Eine Analyse der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. von Gerry Woop
RLS-Standpunkte 1/2004
Die Europäische Union steht vor einer doppelten Herausforderung. Erstens müssen vor dem Hintergrund der Globalisierungsprozesse eine erfolgreiche ökonomische Perspektive und das europäische Sozialstaatsmodell gesichert werden. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Handlungsfähigkeit der EU als politisches Subjekt in der globalen Politikebene. Die zweite Herausforderung liegt in der notwendigen Vertiefung der Integration im Hinblick auf die demokratische Legitimation und politische Effizienz einer ab Mai 2004 auf 25 Mitgliedsstaaten vergrößerten Union. Dass die Eigendynamik des Integrationsprozesses durchaus gebremst oder gar umgekehrt werden kann, wenn nicht gemeinsame Ziele definiert und inhaltlich wie strukturell umgesetzt werden, hat jüngst wieder die vorerst gescheiterte Debatte zum Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents bei der Regierungskonferenz im Dezember 2003 verdeutlicht. Das Dilemma mangelnder Konsensfindung ist auch im Sachbereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) während der Auseinandersetzungen zum Irakkrieg 2003 in dramatischer Weise zum Ausdruck gekommen. Gravierende Unterschiede in der Bewertung von Krisen, angemessenen Handlungsstrategien und der Gestaltung der transatlantischen Beziehungen haben einheitliches Auftreten unmöglich und einen tiefen Riss in Grundfragen des internationalen Agierens sichtbar gemacht. Der Ausgang dieser aktuellen und der kommenden Auseinandersetzungen um die Zukunft der Europäischen Union ist von politischen Kräfteverhältnissen in den Mitgliedsstaaten und auf europäischer Ebene abhängig und wird darüber entscheiden, ob der Versuch zur Bildung eines neuartigen – von Nationalstaaten und gleichzeitig tiefgreifenden staatlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen geprägten – Integrationssubjektes gelingt, das die Vorstellungen seiner Bürger und der Staaten nach innen verwirklicht wie auch nach außen als eigenständiger global wirksamer Akteur handelt.
Die Linke muss sich in diese Richtungsauseinandersetzung einbringen. Zur eigenen Positionierung ist es deshalb wichtig zu klären, ob sich der Integrationsprozess in eine Richtung bringen lässt, die sowohl die demokratische Legitimation der europäischen Politik erhöht als auch eine nachhaltige soziale und ökologische Entwicklung für die Bevölkerungen der alten und der neuen Mitgliedsstaaten ermöglicht. Zugleich müsste die Union als Ganzes eine gerechtere Weltordnung befördern. Auf einer solchen Grundlage kann die Frage der möglichen außen- und sicherheitspolitischen Wirkpotenziale der Europäischen Union besser beantwortet werden.
Berlin, Januar 2004