Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Gesellschaftstheorie - Globalisierung Ulla Jelpke: Gleiche Rechte für alle

Beitrag zum Workshop "Eingebürgert - und was dann? Wege aus der Diskriminierung von Minderheiten" am 16.9.2000 in Berlin

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Erschienen

September 2000

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zum Workshop1.      Die etwa 8 Millionen Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten aus anderen Ländern zu uns kamen, um hier zu arbeiten oder weil sie vor Verfolgung flohen, werden gegenwärtig in vielfacher Hinsicht diskriminiert.

Solange sie keinen deutschen Paß, keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, haben sie fast keine politischen Rechte und nur begrenzte soziale und gewerkschaftliche Rechte.

Die PDS fordert die völlige Gleichberechtigung dieser Menschen, d.h. alle staatsbürgerlichen, politischen und sozialen Rechte für MigrantInnen und Flüchtlinge wie für alle anderen hier lebenden Menschen auch. Dazu gehört auch das Wahlrecht.

Aber selbst wenn diese Menschen einen deutschen Paß erworben haben, bleiben vielfältige Diskriminierungen bestehen. Das Grundgesetz verbietet zwar in Artikel 3 eine Diskriminierung von Menschen wegen ihrer Abstammung, ihrer Sprache, ihrer Heimat und Herkunft, wegen ihrer religiösen und politischen Anschauungen. Faktisch aber ist dieses Diskriminierungsverbot weitgehend wirkungslos. Menschen anderer Sprache und Kultur werden selbst als deutsche Staatsbürger bei der Pflege und Praktizierung ihrer Sprache und Kultur gegenwärtig in der Praxis massiv diskriminiert.

Der Gebrauch ihrer Sprache, die Pflege ihrer eigenen Kultur, ihrer Literatur, ihrer Sitten und Gebräuche wird schlicht und einfach nicht gewollt und deshalb durch die Behörden von Bund und Ländern mehr oder weniger offen unterdrückt.

Die herrschende Politik verlangt von diesen Menschen im Prinzip die Unterwerfung und Anpassung an die deutsche Kultur und Sprache. Das Ziel dieser Politik ist nicht die gleichberechtigte Integration, nicht das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen verschiedener Sprache und Kultur, sondern die Assimilation, d.h. die Unterdrückung aller nicht-deutschen Sprache und Kultur.

Ich und sicher auch die überwiegende Mehrheit aller MigrantInnen und Flüchtlinge habe nichts dagegen, wenn von Menschen, die zu uns kommen und hier bleiben wollen, erwartet wird, dass sie die deutsche Sprache lernen und die deutsche Kultur kennen. Das ist richtig und angemessen und liegt auch im ureigenen Interesse dieser Menschen selbst. Wie sonst sollen sie sich mit anderen Menschen in diesem Land verständigen können, wie sonst sollen sie sich hier bewegen und für ihre Interessen eintreten können?

Aber Assimilation bedeutet nicht Erlernen der hiesigen Mehrheitssprache und Kennenlernen der hiesigen Kultur, Assimilation bedeutet Aufgabe der eigenen Sprache, Aufgabe der eigenen Kultur.

Das ist eine Diskriminierung, das ist undemokratisch und inhuman. Einen solchen Umgang mit Minderheiten lehne ich und lehnt meine Fraktion ab.

Um diese Politik der Assimilation zu überwinden und zu einer Politik der gleichberechtigten Integration zu kommen, brauchen wir zusammengefaßt Maßnahmen auf drei verschiedenen Ebenen:

  • erstens die vollständige Gleichberechtigung, d.h. die politische und rechtliche Gleichstellung dieser Menschen mit allen anderen hier lebenden Menschen mit deutschem Paß;
  • zweitens einen wirksamen Schutz für MigrantInnen und Flüchtlinge vor Diskriminierung sowohl auf politischem, auf sozialem und allen anderen Gebieten;
  • drittens brauchen diese Menschen direkte Minderheitenrechte, d.h. über ihre individuelle politische und rechtliche Gleichstellung hinaus Gruppenrechte, darunter insbesondere das Recht auf Pflege ihrer eigenen Sprache und Kultur.

2.      Ich und sicher auch die PDS-Bundestagsfraktion unterstützen deshalb auch die Forderung der kurdischen Vereine nach Minderheitenrechten für die hier lebenden Kurdinnen und Kurden. Das gilt natürlich auch analog für andere Minderheiten. Ausdrücklich nennen will ich hier die türkische Minderheit und die Menschen aus Osteuropa. Auch sie haben Anspruch auf alle Minderheitenrechte, die Menschen anderer Kultur und Sprache in einer demokratischen Gesellschaft haben sollten und wie sie zum Beispiel im Rahmenabkommen des Europarats beschrieben sind.

