Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Staat / Demokratie - Globalisierung "Jetzt, als Toter bekommst du Asyl. Auf einem bayerischen Friedhof." - Yohannes Alemu, Äthiopien

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Erschienen

März 2002

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"Die Bitterkeit und die Anklage, die aus dem letzten Gruß "Jetzt, als Toter, bekommst du Asyl. Auf einem bayerischen Friedhof" eines Blumenkranzes am Grab von Yohannes Alemu herauszulesen ist, beschreibt wohl am besten die Stimmung, die unter den Flüchtlingen und bei den Unterstützern vorzufinden war, als sie von seinem Tod erfuhren. Auf der Pressekonferenz verschiedener Asylinitiativen anlässlich des Todes von Yohannes Alemu wurde nicht nur sein tragisches Einzelschicksal hervorgehoben, sondern auch die rigide Abschiebepolitik der BRD auf das Schärfste kritisiert. Vorwürfe richteten sich insbesondere an das Auswärtige Amt, das zur Aufrechterhaltung der diplomatischen Beziehungen in den Lageberichten über Äthiopien eine "Scheindemokratie" entstehen lasse, was wiederum die Ablehnung von Flüchtlingen rechtfertige.

 

Das Asylverfahren von Yohannes Alemu

Der politische Umgang mit dem Suizid wäre vermutlich auch im Interesse des 27jährigen Yohannes Alemu gewesen. Für ihn war Politik alles. In seinem Herkunftsland Äthiopien trat er im November 1991 mit 23 Jahren der "All Amhara Peoples Organisation" (AAPO), der All-Amharischen Volksorganisation, bei. Diese wurde im Januar 1992 gegründet mit dem Ziel, amharische Interessen - die Amhara zählen zusammen mit den Oromo zu den größten Bevölkerungsgruppen in Äthiopien - zu vertreten und die Einheit Äthiopiens zu stärken. "Wir kämpfen für die Einigung des Landes und das friedliche Zusammenleben aller Völker in Äthiopien", ist einem Protestbrief der deutschen Sektion der AAPO zu entnehmen, der anlässlich der Suizide von Yohannes Alemu in Regensburg und Abijou Tilaye in Würzburg verfasst wurde. Ebenso wird die "Verfolgung und Liquidierung von Mitgliedern der Partei durch die äthiopische Regierung" darin angeprangert. Dies wurde auch Yohannes Alemu zum Verhängnis.

Er arbeitete bei der Regierung, gegen die er politisch aktiv war. Seit 1989, nach Abschluss seines Studiums in Addis Abeba war Alemu als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Pressezentrum des äthiopischen Finanzministeriums tätig. Er benutzte interne Informationen aus dem Finanzministerium für seine politische Tätigkeit. Als dies aufgedeckt wurde, bekam er eine Verwarnung und wurde an einen anderen Arbeitsplatz innerhalb des Ministeriums versetzt. Alemu ließ sich aber nicht davon abbringen, weiterhin unter einem Pseudonym regierungskritische Schriften für die AAPO zu verfassen und sich mit ausländischen Diplomaten zu treffen. Trotz seiner Vorsichtsmaßnahmen vor Verfolgung wurde er am 15.2.1993 für drei Tage in einem Gefängnis in Addis Abeba inhaftiert, wo er geknebelt, geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert wurde. Mit der drohenden Forderung, sich nicht mehr mit amharischen Menschen zu unterhalten und keinen Kontakt mehr zur AAPO aufzunehmen, wurde er entlassen. Beabsichtigt war, eine sofortige und grundsätzliche Veränderung seines Lebens zu erreichen, indem er seine politische Meinung und seine sozialen Kontakte änderte. Unmittelbar nach der Inhaftierung von Yohannes Alemu wurde ein Arbeits- und Parteikollege ebenfalls verhaftet. Dabei wurde auch nach Yohannes Alemu gefragt.

Aus Angst vor weiterer politischer Verfolgung, einer erneuten Inhaftierung und weiteren Folterungen kündigte Alemu am 30.6.1993 seine Stelle beim Finanzministerium und tauchte unter. Zudem musste er befürchten, dass sein Pseudonym auffliegen könnte, womit seine Mitgliedschaft in der AAPO bewiesen gewesen wäre. Zwei Wochen später gelang ihm die Flucht aus Äthiopien. Er konnte eine Einladung seines Onkels, der damals in der BRD lebte, vorweisen. Aufgrund seiner Beziehungen, die er sich im Finanzministerium aufgebaut hatte, konnte er mit einem Touristenvisum der deutschen Botschaft am 16.7.1993 in die BRD per Flugzeug einreisen. Zur gleichen Zeit wurden Alemus Vermieter in Äthiopien bedroht und sein Bruder verhaftet.

