Publikation Geschlechterverhältnisse Gender Mainstreaming und Migrantinnen

Beitrag zur Tagung "Migrantinnen in der Arbeitswelt" der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg am Mittwoch, den 29.05.2002

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Reihe

Online-Publ.

Erschienen

Mai 2002

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Margrit Zauner,
Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen

Beitrag zur Tagung "Migrantinnen in der Arbeitswelt" der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg am Mittwoch, den 29.05.2002

Gender Mainstreaming

Ein Wort geht um in Europa: Gender Mainstreaming. Noch vor einigen Jahren eher ein Fachwort für Insiderinnen, ist es mittlerweile ein politisches "Modewort". Der Berliner Senat hat am 14.Mai 2002 sein Konzept zur Umsetzung des Gender Mainstreaming beschlossen, die den Senat tragenden Parteien haben in ihrer Koalitionsvereinbarung dazu umfassende Aussagen getroffen, das Abgeordnetenhaus befindet sich in der Diskussion entsprechender Anträge. Die Zahl der Tagungen mit diesem Thema steigt wie das Wasser in der Donau im Frühjahr, die Veröffentlichungen werden immer zahlreicher, immer mehr Projekte und Studien zum Thema werden durchgeführt.

Überall geht man von der allgemeinen Definition des Europarates von 1999 aus:

"Gender Mainstreaming besteht in der (Re-) Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung der Entscheidungsprozesse, mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteure und Akteurinnen den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen." (1)

Entstanden ist dieses neue Leitbild für die Politik aus den weltweiten Diskussionen der Frauen auf den UN-Frauenkonferenzen in Nairobi und es ist in der Plattform der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking verankert worden. Dahinter steht die Erfahrung insbesondere aus vielen entwicklungspolitischen Projekten - also einem interkulturellen Zusammenhang -, dass zur Erhöhung des Erfolges der Maßnahmen die Maßnahmen geschlechterdifferenziert gestaltet werden müssen. (2)

Die Europäischen Gemeinschaft und ihre Mitgliedsstaaten haben dieses gleichstellungspolitische Leitbild im Amsterdamer Vertrag für alle Tätigkeitsfelder der Gemeinschaft verbindlich für die Gemeinschaft und die Mitgliedsstaaten fixiert, die Verantwortung für das Ziel der Gleichberechtigung liegt bei allen politischen Verantwortungsträgern in allen Ressorts.

Hilfreich für die tatsächliche Umsetzung dieser rechtlichen Fixierung ist die Bindung der Vergabe von Mitteln aus allen Förderprogrammen an die Vorgabe der Umsetzung von Gender Mainstreaming. Wer Geld der EU für seine Vorhaben will, muss sich an die Vorgaben der EU halten. Dieses Prinzip pflanzt sich auch immer weiter auf die anderen Ebenen weiter fort, so dass Gender Mainstreaming ganz konkret zum "Muss" für alle staatlichen, kommunalen, aber auch nichtstaatlichen Institutionen und Organisationen wird, die Gelder aus staatlichen Förderprogrammen erhalten wollen. Hier liegt eine wesentliche Aufgabe der Operationalisierung von Gender Mainstreaming: Das allgemeine Ziel muss für alle Ebenen der Umsetzung operationalisiert werden, die Entscheiderinnen und Entscheider müssen klare Ziele vor Augen haben, wann für ihren Bereich die allgemeine Vorgabe tatsächlich erreicht ist. Hierzu liegen insbesondere im Bereich der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland und im europäischen Ausland erste Erfahrungen vor. (3)

Gender Mainstreaming als Methode ist eine Zukunftsstrategie. Immer mehr Bereiche von Politik und Verwaltung, aber auch nichtstaatliche Institutionen weit darüber hinaus erkennen, dass sie mit dieser neuen Strategie gewinnen - für ihre alltäglichen Aufgaben und die laufende Praxis, für aktuell anstehende Probleme, und noch viel mehr, wenn es darum geht, innovative und tragfähige Konzepte für die Zukunft zu entwerfen.

Die Zielsetzungen von Integration und Partizipation, Stärkung der Eigeninitiative und Eigenverantwortung sind grundlegende und ganz konkret anzugehende Ziele der kommunalen und regionalen Ebene. Sie umfassen natürlich beide Geschlechter.

