Es handelt sich hier um den überarbeiteten Kurzbeitrag von Elisabeth Voß im Rahmen des Arbeitskreises 2 (Zukunftsfähiges Deutschland - nachhaltige Welt?).
Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen aus der Alternativen Ökonomie werde ich auf die Frage des gesellschaftlichen Klimawandels eingehen, am Beispiel der Arbeitsmarktpolitik.
Das wichtigste Potential, sowohl eines Unternehmens, als auch einer Volkswirtschaft, ist die Motivation der Beschäftigten. Die nachfordistische Wirtschaft benötigt nicht maschinenähnliches Funktionieren, sondern Mitdenken und Engagement der am Produktionsprozeß oder in den verschiedenen Dienstleistungsbereichen Arbeitenden. Nachhaltiges Wirtschaften braucht Menschen, die auf unterschiedlichste Art bereit und fähig sind, Verantwortung zu übernehmen für ihre Tätigkeiten, die mit Sachkenntnis und Motivation als FreiberuflerInnen, KleinunternehmerInnen oder mit anderen im Kollektiv ihren Lebensunterhalt erwirtschaften, unter Einbeziehung sozialer und ökologischer Gesichtspunkte. Das erfordert ein gesellschaftliches Klima der Unterstützung von Selbstverwirklichung und Eigenverantwortlichkeit, beginnend mit der Erziehung und Bildung junger Menschen (dazu waren die Konferenzbeiträge zu den brasilianischen Erfahrungen mit Bürgerhaushalten und der damit zusammenhängenden Umgestaltung des Bildungssystems wertvolle Anregungen).
Die aktuelle Arbeitsmarktpolitik (JobAQTIV-Gesetz, Hartz usw.) geht stattdessen in die Richtung, Motivation durch Repression zu zerstören. Wem das Recht auf freie Berufswahl, freie Wahl des Wohnortes und des sozialen Lebenszusammenhangs bei Strafe der Zerstörung der ökonomischen Existenz (sprich: Entzug von Lohnersatzleistungen) genommen wird, wer Erwerbsarbeit um jeden Preis annehmen soll, ohne Mitbestimmung und Perspektive im Betrieb, die/der wird sich kaum engagiert und verantwortlich am Arbeitsplatz einbringen, sondern eher eine Mentalität von Dienst nach Vorschrift bis Sabotageneigung entwickeln - mit gutem Recht.
Es droht ein flächendeckender volkswirtschaftlicher Schaden, der mit Nachhaltigkeit nichts zu tun hat. Stattdessen wären angesichts der Unmöglichkeit, existenzsichernde Erwerbsarbeit dauerhaft für alle bereitzustellen, neue Formen von Beschäftigung (z.B. in Genossenschaften) und eine partielle Entkoppelung von Lohn und Leistung (z.B. mit der Einführung eines bedingungslosen Existenzgeldes für alle) gefragt.
Wir verfügen heute über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrungen in alternativer, kollektiver Ökonomie. Am Beispiel genossenschaftlich organisierter Unternehmen in verschiedensten Rechtsformen haben wir gesehen, daß kollektive Unternehmensgründungen eine bessere Tragfähigkeit haben als herkömmliche Gründungen, daß das Engagement der GründerInnen gerade über die schwere Anfangszeit eines Betriebes hinweghilft. Es kann in Genossenschaften zu Reibungsverlusten durch die Besonderheiten der Selbstverwaltung kommen, es gibt aber auch einen Zuwachs an Produktivität durch Partizipation. Letztlich kennen nur die Beschäftigten selbst die Feinheiten und Erfordernisse ihres Arbeitsplatzes im Detail, und sie werden dieses Wissen nur einbringen und umsetzen, wenn sie ihre Tätigkeit als ihr eigenes Anliegen begreifen - zum Nutzen des Betriebes und der Volkswirtschaft.
In selbstverwalteten Betrieben haben sich viele Beschäftigte für die herkömmliche Wirtschaft qualifiziert - ein Beispiel dafür ist die taz, die vielen RedakteurInnen als Sprungbrett dient für eine Karriere bei Zeit, Spiegel usw. Mit diesem "DDR-Effekt" - daß Menschen kollektive Unternehmen, mit eigenen, gerechteren Lohnsystemen verlassen, wenn sie anderswo besser bezahlte Arbeitsplätze angeboten bekommen - werden wir leben müssen. Unter kapitalistischen Weltwirtschaftsbedingungen wird es nicht möglich sein, weder in einem einzelnen Betrieb, noch in einem ganzen Land, nachhaltig ein anderes Wirtschaftssystem zu etablieren. Schon Oppenheimer formulierte in seinem Transformationsgesetz, daß Genossenschaften sich auf lange Sicht entweder in hierarchische Unternehmen umwandeln, oder untergehen.