Zwei Wochen nachdem er in Frankfurt am Main angekommen war, beantragte er am 30.7.1993 die Anerkennung als Asylberechtigter in Zirndorf. Am 11.8.1993 hatte er die erste Anhörung beim BAFl: Der darauffolgende Bescheid vom 24.11.1993 war negativ. Die Glaubwürdigkeit des Flüchtlings wurde angezweifelt. Die Begründung lautete: Wer ein Touristenvisum von der deutschen Botschaft erhalten habe, könne so verfolgt nicht sein. Zudem würden viele AAPO-Mitglieder im Finanzministerium arbeiten, die angeblich keine Repressionen erleiden würden. Sein Rechtsanwalt reichte am 17.12.1993 eine Klage gegen diesen negativen Bescheid ein, in der noch einmal Yohannes Alemus herausragende Stellung im äthiopischen Finanzministerium hervorgehoben wurde.

"Er hat geglaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Anerkennung kommt.", erinnert sich im Interview seine Chefin im Uniklinikum Regensburg, wo er als Küchenhelfer eingestellt war. "Yohannes war sich ziemlich sicher, dass er in Deutschland bleiben könnte. Eben aufgrund seiner Situation und dass er in Äthiopien verfolgt wurde. Und das Gute war ja, dass er die ganzen Beweise, die Dokumente bei sich hatte. Von daher war er sich ganz sicher." Zur Zeit der ersten Ablehnung hinterließ Yohannes Alemu bei seinem Anwalt, der ihn etwa ein halbes Jahr vertrat, einen "sehr ängstlichen und verunsicherten Eindruck. Er war in seinen Stimmungen sehr schwankend. Er hatte große Furcht vor einer Abschiebung und hoffte zugleich sehr stark auf die Möglichkeit, hier bleiben zu können." Anfangs habe aus asylrechtlicher Sicht auch Hoffnung bestanden auf einen Verbleib in Deutschland. "Er erhoffte sich, hier in Frieden und Freiheit leben zu können, bis die Situation im Heimatland besser sein würde."

Es folgten zwei mündliche Verhandlungen am Verwaltungsgericht Regensburg am 3.8.1994 und am 2.12.1994. Yohannes Alemu wurde Prozeßkostenhilfe gewährt, was ein Indiz für Aussicht auf Erfolg ist. Es kam aber ganz anders: Im Bescheid vom 13.12.1994 wurde seine Glaubwürdigkeit erneut bestritten. So wurde u.a. festgestellt, dass ihm aufgrund seiner gehobenen Stellung im Finanzministerium von Addis Abeba Schutz durch Parteifreunde geboten sein müsste. Alemu ging aber auf dieses Argument, obwohl es für ihn nützlich gewesen wäre, bereits in der ersten Anhörung nicht ein, da er seine Parteigenossen schützen wollte. Zudem tauchten Probleme mit der Übersetzung auf, weil er aus finanziellen Gründen nicht alle für das Asylverfahren wichtige Dokumente übersetzen lassen konnte bzw. er einige wichtige Unterlagen viel zu spät erhalten hatte. Die lokale Regensburger Presse und verschiedene Unterstützer berichtete zudem, dass der amtliche Übersetzer bei der ersten Anhörung vor dem BAFl einiges von Yohannes Alemu Vorgebrachte durch falsche Übersetzung widersprüchlich erscheinen ließ. Ein Vorwurf, der von vielen Flüchtlingen und Unterstützern erhoben wird: Oft seien die Dolmetscher ehemalige Flüchtlinge, die Äthiopien unter der früheren Regierung verlassen haben. Heute würden sie mit der gegenwärtigen Regierung sympathisieren und sie über Kritiker ihrer Politik informieren.

