristigen Aufstockung der Kampftruppen als Schutz- und rasche Eingreiftruppe neu positioniert werden; der Druck auf den Irak zur Amerikanisierung seiner bislang überwiegend nur schiitischen Streitkräfte wird sich erhöhen (z.B. ca. 10.000 "embedded advisors"), Verhandlungen mit Nachbarstaaten auch zur Grenzsicherung werden initiiert und die grandiose Verschwendung von Steuermitteln für den "Wiederaufbau" wird eingedämmt werden. Auf eine gewisse parlamentarische Verantwortlichkeit für die Außenpolitik der Administration ist zu hoffen. Durch Internationalisierung soll der Rückzug der US-Konzerne aus dem Wiederaufbaugeschäft gestoppt werden. Die Option eines Irankrieges wurde deutlich erschwert. Doch die Demokraten werden bestenfalls äußerst zögerlich die Finanzierung des Irakkrieges verändern. Das Department of Homeland Security - ein "zweites" Pentagon, das von einer Sicherheitsindustrie mit über 60 Mrd. $ Umsatz im Jahr umgeben ist - wird von den Demokraten nicht angetastet werden. Ein grundsätzlicher Machtwechsel, in dessen Ergebnis die seit Anfang der 70er Jahre zur Macht aufsteigende rechtsimperale Strömung ihre Position vollständig verliert, ist gegenwärtig nicht einmal im Ansatz zu erwarten. Doch die Luft ist dünn geworden um ihre prominentesten Protagonisten.
Allerdings können sie darauf bauen, dass die Exekutive in the long run die Außenpolitik bestimmt und das Land weiterhin wahlpolitisch gespalten ist. Politisch-ideologisch jedoch ist ein Großteil der Wählerschaft der Demokraten selbst - wie der Partei - seit langen Jahren nach rechts gerückt. Ein breites rechtes Zentrum stellt den Block der Macht. Es hat über substanzielle issues (Themen, die über Jahre hinweg im moralpolitischen und kulturellen Projekt der Republikaner aufgebaut wurden, um die Demokraten wahlpolitisch zu spalten) weiterhin die Hegemonie: Gegen Abtreibung, gegen Immigration, für Steuersenkungen, weitreichenden Schusswaffenbesitz und -gebrauch, gegen die affirmative action (d.h. die positive Diskriminierung bestimmter Gruppen). Sieben von acht Abstimmungen, bei denen es um die Durchsetzung von Verfassungszusätzen ging, die eine Heirat zwischen Gleichgeschlechtlichen unmöglich machen sollten, wurden gewonnen. Doch in Arizona und Süd-Dakota scheiterten entsprechende Initiativen, und offenbar kann dadurch von den Problemen der Armut und Wirtschaftskrise nicht mehr rundweg abgelenkt werden: In allen Staaten, wo ein Referendum über Mindestlöhne abgehalten wurde, siegten deren Befürworter. Immigrationsfragen spielten den Republikanern weit weniger in die Hand als angenommen. Ihre wenigen Abstimmungsinitiativen zur Steuersenkung scheiterten. Das Image der Republikaner - die Partei der nationalen Sicherheit, der Steuersenkungen, des Abbaus der Staatsbürokratie und der Familienwerte zu sein - ist verblasst. Die Bedeutung dieses hegemonialen Diskurses der Rechten ist also insgesamt im Schatten des Krieges deutlich gemindert. Zudem sind ihre Handlungsmöglichkeiten in Politikfeldern jenseits des Parlaments (Steuerpolitik, Verteilungspolitik, Ausbau der republikanischen Positionen in der Justiz) durch den Wahlsieg der Demokraten deutlich begrenzt worden.
Zeitwenden
Der vom Bundespräsidenten Horst Köhler initiierte Streit hierzulande, wie die neu entstandene Machtkonstellation auszunutzen sei, ist noch nicht entschieden. Konsens besteht darin, dass die Gelegenheit genutzt werden müsse, die Fortsetzung der Ausweitung der politisch-militärischen Macht der USA seit 1989 und dann unter der Regierung Bush wenn nicht zu stoppen, so doch deutlich zu verlangsamen. Der Regierung Bush ist es gelungen, die USA militärisch und in Ansätzen auch politisch (zunehmend auch ökonomisch) in einem geopolitischen Schlüsselbogen von Israel bis nach Kasachstan zu verankern und damit ressourcen- und machtpolitisch substanzielle Vorteile zu erreichen. Es gelang ihr aber nicht, die rohstoff- und handelspolitischen Offensiven Chinas und Russlands einzudämmen. Der aktuelle Umbau der Außenpolitik und die Schwächung der regierenden Konstellation in den USA werden hierzulande mit dem Versuch beantwortet, die Position Deutschlands und Europas im transatlantischen Machtblock aufzuwerten.
