Publikation Risiko Gentechnik?! - Rundtischgespräch mit Helmut Böhme, Hans-Gert Gräbe, Martin Holtzhauer, Rolf Löther, Jens Reich, Sabine Voigt

Utopie Kreativ Heft 115-116 Mai-Juni 2000

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Zeitschrift «Utopie Kreativ» (Archiv)

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Mai 2000

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UTOPIE kreativ, H. 115/116

(Mai/Juni 2000),

S. 479-500Im Sommer 1999 hat »UTOPIE kreativ« mit der Veröffentlichung von Beiträgen zu den Chancen und Risiken der Gentechnik begonnen. Nach dem Erscheinen des ersten Beitrages von Martin Holtzhauer (Heft 105/Juli 1999) ist der Redaktion eine Reihe von Zuschriften zugegangen – von Hans-Gert Gräbe, Reinhard Grienig, Jens Reich und Magdalene Westendorff. Rolf Löther und Sabine Voigt beteiligten sich an der Diskussion mit größeren Beiträgen, die im November/Dezember-Heft erschienen sind. Der von Helmut Böhme angekündigte Artikel konnte leider bis jetzt noch nicht fertiggestellt werden. Es ist beabsichtigt, ihn zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen. Da jedoch am 24. Juni 2000 in Leipzig ein von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen organisiertes Kolloquium zum Thema »Effiziente Pflanzenproduktion mit Hilfe der Gentechnik – pro & contra« stattfinden wird, hat sich die Redaktion entschlossen, das ursprünglich gegen Ende der Debatte vorgesehene Rundtischgespräch zur Gentechnik vorzuziehen. Es stellt nunmehr nicht den (relativen) Abschluß der Debatte, sondern eine Art Zwischenbilanz dar und soll ausdrücklich auch als Aufforderung zur Fortsetzung der Diskussion verstanden werden.

Da es in unserer kurzatmigen Zeit kaum möglich gewesen wäre, alle Beteiligten tatsächlich an einem runden Tisch zu versammeln – was sicherlich einen besonderen Reiz gehabt hätte –, wurden zehn Fragen an alle verschickt, die sich mit Zuschriften an die Redaktion gewandt haben. Die Antworten wurden anschließend zu einem ›virtuellen‹ Rundtischgespräch zusammengestellt. Leider haben nicht alle, die angeschrieben wurden, auch geantwortet; denen, die sich beteiligt haben – Prof. Helmut Böhme (Aschersleben), Dr. Hans-Gert Gräbe (Leipzig), Dr. Martin Holtzhauer (Berlin), Prof. Rolf Löther (Berlin), Prof. Jens Reich (Berlin) und Dr. Sabine Voigt (Berlin) – gilt unser herzlicher Dank. Alle weiteren Interessenten sind zur Fortführung der Diskussion herzlich eingeladen.

Arndt Hopfmann

Gentechnik – eine neuartige Risikotechnologie?

FRAGE: Während die im Zuge der industriellen Revolution entstandenen sogenannten ›linearen‹ Technologien ›nur‹ Havarien und Unfälle mit lokalen bzw. regionalen Dimensionen hervorgebracht haben (Chemieunfälle, Schiffsuntergänge, Flugzeugabstürze, Eisenbahnunfälle etc.), ist mit Gen- und Atomtechnik ein neuartiger Typ von Technologien entwickelt worden, der Katastrophen ungeahnten (globalen) Ausmaßes verursachen kann – warum sollte sich nach Ihrer Meinung die Menschheit trotzdem auf die Gentechnologie einlassen oder warum sollte sie dies besser nicht tun?

Rolf Löther: Technik und Technologien sind Mittel der Menschen zur Aneignung und Nutzung natürlicher Ressourcen ihrer Existenz – von den urgeschichtlichen Erfindungen des Zurechtschlagens von Steinen zu Werkzeugen und des Feuermachens bis zur Kerntechnik und Gentechnik. Alle sind der Möglichkeit nach mit Chancen und Gefahren verbunden. Beides wächst mit den Ausmaßen des Machbaren und ist jeweils spezifisch. So ist auch die Gentechnik mit neuen Risiken in der Einheit von Chance und Gefahr verbunden. Es geht um genetische und ökologische sowie gesundheitliche und soziale Aspekte. Und als Gefahren drohen weniger globale Katastrophen als vielmehr langsam fortschreitende Prozesse. Die Gefahren sind konkret zu bestimmen und zu untersuchen, um ihnen entgegenzuwirken. Die allgemeine Frage, ob sich die Menschheit auf die Gentechnologie einlassen sollte, verkennt erstens, daß die Gentechnologie nach ihrer Entwicklung seit mehr als einem Vierteljahrhundert eine Realität ist, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist, man mag sie mögen oder nicht; und zweitens, daß die Menschheit leider immer noch ein Abstraktum ist und kein Subjekt, das in der Lage wäre, übergreifende Menschheitsinteressen gegenüber Sonderinteressen durchzusetzen.

Sabine Voigt: Als Agraringenieurin möchte ich mich auf Aussagen, die »grüne« Gentechnik betreffend, beschränken. Zur Beantwortung der ersten Frage ist zu klären, worin die Spezifik dieser Technologie liegt. Die wesentlichen Probleme bestehen im ökologischen und gesundheitlichen Bereich, denn die Gentechnik greift wie keine andere Technologie direkt und in kürzester Zeit in alle Lebensbereiche ein. Die Experimente im Rahmen der Gentechnik sind die bisher tiefsten Eingriffe in Evolution, Leben und Natur auf der Erde. Über die biologischen Grenzen hinweg können neue Mikroorganismen, Pflanzensorten und Tierarten geschaffen werden, wie sie in der Natur und durch traditionelle Züchtung nicht vorkommen. Selbst nach Aussagen von Wissenschaftlern sind die Auswirkungen auf der Mikroebene (Veränderung von Erbsubstanzen und ihren Wirkmechanismen) und auf der Makroebene (Umwelt und Gesundheit) nicht vorherzusehen. Die Produkte der Gentechnik sind, einmal in die Umwelt entlassen, in der Regel nicht rückholbar und ausgelöste Prozesse sind bei einer Manifestation in der Umwelt irreversibel. Diese Risiken bestehen unabhängig von der Gesellschaftsordnung. Unter kapitalistischen Bedingungen ist eine wirksame gesellschaftliche Kontrolle über den verantwortungsbewußten Umgang mit der Gentechnik nicht möglich. Aber auch die Beherrschung der öffentlichen Meinung durch die Medien erschwert eine demokratische Meinungsbildung.

Die Erfahrungen mit anderen Risikotechnologien und ihren gegenwärtigen und künftigen Auswirkungen und die Mißachtung von wissenschaftlichen Anfangsverdachten zum Teil vor Jahrzehnten lassen nicht vermuten, daß Gentechnik als weitere Risikotechnologie »lindernd und wohltätig« im Sinne der Menschheitsinteressen eingesetzt werden kann. Im Gegenteil, Gentechnik wird all diese Probleme noch verschärfen. Eine produktive Nutzung der »grünen« Gentechnik in Acker-, Gartenbau, Viehzucht und auch Forsten ist jedoch nach heutigem Erkenntnisstand abzulehnen, ohne in einen generellen Technikfetischismus zu verfallen.

Martin Holtzhauer: Aus meiner Sicht ist zunächst die Behauptung nicht richtig, daß technologisch bedingte globale Katastrophen erst mit der Einführung der Nukleartechnologie möglich sind (Risiken der Gentechnik sind bisher Extrapolationen über gesichertes Wissen hinaus). Ökologische Schäden hinsichtlich Ausdehnung und Langzeitfolgen, wie von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl verursacht, sind auch schon mit herkömmlichen Methoden »gelungen«. Im Gegensatz zur emotionsbeladenen Diskussion um Kern- und Gentechnik stoßen aber Umweltschäden durch Chemie, Agrar- und Energiewirtschaft in der öffentlichen Diskussion auf eine größere Toleranzbereitschaft.

Die auf den älteren Wissenschaften Chemie, Physik, Biologie und Ingenieurwissenschaften vorwiegend beruhenden Verfahren zur Erweiterung des Erkenntnishorizonts und der Erschließung effizienterer Produktionsformen – effizienter nicht nur in ökonomischer, sondern auch ökologischer Hinsicht wie spezifischer Energieverbrauch bei Produktion, Lagerung und Transport und Möglichkeiten der (Ab)Produktbeseitigung – stoßen inzwischen an prinzipielle Grenzen. Da man nur durch Nichtstun fehlerfrei wird, sollten im Interesse der Entwicklung optimalerer Produkte und Verfahren in Ökonomie und Gesundheit und im Interesse eines Erkenntniszuwachses bei der Erforschung von Lebensprozessen molekularbiologisch-gentechnische Forschungen und Entwicklungen nicht prinzipiell eingeschränkt oder behindert werden. Diese grundsätzliche Bejahung der Gentechnik ist allerdings im Kontext mit einer ständigen qualifizierten Risikobewertung und -abwägung zu sehen.

Hans-Gert Gräbe: Mehr noch als die Kernenergie steht für mich die Gentechnik exemplarisch für eine Debatte um diesen neuen Typus von Technologie, wobei ich die deutlichen Unterschiede in der allgemeinen Bewertung beider Technologien nicht verkenne. Dieser Technologietyp ergibt sich logisch, wenn der Mensch beginnt, nicht nur Naturprozesse, sondern selbst gestaltete Prozesse und damit eine weitere »numerische Datenwand« zwischen sich und die unorganisierte Natur zu schieben. Er versucht dabei auch Prozesse in Gang zu setzen, die die Natur, möglicherweise aus gutem Grund, so auf der Erde nicht anwendet.

Ein Charakteristikum dieses neuen Technologietyps besteht in der Selbstreferentialität der losgetretenen Prozesse. Man kann sie nicht, wie heute gewohnt, notfalls durch das Umlegen eines Schalters stoppen, sondern nur hoffen, daß sie nach einer solchen Intervention abklingen. Allerdings handelt es sich meist um Prozesse mit starker positiver Rückkopplung, d.h. die »von selbst« dazu neigen, exponentiell oder noch schneller zu wachsen und nur in einem engen Regime einigermaßen unter Kontrolle zu halten sind. Sie sind also potentiell gefährlich; und der strenge Frost, der in Bulgakows Erzählung »Die verhängnisvollen Eier« (Kleine Prosa 1, Volk und Welt Berlin 1983) Moskau und die Menschheit noch einmal vor dem Untergang rettet, steht allenfalls allegorisch für den Wunsch, daß Mütterchen Natur im Ernstfall Nachsehen üben möge. Die Frage, ob man es dann nicht lieber gleich ganz bleiben lassen sollte, steht also nicht nur vor der Gentechnik.