Marianne Ebert, eine Bekannte von Yohannes Alemu, die zum ersten Mal eine Gerichtsverhandlung erlebte, war vom Verfahren entsetzt und sprach im Interview von "Schleichwegen" der Richter: "Das, was Yohannes eigentlich genau gesagt hat, haben die umgewandelt und umgedreht. Sie hatten ein Ziel vor Augen und versuchten es über Schleichwege zu erringen. Ich war ein Laie auf diesem Gebiet, ich habe mir das überhaupt nicht vorstellen können. Weil: wenn ich was höre, denke ich mir: gut, das ist die Wahrheit, so ist es gesagt worden. Aber von den Richtern wurde das hinterher ganz anders ausgelegt. Die Begriffe waren für mich so verdreht worden, dass ein total anderes Bild entstanden ist. Also ... ich war verzweifelt."

Nach Erhalt des negativen Bescheides nach der zweiten Verhandlung wechselte Yohannes Alemu den Rechtsanwalt. Dieser stellte am 23.12.1994 einen Antrag auf Zulassung der Berufung an den Verwaltungsgerichtshof. Der Antrag wurde aber aufgrund formaler Fehler am 1.2.1995 abgelehnt. Bereits am 23.1.1995 wurde die endgültige Ablehnung seines Asylantrages rechtskräftig. Yohannes Alemu erhielt die Mitteilung seiner endgültigen Ablehnung und die Androhung der Abschiebung am 9.2.1995 - an diesem Tag verschwand er. Seine Leiche wurde nach 33 Tagen, am 8.3.1995, am Donauufer gefunden.

 

Der Alltag im Exil

Sein Engagement für eine Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Situation in seinem Herkunftsland setzte Yohannes Alemu auch in der BRD fort. Neben seiner Arbeit in der AAPO wollte er mit Freunden einen äthiopischen Verein in Regensburg gründen. Aufgrund politischer Differenzen sollte dieser von einem Minimalkonsens getragen sein. "Er dachte, er kann was verändern an dem Regime ... und das hat er dann mit seinem Leben bezahlt, weil heimgehen hätte er nicht mehr können. Obwohl er viel gearbeitet hat, hat er sich abends, wenn er Zeit gehabt hat, politisch eingesetzt. Ihm ist so nicht viel Freizeit geblieben. Für die Zukunft plante er ein weiteres Studium, das er über eine Arbeit als Journalist finanzieren wollte", so Marianne Ebert, die mit Alemu immer neue Beweise für sein Asylverfahren recherchierte und übersetzte. Sie beschrieb Yohannes Alemu folgendermaßen: "Er hat dich mitgerissen mit seinen Idealen und idealen Vorstellungen. Er war ein geradliniger Mensch, ein ganz scharf denkender Politiker. Er war sehr begabt, sehr intelligent, sehr zielstrebig und hatte sehr gute Zeugnisse. Yohannes war zu diesem Zeitpunkt eine junger, sympathischer und quirliger Mensch, sehr lebhaft, sehr nett - eigentlich in allem."

Karin Fichtner, die ehemalige Diätküchenchefin des Universitätsklinikums Regensburg, war die direkte Vorgesetzte von Yohannes Alemu: "Er war bei uns als Fahrer und als Topfspüler eingestellt. So hat er hauptsächlich Essen auf die Stationen gefahren und das schmutzige Geschirr wieder abgeholt. Acht Stunden täglich mit Wochenenddienst - die 2 Tage davor waren frei. Das war so angenehm mit ihm als Mitarbeiter. In einer Großküche ist teilweise eine rauhes Klima und es gibt auch primitive Typen, auch unter den Deutschen, das muss man echt sagen. Gerade unter den Köchen, das war ganz schlimm, was die oft an rassistischen Bemerkungen losgelassen haben. Ich habe mich dann zu so einer Art Fürsprecher für die Afrikaner gemacht." Wenn sie Spätdienst hatte, fuhr sie die Flüchtlinge auf dem Nachhauseweg in die Unterkunft: "So haben wir uns öfters unterhalten. Yohannes und ich hatten so eigentlich eine ganz gute Beziehung zueinander. Er hat sich halt doch recht einsam gefühlt hier ... er wirkte immer so traurig, melancholisch eher."

Aufgrund seines Einkommens konnte Yohannes Alemu nach einigen Monaten aus der Flüchtlingsunterkunft ausziehen und in eine kleine Wohnung ziehen. Karin Fichtner kannte die Regensburger Flüchtlingsunterkunft in der Siemensstraße und die Umstände, unter denen er wohnte. Einmal suchte sie die Unterkunft auf, als zwei Angestellte nicht zum Dienst erschienen: "Da habe ich mir gedacht, da kann irgendwas nicht stimmen und bin hingefahren. Also so viel Polizeiautos habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Eine riesige Polizeikolonne, das waren bestimmt 50 Einsatzwagen. Die haben dort eine Razzia gemacht und alles durchkämmt, was bis nachmittags dauerte. Die haben die Spinte ausgeräumt, bis ins Kleinste haben die alles durchsucht, die Klamotten, die Leute gefilzt. Da habe ich dann auch innen die Zustände gesehen. Das Ganze war echt menschenunwürdig. Und als Yohannes dann die Wohnung hatte, konnte ich gut verstehen, wie glücklich er war."