Die Diskriminierung dieser Minderheiten muss aufhören. Die deutsche Politik akzeptiert bzw. gewährt Minderheitenrechte im Augenblick nur für die Minderheiten der Sorben, der Dänen, der Friesen und der Roma und Sinti mit deutschem Paß. Das sind zusammen etwa 240.000 Menschen. Tatsächlich aber leben in diesem Land mehr als 8 Millionen Menschen, die seit den 60er Jahren aus anderen Ländern eingewandert bzw. hierhin geflohen sind und die ein Recht haben müssen, ihre Sprache und Kultur hier weiter zu pflegen, wenn sie das wünschen. Diese Unterscheidung diskriminiert gegenwärtig mehr als 95% aller hier lebenden Angehörigen von Minderheiten.

Mit dieser Unterscheidung zwischen sogenannten "autochtonen", also schon viele Jahrzehnte hier lebenden, und sogenannten "neuen Minderheiten" muss Schluß gemacht werden. Sie verstößt gegen die Gleichberechtigung und den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes.

Aus diesem Grund habe ich auch den Auftakt der Petitionskampagne der kurdischen Vereine begrüßt und unterstützt. Die PDS-Bundestagsfraktion wird diese Petition, wenn sie im Bundestag eingereicht wird, sicher ebenfalls unterstützen.

Wir teilen deshalb auch die diesbezügliche Kritik der UNO, wie sie auch in dem "Aktionsprogramm gegen Rassismus" des DGB, von Pro Asyl und anderen erhoben wird, das wir in Auszügen hier in unserer Infomappe dokumentiert haben. Ich freue mich, dass der DGB, Pro Asyl und andere diese Meinung offenbar auch teilen.

3.      Speziell bei den Kurdinnen und Kurden hat diese Frage zudem für mich und sicher auch für die hier anwesenden Kurdinnen und Kurden noch eine besondere Bedeutung. Die Kurdinnen und Kurden haben bis heute keinen eigenen Staat, nirgendwo auf der Welt. Sie haben auch nirgendwo auf der Welt bisher ein Selbstbestimmungsrecht. Sie werden, das sich hier sicher den meisten bekannt, sowohl in der Türkei wie in den anderen Ländern des Mittleren Ostens seit vielen Jahren blutig verfolgt und unterdrückt.

Wenn wir es erreichen, dass Kurdinnen und Kurden hier in der BRD ein solches Minderheitenrecht erhalten, als eigene Minderheit mit eigenen Rechten, mit einer eigenen Sprache und Kultur anerkannt werden, dann wäre nicht nur ein innenpolitisches, sondern auch ein außenpolitisches Signal. Es wäre ein Signal für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage, eine Lösung, für die ich mich und viele andere hier im Saal schon lange einsetzen. Ein solches Signal würde sich natürlich auch auf andere Fragen erstrecken. Ich nenne nur das PKK-Verbot, das aufgehoben werden muss, ich nenne das Verbot kurdischer Namen, das sogar für hier lebende Kurdinnen und Kurden analog wie in der Türkei noch immer weitgehend praktiziert wird, ich nenne die Tatsache, dass kurdische Vereine und Einrichtungen bis heute kaum oder gar keine öffentliche Förderung bekommen. All das muss sich ändern, und für all das könnte die hier diskutierte Regelung ein Einstieg sein.

4.      Ein letzter Punkt, der durch unsere heutige Diskussion berührt wird und den ich deshalb hier auch ansprechen will, ist die deutsche Ostexpansion. Es gibt eine Politiktradition in diesem Land, die mit den Begriffen "Pangermanismus" und "Alldeutsche Politik" nur stichwortartig beschrieben wird. Damit ist eine Politik gemeint, bei der deutsche Macht und deutscher Einfluß nach Osteuropa ausgedehnt werden soll durch Förderung deutscher Minderheitenrechte in Osteuropa. Eine solche Politik ist völkisch. Sie mißt mit zweierlei Maß. Sie kennt gute Menschen - Blutsdeutsche - deren Rechte die deutsche Politik schützen und ausbauen sollte, und weniger gute Menschen - polnische, tschechische, slowakische, russische und andere Menschen, die faktisch durch diese Politik zu Menschen zweiter Klasse erklärt und diskriminiert werden. Das zeigt sich schon darin, dass die deutsche Politik sich bis heute weigert, z.B. den hier lebenden Menschen aus Polen die gleichen Rechte zuzugestehen, wie sie für Deutsche in Polen ganz selbstverständlich verlangt werden. In der Infomappe von meinem Büro, die hier ausliegt, ist auch eine Antwort der Bundesregierung dokumentiert, in der diese offen zugibt, dass sie seit 1992 für deutsche Minderheiten in Osteuropa fast tausend Mal so viel Geld ausgegeben zu haben wie für Menschen aus Osteuropa, die hier leben und arbeiten. Ich finde das eine Fortsetzung des Pangermanismus und von alldeutscher Politik, die dringend beendet werden muss. Zur Beendigung dieser Politik muss sicher mehr geschehen als nur die Minderheitenrechte, die besonderen kulturellen, sprachlichen und anderen Anliegen der Menschen aus Osteuropa, die hier leben, herzustellen bzw. endlich zu respektieren. Aber die Sicherung bzw. Anerkennung dieser Rechte, z.B. durch Förderung polnischer Vereine und Einrichtungen in diesem Land, ist ein erster und ein dringend notwendiger Schritt dabei.

Ulla Jelpke (MdB), innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion