Publikation Globalisierung Eine globale Bewegung fordert die globalen neoliberalen Eliten heraus.

Das Zweite Weltsozialforum in Porte Alegre vom 31. Januar bis 5. Februar 2002

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Michael Brie,

Erschienen

März 2002

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Das Zweite Weltsozialforum in Porte Alegre vom 31. Januar bis 5. Februar 2002

Herrschaftsordnungen sind dann stabil, wenn sie das Monopol auf die Legitimität, die Organisationsfähigkeit und auf die Formierung von Alternativen besitzen. Die herrschende Machtkoalition glaubt an ihr Projekt und vermittelt die Überzeugung, dass es zugleich dem allgemeinen Besten dient, alle anderen Kräfte sehen sich gezwungen, ihre eigenen Interessen, soweit dies überhaupt möglich ist, im Rahmen dieses Projekts zu realisieren und abweichende Minderheiten vermögen sich nicht zu formieren- weder geistig, noch organisatorisch. Eine solche Stabilität besaß das neoliberale Herrschaftsprojekt in den Jahren nach 1990. Diese Stabilität ist erschüttert. Das Zweite Weltsozialforum ist dafür ein deutlicher Ausdruck.

Was sich durch ein Treffen in Chiappas von 1997 zu formieren begann, was in Seattle zum globalen Ereignis wurde und sich in vielen großen Demonstrationen der letzten Jahre zeigte, was ATTAC weltweit zu einer der einflussreichsten Bewegungen werden ließ, was die brasilianische Bewegung der Landlosen MST, indische Bewegungen gegen zerstörerische Großprojekte einer exportorientierten Modernisierung oder den aufsässigen Gallier Bové zu globalen Symbolen des Widerstandes machte, ist mittlerweile in der Weltgesellschaft und den Völkern tief verwurzelt. Der globale Kapitalismus hat vielleicht bisher noch nicht seine Totengräber selbst hervorgebracht, auf jeden Fall aber neue überzeugende Kritikerinnen und Kritiker. Sie sind dabei, das Monopol der herrschenden neoliberalen Eliten auf Legitimität, Vernetzung und Organisation sowie auf die Erarbeitung konzeptioneller Alternativen zu brechen. Zugleich ist es ihnen bisher gelungen, der Falle von Gewalt und Terror zu entgehen.

Kurz nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 schien die antineoliberale globalisierungskritische Bewegung tot. Der sog. Krieg gegen den Terror beherrschte die Schlagzeilen. Die Themen der Kritiker erschienen kurzer Hand von der weltpolitischen Tagesordnung abgesetzt. Jede Auseinandersetzung mit dem neoliberalen und imperialen Herrschaftsdiskurs wurde als zumindest indirekte Unterstützung des Terrorismus denunziert. Die Demonstranten von Genua konnten nun post festum in die Nähe der Organisatoren der Verbrechen vom 11. September gerückt werden. Die Financial Times titelte deshalb auch: "Bye bye, Seattle". Das Gespenst der Herausforderung der globalen Eliten durch basisdemokratische Massenbewegungen schien gebannt.

Kein halbes Jahr später hat sich das Bild gewandelt. Die USA und ihre Verbündeten haben zwar zu umfassenden Militäraktionen ausgeholt, die schon 1990 begonnene Welle der Militarisierung der internationalen Beziehungen wurde intensiviert, bei den WTO-Verhandlungen wurden durch sie rasche Vorstöße bei der Liberalisierung und Privatisierung wichtigster öffentlicher Güter unternommen, der Druck auf die lateinamerikanischen Länder zur Unterwerfung unter ein von den USA dominiertes gesamtamerikanisches System des Freihandels hat sich erhöht. Die USA hat ihre militärischen Aktivitäten in Lateinamerika erweitert. Es wurden Maßnahmen ergriffen, die in vielen Ländern der Welt hin zu einem Sicherheitsstaat führen und zu wachsender Repression führen. Aber auch der Widerstand hat zugenommen.