Über ihren Mitarbeiter weiß sie nur Gutes zu berichten: "Er hat von Anfang an einen ganz tollen Eindruck gemacht, also durchwegs positiv: unwahrscheinlich höflich, fleißig, gewissenhaft. Also ich beschönige das jetzt nicht absichtlich, weil er jetzt tot ist. Er war wirklich so und hatte sehr gute Deutschkenntnisse. Er hatte auch einen gewissen Eigensinn und hat sich seine eigenen Gedanken über die Arbeit gemacht. Er war nicht bloß ein Befehlsempfänger. Wir hatten dann schon erwogen, ihn als eine Art Schichtführer einzusetzen. Grundsätzlich war er eher schüchtern und zurückhaltend, war auch klein und schmal. Einfach rundherum sympathisch und offen."

 

Der Suizid

Dass der Tod von Yohannes Alemu kein Fremdeinwirken zur Ursache hat, wurde von der Staatsanwaltschaft geklärt. Die Bürgerinitiative Asyl in Regensburg hat die letzten Stunden seines Lebens recherchiert: "Am 9.2.95 teilte das Ausländeramt der Stadt Regensburg Yohannes die Ablehnung seines Asylantrags mit. Gleichzeitig wurde seine Aufenthaltsgestattung nicht verlängert und ihm die Abschiebung angedroht. Vom Ausländeramt ging er zu seinem Rechtsanwalt, der ihn auch in einem längeren Gespräch nicht mehr beruhigen konnte. Yohannes warf dem Anwalt seine Unterlagen hin mit den Worten: "Übergeben Sie das der Weltöffentlichkeit, ich werde mich umbringen" und rannte aus der Kanzlei. Der Anwalt konnte ihn nicht zurückhalten und nur noch einen Arzt und die Polizei über den drohenden Suizid informieren. Yohannes war dann in panikartiger Angst noch einige Stunden mit seinen äthiopischen Freunden zusammen. Als er nachts ein Polizeiauto sah, rannte er weg. In der gleichen Nacht wurden Kleidungsstücke von ihm auf der Nibelungenbrücke gefunden, er hatte sich in die Donau gestürzt. Seine Angst vor Abschiebung nach Äthiopien, wo ihn Schlimmes erwartete, war größer als die Angst vor diesem schrecklichen Tod."

Marianne Ebert schilderte in ihrer Ansprache im Trauergottesdienst die Höhen und Tiefen während des Asylverfahrens: "Johannes hat immer gehofft, dass man vor Gericht seine Beweise und seine Begründungen ernst nehmen würde. Hilflosigkeit und Ohnmacht haben oft unsere Arbeit erschwert. Er hat mir Mut gegeben mit den Worten: "Ich habe viele Dokumente, ich lüge nicht, meine Sachen sind alle wahr! Wenn ich zurück muss, bin ich tot." So war der Alltag geprägt von einer Ablehnung zur Anderen, von einer Verzweiflung zur anderen. Er war fix und fertig und unendlich traurig - mit den Nerven völlig am Ende." Zuletzt litt er unter Angstzuständen und hatte einen Termin mit einem Psychiater vereinbart. An seinem letzten Tag war er noch bei den Freunden, mit denen er den äthiopischen Verein gründen wollte. Ein Freund erinnert sich noch genau an die letzten Worte, die er von Yohannes Alemu hörte, als sie beim Essen saßen: "Ich habe Hunger, aber ich kann nicht essen." Nach einer Weile sagte er plötzlich in die Runde: "Ich gehe."