Auch wenn aus umfassenderen Gründen die Entscheidung gegen einzelne solcher Technologien ausfällt, so grenzt es an Maschinenstürmerei, den Technologietyp als Ganzes auslassen zu wollen. Schließlich ist mit der technischen Realisierung computerbasierter Steuerungstechnik die Zeit reif für einen solchen algorithmisch geprägten Technologietyp, und er wird in vielfältigen Formen die »Postmoderne«, also Technologie und Produktionsweise des gerade beginnenden neuen Kondratjew-Zyklus prägen. Man wird sich mit diesem Technologietyp auseinandersetzen müssen. Und ein drittes Argument: In komplexeren Naturprozessen ist ein potentiell explodierender Reproduktionszusammenhang eher die Regel als die Ausnahme und wird über indirekte Rückkopplungen im Gleichgewicht gehalten. Derartig subtile Abhängigkeiten prinzipiell nicht beherrschen zu können, ist ja eines der Hauptargumente gegen die Gentechnik. Die Natur macht uns allerdings vor, wie es gehen kann: Sie spannt mehrere solche sich gegenseitig beeinflussende Prozesse so in einen Kreislauf, daß übermäßiges Wachstum eines der Prozesse zu einer Verschlechterung der eigenen Reproduktionsbedingungen führt. Ein deutlich besseres Verständnis dieser Zusammenhänge ist nicht nur für die Gentechnik wichtig.

Helmut Böhme: Die Annahme der Möglichkeit einer »Katastrophe ungeahnten (globalen) Ausmaßes«, verursacht durch die Gentechnik, übersteigt zur Zeit noch (?) mein Vorstellungsvermögen. Die Fragestellung, ob sich die Menschheit »auf die Gentechnologie einlassen sollte«, kommt wohl in einigen gesellschaftlichen Bereichen wesentlich zu spät. Es geht jetzt mehr darum, mit welchen Zielstellungen, an welchen Objekten und unter welchen Kontrollbedingungen gentechnische Methoden eingesetzt werden. Wenn man zur Realisierung »kreativer Utopien« beitragen möchte, sollte man bei aller notwendigen kritischen Prüfung neuartiger Techniken für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt offen sein und ihn nicht von vornherein grundsätzlich negativ bewerten. Ich rate zur Vorsicht bei dem Versuch, hier linke oder rechte Sichten mit erhobenem Zeigefinger ins Spiel zu bringen. Vergangene Beispiele einer zu schlimmen Folgen führenden, falschen Ideologisierung der Biowissenschaften sollten uns ernste Warnung sein.

Jens Reich: ...weil die Voraussetzung nicht zutrifft.

FRAGE: In konkurrenzgetriebenen Markt- und Geldwirtschaften stehen Schutzmaßnahmen und Kontrollen beständig unter Effizienz- bzw. Kostendruck – sind Gesellschaften dieses Typs nicht grundsätzlich ungeeignet für die Nutzung von Risikotechnologien; wer sollte die Anwendung der Gentechnik (unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen) wodurch kontrollieren?

Martin Holtzhauer: Profitorientierte Volkswirtschaften sind nie sicher davor, daß im Interesse der Profiterzielung moralische und/oder lokale Grenzen mißachtet werden. Sicherheitsstandards, die im Mutterland eines Betriebs gelten und akzeptiert werden, werden durch Verlagerung der Produktion in weniger restriktive oder stärker korrupte Länder umgangen – der Gedanke der Einen Welt wird entweder bewußt ignoriert oder hat sich im Bewußtsein der Verantwortlichen nicht manifestiert. Trotzdem ist es möglich, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene Kontrollgremien zu schaffen, die mit der erforderlichen Kompetenz und Machtbefugnis Standards setzen und deren Einhaltung kontrollieren (vgl. Internationale Atomenergiebehörde). Allerdings ist besonders auf nationaler Ebene zu fordern, daß die Diskussion um Entscheidungen und ihre Überwachung auf eine breitere, sachkundigere parlamentarische und außerparlamentarische Basis gestellt werden. Dabei ist die Forderung nach qualifizierter und umfassender (Allgemein)Bildung und nach einer ausgewogenen Information über das Für und Wider besonders herauszustellen sowie der Einfluß (ebenfalls profitorientierter) Massenmedien zurückzudrängen. Die Verbreitung von Halbwahrheiten und das Spekulieren auf Unwissen ist gefährlicher als das Zurückhalten von Erkenntnissen, solange diese nicht nach wissenschaftlichen Kriterien überprüft sind.

Hans-Gert Gräbe: Die Frage greift zu kurz, denn sie engt den Blick auf die inhärente Komplexität sozialer Einbettung von Technologie ein. Ich komme auf Bulgakows Erzählung zurück. Das Projekt gerät nicht so sehr durch Persikow, den fanatischen, dabei aber in Grenzen vorsichtigen Wissenschaftler aus den Fugen, als vielmehr dort, wo ihm die Erfindung mit aller zur Verfügung stehenden Autorität aus den Händen gerissen wird und ein Eigenleben im aktuellen gesellschaftlichen Umfeld beginnt. Entscheidend wird die Frage, welche »Kultur« dieses Umfeld prägt, d.h. ob es genügend leistungsfähig ist, die Chancen und Risiken einer zu implementierenden (immer janusköpfigen) Technologie zu reflektieren.

Für dieses Reflexionsvermögen sind wenigstens drei Aspekte wichtig: Erstens ist das Niveau der allgemeinen Kultur des Denkens zu berücksichtigen, welches die Gesellschaft prägt. Es bildet die Grundlage für gesellschaftliche Reflexionsfähigkeit schlechthin. Dieses »Kulturniveau« wird in der Industriegesellschaft wesentlich durch den Begriff »Allgemeinbildung« begründet und ist bisher mit neuen technologischen Herausforderungen immer gewachsen. Daß uns heute anderes eingeredet werden soll, ist eine der Perversionen dieser Zeit. Bulgakows Erzählung möge Technokraten als warnendes Beispiel dienen, diesen Faktor zu unterschätzen. Sie zeigt allerdings, daß er weitgehend unabhängig von Markt und Geld wirkt. Zweitens darf man Technik von morgen nicht mit der Elle von gestern messen. Die Euphorien und Irritationen der Kybernetikwelle der sechziger Jahre, die bekanntlich noch über West und Ost hinwegschwappte und deren Wiederholungen heute, als wäre dazwischen nichts gewesen, schon Züge des Grotesken tragen, wurzeln wesentlich in einem solchen Mißverständnis. Drittens benötigt die Gesellschaft Strukturen, innerhalb welcher die notwendige Reflexionsleistung vollbracht werden kann. Im Gegensatz zur klassischen Industriegesellschaft sind die neuen technologischen Risiken kaum mehr mit menschlichen Sinnesorganen und oftmals auch kaum mehr in einem einzelnen Kopf zu fassen. Sie werden erst im Diskurs verschiedener Spezialisten sichtbar, sind also oft nur als Produkte kollektiver Vernunftformen zu denken, zumal sich Antworten kaum auf ein »dafür« oder »dagegen« reduzieren lassen. Risikodiskussion benötigt also eine leistungsfähige und ausgewogene Forschungslandschaft. Deren Schaffung und Reproduktion ist eine wesentliche Komponente der Politisierbarkeit von Risiken.

Sabine Voigt: Die Frage ist tatsächlich weniger, wer oder wie die Gentechnik in den Griff zu bekommen ist, sondern ob die Gentechnologieanwendung in Profitsystemen überhaupt kontrolliert oder verhindert werden kann. Bestehende Kontroll-, Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen bei und im Umfeld der Atomkraftgewinnung zeigen am deutlichsten ihre Unbeherrschbarkeit. Vergleicht man diese mit den möglichen Ausmaßen der zukünftigen Gentechnik, die nicht nur an punktuellen Standorten genutzt werden wird, werden die Kontrollen (bezüglich Anwendungen der gentechnischen Verfahren und/oder von gentechnisch veränderten Organismen) von Feldern, Wäldern, Rohstoffen, Lebens- und Futtermitteln sowie die Nutzung der Mikroorganismen für processing, aber auch Kontrollen im Handel nur mit einem ungeheuerlichen Aufwand zu betreiben sein. Denn die bestehenden Regelungen und Kontrollmaßnahmen für herkömmliche Produkte und Verfahren reichen dafür nicht aus. Trotz der so hoch geschätzten Qualitätsstandards bei Lebensmitteln, ihren Marktordnungen, Richtlinien und Kontrollen häufen sich insbesondere durch Kosten- und Wettbewerbsdruck die Lebensmittelskandale.

Das erst nach Jahren aufgedeckte Vitaminkartell (Preisabsprachen) weniger multinationaler Konzerne mit Gewinnen in Milliardenhöhe, die millionenschweren Patentstreite zwischen Unternehmen und zwischen Industrie- und traditionellen Nutzern in Entwicklungsländern, der letzte Genpatentierungsskandal, die nachträgliche Lockerung des Anbauverbots von Bt-176-Mais etc. zeigen, was uns bevorsteht. Wo waren die Kontrollen? Gibt es wirksame Regelungen? Sanktionen?

Aus der Taktik der Konzerne, sich »Selbstverpflichtungen« aufzuerlegen (z.B. die Unverbindlichkeit, ein Gentech-Produkt erst ab einem bestimmten Zeitraum der Forschung einzusetzen; Nachzulassungs-Monitoring zu betreiben – eine Kontrollmaßnahme, die das Inverkehrbringen, d.h. den Anbau von gentechnisch manipulierten Sorten voraussetzt), Sicherheits- und Risikostudien (mit) zu finanzieren, den Schluß zu ziehen, daß sie sich in Sorge um eine lebenswerte Zukunft für die Menschen bezüglich Natur, Ernährung und Gesundheit doch auch bemühen würden, das würde nur Naivität beweisen.

Rolf Löther:Gelegentlich begegnet man der Meinung, Genforschung und Gentechnologie brächten wie aller wissenschaftlich-technische Fortschritt Gutes und Böses. Um die Wohltaten zu genießen, müsse man auch die Übel in Kauf nehmen, denn letzten Endes werde alles gemacht, was machbar sei. Doch eine Auswahl, die auch Verluste einschließen kann, wird bereits dadurch getroffen, daß (legal oder illegal) nur das getan wird, wofür ein finanzkräftiges Interesse besteht. Humanistische Wertorientierung verlangt, daß die Gentechnologie ausschließlich in den Dienst des Überlebens und Vorankommens der Menschheit auf der Erde gestellt wird. Ob das blinde Wirken der Kräfte profitorientierter Marktwirtschaft dahin führt, ist sehr zu bezweifeln. Staat, Gesellschaft sowie Wissenschaftler und Techniker und ihre Gemeinschaft müssen Verantwortung übernehmen. Es bedarf einer wissenschaftlich aufgeklärten, nachdenklichen und kritischen Öffentlichkeit, die weder in maschinenstürmerische Ideologien zurückfällt noch die marktwirtschaftlich-kapitalistische Nutzung der Gentechnologie für selbstlose Wohltaten für die Menschheit hält.

Jens Reich: Siehe die vorhergehende Frage; es ist keine Risikotechnologie.

FRAGE: Auf der UN-Konferenz zu »Umwelt und Entwicklung« (1992 in Rio de Janeiro) wurde der globale Gen-Pool zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt; während der Zugriff auf die ›natürlichen‹ Gene also allen offensteht, werden die gentechnisch veränderten (tierischen und pflanzlichen) Organismen patentiert und teuer verkauft; so sollen zum Beispiel die Samen neuerer Hochertragssorten so manipuliert werden, daß sie unfruchtbar sind, wodurch die Bauern vor allem auch in der »Dritten Welt« dauerhaft vom alljährlichen Neukauf des Saatgutes abhängig würden – ist die Gentechnik eine Technologie des ›weißen Mannes‹, wird durch sie nicht die ökonomisch-soziale Kluft zwischen »Erster« und »Dritter Welt« vertieft und die Abhängigkeit von Milliarden Menschen von einer Handvoll High-tech-Konzernen verschärft?