Das offen imperiale Auftreten der USA als Weltrichter und Weltpolizist, der Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft in Argentinien, dem Musterland des IWF, sowie der Konkurs von Enron, Symbol unkontrollierten globalen Spekulierens und der Korruption wirtschaftlicher und politischer Eliten gerade in den USA, waren äußere Anlässe, die die neoliberale Globalisierung schnell wieder in Verruf brachten. Vor allem handelt es sich aber bei der antineoliberalen und globalisierungskritischen Bewegung um keine Erscheinung mit kurzfristiger Konjunktur. Sie fordert das neoliberale Monopol auf Legitimität, Organisation und Formierung von Alternativen heraus.

Herausforderung für den neoliberalen Monopolanspruch auf Legitimität

Der Zusammenbruch des Staatssozialismus hatte den westlichen neoliberalen Eliten das Geschenk gemacht, sie jeder (und sei es einer noch so schlechten) Alternative zu berauben. Der Kapitalismus schien zwar deshalb noch lange keine gute, aber zumindest doch die beste der möglichen Welten zu sein. Das Ende der Geschichte, das Ende der Entstehung von Alternativen wurde verkündet. Die Legitimität einer neoliberalen Globalisierung unter Führung der USA war öffentlich unangefochten. Aber Legitimität kann man weder kaufen noch befehlen. Sie muss ständig neu erworben werden. Die Glaubwürdigkeit von Akteuren und Prozeduren, zu mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit zu führen, ist oftmals ein schnell dahinschwindendes Gut.

Seit 1997 wurde das Legitimitätsmonopol der globalen Eliten aufgebrochen - zuerst durch kleinere Treffen, dann durch große Demonstrationen, durch die Bildung globaler Netzwerke mit starker Resonanz und schließlich gerade auch durch das Weltsozialforum in Porte Alegre. Es entstand ein zunehmend machtvoller Raum der Delegitimierung des neoliberalen Projekts. Dies wird sehr deutlich, wenn man den Niedergang des Weltwirtschaftsforums von Davos und jetzt New York und den Aufstieg des Weltsozialforums von Porte Alegre vergleicht.

Auf der einen Seite ein Treffen von 2000 Spitzenmanagern, wenn auch mit deutlich gesunkener Repräsentanz, auf der anderen Seite 60 bis 70 Tsd. Menschen, die fast 5 Tsd. Organisationen der Zivilgesellschaft aus 131 Ländern und 210 Ethnien vertraten. Auf der einen Seite die defensive Verteidigung, man müsse sich nun "auch" der Armut und AIDS zuwenden, auf der anderen Seite die offensive Verkündigung, nur eine soziale und demokratische Globalisierung verdiene überhaupt diesen Namen. Die von vielen in der Welt zunehmend geteilte Entschlüsselung der gegenwärtigen Globalisierung als Herrschaftsprojekt zerstört dessen Legitimität. Im Gegenzug wird die Überzeugung, dass eine andere Welt möglich ist, legitim und gewinnt an Ausstrahlung.

Die Formel von der Privatisierung als Königsweg zu mehr Effizienz und Gerechtigkeit hat an Glaubwürdigkeit enorm verloren. Zu sehr hat sie sich vor allem vor dem Hintergrund der Krise in Argentinien und des Zusammenbruchs des Enron-Konzerns als Weg in eine schamlose Bereicherung der einen und Enteignung der anderen erwiesen. Die Liberalisierung hat zwar die Freiheit der transnationalen Konzerne und Finanzunternehmen deutlich erhöht, im eigenen Interesse schalten und walten zu können. Die Freiheiten der Masse der Bevölkerung haben sich in vielen Ländern vermindert. Die Eliten des Nordens sind immer weniger in der Lage, sich als demokratische Instanz darzustellen, da sie in demokratisch nicht legitimierten Gremien und durch Geheimverhandlungen ihre Positionen durchzusetzen suchen.