Ohne Gender Mainstreaming können diese Ziele aber nicht für alle Menschen, für beide Geschlechter gleichermaßen wirksam voran gebracht werden: Bei den benachteiligten sozialen Gruppen, deren Integration und Partizipation sich als Aufgabe für den Sozialstaat stellt, sind Mädchen und Frauen qua Geschlecht fast immer doppelt oder mehrfach diskriminiert. Dieses gilt in besonderer Weise für Mädchen und Frauen nicht-deutscher Herkunft. Das "katholische Arbeitermädchen vom Lande" in den 60iger und 70iger Jahren in der alten Bundesrepublik Synonym für die Bündelung aller Benachteiligungen im Bildungsbereich, ist heute sicher nicht-deutscher Herkunft und vermutlich islamischen Glaubens.

Migrantinnen und Arbeitswelt

Betrachtet man die Analysen der Arbeitslosigkeit in Berlin, so fällt auf, dass "vom sozialen Abstieg der türkischstämmigen Bevölkerungsgruppe die Frauen am stärksten betroffen sind."(4) Das berufliche Qualifikationsniveau dieses Personenkreises hat weniger Welt- denn 3.Weltniveau: Fast alle (93%) aller arbeitslosen türkischstämmigen Frauen sind ohne Berufsausbildung, ihr Anteil an Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik ist (leider) umgekehrt proportional niedrig.

Sind die Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik denn nun so gestaltet, dass sie einen besonderen Schwerpunkt darauf legen, türkischstämmige Frauen anzusprechen ? Wird bei Entscheidungen, was überhaupt gemacht (oder auch nicht gemacht) wird, dieser Tatsache angemessen Rechnung getragen ?

Wie sieht demgegenüber die Situation von Unternehmerinnen nicht-deutscher Herkunft aus ?

Die erste Untersuchung zur Rolle von Frauen in der ethnischen türkischen Ökonomie Berlins stammt von 1998. Das Ergebnis wird von der Autorin, Felicitas Hillmann, wie folgt zusammengefasst: "Die Entwicklung der Arbeitsmarktintegration der ausländischen und insbesondere der türkischen Frauen in Berlin anhand der offiziellen Statistiken lässt pointiert drei Dynamiken erkennen: erstens einen deutlichen Rückgang der Partizipation ausländischer Frauen an der Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten; zweitens eine im Vergleich zu den türkischen Männern geringere Präsenz unter den selbständigen Unternehmern. Drittens kann angenommen werden, dass ausländische Frauen - verglichen mit der deutschen Bevölkerung - überproportional häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind." (5)

Interessant sind die Unterschiede von Unternehmerinnen zu Unternehmern:

  • Unternehmerinnen haben im Gegensatz zu den Beschäftigten überwiegend die deutsche Staatsbürgerschaft, ihre schulische und berufliche Ausbildung in Deutschland erhalten und sind aktiver zum Vergleich zu den abhängig Beschäftigten, die eher über ihrer privates Umfeld von den Erwerbsmöglichkeiten gehört und sie dann wahrgenommen haben.
  • Bei Unternehmerinnen ist die Beschäftigung von Familienmitgliedern - im Unterschied zu Unternehmern - deutlich geringer und eher die Ausnahme. Die Bedeutung der weiblich geführten Unternehmen scheint in den Familien geringer zu sein.
  • Die Unternehmerinnen beziehen sich in ihrer Tätigkeit sehr viel weniger als die Unternehmer auf die türkische Community. Dies bezieht sich sowohl auf die Zuliefer- und Kundenbeziehungen als auch die Werbestrategien und die Nationalität der Beschäftigten.

An diesem Vergleich von selbständigen Frauen und Frauen, die in einer abhängigen Beschäftigung ihren Lebensunterhalt sichern, wird auch deutlich, dass für Migrantinnen gilt, was für Frauen allgemein gilt: Eine politische Strategie, die geschlechtersensibel und sensibel für die unterschiedlichen ethnischen Herkünfte entwickelt wird, kann allgemein die besonderen Benachteiligungen, die sich aus dem Geschlecht ergeben, berücksichtigen, und muss speziell auf die in jeder Gruppe bestehenden Benachteiligungen reagieren. Oder plastisch: Sie soll sowohl für die junge Frau mit rudimentären Deutschkenntnissen gelten, die über Heirat nach Deutschland kommt als auch die gut ausgebildete und emanzipierte Akademikerin, die erfolgreich Karriere als Junior-Professorin macht. Manches gilt für beide, aber vieles muss sehr differenziert für ihre jeweiligen Lebenswelten konzipiert werden.