Helmut Böhme: Die Fragestellung »ist die Gentechnik eine Technologie des weißen Mannes« sollte wohl allgemeiner auf die verschiedenen als Ergebnis moderner naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung entwickelten Technologien erweitert werden. Selbstverständlich sehe auch ich die immer noch vorhandenen, teilweise sogar noch gestiegenen Ungleichheiten in den Möglichkeiten zur Nutzung wissenschaftlich-technischer Ergebnisse zum Beispiel zwischen Nord und Süd. Das hat jedoch zunächst nichts mit der Gentechnik zu tun.

Hier haben in erster Linie diejenigen das Wort, die etwas von den Notwendigkeiten und Problemen der gesellschaftlichen Entwicklung sowie ihren Gesetzmäßigkeiten verstehen. Ich würde einer solchen Diskussion interessiert zuhören.

Sabine Voigt: Der in der Frage geäußerten Vermutung kann ich nur zustimmen. Von verschiedenen Institutionen (z.B. FAO, Büro für Technikfolgeabschätzung des Deutschen Bundestages) ist bereits nachgewiesen, daß Gentechnik weder einen Netto-Arbeitsplatzgewinn schafft, noch den Nord-Süd-Konflikt löst. Auch das Angebot an Nahrungsmitteln in der Welt wäre derzeit ausreichend und in der Zukunft nicht der entscheidende Faktor für die Ernährungssicherheit in der Welt.

Zu den aufgeworfenen Problemen nur soviel: Patentierung bedeutet Privatisierung von Leben und Sicherung exklusiver Nutzungsrechte an Pflanzen, Tieren und deren Erbgut zur nachhaltigen Abschöpfung von Profiten und zur Steigerung von Börsenkursen. Patente schließen nicht nur die Nachnutzung durch Dritte aus, sondern behindern auch die Forschung. Das nationale Sortenschutzrecht läßt dagegen ausdrücklich den Nachbau zu. Mit der Veranlagung von Nachbaugebühren, die mit dem letzten Kooperationsabkommen zwischen Landwirtschaft und Pflanzenzüchter sogar gesenkt werden konnten, kommt der Bauer dennoch günstiger als bei Neukauf von Saatgut.

Monsanto setzt bei Gentech-Kulturen in den USA Privatdetektive ein, wenn geerntetes Saatgut neu ausgebracht wurde. Bereits 475 Fälle angeblicher »Saatgutpiraterie« beschäftigen die Justiz in den USA. Das Beispiel der Terminatortechnik ist die pervertierte Konsequenz der agrarindustriellen Logik. Die Agro-Business-Konzerne argumentieren mit dem Rückfluß ihrer oder gekaufter Forschung; von privatisierten Gewinnen aus akademischer Forschung und Profitsicherung ist keine Rede.

Welches Konfliktpotential zwischen Nord und Süd steckt, zeigte sich in Indien, wo Bauern ihre eigenen Baumwollfelder abbrannten, da Monsanto mit der Übernahme des größten heimischen Saatgutherstellers ohne Wissen der Beteiligten Großversuche mit transgener Baumwolle durchführte. In Lateinamerika werden mittlerweile Gentech-Kulturpflanzen der Industrieländer angebaut (zum Beispiel Monsanto-Gentech-Soja in Argentinien). Traditionelle Sorten und ihre Saatgutgewinnung vor Ort werden verdrängt. Die »ökonomisch- soziale Kluft« vertieft sich aber nicht nur zwischen der »Ersten« und »Dritten Welt«. Die gesellschaftliche Spaltung wird alle Länder erfassen und möglicherweise mit eine Ursache für neue politische, auch kriegerische Auseinandersetzungen um Märkte sein.

Martin Holtzhauer: Abhängigkeit »von einer Handvoll High-Tech-Konzernen« ist besonders unter der gegenwärtigen Fusionswelle größter Konzerne ein alle Staaten und Nationen betreffendes Problem, das, wenn es ungebremst weiter verläuft, in relativ kurzer Zeit zu einer Aushebelung von Marktmechanismen führt, zumal eine Konkurrenz unterschiedlicher Wirtschaftssysteme gegenwärtig nicht mehr existiert.

Die Patentierung technologischer Entwicklungen ist eine zweifelhafte Angelegenheit mit wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen. Keine patentierte Erfindung oder Entwicklung kann kostenfrei überall auf der Welt angewandt werden. Auch traditionell gezüchtete Hochleistungssorten und -rassen unterliegen häufig einem Patentschutz und erfordern den Kauf von entsprechendem Saat- oder Vermehrungsgut bzw. eine Lizenznahme (aufgrund gesetzlicher Regelwerke ist es nicht möglich, Eigenzüchtungen kommerziell anzuwenden, somit ist eine leistungsstarke industrielle Nahrungsgüterproduktion abhängig von mehr oder minder restriktiven Zulieferern). So ist zumindest in der industriellen Nahrungsgüterproduktion durch Züchtungen in Richtung bestimmter Parameter eine verstärkte Verarmung an genutzten Sorten und Rassen zu beobachten, die Gefährdungen des Genpools der jeweiligen Spezies bewirken können. Aber nicht traditionelle oder molekularbiologische Züchtung ist die Ursache für diese Verarmung, die ohne entsprechende Gegensteuerung weiter gehen wird, sondern die existierenden ökonomischen Rahmenbedingungen für die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft.

Da bisher staatliche Restriktionen, zu denen auch die Patentgesetzgebung gehört, zur Sicherung des Profits und zum Schaden einer global chancengleichen Produktion eingesetzt wurden, würde nur eine Aufhebung solcher Restriktionen und eine Unterbindung des »brain drain« eine Verringerung der Kluft zwischen »Erster« und »Dritter Welt« bewirken – eine zwar hochherzige, aber politisch gegenwärtig völlig illusorische Forderung.

Rolf Löther: In der Pflanzenzüchtung wird die Gentechnik eingesetzt, um die Widerstandsfähigkeit gegen schädigende Einflüsse, Qualitätsmerkmale und Inhaltsstoffe sowie bei Zierpflanzen auch Blütenform und -farbe zu verändern. Dies kann keineswegs nur unter dem Kommando von Chemiekonzernen geschehen. Deren Streben geht aber dahin, sich erdweit der Kontrolle von Pflanzenzüchtung und -produktion zu bemächtigen und die Bedingungen für Zuchtziele und Nutzung der Gentechnik zu diktieren. Geheimhaltung von Erkenntnissen und Patente gehören zu den Mitteln, um genetisches und gentechnisches Wissen zu monopolisieren und die Profite zu maximieren.

Das Ausstatten von Pflanzensorten mit Eigenschaften, die ihre Anbauer zwingen, alljährlich neues Saatgut zu kaufen, anstatt es der vorjährigen Ernte zu entnehmen, nutzt niemandem außer dem jeweiligen Konzern. Ebenso wie die Verdrängung altbewährter, den jeweiligen Anbaubedingungen angemessener Landsorten durch wenige genmanipulierte Hochleistungssorten, die zudem einen hohen Aufwand ebenfalls vom Konzern zu erwerbender Chemikalien erfordern, ausschließlich dem Konzern nutzt. Für finanzschwache Kleinbauern bedeutet diese Entwicklung millionenfachen wirtschaftlichen Ruin. Mit »Sachzwängen« läßt sich das nicht entschuldigen. Vielmehr bedarf es alternativer Konzeptionen und Strategien, Programme und Aktivitäten zur Nutzung der Gentechnik im Interesse der Bauern vor allem der »Dritten Welt« und der Ernährung der Bevölkerung. Dazu gehören unter anderem die Selbsthilfe von Kleinbauern durch genossenschaftlichen Zusammenschluß, konzernunabhängige, auf die territorialen Bedürfnisse und natürlichen Bedingungen der Landwirtschaft orientierte Forschung und Entwicklung sowie die Förderung kleiner und mittlerer Biotechnologie-Unternehmen, um die Dominanz der Konzerne zu durchbrechen.

Hans-Gert Gräbe: Alle meine Vorredner haben auf die Rolle von Patenten in diesem »Geschäft« hingewiesen. Ich möchte in Ergänzung betonen, daß ohne unbedingte Freizügigkeit wissenschaftlichen Gedankenguts auch eine Risikodiskussion prinzipiell nicht möglich ist. Es geht dabei um eine Schlacht, die Wissenschaft und Gesellschaft auch aus anderen Gründen heute gegen den Kommerz zu schlagen und zu gewinnen hat. Ansonsten können wir uns jede weiter gehende Diskussion um die Beherrschbarkeit des neuen Technologietyps sparen.

An Microsofts Windows kann man studieren, welche Profit-, aber auch Konfliktpotentiale in einem proprietären weltweit genutzten de-facto-Standard schlummern, wie er offensichtlich Gentechnik-Konzernen vorschwebt. Im Softwarebereich gibt es mit der Open-Source-Gemeinde inzwischen auch kommerziell ernst zu nehmende Alternativen. Gerade in der Gentechnik sind die »Privatisierer« aber noch voll auf dem Vormarsch und setzen alle Hebel bis hin zum Europäischen Patentamt in Bewegung. Der Wind bläst ihnen dabei inzwischen ins Gesicht, aber noch nicht intensiv genug.

Jens Reich: Alle Technologie ist Produktivkraft und geht in die Produktionsverhältnisse ein. Das ist kein Privileg der Gentechnik.

Gentechnik – ein soziokulturelles Akzeptanzproblem?

FRAGE: Im Zuge der Durchsetzung von neuen Technologien werden bestimmte ›Besitzstände‹ in der Arbeitswelt ›außerwertgesetzt‹, während sich für andere Qualifikationen und Fähigkeiten (und ihre Träger) ungeahnte Entwicklungschancen eröffnen – muß die Kontroverse um die Gentechnik nicht vor allem als »Kulturkonflikt, eine Art Weltanschauungsstreit« (J. Reich) interpretiert werden, der bei der Verbreiterung der Herrschaft instrumenteller Vernunft in der menschlichen Gesellschaft nicht ungewöhnlich ist?

Martin Holtzhauer: Der Charakterisierung der Gentechnik-Kontroverse als »Kulturkonflikt« stimme ich zu, die Einordnung als »Weltanschauungskonflikt« bedürfte einer näheren Erklärung, was Jens Reich als »Weltanschauung« definiert: Kritiker und Befürworter der Gentechnik sind, wenngleich in ungleicher Zahl, in allen politischen oder ideologischen Lagern vertreten.

Der Kulturkonflikt resultiert daraus, daß, wie auch bei früheren technischen Revolutionen, der allgemeine Wissensstand über neue wissenschaftliche und technologische Erkenntnisse nicht mit ihrer Entwicklung Schritt hält. »Die rasende Geschwindigkeit der Eisenbahnzüge erzeugt massenhaften Wahnsinn«, hieß es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als erste Eisenbahnstrecken gebaut werden sollten. Aus dem Unverständnis resultiert ein Unbehagen, das scheinbar durch technisch bedingte Katastrophen bestätigt wird. Dabei artikuliert sich eine aus einem Gefühl des Unterlegenseins geborene Urangst vor dem Magier (›dem Wissenden‹).

