Menschenrechtsarbeit und Gewerkschaftsbewegung – das sind meistens getrennte Politikfelder, jedenfalls im Alltag der Bundesrepublik Deutschland. Und nicht nur dort, wie das gleichnamige Vorbereitungstreffen in Prag am 17./18. Juli 2000 zeigte. Ausgehend von – überwiegend jungen - AktivistInnen der polnischen Stowarzyszenie „Nidgy Wiecej“ („Never Again“ Association), organisiert vom DGB-Bildungswerk Thüringen und finanziert von der Otto-Brenner-Stiftung trafen sich Vertreter (noch keine Vertreterinnen) von 9 Organisationen aus 5 Ländern – Tschechien, Polen, Ungarn, Österreich, Deutschland - zu einem Vorbereitungstreffen in Prag mit der Fragstellung: Welche Möglichkeiten für antirassistische und antifaschistische Arbeit in den Gewerkschaften sowie zwischen Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen gibt es?
In der Bundesrepublik, dass zeigen z.B. eine Studie über die Anfälligkeit junger Gewerkschaftsmitglieder für rechtsextreme Positionen oder fremdenfeindliche Töne in manchen Branchen und Betrieben, ist ebenso wie in anderen Ländern mit traditionell starker Arbeiterbewegung die De-Industrialisierung mit einer wachsenden offenen Fremdenfeindlichkeit auch in der Gewerkschaftsbewegung einher gegangen. Natürlich war die Arbeiterbewegung nie frei davon, doch konnte sie in der Zeit ihrer Milieuhegemonie, als sie eine aufstrebende Kraft war, solche Ressentiments überwiegend in Schach halten (so etwa überzeugend von Eric Hobsbawm in „Das Zeitalter der Extreme“ beschrieben). Das gelingt den Gewerkschaften immer weniger.
Gewerkschaften und Menschenrechts-NGO’s gehören gleichwohl zusammen, stehen gewissermaßen für die sozialen und die individuellen Menschenrechte. Gewerkschaften, von Neoliberalen ebenso wie von manchen Linken oft –und nicht ganz zu Unrecht- als konservative Besitzstandswahrer kritisiert, vertreten in Deutschland oder Österreich nur selten die Interessen von Migrantinnen und Migranten und sozial Entwurzelten. Die Zusammenarbeit mit feministisch ausgerichteten Frauengruppen und antirassistischen Initiativen ist unzureichend, was freilich nicht nur an einer Seite liegt. So verständlich die Frustration antirassistischer und antifaschistischer Aktivistinnen und Aktivisten über die Passivität mancher Gewerkschaftsfunktionäre gegenüber Rassismus und den latenten Rassismus in der deutschen Bevölkerung bis hinein in die Gewerkschaften sein mag, Pauschalverurteilungen der Mehrheitsgesellschaft und Konfrontationen mit ihr im Stile mancher autonomer Anitfas sind selten hilfreich. Die Verbindung von politischer Menschenrechtsarbeit mit dem Schwerpunkt Ausländerarbeit sowie Antifaschismus mit sozialer Menschenrechtsarbeit u.a. durch die Gewerkschaften verlangt Veränderung auf beiden Seiten.
Die Notwendigkeit eines solchen wechselseitigen Veränderungs- und Lernprozesses stand für die Teilnehmer des Prager Arbeitstreffens außer Frage. Aus jedem vertretenen Land gab es Beispiele. Die Wahlerfolge der FPÖ Jörg Haiders in Österreich, nationalistische Neigungen in der polnischen Solidarnosc, gar regelrechte faschistische Infiltrationsversuche in kleinere Gewerkschaften, Fremdenfeindlichkeit unter deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die mit der Angst vor Lohndumping durch massenhafte Zuwanderung verbrämt werden – die Liste ist verlängerbar.