Aktuell wird sich diese Entwicklung am imperialen Schlüsselprojekt - dem Irakkrieg - entscheiden. Das Ende des Vietnamkriegs begann 1968 mit der Tet-Offensive, die deutlich machte, dass der Krieg nicht zu gewinnen war. Es folgten noch der Abtritt des Präsidenten Lyndon Johnson und die Wahl Nixons, der Aufstieg Kissingers und die Invasion Kambodschas, endlich die ökonomische Krise seit 1973 und der ständig wachsende Widerstand einer wütenden Bevölkerung, bis nach dem Schlusspunkt Watergate 1975, also sieben Jahre später, die letzten Hubschrauber vom Dach der amerikanischen Botschaft in Saigon abhoben. Die Zwischenwahlen 2006 sind der Beginn des offenen Eingeständnisses, dass die USA den Besatzungskrieg im Irak nicht gewinnen können - sie haben ihn verloren. Im Vietnamkrieg lagen zwischen Einsicht und Ende sieben Jahre. Im Irakkrieg geht es den USA darum, ihren geopolitischen Vorstoß in die zentrale Ölregion dauerhaft abzusichern. Wo mit einer Milliarde Dollar Aufwand die teuerste Botschaft der Welt (die so groß ist wie der Vatikan) und vier riesige Militärbasen (neben den weiteren 51 Militärbasen der USA im Irak) errichtet werden, wird heute noch mit anderen Zeiträumen kalkuliert - weshalb über diese Basen auch fast nichts zu erfahren ist. Nicht nur die landscapes of fear mit Verhör- und Foltereinrichtungen werden vor der Öffentlichkeit geheimgehalten, auch all jene Einrichtungen, die auf eine permanente Anwesenheit der USA im Irak schließen lassen. Es wäre eine außerordentliche Überraschung, wenn die USA darauf verzichten würden, die militärische Kontrolle im Irak zu behalten. Dazu haben sie diese Basen nicht mit Schwimmbädern, Fast-Food-Restaurants und Minigolf-Anlagen ausgestattet und daneben noch für Dutzende und Aberdutzende Milliarden Dollar Kriegsgerät in den Irak und seine Umgebung geschafft. Es geht nicht um exit, sondern um redeployment, Umgruppierung. Bis die letzten amerikanischen Hubschrauber vom Dach dieser neuen Botschaft abheben und der Krieg beendet sein wird, kann es Jahre dauern - und auch dies wird nicht das Ende militärischer und wirtschaftlicher Raumhoheit der USA im Irak sein. Staaten wie Kuwait oder Oman werden ihre logistische Basis sein. Lufthoheit und Luftkrieg - über die in der Öffentlichkeit nicht gesprochen wird! - werden dabei entscheidend sein. Rückzug und redeployment, Transformation des Besatzungskriegs in einen Bürgerkrieg, Schwächung des Irans und Ausbau einer neuen Kriegslogistik werden die außenpolitischen Projekte der USA in dieser Region sein, gleichgültig, welche Farbe ihre zukünftige Regierung haben wird.
Übersichtsquellen
Pew Research Center http://pewresearch.org/obdeck/
http://www.opensecrets.org/
Einzelbeiträge
Daniel Gross: The Rich Aren't Republican Anymore. How Democrats won the election by stealing wealthy voters from the GOP. 8.11.2006 http://www.slate.com/id/2153272/
Christopher Hayes: The New Democratic Populism: in: The Nation v.4.12.2006 http://www.thenation.com/doc/20061204/hayes
David Moberg: What Did the Voters Say, in: In These Times v. 10.11.2006 http://www.inthesetimes.com/site/main/article/2918/
Rick Wolff: Exit Poll Revelations, in: Monthly Review MR Zine v. 13.11.2006 http://mrzine.monthlyreview.org/wolff131106.html
Tom Engelhardt: Will Daddy`s Boys Extend the War? In: TomDispatch.com November 2006 http://www.tomdispatch.com/index.mhtml?pid=141003_g
Rainer Rilling: Red & Blue oder: es gibt kein Zentrum mehr. Notizen zu den Wahlen 2004 in den USA, November 2004 http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=4677
Norman J. Ornstein, Thomas E. Mann: When Congress Checks Out, in: Foreign Affairs November/Dezember 2006
http://www.foreignaffairs.org/20061101faessay85607/norman-j-ornstein-thomas-e-mann/when-congress-checks-out.html
The Brookings Institution: Iraq Index v. 20.11.2006 http://www.brookings.edu/fp/saban/iraq/index.pdf
Iraq Body Count (auch zur Lancet-Studie) http://www.iraqbodycount.org/press/pr14/0.php
Zuvor veröffentlicht in Sozialismus, Heft 12/2006.