Einem verbreiteten Irrglauben zufolge werden durch Gentechnik nicht in der Natur vorkommende Gene künstlich, wider die gegebene Natur, durch am Schöpferwahn leidende Wissenschaftler übertragen. Im Regelfall aber werden natürlich vorkommende Gene oder Genabschnitte, die auch in Details (natürlich vorkommenden Punktmutationen vergleichbar) verändert sein können, unter Verwendung biologischer Prinzipien von einem Organismus auf den anderen übertragen. Gentransfer ist ein in der Natur immer vorkommender Prozeß, nur läuft er hier unkontrolliert und meist ungerichtet ab.

Rolf Löther: Bisher ist keine halbwegs bedeutende Entdeckung oder Erfindung in Naturwissenschaft und Technik widerstandslos in der Gesellschaft aufgenommen worden, das Kopernikanische Weltbild ebensowenig wie die Darwinsche Evolutionslehre, die Eisenbahn oder die Pockenschutzimpfung – sei es aus ideologischen, wirtschaftlichen, politischen oder anderen Gründen. »Der Erfinder auf chemisch-physikalischem Gebiet ist immer ein Prometheus. Vom Feuer bis zur Fliegerei hin gibt es keine Erfindung, die nicht zum Willkomm als Beleidigung irgendeines Gottes angesprochen worden wäre. Aber wenn jede physikalische und chemische Erfindung eine Blasphemie ist, so ist jede biologische Erfindung eine Perversität. Es gibt kaum eine einzige, die, einem Beurteiler aus Kreisen einer über ihre Existenz vorher nicht informierten Nation mitgeteilt, dieser nicht schamlos und naturwidrig erscheinen würde«, schrieb im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts der große Biologe J. B. S. Haldane (J. B. S. Haldane: Daedalus oder Wissenschaft und Zukunft, München 1925, S. 37). Haldane verweist auf eine der ältesten biologischen Erfindungen. Sie besteht darin, daß Menschen den Kuhkindern die Muttermilch wegnehmen und selbst trinken oder zu Butter und Käse verarbeiten. Auch die Gentechnologie ist eine biologische Erfindung bzw. ein Komplex solcher Erfindungen und Versionen des von Haldane angedeuteten Argumentationsmusters sind in fundamentalistischer Gentechnikkritik unschwer auszumachen.

Helmut Böhme: Wenn die Kontroverse um die Gentechnik vor allem als »Kulturkonflikt oder Weltanschauungsstreit« interpretiert werden soll, muß man die Problematik wohl etwas komplexer diskutieren, als das in einem solchen Rundtischgespräch möglich ist. Sicher sind es einerseits analoge Konflikte, wie sie auch bei jedweder »Verbreitung der Herrschaft instrumenteller Vernunft« auftreten, gleichzeitig sind jedoch, wie allgemein bekannt ist, in unserem zu diskutierenden Fall deswegen Spezifika zu beachten, weil es sich hier um potentielle Eingriffe in das Genom handelt; sie haben möglicherweise grundlegende Veränderungen zur Folge, die nicht nur die Generation betreffen, in der die Eingriffe vorgenommen werden, sondern auch die dieser Generation folgenden Nachkommen. Wer sagt uns, daß diese mit den Zielstellungen, die diesen Eingriffen zugrunde liegen, einverstanden sein werden?

Bei einer allgemeinen Diskussion über die mit der Gentechnik vermeintlich verbundenen »soziokulturellen Akzeptanzprobleme« können derartige Fragen weder ausgeklammert werden, noch kann man zum Beispiel die von Hans Jonas (freilich auf der Grundlage des Wissens der früh en achtziger Jahre) geäußerten Sorgen vor denkbaren Folgen der Anwendung der Gentechnik im menschlichen Bereich nur als eine »Heuristik der Furcht« (Jens Reich) bewerten. Eine Diskussion darüber würde wohl jedoch von der eigentlich zur Debatte stehenden Thematik ablenken. Wie brennend aktuell und notwendig diese Diskussion ist, zeigen die Meldungen allein der letzten Tage: C. Venter informiert mit Stolz darüber, daß seine aus dem staatlich geförderten Human Genome Project ausgegründete private Firma das menschliche Genom »vollständig« sequenziert hat und dessen Patentierung anstrebt.

Zur gleichen Zeit meldet sich der Vorsitzende der Deutschen Forschungsgemeinschaft, E.L. Winnacker in einem ganzseitigen Artikel in der FAZ vom 29. März unter der Überschrift »Stammzellen – Verheißung für die Biomedizin« zu Wort. (Verheißung entspricht nach Auskunft verschiedener Synonym-Wörterbücher dem Begriff Versprechen.) Nachdem er allgemeinverständlich für den Zeitungsleser den Sachverhalt, embryonale Stammzellen, deren Gewinnung und ihre Eigenschaften erläutert hat, fährt er fort: »Embryonale Stammzellen lassen sich auch genetisch vergleichsweise leicht und gezielt verändern.« Den Inhalt der »Verheißung«, der im Detail zwar noch Zukunftsmusik darstellt und dessen Realisierung noch in weiter Ferne läge, bezeichnet er jedoch als den Schlüssel zur »wirklichen Erhöhung unserer Lebenserwartung oder sogar unserer Lebensspanne«. Da sind sie wieder, die Illusionen erweckenden Versprechungen.

Es ist zweckmäßig und auch notwendig, im Zusammenhang mit der Gentechnik zwischen den wissenschaftlich-technischen Problemen einer Technologie und den Aspekten der Integration dieser Technologie (in unserem Fall der Biotechnologie) in die unterschiedlich entwickelten ökonomischen und gesellschaftlichen Systeme zu unterscheiden. Wer hat wohl die Kompetenz, in beiden Sphären wirklich gültige Aussagen zu machen?

Sabine Voigt: Wenn innerhalb der Diskussionen um die Gentechnikforschung und -anwendung eine harte Auseinandersetzung zwischen Protagonisten, Kritikern und Gegnern aller Couleur (Wissenschaftler, Anwender, Verbraucher, Politiker) auffällt, dann ist das wohl kein »Kampf der Kulturen«, sondern betrifft Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Gründen und Begründungen (nicht nur zwischen Natur-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften, auch innerhalb der Naturwissenschaften), zwischen ökologischen, gesundheitlichen, ökonomischen Interessenskonflikten und zwischen politischen Kräfteverhältnissen. Bei Verbrauchern kommt eine ungeheuerliche Diskrepanz zwischen Produktimage und realen Erfahrungen mit Systemen und Wirtschaftsweisen, aber auch zwischen Werbung und allseitiger Aufklärung und Bildung hinzu.

Da jede neue Produktivkraft zu Strukturveränderungen in der Wirtschaft führt, besteht das Problem darin, ob die bestehenden Produktionsverhältnisse genügend Raum geben, damit sich die neuen Produktivkräfte durchsetzen können. Die Produktionsverhältnisse als »Basis« stehen ihrerseits in einem engen Wechselverhältnis zum »Überbau« (»Kultur«, »Weltanschauung« und den damit verbundenen Konflikten).

Der Grad der »Herrschaft der instrumentellen Vernunft« wird letztlich bestimmt und begrenzt durch die Übereinstimmung mit den Produktionsverhältnissen, gegenwärtig durch die Macht des Kapitals mit der Tendenz gerade auch in der Gentechnikbranche zu monopolkapitalistischen Strukturen. Eine »antimonopolistische Vernunft« hat gegenwärtig keine wirkliche Chance, aber es läßt sich »Sand ins Getriebe« streuen. Der sogenannte »Kulturkonflikt« ist nur die Widerspiegelung der Probleme, die es bei der Einordnung der Gentechnologie in die kapitalistischen Produktionsverhältnisse gibt, nämlich, ob sie diese zu ändern vermag oder ob es den Protagonisten gelingt, sie im Rahmen der bestehenden Verhältnisse durchzusetzen. Die gesellschaftlichen Interessenkonflikte gehen quer durch die Gruppen der Gesellschaft. Deutlich werden die »kulturellen« Auswirkungen bei der sogenannten gespaltenen »Wahrnehmung« der Gentechnik.

FRAGE: In der öffentlichen Debatte um die Gentechnik und ihre Anwendungen fällt auf, daß die Wahrnehmung offensichtlich zweigeteilt ist; mit der »roten« Gentechnik verbinden sich (vielleicht mit Ausnahme von Eingriffen in die menschliche Keimbahn) überwiegend Hoffnungen auf die Heilung von oder den Schutz vor schweren Erkrankungen, demgegenüber werden die Forschungsergebnisse der »grünen« Gentechnik überwiegend beargwöhnt bzw. abgelehnt, hin und wieder sogar physisch attackiert – sind eine solche ›gespaltene Wahrnehmung‹ und die daraus möglicherweise ableitbaren Konsequenzen (der Förderung des einen und der Ablehnung des anderen) sinnvoll und realistisch oder muß nicht das eine in Kauf genommen werden, wenn das andere gewollt wird?

Sabine Voigt: Eine Differenzierung ergibt sich allein aus dem Fakt, ob zur Ernährung des Menschen vorrangig ein ganzes Ökosystem inklusive Mensch am Ende der Nahrungskette (»grüne« Gentechnik) oder ob zur Gesundung oder Erkennung von Krankheiten (»weiße« und »rote« Gentechnik) vorrangig ein einzelner Mensch betroffen ist. Risiken bergen alle Anwendungen, auch wenn sie in unterschiedlichem Grad mit ökologischen, gesundheitlichen, sozialen, ethischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einhergehen.

Die gespaltene – oder sagen wir besser »differenzierte« – Wahrnehmung beim Verbraucher gibt es auch bei Wissenschaftlern. Es ist weiterhin kein eindeutiger bipolarer Interessenkonflikt, sondern in der Gruppe der ablehnenden Verbraucher befinden sich ebenfalls die Totalablehner. Des weiteren wird innerhalb der »polaren« Gruppen ebenfalls differenziert. So wird im Bereich Humanmedizin nicht jede Anwendung und Möglichkeit der Gentechnik befürwortet.

Sicherlich läßt ein höheres allseitiges Wissens- und Bildungsniveau die Bevölkerung objektiver über Gentechnik urteilen. Ob die Akzeptanz erhöht wird, ist strittig. So wurde in Regensburg eine riesige Informationskampagne geführt, in deren Ergebnis sich nachweisen ließ, daß das gemessene Wissen über Genfood um 30 Prozent stieg. Aber auch nach der Infokampagne sahen genauso viele der Befragten – etwa zwei Drittel – den Verzehr und die Produktion von Genfood als riskant an und lehnten einen Kauf ab. Mehr Wissen bedeutet also nicht, daß sich gleichzeitig auch Risikoeinschätzung und Risikobereitschaft ändern.