Zuletzt war er noch mit einem Bekannten in einem Café. Dieser hat gesehen, dass Yohannes Alemu mehrere Geldscheine bei sich hatte. Nach seinem Tode wurde spekuliert, ob er das Geld von der Bank geholt habe, um unterzutauchen. Deshalb dachten anfangs auch alle Freunde und Bekannten, er würde noch leben. Als sie schließlich das Café verliessen, fuhr ein Polizeiauto vorbei. Daraufhin muss Yohannes Alemu wohl gedacht haben, die Polizei würde ihn suchen, um ihn abzuschieben, und rannte plötzlich los. Der Freund konnte mit Yohannes Alemu nicht mithalten und blieb zurück. Dass das Auftauchen der Polizei zu einer panischen Reaktion führte, darüber sind sich alle diejenigen einig, die ihn und seine Situation kannten. So auch Karin Fichtner: "Dadurch, dass er geglaubt hat, das ist nur eine Frage der Zeit, bis die Anerkennung kommt, muss das alles so überraschend für ihn gewesen sein. Das hat sich dann alles innerhalb von ein oder zwei Tagen abgespielt, und deswegen sicherlich auch die Panik, als dann der Abschiebungsbescheid kam. Yohannes konnte da sicherlich nicht mehr klar denken. Er hatte auch so eine Angst vor dem, was ihm in Äthiopien hätte blühen können ... zwei Tage zuvor hat er noch bei uns gearbeitet. Ich habe damals keine Veränderung bemerkt, dass er nervöser war oder einen anderen Ausdruck hatte, also muss das eine Kurzschlusshandlung gewesen sein."

Nach seiner Flucht vor der Polizei war Yohannes Alemu wahrscheinlich noch in seiner Wohnung, die mittlerweile die Polizei aufgesucht hatte. "Nachdem alles durchwühlt war, muss er anscheinend einen totalen Schock bekommen haben", so Marianne Ebert. "Leider war in seiner Jacke, die er noch vor dem Sprung von der Brücke fein säuberlich zusammengelegt hatte, weder Geld, noch Papiere, noch ein Abschiedsbrief, der vieles hätte erklären können. Die Donau führte in der Nacht zum 10.2.1995 Hochwasser und war eiskalt." Nach seinem Verschwinden folgten Tage des Wartens. Das Donauufer wurde immer wieder von Freunden und Bekannten abgesucht. Nach 33 Tagen meldete sich schließlich die Kriminalpolizei. Marianne Ebert und zwei Freunde von Yohannes Alemu sollten einen gefundenen Leichnam, der 16 km von Regensburg entfernt bei Donaustauf angelandet war, identifizieren.

An seinem Arbeitsplatz waren "alle schockiert. Yohannes Alemu war ruhig, verschlossen, der hat seine Gefühle auch nicht so gezeigt. Er hatte vorher auch nie irgendwelche Andeutungen gemacht, wo man hätte hellhörig werden können. Deswegen hat es eigentlich fast alle wie ein Schlag aus heiterem Himmel getroffen."

Alemu wurde am 21. 3 1995 auf dem Dreifaltigkeitsberg in Regensburg beerdigt. Auf einem Holzkreuz an einem der Gräber in der Friedhofsabteilung für Sozialfälle steht sein Name zusammen mit denen fünf weiterer Menschen. Für eine Überführung der Leiche, für die etwa 10.000,- DM zu zahlen gewesen wären, kamen an Spenden nur 2.000,- DM zusammen. "Eine Überführung in das Herkunftsland sieht das Sozialamt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht vor. Damit gestattet die Stadt nicht einmal, dass die Menschen als Tote in ihr Heimatland zurückkehren - das ist ungeheuerlich", so Pfarrer Harro Renner von der "Regensburger Aktion für eine gemeinsame Zukunft ohne Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Intoleranz", der fünfeinhalb Jahre später durch die Trauerfeier für Jasim Mohamad Ali führen sollte. Nach der Beerdigung Yohannes Alemus wurde eine Kranzniederlegung auf der Nibelungenbrücke und eine Demonstration durch Regensburg mit anschließendem großen Trauergottesdienst organisiert. Die Trauerfeier fand in der Flüchtlingsunterkunft in der Straubinger Straße statt. Ein Flüchtling formulierte dort die Gedanken, die wohl viele Flüchtlinge hegen: "Ich sterbe lieber in Deutschland durch eine Kugel, als dass ich zurück in mein Heimatland gehe, wo mich ein langsames Sterben durch Gefängnis und Folter erwartet."

Konferenz: Kommen und bleiben. Migration und interkulturelles Leben in Deutschland. am 24./25. Mai 2002 in Köln, in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen.

 

Projekt:"Sie suchten das Leben und fanden den Tod." Zu Untersuchungsansatz und Ergebnissen eines Forschungsprojekts über Suizide von Flüchtlingen in Bayern