Trotz dieser Schwierigkeiten sollten gerade heute modellhaft kollektive Unternehmen aufgebaut werden. Genossenschaften können und sollen die Welt nicht retten, den Kapitalismus schon gar nicht. Sie können aber als Keimformen eines anderen Wirtschaftens gelebte Beispiele geben für nachhaltiges, solidarisches Wirtschaften und damit Mut machen, über die Grenzen des kapitalistischen Systems hinaus zu denken. Im Unterschied zu den Alternativbetrieben der 70er und 80er Jahre, die aus einer relativ elitären Situation überwiegend politisch inspiriert waren, geht es heute darum, Erwerbsarbeit für verschiedenste von Ausgrenzung am Arbeitsmarkt Betroffene zu organisieren, auch jenseits der alternativen Zusammenhänge. Dafür sind lebbare selbstverwaltete Wirtschaftsformen erforderlich, die weder Einzelne überfordern (wie mitunter in den Kollektivbetrieben der Alternativszene), noch unter dem Deckmäntelchen der Selbstverwirklichung neue Ausbeutungsformen schaffen (wie teilweise in der New Economy).
Die Gestaltung der Bedingungen, unter denen Waren und Dienstleistungen produziert werden, ist Ausdruck des herrschenden Menschen- und Gesellschaftsbildes. Wie wollen wir leben? Sollen die Arbeitenden ihre Arbeitskraft im wahrsten Sinne des Wortes zu Markte tragen (vielleicht wie in Hongkong, wo sie teilweise sogar in den Fabriken wohnen müssen, mit kaum mehr Eigenem als dem, was sie auf dem Leib tragen)? Oder gibt es Visionen einer befreiten Gesellschaft, in der die Einzelnen selbstbestimmt ihre Potentiale entfalten können und die dadurch gesteigerte Produktivität allen zugute kommt?
Der Umbau der Sozialsysteme, der mit der Riester-Rente als Einstieg in den Ausstieg aus der paritätischen Altersvorsorge begann und mit der Einführung von JobAQTIV-Gesetz und Kombilohn als gesellschaftlichen Meilensteinen im Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten diese Entsolidarisierung logisch fortsetzte, ist mit den Hartz-Modulen zur Durchsetzung eines bedingungslosen Arbeitszwangs noch längst nicht vollendet. Nun ist das Gesundheitssystem an der Reihe, weitere Deregulierungen sind zu erwarten. Dieser neoliberale Gesellschaftsumbau kann (neben der nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals aktiven Beteiligung Deutschlands an einem Krieg) als historische Aufgabe der rot-grünen Bundesregierung betrachtet werden. Nur sie hat das Befriedungspotential zur fast kampflosen Durchsetzung solch tiefgreifenden Einschnitte
Statt der kurzsichtigen, höchstens bis zum Ende der jeweiligen Legislaturperiode reichenden Standortpolitik, unter dem Vorwand angeblicher Sachzwänge und auf Kosten des größten Teils der Bevölkerung, steht aus meiner Sicht eine breite gesellschaftliche Debatte an darüber, wie Nachhaltigkeit in diesem Land definiert werden soll. Nach 68 war es üblich, solche Debatten nicht nur unter fachlichen Aspekten, sondern immer in Verbindung mit der Frage nach den Interessen, die hinter den unterschiedlichen Positionen stehen, zu führen. Es ist an der Zeit, diese fast verloren gegangene Frage wieder zu beleben, und den Nachhaltigkeitsdiskurs nicht allein den ExpertInnen zu überlassen.
Mehr dazu in: Waldemar Schindowski, Elisabeth Voß (Hrsg.): Jahrbuch Nachhaltiges Wirtschaften, AG SPAK Verlag, Neu Ulm, 2001, www.leibi.de/jahrbuchKonferenz: Nachhaltige Politik für Ostdeutschland. 15.-17. November 2002 in Berlin