Während der Verbraucher keinen persönlichen Nutzen aus Genfood für sich erkennen kann und auch eher Nachteile erwartet (bezogen auf Gesundheit, Umwelt), erhoffen sich Verbraucher und Betroffene – oftmals ohne Alternative und als letzte Möglichkeit – die von der Gentechnik im Bereich Humanmedizin propagierte Heilung von Krankheiten, Reproduktionsproblemen etc. Hinter dem immer wieder thematisierten Wahrnehmungskonflikt steht eher ein gravierender Interessenkonflikt. Die zweigeteilte Wahrnehmung beruht somit auf einen rationalen Kern, auf einem Konflikt zwischen Tausch- und Gebrauchswert. Würden die Interessen der Verbraucher nach demokratischem Ermessen tatsächlich gesellschaftliche Anerkennung finden, so würde die Anwendung der »grünen« Gentechnik im Bereich von Gentech-Lebensmitteln in Frage gestellt werden.

Martin Holtzhauer: Die Spaltung in eine weitgehende Akzeptanz der »roten« (medizinischen), in die Ablehnung der »grünen« (landwirtschaftlichen) und in die Nichtwahrnehmung der »grauen« (technischen) Gentechnik ist meines Erachtens ebenfalls dem mangelnden Wissen um die Gentechnik geschuldet. »Grüne« Gentechnik kann sehr wohl für medizinische Zwecke eingesetzt werden, wie die Erzeugung von medizinisch-pharmazeutischen Produkten (zum Beispiel Antikörper, Hormone und Mediatoren) in transgenen Pflanzen und Tieren eingesetzt werden, während anderseits die Nutzung gentechnischer Methoden für die Kartierung und Identifizierung von Menschen anhand genetischer »Fingerabdrücke« ethische und persönlichkeitsrechtliche Fragen aufwirft. Kurzsichtig ist eine solche Klassifizierung auch insoweit, als aufgrund des jeweils aktuellen Forschungsstandes nicht immer klar unterschieden werden kann, ob Arbeiten an Modellsystemen in einer Klasse (Mensch, Tier, Pflanze, Mikroorganismus) nicht für eine (ökonomische) Anwendung in einer anderen Klasse genutzt werden. Es sei daran erinnert, daß die ersten grundlegenden Untersuchungen zu molekulargenetischen Abläufen an Bakterien und Insekten gemacht wurden und werden und daß die dabei gewonnenen Erkenntnisse auf Pflanzen und Wirbeltiere, einschließlich des Menschen, übertragen wurden. Steht man auf dem Standpunkt, daß »grüne« Gentechnik abzulehnen und damit nicht förderwürdig sei, löst man das Problem aus den genannten Gründen nicht, schon gar nicht, wenn zum Beispiel die gentechnische Produktion von Pharmaka akzeptiert wird, weil dann wissenschaftlich und ökonomisch interessante Arbeiten an transgenen Tieren und Pflanzen aus formalen Gründen gehemmt werden.

Ein Mißbrauch von molekulargenetisch veränderten Lebewesen und molekularbiologischen Techniken ist nicht von der verwendeten Spezies oder der eingesetzten molekularbiologischen Methodik, sondern einzig von den sozioökonomischen Rahmenbedingungen abhängig.

Rolf Löther: An der öffentlichen Debatte um die Gentechnik fällt mir vor allem auf, daß bei wechselnden Anlässen, seien sie nun durch das Klonschaf Dolly oder den Philosophen Sloterdijk geboten, vorwiegend dieselben allgemeinen Argumentationen rekapituliert werden. Wenn etwas aus der weiteren Debatte herauskommen soll, bedarf sie größerer Konkretheit und Sachlichkeit. In den Zeitungen findet sich das Wichtigere zur Gentechnik ohnehin auf den Wirtschafts- und Wissenschaftsseiten, sofern es an die Öffentlichkeit gelangt, und nicht im Feuilleton. Die Umwälzung der landwirtschaftlichen und der die Erzeugnisse der landwirtschaftlichen weiterverarbeitenden Produktion durch die »grüne« Gentechnik ist nicht aufzuhalten. Die Einstellung dazu ist wandelbar. Ihre Wandlungen hängen wesentlich davon ab, zu wessen Nutzen die »grüne« Gentechnik entwickelt und angewendet wird. Damit sie nicht nur dem großen Kapital dient, bedarf es der Einflußnahme durch andere gesellschaftliche Kräfte.

Hans-Gert Gräbe: Es wird inzwischen immer deutlicher, warum die Natur auf der Erde darauf verzichtet, Kernenergie in nennenswertem Umfang einzusetzen, obwohl sie es in kosmischen Maßstäben tut. Diese Erkenntnis scheint auch zunehmend politisierbar zu werden.

Methoden der Gentechnik, wenigstens verstehe ich als Nichtexperte das so, gehören dagegen zu ihrem Repertoire, wenn auch in anderen zeitlichen Horizonten, als dies Menschen heute anwenden wollen. Man wird deshalb Wissenschaftler kaum aufhalten können, auch diese »Zone« zu erkunden. Vordergründig technokratische Argumente und administrative Maßnahmen werden dem entstehenden Risikohorizont aber, wie bereits ausgeführt, nicht gerecht.

Jens Reich: Die Trennung ist sinnvoll, weil die Auswirkungen verschieden sind (einerseits medizinische, unter Umständen individuelle Folgen – andererseits eher ökonomische und ökologische Folgen).

FRAGE: Die Staatsbürokratie in Deutschland gilt als übermäßig penibel und verreglungswütig – wird damit die Entwicklung der Gentechnik nicht über Gebühr behindert, könnte man also (in Anlehnung an J.W.Goethe) nicht sagen ›Ausland, du hast es besser!‹?

Rolf Löther: Bei aller Sympathie für Bürokratiekritik bleibt zu prüfen, daß sie nicht als populistischer Vorwand dient, um die von privaten Firmen betriebene Entwicklung und Anwendung der Gentechnik der notwendigen Kontrolle durch demokratisch legitimierte unabhängige Instanzen zu entziehen. Deren Arbeitsweise sollte andererseits dem Bürokratismusvorwurf keinen Vorschub leisten.

Martin Holtzhauer: In Deutschland treffen zwei Phänomene symbiotisch zusammen: Einerseits eine Bürokratie, die Verantwortung und Risikobereitschaft von sich fern halten möchte und deshalb versucht, Regelungen zu schaffen, die lückenlos alle Eventualitäten abdecken und die damit letztlich als Bremse fungiert. Anderseits existiert eine verbreitete Grundhaltung, bei der die mangelnde Fähigkeit, Probleme mehrdimensional zu analysieren, gepaart ist mit dem Bestreben, Einzel- oder Gruppeninteressen über globale und/oder prognostische Fragestellungen zu stellen.

Zum Beispiel wird die Beendigung der Energiegewinnung aus Kernspaltung intensiver diskutiert und gefordert als gleichzeitig für den einzig konsequenten Ausweg aus der Energieproblematik, die signifikante Verringerung des Energieverbrauchs, Alternativen zu entwickeln. Analoges gilt für die Gentechnik: Einerseits wird erwartet, daß medizinische Diagnostik und Therapie effizienter und nebenwirkungsärmer werden, daß Lebensmittel sowohl »biologisch« produziert als auch billig und ubiquitär angeboten werden, daß beispielsweise Haushaltchemie und -technik weitere Arbeitserleichterungen bringen, anderseits werden Wege wie gentechnische Verfahren, die immer risikobehaftet sind, abgelehnt. Einerseits soll »die Chemie« in der industriellen Landwirtschaft reduziert werden, anderseits wird eine biologische Schädlingsbekämpfung durch gentechnische Erzeugung von Resistenzen zum Beispiel durch Bazillus-thuringensis-Toxine abgelehnt, wobei nicht bedacht wird, daß dieses gentechnisch in einigen Nutzpflanzen generierte Prinzip in der Natur durchaus weit verbreitet ist.

Sabine Voigt: Was die Fragestellung intendiert, ist (bei aller notwendiger Kritik am Bürokratismus), daß dem Kapital zu viele Schranken auferlegt werden. Der Begriff »Staatsbürokratie« ist völlig ungeeignet, um das Wesen des Problems zu charakterisieren. Die Besonderheit der »Staatsbürokratie« in Deutschland besteht nämlich darin, daß es eines der industriell höchstentwickelten Länder ist, in dem zum Beispiel mit der dadurch bedingten Zunahme von Umweltskandalen und -verschmutzung ein entsprechender gesellschaftlicher Widerstand hervorgerufen wurde. Dieser und der Umstand, daß Deutschland unmittelbar an der Grenze zweier Systeme lag, hat verstärkt zu Regelungen und Durchsetzung demokratischer Forderungen (Umweltschutzgesetze, Sozialgesetzgebung, Mieterschutz usw.) wie in keinem anderen Land geführt.

Das Bestreben der politischen und wirtschaftlichen Protagonisten in Deutschland und in Europa geht heute jedoch genau in die andere Richtung. Einst durch Wissenschaftler noch 1990 als das Gentechnik-Gesetz initiiert, steht mit der Umsetzung der europäischen Freisetzungsrichtlinie in nationales Recht die dritte Novellierung bevor, die der Wirtschaft wesentliche Verfahrenserleichterungen bringen soll. Bei der Revision der Freisetzungsrichtlinie 90/220/ EWG wurde ein Großteil von ursprünglichen Änderungsvorschlägen des Europäischen Parlaments nicht in den »Gemeinsamen Standpunkt des Rates« übernommen. Diese betrafen insbesondere Sicherheitsfragen, Haftungsrechte und Haftpflichtversicherungen für etwaige Gesundheits- und Umweltschäden, Sanktionen gegen die unbeabsichtigte Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, Untersuchungen zu sozioökonomischen Kosten, das konsequente Verbot der Nutzung und Anwendung antibiotikaresistenter Gene und anderes mehr. Der Einfluß der Pharmariesen und ihrer Lobbyisten konnte sich jedoch bei den Liberalen (ELDR) und den Christlich-Konservativen (EVP) durchsetzen. Auch die Bundesregierung unterstützt nicht die Erweiterung von Sicherheits- und Umwelthaftungsfragen, will aber gleichzeitig das Nachzulassungs-Monitoring – d.h. die Nutzung im herkömmlichen Pflanzenbau – ansteuern. Des weiteren beabsichtigt die Bundesregierung, die im geänderten EU-Recht vorgesehenen Verfahrenserleichterungen grundsätzlich im deutschen Gentechnikrecht nachzuvollziehen.

Gentechnik – eine wirtschaftliche Herausforderung?

FRAGE: Wenn vom Wirtschaftsstandort Deutschland die Rede ist, wird in der Regel eine bestimmte Industriestruktur gemeint, die in einigen Zweigen (Automobilindustrie, Maschinenbau etc.) außergewöhnlich konkurrenzfähig ist; seit einiger Zeit gibt es nun eine Diskussion um eine zukunftsfähige Umstrukturierung des bundesdeutschen Wirtschaftsraumes durch Stärkung neuer (alternativer) Technologien – gehört für Sie die Gentechnik zum Kreis dieser Technologien oder sollten wir nicht besser wegen des Risikos und der Kosten die Sache anderen überlassen, wenn es gelingt, auf alternativen Feldern eine starke Exportstruktur zu entwickeln, könnten wir uns die gentechnischen Errungenschaften (und zwar nur die, die wir haben wollen) auf dem Weltmarkt kaufen?