Gleichzeitig wächst der Druck auf die Gewerkschaften. Deregulierung, Globalisierung und De-Industrialisierung höhlen ihre traditionelle betriebliche und soziale Basis aus. Die Greencard-Debatte hat bemerkenswerte Öffnungen der Zuwanderungsdebatte bewirkt, wirft aber auch viele Probleme auf: „Brain-Drain“ (handelt es sich um einen Import von Spezialisten zu Lasten der ausbildenden Länder Osteuropa und Asiens?), weitere Hierarchisierung innerhalb der Migrantinnen und Migranten in Deutschland, mögliche Stärkung der Unternehmen zu Lasten der Beschäftigten, drohende Vernachlässigung der Ausbildungsverpflichtung von Betrieben und Staat. In die deutsche Debatte ist Bewegung gekommen, mit allen Chancen und Risiken.
Aber auch die offene Bedrohung durch rechten Terror hat die EU-Gewerkschaften erreicht. In Schweden wurde ein linker Aktivist von Neonazis ermordet, in Schleswig-Holstein lebt der IG-Metall-Funktionär Uwe Zabel seit Monaten mit massiven öffentlichen Morddrohungen. Rechte Gewalt scheint zu eskalieren, wie zuletzt der (vermutlich) rechtsradikale Anschlag von Düsseldorf und drei Morde an Obdachlosen in Mecklenburg-Vorpommern zeigen. Eine Doppelstrategie von langfristiger Vorbeugung und politischer Aufklärung mit aktiver Gegenwehr, von traditioneller sozialer Interessenvertretung und weitergespannter Solidarität tut not. In Deutschland wie in Polen, Österreich, Ungarn, Tschechien, vor allem aber verstärkt im grenzüberschreitenden Zusammenwirken. Der EU-Erweiterungsprozess verlangt danach, sollen nicht die neoliberalen Wirtschaftskonzepte und die rigiden Abschottungstendenzen der EU, denen nicht erst seit „Dover“ viele hundert Flüchtlinge zum Opfer fallen, ihren Siegeszug fortsetzen. Den Erweiterungsprozess für die Menschen in den Beitrittsländern so zu gestalten, dass die sozialen Opfer erträglich und die langfristigen Chancen einschließlich der raschen Umsetzung der Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne zu Einschnitten bei den geringverdienenden Beschäftigten in Deutschland und Österreich zu führen, ist ein Ziel, dass nur im europäischen Zusammenwirken von Gewerkschaften, NGO’s und Parteien erreicht werden kann.
Aufgabe von international solidarischer Gewerkschafts- und Menschenrechtsarbeit in Deutschland und Österreich muss es dabei sein, fremdenfeindlichen Tendenzen speziell im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung entgegenzutreten und weiterhin den Kolleginnen und Kollegen in den Beitrittsländern dabei zu helfen, nationalistischen Gefahren in ihren Ländern zu begegnen.
Die Teilnehmer der Vorbereitungsrunde in Prag haben sich zweierlei zum Ziel gesetzt.
Zum einen soll zusammen mit weiteren NGO’s und GewerkschaftsvertreterInnen aus den beteiligten Ländern und zusätzlich der Slowakei versucht werden, gemeinsame praktische Projekte für antirassistische und antifaschistische Arbeit in und mit den Gewerkschaften über Ländergrenzen hinweg zu starten.
Zum anderen wird an einer theoretischen, aktuellen Definition von Solidarität gearbeitet, die soziale und individuelle Menschenrechte, pragmatische und ideelle Komponenten von Solidarität zusammendenkt und so ein wenig zu einer Rückgewinnung des internationalen Solidaritätsgedankens der alten Arbeiterbewegung in zeitgemäßer Form beitragen möchte.
Was daraus wird? Wir wissen es nicht. Aber ein lohnendes Vorhaben ist es allemal, Europapolitik, Menschenrechtsarbeit und Gewerkschaftspolitik zusammen zu führen. Ein erweitertes Folgetreffen findet am Rande des antirassistischen Ratschlags in Jena am 4. November 2000 statt. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wird sich aktiv in dieses Vorhaben einbringen.