Insgesamt haben Politik für Frauen und für Menschen nicht-deutscher Herkunft eines gemeinsam: Sie betreffen als Querschnittspolitik alle Politikfelder. Ist es für den Bereich der Frauenpolitik schon schwierig, zuverlässiges Datenmaterial zu erhalten, so potenzieren sich diese Probleme für Migrantinnen und Migranten.

Gender Mainstreaming für Migratinnen kann praktisch heißen, daß

  • Daten, die z.B. allgemeine Aussagen über die Situation von Menschen nicht-deutscher Herkunft machen, generell nach Männern und Frauen getrennt ausgewiesen werden
  • bei der Planung von Projekten die oben geschilderte unterschiedliche Situation von Frauen mit unterschiedlicher Bildung berücksichtigt wird
  • Verbände - wie der TBB - ihre Verbandspraxis darauf hin überprüft, ob und wie er Frauen gleichberechtigten Zugang zu seinen Organen gewährt und wie und durch wen er sich nach außen darstellt

Managing Diversity

Ein Konzept, wie die Situation von Frauen allgemein, aber auch von Migratinnen und Migranten in der Arbeitswelt verbessert werden kann, ist in anderen Ländern wie den USA oder Großbritanien sehr viel verbreiteter: Managing Diversity. Das Ziel dieses Managementkonzepts sind multikulturelle Organisationen, die Kompetenzen und Fähigkeiten von vielfältig zusammengesetzten Belegschaften sollen berücksichtigt und im unternehmerischen Prozess genutzt werden.

Vielfalt

  • wird zur Aufgabe der Unternehmensführung
  • ist eine Stärke, gerade in Zeiten der Globalisierung
  • ist ein Gebot der ökonomischen Vernunft

Heterogene Teams (6)

  • finden mehr kreative Lösungen
  • erzielen - bei guter Zusammenarbeit - bessere Ergebnisse
  • finden mehr innovative Lösungen
  • können besser intern und extern kommunizieren

Insgesamt hat Gertraude Krell (7) 8 ökonomische Argumente zusammengestellt, die für Managing Diversity sprechen:

  1. Beschäftigtenstruktur
  2. Kosten
  3. Kreativitäts- und Problemlösungspotential
  4. Personalmarketing
  5. Marketing
  6. Finanzierung
  7. Flexibiltät
  8. Internationalisierung

Ich füge noch ein 9. hinzu: Managing Diversity führt zu einem anderen Blickwinkel und einer anderen Beteiligung bisher diskriminierter Gruppen: Frauen, Ältere, Migranten, Behinderte,... alle diese Gruppen werden in unserem jetzigen Konzept gezwungen, ihre Abweichung von der Norm zu begründen und auf Maßnahmen zu ihrer Integration zu bestehen, Beiräte und Beauftragte werden mit der Wahrnehmung der Interessen der jeweiligen Gruppen beauftragt. Managing Diversity stellt diese Diskussion vom Kopf auf die Füsse: Alle Menschen - gleich welchen Geschlechts, Herkunft, Religion.... - werden als wertvoll für die Organisation angesehen und man strebt danach, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen für die Organisation nutzbar und sie selber sichtbar zu machen.

(1)Europarat: Gender mainstreaming. Konzeptueller Rahmen, Methodologie und Beschreibung bewährter Praktiken", Straßburg 1999
(2)vgl. u.a. Claudia von Braunmühl, Gender Mainstreaming: neue Konzepte - neue Chancen. In: Barbara Nohr/Silke Veth (Hg.), Gender Mainstreaming Kritische Reflexionen einer neuen Strategie, Berlin 2002
(3)vgl. u.a. www.spisg.com/gender und www.gender-mainstreaming.net
(4)TBB Berlin-Brandenburg, Arbeitslosigkeit in der türkischstämmigen Community Berlins, Oktober 2001
(5)Hillmann, Felizitas, Türkische Unternehmerinnen und Beschäftigte im Berliner ethnischen Gewerbe, WZB discussion paper FS I 98-107
(6)vgl. Tan May Ing, Managing Diversity - eine Managementkonzept für eine sicht verändernde Welt, KOBRA Werkstattpapier Nr. 14 (Berlin 2000)
(7)vgl. Gertraude Krell, Managing Diversity - Chancen für Frauen, KOBRA Werkstattpapier Nr. 14 (Berlin 2000)