Helmut Böhme: Die Beantwortung der Fragen zur Wirtschaft überlasse ich den »mitten im Geschäft«, d.h. der Forschung und praktischen Anwendung der Forschungsergebnisse, stehenden Kolleginnen und Kollegen.

Martin Holtzhauer: Biotechnologische Verfahren, d.h. die Anwendung biologischer Systeme auf molekularer, zellulärer und organismischer Ebene, gehören mit Sicherheit zu zukunftsträchtigen Entwicklungen, besonders in Hinblick auf nachwachsende Rohstoffe und eine Reduzierung des Energieverbrauchs in Industrie und Transportwesen. Arbeiten der Grundlagen- und angewandten Forschung sind daher essentiell, sollen Entwicklungen, die schwer aufzuholen sind, nicht verpaßt werden. Dabei gilt es sowohl, den Wissensstand zu erweitern als auch das know how zu erhalten als auch auszubauen. Personelle und finanzielle Mittel für diese Arbeiten zu kürzen hieße, längerfristig sich von der Weltentwicklung abzukoppeln, zumal man nicht sicher sein kann, daß die bisherigen (und gegenwärtigen) Stärken der deutschen Industrie Bestand haben werden. Welche Probleme das Einkaufen von know how bereitet, ist anhand der jüngsten Diskussion um Spezialisten der Informationstechnologien zu erahnen. Gerade auf dem Gebiet der Biowissenschaften ist ein langer und kontinuierlicher Vorlauf, verbunden mit einem ständigen Training der Erfahrungsträger notwendig, um im internationalen Vergleich mithalten zu können.

Sabine Voigt: Natürlich ist die Gentechnologie eine Produktivkraft, die dafür genutzt wird, neue Märkte zu erschließen und Konkurrenten mit traditioneller Technologie durch höhere Produktivität vom Markt zu verdrängen. Neben einem volkswirtschaftlichen Strukturwandel, der mit der Herausbildung einer neuen Arbeitskräftestruktur einhergehen wird, wird sie (gesamtgesellschaftlich) zur weiteren Einsparung von Arbeitskräften und zu wachsender Arbeitslosigkeit führen.

Beim multinationalen System von Agro-Business- und Life-Science-Konzernen, ihren Fusionen über Ländergrenzen hinweg, Beteiligungen an klein- und mittelständischen Firmen und Zukauf von akademischer Forschung weltweit wird nicht nur die Frage des Wirtschaftsstandortes, sondern auch die der Forschungsstandorte obsolet, da Forschung und Produktion über Ländergrenzen hinweg innerhalb eines multinationalen Konzernsystems nutz- und austauschbar werden.

Wer sich auf die Debatte um den Wirtschaftsstandort einläßt, hat nicht nur eine »linke« Position schon aufgegeben, sondern produziert (am Problem einer Verteilung der vorhandenen und einer existenzsichernden Arbeit vorbei) Unfairneß und Ungerechtigkeiten gegenüber »Arbeitnehmern« in anderen Ländern.

Die Standortdebatte ist die »moderne« Variante von »Deutschland, Deutschland über alles«, mit deren Hilfe das Gefühl vermittelt werden soll, »Arbeitgeber« und »Arbeitnehmer« sitzen in einem Boot und müssen sich gemeinsam gegen die ausländische Konkurrenz wehren. Der Wirtschaft bleibt nur die Chance, am Wirtschaftskrieg teilzunehmen oder unterzugehen. Das Problem liegt eher in Fragen der Globalisierung und Liberalisierung von Märkten. Beispielsweise importiert Deutschland bei sinkendem Eigenversorgungsgrad im Ernährungssektor mehr Rohstoffe und Produkte – oftmals zu Öko- und Sozialdumpingpreisen –, als es selbst exportiert, obwohl ein Großteil der Importe unsere Bauern produzieren könnten. Aber die Landwirtschaft krankt an Überproduktion und Flächenstillegung wegen und bei fallenden Preisen, weil die Marktmacht bei den ebenfalls multinationalen Lebensmittelkonzernen liegt. Die Gentechnik würde diese Probleme nur noch weiter verschärfen. Die Intention, die »Risiken anderen zu überlassen«, ist außerdem sehr kurzsichtig. Kommt der (deutsch entwickelte) AgrEvo-Gentech-Raps und -Mais aus Kanada oder USA nach Deutschland in die Futtermittel und/oder auf die Teller der Verbraucher, sind Risiken dennoch national zu tragen. Und ökologische Risiken – so die Erfahrungen – wirken früher oder später global und lassen sich nicht an Ländergrenzen aufhalten.

Jens Reich: Nein. Dazu ist Genbiologie als fundamentale Grundlage der Biologie zu umfassend, um sie auszublenden.

FRAGE: Immer wieder wird (von den Protagonisten) auf das enorme Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotential der Gentechnik verwiesen, während (von den Gegnern) aber auch immer wieder Zweifel an dieser euphemistischen Einschätzung angemeldet werden – wie hoch schätzen Sie diese Potentiale und welche Aufwendungen (gesellschaftliche Kosten) verursacht ihre Ausnutzung, wie sieht aus Ihrer Sicht eine Bilanz von Kosten und Nutzen aus?

Sabine Voigt: Risiken und Chancen, Kosten und Nutzen sind schwer vergleich- und vorhersehbar. Dennoch wird ständig mit solchen Vergleichen gearbeitet. Man kann sie weder monetär, noch nach Größe, noch nach Inhalten vergleichbar erfassen, da der Schaden und der Nutzen einer neuen Technik oft ungleichartig sind und zeitlich mitunter über Jahre und Jahrzehnte auseinanderfallen können. Das immense Potential an Wertschöpfung (die beschönigende Umschreibung von Profitsteigerung), die ein oder mehrere Pharmakonzerne durch den Verkauf ihres Saatgutes und komplementärer Pflanzenschutzmittel erbringen, kann nur schwerlich mit den ökologischen, möglichen gesundheitlichen Gefahren oder wirtschaftlichen Risiken in der Landwirtschaft verglichen werden.

Die durch die Gentechnik möglichen wirtschaftlichen Chancen rechtfertigen nach dem gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Technik die Inkaufnahme zusätzlicher Risiken für Umwelt und Mensch keineswegs. Entscheidungen im Bereich der Gentechnik sind dennoch letztlich an wirtschaftliche Nutzenserwägungen orientierte, politische Entscheidungen. Dagegen werden die »Sekundäreffekte« der Gentechnologie (Umwelt und Gesundheitsschäden, soziale Spaltung der Gesellschaft) nicht die Kapitaleigner zu tragen haben.

Zur Ergänzung noch einige Fakten: In Deutschland betrug der Zuwachs von Bio-Unternehmen (einschließlich Humanmedizin) 1998 28 Prozent, im europäischen Durchschnitt nur 14 Prozent. Über die überdurchschnittlichen Insolvenzraten in diesem Bereich werden jedoch keine Angaben gemacht. Auch nicht darüber, daß wirtschaftliche Erfolge im Agro-Business zu wirtschaftlichen Risiken bei den Landwirten führen. Erste Erfahrungen mit der konventionellen Anwendung gentechnisch manipulierter Pflanzen auf den Feldern in den USA zeigen das Einsetzen der Schwierigkeiten auf: Charakteristisch ist die in Abhängigkeit geratene Bauernschaft bezüglich Saatgut, komplementären Pflanzenschutzmitteln, Patentgebühren, Kontrollen, Abnahme der Rohstoffe etc.; zur Eindämmung der ökologischen Risiken sollen mittels Refugien (gentechfreie Ackerstreifen) die Gefahr der Insektenresistenz der Schädlinge, die sich mit den insektenresistenten Pflanzen schneller herausbildet als erwartet, hinausgezögert werden. Bei Bt-Baumwolle müssen 50 Prozent der Flächen eines Farmers mit konventioneller Baumwolle durchzogen sein, bei Bt-Mais 20 Prozent.

Ein Unternehmen oder ein Konzern kann bankrott gehen, die Wirtschaft aber nicht. Mit der Verengung der Biodiversität wird nicht nur eine Art oder Kulturpflanze verloren gehen. Mit ihrem Verschwinden wird auch unwiederbringlich das Wissen darüber verloren gehen. Die »grüne Revolution« hat bereits einen nicht unerheblichen Anteil daran. Obwohl in vielen Fällen notwendig, Gentechnik wird diesen Prozeß nicht entschleunigen. Jetzt sind die wenigen Chemie- und Saatgutfirmen weiter dabei, die Wirtschaftsbasis der Landwirtschaft und der Ernährungsgrundlagen auf lange Sicht zu zerstören.

Martin Holtzhauer: Auch ich denke, daß die Frage nach Kosten und Nutzen sehr ambivalent ist. Der wachsende Bedarf an bestimmten Humanpharmaka, an Hilfsstoffen für zum Beispiel stoffwandelnde Prozesse (Stichwort selektive Katalysatoren für chemische Verfahren) ist ohne gentechnische Verfahren nicht zu lösen. Da die Entwicklung neuer Produkte auf gentechnischer Basis, besonders, wenn komplexe Fragestellungen wie die Klärung von Umweltverträglichkeiten verstärkt berücksichtigt werden müssen, personell und apparativ sehr aufwendig ist, der Veredlungsgrad der Produkte sehr hoch ist, ist das »Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotential« sicherlich als hoch einzuschätzen.

Bei der Bewertung von Technologien ist auch der Aufwand an vor- und nachbereiteten Kosten verstärkt einzubeziehen wie zum Beispiel Aufwendungen für Transport, Abfallbeseitigung und -deponierung u.a.m. Aber sicherlich ist die Frage »Müssen wir Menschen das alles machen?« nicht unberechtigt, nur ist sie nicht allein eine Frage der Gentechnik.

Jens Reich: Das ist die Frage nach dem Nutzen der Biologie oder der Physik oder der Mathematik – als Ganzes für betriebswirtschaftliche Bilanzen nicht geeignet.

FRAGE: Je nach dem, wie die oben stehenden Fragen beantwortet werden, stellt sich das Problem der intellektuellen und materiellen Voraussetzung für eine rasche Entwicklung gentechnischer Forschungs- und Produktionseinrichtungen – ist die BRD in bezug auf Ausbildungskapazitäten, Investitionsmittel, know how und do how den Herausforderungen gewachsen, was müßte aus Ihrer Sicht dringend verändert werden?

Hans-Gert Gräbe: Es gälte vor allem, die Standortlogik vom Kopf auf die Füße zu stellen und die Nutznießer unserer wissenschaftlichen Infrastruktur stärker für die Entwicklung derselben im oben thematisierten Umfang zur Kasse zu bitten, statt den letzten Groschen aus dieser Infrastruktur zu quetschen, um »scheue Rehe« anzufüttern.