Die Formel Demokratie und Menschenrecht, die die westlichen Eliten erfolgreich gegen die Sowjetunion mobilisieren konnte, richten sich nun gegen ihre eigene Herrschaft. Die erste und oberste Forderung der Abschlusserklärung des Forums sozialer Bewegungen in Porte Alegre war folgerichtig nach Demokratie: "Für Demokratie. Die Völker haben ein Recht, die Entscheidungen ihrer Regierungen zu kennen und zu kritisieren, besonders, wenn sie die internationalen Institutionen betreffen. Während wir die Verbreitung der Demokratie durch Wahlrecht auf der ganzen Erde unterstützen, betonen wir gleichzeitig die Notwendigkeit der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft und den Kampf gegen die Diktatur." Auf dem Forum der Parlamentarier wurden jene angegriffen, die sich für Liberalisierung und den Antiterrorkrieg ausgesprochen hätten und nun in Porto Alegre ihre Sympathie für das Weltsozialforum bekunden würden. Hier lägen unüberbrückbare Gräben.

Herausforderung für das neoliberal Monopol auf Vernetzung und Organisation

Durch einen Militärputsch wurde 1973 in Chile eine neoliberale repressive Elite an die Macht gebracht. 1989/90 konnten die neoliberalen Eliten der USA und ihrer Verbündeten faktisch widerstandslos die Projekte der Transformation in Mittel- und Osteuropa sowie Russland bestimmen. Nur sie waren handlungsfähig, nur sie verfügten über jene Vernetzung und Organisationskraft, die dazu notwendig waren, die Prozesse nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Staatssozialismus wesentlich zu beeinflussen.

Das Weltsozialforum ist Teil einer Bewegung von Bewegungen, die dabei ist, das neoliberale Monopol auf Vernetzung und Organisation zu brechen. Das Forum selbst ist zu einem permanenten Prozess geworden, der erstens ein ständiger Ort der Debatte ist, zweitens dazu führt, dass eine globale Handlungsfähigkeit im Entstehen ist, drittens eine vielfältige Kooperation der verschiedensten Gruppen entsteht, viertens Gegeneliten entstehen, die die Gesamtbewegung symbolisieren und nach außen vertreten, einige der größere Organisationen ihre Ressourcen (auch) im Gesamtinteresse einsetzen.

Die Bedeutung eines solchen alternativen Raums der Diskussion, Organisation und Repräsentation besteht vor allem darin, dass die Isolierung derjenigen, die sich engagieren oder sich engagieren wollen, durchbrochen wird. Gemeinsamkeit wird aus einem abstrakten Gefühl zum konkreten, zum sinnlichen Erlebnis. Es entsteht ein Wir-Gefühl, dass sich nicht aus der Unterordnung unter ein zentralistisches Büro ergibt, sondern aus der erfahrenen Gemeinsamkeit des Miteinander-Redens und Handelns. Die Möglichkeit einer anderen Welt wird durch den Prozess selbst und das Forum konkret und genussvoll erfahrbar.

Dieses antielitäre Wir-Gefühl ist eine ungeheure Macht. Es verleiht dem individuellen und kollektiven Gefühl der Legitimität des eigenen Anliegens die Ausstrahlung einer realen Fähigkeit, zur Veränderung der Verhältnisse beitragen zu können. Im Bewusstsein dieser Macht formulierte das Weltsozialforum: "Wir sind eine globale Solidaritätsbewegung, vereinigt durch unsere Bestimmung die Konzentration des Reichtums, die Verbreitung der Armut und der Ungleichheit, sowie die Zerstörung unserer Erde zu bekämpfen. Wir sind dabei, Alternativen aufzubauen, und wir gebrauchen kreative Methoden, um sie voranzubringen. Wir sind dabei eine breite Allianz gegen ein System zu errichten, das auf Patriarchat, Rassismus und Gewalt beruht, das die Interessen des Kapitals gegenüber den Bedürfnissen und Erwartungen der Völker privilegiert."

Die heutige globale Bewegung hat ihre Helden und ihre Sprecher. Sie ist in einigen Ländern tief sozial verwurzelt. Sie hat Organisationen gewonnen, auf die sie sich vor allem stützt. Sie hat - nicht zuletzt in Porte Alegre - Orte, in denen sie sich findet. Aus einer bloßen Gegenbewegung ist sie zu einer selbstbewusst eigenen Bewegung geworden. Zu ihrem Leitwort wurde: "Eine andere Welt ist möglich!"