Eine leistungsfähige und ausgewogene Forschungslandschaft macht Arbeit und kostet auch etwas. Es bedarf wenig Scharfsinns zu erkennen, daß sich allein unter den Bedingungen von Markt und Geld die dafür notwendigen Ressourcen nicht stabil allokieren lassen. Schlüssige Antworten werden allerdings den Bogen zu anderen linken Diskursen schlagen müssen, nämlich wenigstens denen zur Zukunft der Arbeit, zur Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums und zur Schaffung von Strukturen, die diesen umverteilten Reichtum gerecht verteilen und effizient einsetzen. Wenn es dabei gelänge, den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, Forschung und Risikodiskurs zusammen zu bringen, dann hätten wir wirklich etwas geschafft. Daß sich ein solcher Bogen auf natürliche Weise in die »Landschaft« der Noosphäre – ein bisher in Deutschland kaum beachteter Ansatz – einfügen würde, sei hier nur in Parenthese bemerkt.

Martin Holtzhauer: Das intellektuelle und materielle Potential Deutschlands ist nach meiner Erkenntnis (noch) gut, was nicht heißt, daß in bezug auf Zielsetzung und Regelung der Rahmenbedingungen Nachholbedarf besteht. Allerdings ist die gesellschaftliche Akzeptanz deutlich verbesserungswürdig, was nur durch eine unpolemische und von Sensationsgier freie Diskussion in der Öffentlichkeit und in den Entscheidungsgremien sowie in einer verbesserten Allgemeinbildung, die dem heutigen naturwissenschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Erkenntnisstand entspricht, zu erreichen ist.

Sabine Voigt: Die Frage ist nur durch Gentechnologiebefürworter zu beantworten. Ihre Gegner müßten dafür eintreten, die gesellschaftlich organisierte Forschung zur »Klärung der Welträtsel« durchzuführen. Was von den dabei gewonnenen Erkenntnissen umgesetzt werden soll, müßte durch einen tatsächlichen demokratischen Prozeß entschieden werden. Nur ein wissenschaftlicher Wahrheitsanspruch könnte dazu beitragen. Doch die sogenannte unabhängige Wissenschaft ist selbst längst Ideologie- und Legitimationsproduzent sowohl im parlamentarischen Ablauf wie für die Gesellschaft und deren Staat. Wissenschaftler hängen zunehmend am Tropf der Wirtschaft. Der Einfluß von Kapital- und Staatsinteressen auf wissenschaftliche Gutachten und Experten kann wohl kaum geleugnet werden. Hier müßte dringend etwas geändert werden. Doch die bürgerliche Demokratie ist dafür völlig ungeeignet.

Nach Angaben der Ministerin Bulmahn standen allein in ihrem Bereich 1999 ca. eine Milliarde D-Mark zur Förderung von Bio- und Gentechnologie zur Verfügung; die gesamten Fördermittel der Bundesregierung belaufen sich auf 1,5 Mrd. DM. Die Aufstockung der Projektmittel nur für Bio- und Gentechnologie insbesondere für zielorientierte Grundlagen- und Anwendungsforschung um mehr als zehn Prozent im Jahr 2000 im Bildungs- und Forschungs-, um mehr als fünf Prozent im Landwirtschaftshaushalt und in anderen Haushalten bei gleichzeitiger Absenkung der Ausgaben für alternative Forschung in betroffenen Wirtschaftsbereichen, für Entwicklungsarbeit, für Verbraucherschutzorganisationen und Verbraucheraufklärung etc. belegen die vorrangigen wirtschaftlichen Interessen der Bundesregierung. Laut Umweltbundesamt erreicht die Risiko-Begleitforschung an der Gentechnikforschung einen Anteil von 15 Prozent (weltweit nur ein Prozent). Bei der Mehrheit aller Freisetzungsversuche findet gar keine Risikobegleitforschung statt. Hier bestehen massive Forschungsdefizite.

FRAGE: Welche wichtigen neuen Entwicklungen oder Bedrohungen erwarten Sie von der Gentechnik in der absehbaren Zukunft (in den nächsten drei bis fünf Jahren)?

Sabine Voigt: Das Problem liegt nicht in der Abschätzung einer Entwicklung in relativ überschaubaren Zeiteinheiten, sondern in der Entwicklung, für die jetzt der Grundstein gelegt wird. Wir müßten in Prognosezeiträumen von mehr als 50 Jahren denken lernen. Menschen und Wissenschaftler können bezüglich technischer Erfindungen und Entwicklungen manchmal nicht das nächste Jahr voraussagen bzw. sind geprägt von Prognoseunsicherheiten. Deutlich wurde, daß bei allem was bisher gentechnisch machbar ist, sich auch immer wieder Schwierigkeiten, Mißerfolge, überzogene Erwartungen und falsche Prophezeiungen hinter manchem Projekt verbargen. Viele Unwägbarkeiten wurden durch Zufall in wissenschaftlichen Experimenten gefunden. Je mehr Risikoforschung betrieben wird, je mehr wird klar, wie wenig über die Wirkmechanismen von Genen, ihren mehrdimensionalen Funktionsverkettungen, ihren Stabilitäten und Instabilitäten in artfremdem Erbsubstanzen etc. bekannt ist und noch im Verborgenen liegt. Aber die Versprechen heiligen offenbar die Mittel.

Für die Gentechniker waren die letzten sieben Jahre aufregender als die 7.000 Jahre Züchtung zuvor. Was in den nächsten sieben, oder nur 70 oder gar 700 Jahren auf uns zukommt, ist in einem Punkt gewiß: Die Verantwortung für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der Natur und ihrer Gratisressourcen und Gratiskräfte für die zukünftigen Generationen vermag weder ein Gentechniker, Mediziner oder Forscher, noch ein Landwirt, Business-Manager bis hin zum Politiker zu übernehmen. Die FAO wird heute oder morgen bei Fortsetzung des ökonomischen, quantitativen Wachstumswahns Recht bekommen: unseren Kindeskindern und nachfolgenden Generationen wird es schlechter gehen als uns – trotz der vielen technischen Möglichkeiten, die für die Interessen und den Fortschritt der Menschheit, für nachhaltige und Kreislaufsysteme einsetzbar und nutzbar wären. Unser ökologisches Unbehagen beginnt schon in der Gegenwart. Doch gerade deshalb ist der Aufruf zum Widerstand und zur demokratischen Einflußnahme um so dringender, um den Anfängen zu wehren.

Martin Holtzhauer: Bei den positiven Entwicklungen sehe ich vor allem: die Gewinnung von maßgeschneiderten Pharmaka für kausale und symptomatische Therapien viraler und bakterieller sowie Tumorerkrankungen, von maßgeschneiderten Biokatalysatoren für den Einsatz in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, die Überwindung der Transplantationsschranken beim Organersatz, in neuen Erkenntnissen bei der Erforschung biologischer Prozesse und in der Züchtung schädlingsresistenter Pflanzen auf der Grundlage der biologischen Schädlingsbekämpfung.

Bedrohungen ergeben sich aus meiner Warte insbesondere aus: dem bewußten oder fahrlässigen Einsatz gentechnisch veränderter Organismen in Ökosystemen, ohne mögliche Risiken experimentell ausreichend abzuklären, aus dem Einsatz gentechnischer Methoden für ein »Monitoring« von Menschengruppen ohne wirklich relevante medizinische Indikation (Stichworte »molekulargenetischer Gesundheitspaß«, »molekulargenetischer Personalausweis«) und nicht zuletzt aus dem militärischen Mißbrauch der Gentechnik.

Rolf Löther: Ich habe schon zu viele Prognosen für dieses Gebiet kennengelernt,

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Helmut Böhme – Jg. 1929; Prof. Dr. agr. habil, arbeitete von 1951 bis 1991 als Wissenschaftler, davon 14 Jahre (1969 – 1983) als Direktor, am Zentralinstitut für Genetik und Kulturpflanzenforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR in Gatersleben, ist seit 1967 odentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften (später AdW der DDR) und seit 1969 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher, Leopoldina.

Hans-Gert Gräbe – Jg. 1955; Dr. rer. nat. habil., Studium und Graduierung im Fach Mathematik, forscht seit Mitte der achtziger Jahre zur Computeralgebra im Grenzbereich zwischen Mathematik und Informatik, seit 1990 am Institut für Informatik der Universität Leipzig Privatdozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Martin Holtzhauer – Jg. 1948; Dipl.-Chem. Dr.rer.nat.habil., arbeitete von 1973 bis 1991 am Zentralinstitut für Molekularbiologie bzw. am Zentralinstitut für Herz-Kreislaufforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Buch, von 1992 bis 1996 an der KAI-Akademie der Wissenschaften bzw. an der Universität Potsdam, ist seit 1997 in der Privatwirtschaft tätig.

Rolf Löther – Jg. 1933; Prof. i. R., Dr. sc. phil., Wissenschaftsphilosoph, Spezialgebiet Philosophie und Geschichte der Biologie und Medizin, war von 1971 bis 1981 ordentlicher Professor für Philosophie an der Akademie für Ärztliche Fortbildung der DDR und danach bis 1991 Forschungsgruppenleiter für philosophische Fragen der Biologie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, seit 1997 Mitglied der Leibniz-Sozietät.

Jens Reich – Jg. 1939; Prof. für Biomathematik, war nach dem Studium der Medizin zunächst als Arzt tätig, später arbeitete er als Biochemiker an der Akademie der Wissenschaften, forscht heute im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch.

Sabine Voigt – Jg. 1959; Dr. agr., 1983 Diplom in Tierernährung, Tierfütterungsversuche mit Single Cell Protein, wissenschaftliche Tätigkeiten am Institut für Agrarökonomie bis 1990, danach TU und HU Berlin, zwischenzeitlich 1993/94 University of Minnesota, seit 1999 Referentin für Landwirtschaft bei der Bundestagsfraktion der PDS.

 

»Wer nichts weiß, muß mit allem rechnen. Wer etwas weiß, glaubt nicht mehr, daß alles geschehen kann, sondern nur noch gewisse Dinge, und andere Ereignisse hält er für ausgeschlossen. Wissen bedeutet also eine Beschränkung der Vielfalt, und es ist um so größer, je geringer die Ungewißheit desjenigen, der etwas erwartet.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980 (Erstausgabe 1964), S. 265.

»Wir neigen dazu, die Bedeutung der Intelligenz zu überschätzen und sie als einen ›Wert an sich‹ zu betrachten.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 116.

»Wir versuchen also, …, nicht Ordnung überhaupt, sondern eine bestimmte Ordnung zu entdecken, und die soll sparsam sein …, eindeutig …, allgemein …, von uns unabhängig … und unveränderlich … (…) Wenn wir die Anwesenheit einer Vernunft im Kosmos nicht bemerken, so liegt das, wie ich glaube, nicht daran, daß es sie nicht gibt, sondern daran, daß sie sich anders verhält, als wir es erwarten.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 125/126.

»Selbst in guten populärwissenschaftlichen Büchern zum gegenwärtigen Erkenntnisstand beispielsweise der Physik wird die Sache so dargestellt, als gebe es zwei deutlich voneinander abgegrenzte Bereiche: einmal das, was die Wissenschaft bereits ein für allemal festgestellt hat, und zum anderen das, was noch nicht endgültig aufgehellt wurde. Man nimmt gleichsam teil an einer Führung durch ein prachtvolles, von den Fundamenten bis zum Dach hervorragend eingerichtetes Gebäude und stößt höchstens hier und da auf einzelne Räume, in denen ungelöste Rätsel auf dem Tisch herumliegen. Nach dieser Führung glauben wir, diese Rätsel werden früher oder später gelöst, und der glanzvolle Eindruck des ganzen Gebäudes bestärkt uns in dieser Überzeugung. Daß die Lösung dieser Rätsel das halbe Gebäude zum Einsturz bringen könnte, kommt uns gar nicht in den Sinn.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 271.

»Wir sehen also, daß der Umweltfaktor von umfassenderer Bedeutung ist, als wir anzunehmen bereit waren, denn er ist nicht nur entscheidend für den Selektionsdruck, sondern auch für die Häufigkeit der Mutation genetischer Merkmale. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die Evolutionsgeschwindigkeit minimal, ja nahezu gleich Null ist, wenn die Umweltbedingungen über Hunderte von Jahrmillionen praktisch unverändert bleiben. (…) … das Leben evolutioniert nämlich nicht dank einer eingebauten ›Fortschritts‹tendenz, sondern nur angesichts einer absoluten Bedrohung.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 112.

»Die biologische Art weiß nicht, was sie tut, …, nicht sie selbst bestimmt ihr Handeln, sondern die Evolution, die von ihr Riesenopfer fordert, indem sie sie der natürlichen Auslese unterwirft. Ich dachte an eine bewußte Tätigkeit, eine geplante und gesteuerte Selbstevolution, gewissermaßen eine ›umgekehrte Anpassung‹. Sie hat mit einer vernünftigen Tätigkeit, so wie wir sie verstehen, nichts zu tun, denn die Devise des Menschen ist der heroische Angriff auf die ihn umgebende Materie.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 128.

»Der Große Konstrukteur – die Natur – macht seit Milliarden Jahren seine Experimente und entwickelt aus dem ein für allemal gegebenen Material … alles, was nur möglich ist. Der Mensch, Sohn von Mutter Natur und Vater Zufall, betrachtet diese alles erfassende Aktivität mit Argwohn und fragt seit Ewigkeiten nach dem Sinn dieses todernsten weil letzten Endes über alles entscheidenden kosmischen Spiels. Sicherlich vergebens, wenn er es für immer bei der Frage belassen müßte. Das ändert sich nur, wenn er beginnt, sich selbst die Antwort zu geben, wenn er der Natur ihre verwickelten Geheimnisse entreißt und nach seinem Bilde die technologische Evolution in die Wege leitet.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 55/56.

»Die Evolution … handelt rücksichtslos. Der Mensch, der nach und nach erkennt, was sie als Konstrukteur geleistet hat, kann nicht so tun, als sammle er ausschließlich theoretisches Wissen. Wer die Folgen bestimmter Entscheidungen erkennt und die Möglichkeit bekommt, sie zu treffen, hat die Last einer Verantwortung zu tragen, mit der die Evolution als unpersönlicher Konstrukteur deshalb so leicht fertig wurde, weil sie für sie nicht existierte.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 528.

»Der Philosoph, der sich zum Apologeten eines extremen Konservativismus … macht, ist wie der Sohn des Millionärs, der sich dank dem vom Vater angehäuften Vermögen um die Erlangung der zum Leben benötigten Mittel nicht zu kümmern braucht und den Besitz kritisiert. Wäre er konsequent, dann müßte er jedes Vermögen aufgeben; der Gegner von ›Biokonstruktionen‹ darf sich seinerseits nicht auf den Widerstand gegen ›Pläne zur Rekonstruktion des Menschen‹ beschränken, sondern muß unter Verzicht auf sämtliche zivilisatorischen Errungenschaften, auf die Medizin, Technik usw. auf allen vieren in den Wald kriechen. Denn alle Lösungen und Methoden, die er nicht kritisiert, denen er sich nicht entgegenstellt …, wurden einst von Positionen aus bekämpft, die seiner heutigen Position ziehmlich nahe kommen …«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 600.

»Die Technologie ist aggressiver, als wir gemeinhin glauben. Ihre Eingriffe in das Seelenleben und die mit der Synthese und der Metamorphose der Persönlichkeit zusammenhängenden Probleme sind lediglich derzeit noch eine leere Klasse von Ereignissen. Der weitere Fortschritt wird sie ausfüllen. Zahlreiche moralische Gebote, die wir heute für unantastbar halten, werden dann hinfällig werden, und dafür werden sich neue Probleme, neue Dilemmata ergeben.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 68.

»… jede bedeutende Technologie besitzt einen kulturbildenden Einfluß…«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 40.

»Gegen eine Technologie hilft nur eine andere Technologie.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 29.

»Wir sollten also, statt die Technologie als Ursache des Übels zu verdammen, nicht in ihre Apologie verfallen, sondern ganz einfach begreifen, daß die präregulative Ära zu Ende geht. Unser weiteres Vorgehen muß von einem moralischen Kanon geleitet sein, der uns als Ratgeber bei der Entscheidung zwischen den verschiedenen Alternativen dient, welche die amoralische Technologie hervorbringt.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 67.

»Wir halten heute … den pharmakologischen Eingriff des Arztes für die natürlichste Sache der Welt, weil er zu den Traditionen der Medizin gehört. Es könnte sich jedoch herausstellen, daß die Beseitigung von ›Irrtümern‹ im Erbcode im Vergleich zur nachträglichen Behandlung beschädigter Organismen das einfachere (wenn auch keineswegs so harmlose) und natürlich radikalere Mittel ist. Eine solche ›antimutativnormalisierende‹ Autoevolution bietet Möglichkeiten, die man eher unterschätzen wird: durch Umgestaltungen des Erbcodes wird man die Entstehung angeborener somatischer und psychischer Defekte zunächst eindämmen und dann vollkommen verhindern; auf diese Weise werden die Scharen unglücklicher verkrüppelter Wesen, deren Zahl heute in die Millionen geht …, verschwinden. Insofern wäre die Therapie – oder richtiger: die Biotechnologie der Genotypen von segensreicher Wirkung. Sobald sich jedoch herausstellt, daß es nicht genügt, ein mutiertes Gen auszuschalten, sondern daß es nötig ist, es durch ein anderes zu ersetzen, erhebt sich für uns das Problem der ›Komposition von Merkmalen‹ in seiner ganzen Bedrohlichkeit.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 527.

»Man sieht, daß wir gar nicht den ganzen Evolutionsweg, den die Natur zurückgelegt hat, um den Menschen hervorzubringen, zu kennen brauchen. Auf die unzähligen Informationen über den Sinanthropus, die Moustérien- oder die Aurignacienkultur können wir verzichten; haben wir erst einmal ein ›Modell‹ des Spermiums oder des Eis hergestellt, das dem Original ›ebenbürtig‹ ist, dann können wir – durch die Zusammenfassung genetisch wertvoller Merkmale – einen Genotyp schaffen, der vollkommener ist als sämtliche Originale, und haben uns somit einen ›Nebeneingang‹ in den Entstehungsprozeß des menschlichen Organismus eröffnet. Dadurch ermutigt, werden wir immer bessere Modelle schaffen, bis wir zu einem Chromo-somenschema gelangen, in welchem die Gene, die für die Tendenz zu funktionalen und organischen Erkrankungen verantwortlich sind, gänzlich fehlen und das dafür in jeder, körperlicher wie geistiger, Hinsicht, vollkommen ausgewogen ist.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 302.

»Die ›bessere‹ Theorie wird dann diejenige sein, die es uns gestattet, die Evolution zu steuern, Tempo und Umfang der Regenerationsfähigkeit des Organismus zu verändern sowie die Erbmerkmale der Ungeborenen festzulegen, und das wird längst möglich sein, bevor wir etwa gelernt haben, den Chromosomenapparat des Zellkerns synthetisch herzustellen.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 303.

»Der Gedanke …, sich einen Nachkommen zu ›komponieren‹, diejenigen geistigen und körperlichen Merkmale, die wir gern an ihm sehen würden, zu orchestrieren – ein solcher Gedanke ist eine abscheuliche Heräsie. Aber auch das Verlangen, zu fliegen, den Wunsch, den menschlichen Körper zu studieren, das Bauen von Maschinen und die Erforschung der Anfänge des Lebens auf der Erde hat man einmal als Heräsie betrachtet, und kaum hundert Jahre trennen uns von jener Zeit, als man allgemein so dachte.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 483.

»Daß … Ziele sich als Fiktion erweisen können wie das Gold der Alchemisten, ist eine andere Sache. Selbst wenn der Mensch alles kann, so doch gewiß nicht auf beliebige Weise. Wenn er es wünscht, wird er am Ende jedes Ziel erreichen – aber vielleicht begreift er vorher, daß der Preis, den er zahlen müßte, das Erreichen dieses Zieles sinnlos macht.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 161.

»Bekanntlich gibt es viele Dinge, die möglich sind und trotzdem nicht Wirklichkeit werden. Wenn eine neue technologische Entwicklung sich in ihrer Anfangsphase befindet oder wenn ein bevorstehender Wandel ›sich ankündigt‹, dann besteht allgemein die Tendenz, das Neue zu verabsolutieren und anzunehmen, daß es von nun an die gesamte menschliche Tätigkeit ausnahmslos beherrschen werde.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 345.

»Das menschliche Wissen löst sich gerade – und das nicht einmal in allen Bereichen (am langsamsten wohl in der Biologie und der Medizin) – von der Epoche der Empirie, aber schon heute erkennen wir, daß alles, was allein mit Geduld und Hartnäckigkeit, erhellt durch einen Funken Intuition, erreichbar war, im Prinzip schon erreicht ist. Alles übrige – und das setzt die größte Klarheit der theoretischen Denkens voraus – liegt noch vor uns.«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 64.

»… der Mensch weiß, was auch immer er tut, fast nie, was er in Wirklichkeit tut …«
Stanislaw Lem: Summa technologiae, Berlin 1980, S. 26.

Die Antworten von Jens Reich sind folgendem Schreiben entnommen, das der Redaktion per e-mail zugestellt wurde:

Betreff: Re: Rundtischgespräch Gentechnik

Datum: Thu, 23 Mar 2000 08:30:34 +100

Von: "Prof. Jens Reich" <reich@mdc-berlin.de>

Firma: MDC

An: A.Hopfmann@t-online.de (Arndt Hopfmann)

Sehr geehrter Herr Hopfmann,

hiermit möchte ich Ihnen Herrn Prof. Reich seine Antworten zu dem virtuellen Rundtischgespräch (Anhang Ihrer email) senden.

Mit freundlichem Gruß

Brunhilde Poppe

(im Auftrag von Prof. Reich)

I./1
Weil die Voraussetzung nicht zutrifft.

I./2
siehe I.1
Es ist keine Risikotechnologie

I./3
Alle Technologie ist Produktivkraft und geht in die Produktionsverhältnisse ein. Das ist kein Privileg der Gentechnik.

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II./2
Die Trennung ist sinnvoll, weil die Auswirkungen verschieden sind (einerseits medizinische, u.U. individuelle Folgen - andererseits eher ökonomische und ökologische Folgen).

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III./1
Nein. Dazu ist Genbiologie als fundamentale Grundlage der Biologie zu umfassend, um sie auszublenden.

III./2
Das ist die Frage nach dem Nutzen der Biologie oder der Physik oder der Mathematik - als Ganzes für betriebswirtschaftliche Bilanzen nicht geeignet.