Herausforderung für das neoliberale Monopol auf die Formierung von Alternativen

Die schlechteste Herrschaft hält sich so lange, wie es keine glaubwürdige Alternative gibt, die auf überzeugende Weise überlegene Ergebnisse verspricht. In den achtziger und Anfang der neunziger Jahre hatten die sog. Chicago-Boys die Möglichkeit, ihre Vorstellungen faktisch unangefochten und konkurrenzlos als Rezepte für Transformation und Krisen vielen Staaten der Welt zu verordnen, Rezepte, die so nie auf die eigenen Länder angewandt worden wären. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Viele Regionen sind nicht reicher, sondern ärmer geworden, die soziale Integration wurde unterminiert, soziale Spaltungen verstärkt, Umweltzerstörung und Kriege haben zugenommen. Selbst die Gewinne erweisen sich für viele als vergänglich.

Der moralische Protest gegen solche Entwicklungen durch die sozialen Bewegungen ist dabei, sich in die Formierung eigener alternativer Angebote zu verwandeln. Aus den Erfahrungen in sehr verschiedenen Kontexten sind gemeinsame Grundprinzipien entstanden, die den verschiedenen Reformalternativen zugrunde gelegt werden. Diese sind (1) Demokratisierung, (2) Umverteilung von oben nach unten, (3) Wahrung öffentlicher Güter und (4) Ablehnung kriegerischer Mittel.

(1) Die neoliberale Ideologie begreift Demokratie als eine politische Form neben anderen autoritären Formen, durch die - gemeinsam mit Formen autoritärer Herrschaft wie der des IWF, der Weltbank oder der G8 - die Freiheit der einzelnen als marktförmige Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft und Daseinsfürsorge sowie der kollektiven Wirtschaftssubjekte gesichert wird. Diese Position geht mit einem instrumentellen Verhältnis zur Demokratie einher, die in vielen Bereichen keinen Platz haben darf, um der Wirtschaftsfreiheit nicht zu schaden. Selbst Militärdiktaturen erscheinen dann als Mittel, solcher Freiheit Raum zu verschaffen. Die neuen sozialen Bewegungen erobern den durch die etablierte Sozialdemokratie faktisch aufgegebenen Platz einer sozialen Demokratie wieder, einer Demokratie, in der Menschen ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gestalten, um die Gleichheit aller beim Zugang und der Verfügung über die Grundgüter menschlichen Lebens zu gewährleisten.

(2) Über mehrere Jahrzehnte wurde Umverteilung von unten nach oben damit begründet, dass ein wachsender Reichtum zunächst weniger die Bedingung für den wachsenden Wohlstand vieler in der Zukunft sei. Der Spitzensteuersatz wurde gesenkt, die Lohnsteuern stiegen an. Die Besteuerung von Unternehmensgewinnen ging herunter, staatliche soziale Leistungen wurden gestrichen. Im Ergebnis ist der Reichtum weniger gestiegen, nahm die Armut in der Gesellschaft oftmals drastisch zu, sind die Mittelschichten in Gefahr, zerrieben zu werden. Die neuen sozialen Bewegungen setzen dem eine Politik entgegen, die die Befriedigung der Bedürfnisse gerade der ärmeren Gruppen nicht über den zweifelhaften Umweg der Bereicherung der reicheren Länder und Klassen erzielen will, sondern direkt.

(3) Die letzten Jahrzehnte waren Jahrzehnte der Privatisierung öffentlicher Güter. Der Neoliberalismus geht als Ziel vom Ideal einer Marktgesellschaft aus, in der alles privatisiert ist. Die neuen globalen Bewegungen stellen dem das Ziel der öffentlichen Sicherung des gleichen Zugangs einer und eines jeden und aller zu den Grundgütern des Lebens entgegen: "Wasser, Erde, Nahrung, Wald, Saatgut und die Identität der Völker sind Allgemeingut der Menschheit, der augenblicklichen und zukünftigen Generationen. Eine wichtige Aufgabe ist der Schutz der Biodiversität. Die Völker haben ein Recht auf gesunde und regelmäßige Ernährung, die frei von genmanipulierten Organismen ist. Die Souveränität der Ernährung auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene stellt ein fundamentales Menschenrecht dar. Und in diesem Sinne ergeben sie die fundamentalen Forderungen nach Agrarreform und Land für die Bauern."

(4) Die Jahre nach 1990 sind zu einem Zeitalter neuer Kriege geworden. Die USA und ihre Verbündeten haben begonnen, militärische Macht direkt zur Gestaltung der inneren Verhältnisse fremder Staaten und Völker nach eigenen Vorstellungen einzusetzen. Es wurde ein imperiales Völkerrecht geschaffen, dass auf der Selbstmandatierung des globalen Weltpolizisten beruht. Nach dem 11. September wurde unter der Ideologie des globalen Krieges gegen den Terrorismus eine Diskreditierung aller Kritik und allen Widerstandes als potenziell antiamerikanisch und terroristisch eingeleitet. Auf dem zweiten Weltsozialforum ist es gelungen, dem die Alternative einer friedlichen und solidarischen Regelung von Konflikten entgegenzustellen, ohne dabei der Gewalt das Wort zu reden.

Der neuen globalen Bewegung ist es gelungen, ein Politikmodell zu entwickeln, dass nicht in die Sünden des sowjetischen Kommunismus zurückfällt, der Zentralisation, Enteignung, Entmachtung und Entfremdung als unvermeidliches Durchgangsziel von Emanzipation propagierte. Auch der Unterordnung von Reformstrategien unter den Standortwettbewerb, wie er für die etablierte rechte Sozialdemokratie charakteristisch ist, werden Alternativen entgegengestellt.

Hervorgehend aus einem globalen, sehr transparenten, sehr pluralen Diskurs, aus einem offenen Suchprozess werden durch das Weltsozialforum und seine Träger zunehmend konkretere Alternativen präsentiert. Bisher wurde allen Versuchungen widerstanden, fertige Rezepte in diese Bewegung hineinzutragen; wurden dagegen Alternativen in ihnen entwickelt, wird der Zeit vertraut, die notwendig ist, damit solche Alternativen breit getragen werden können.

Die Zukunft der sozialistischen Linken mit Blick auf die neuen globalen Bewegungen

Die Geschichte vollzieht sich in Wellen. Perioden der Formierung und Durchsetzung neuer Herrschaftsprojekte wie in den achtziger und neunziger Jahren können durch Perioden der Formierung und des Kampfes von emanzipativen Bewegungen abgelöst werden. Die Stärke oder Schwäche der jeweiligen Bewegungen sowie ihre Dauer können nicht prognostiziert werden.

Noch ist nicht sicher, ob es der neuen globalen Bewegung gelingt, sich zu einer Kraft zu formieren, die dauerhaft die Tagesordnung der Weltgesellschaft mitbestimmt. Noch ist unklar, ob sie jene Ausstrahlung an Legitimität behalten wird, die sie schon gewonnen hat. Unklarer ist, ob es ihr gelingt, weiter erfolgreich ihre Vernetzung und Koordination voranzutreiben. Am unklarsten ist, ob es ihr möglich sein wird, praktische Alternativen zu formulieren, die den Test der Praxis bestehen. Nur dann wird sie dauerhaft tiefe Spuren hinterlassen.

Sozialistinnen und Sozialisten werden erst noch beweisen müssen, ob sie glaubwürdige Partner der neuen Bewegung werden. Einige ihrer Parteien wurden im Zusammenhang mit der Unterstützung des Krieges in Afghanistan schon gewogen und zu leicht befunden. Es ist etwas anderes, in Zeiten der Depression sozialer Bewegungen Politik zu machen, wie es in den frühen 90er Jahren der Fall war, oder in Zeiten ihrer Konjunktur. Defensive Strategien müssen durch offensive Strategien abgelöst werden. Die bloß symbolische Vertretung der unteren Bevölkerungsgruppen und eine Politik der Gleichheit in der Freiheit muss der offenen Kooperation weichen. Diesen Schritt wird die demokratisch-sozialistische Linke erst noch gehen müssen.