Mit einer rückwärts gewandten Politik sind keine neuen Ufer zu erreichen - Aber auch die PDS muss sich neuen Erwartungen stellen
Als die Große Koalition in Berlin im Juni den Löffel abgeben musste, kraftmeierte noch Eberhard Diepgen, der eben gefeuerte Regierende Bürgermeister: "Wir werden den Kommunisten die Stadt nicht kampflos überlassen!". Die SPD drehte sich flink um mit fragender Geste: "Gab es das, eine Große Koalition?". Diese beiden Rituale wurden bis zum 21. Oktober durchgehalten, sie waren inszeniert, um das politisch-geistige Leben im Stadtstaat, der zugleich Bundeshauptstadt ist, zu dominieren, und - sie haben versagt oder nur mäßigen Erfolg gehabt. Im Ergebnis der Wahlen vom 21. Oktober stellt sich das politische Kräfteverhältnis in Berlin gründlich verändert dar. Selbst erhebliche Teile des bürgerlichen Lagers rund um den Kudamm ließen die CDU fallen wie eine heiße Kartoffel, und sie fiel tief, von 41 Prozent von 1999 auf nun knapp 24 Prozent. Lieber wurde der schon abgeschriebenen FDP, gewissermaßen als 2. Mannschaft, zu einem Comeback verholfen. Bis zum Morgen des Wahltages wurde vom Mainstream der professionellen Meinungsmacher die SPD auf 33 bis 36 Prozent hoch geredet, geblieben ist sie unter 30 Prozent. Auch die Grünen mussten Federn lassen. Die Tendenzen insgesamt richtig gesehen hat nur das weniger bekannte Meinungsforschungsinstitut INFO in Berlin.
Als das Ereignis dieser Wahl gilt das Ergebnis der PDS. Der Teil der Meinungsmacher, die sich eifrig bemüht hatten, die PDS herunter zu reden oder ihre Positionen tunlichst zu verschweigen, schreckte konsterniert auf: "Die PDS hat in Ostberlin fast jede zweite Stimme erreicht!". Genau betrachtet handelt es sich nur um eine Fortsetzung von Tendenzen, die bereits viel früher, nämlich mit der Vereinigungskrise Mitte der Neunziger Jahre, eingesetzt hatten, die nun allerdings an einen Punkt gelangt sind, der einen Durchbruch darstellt. 1999 meinte man, die fast 40 Prozent der PDS im Osten noch mit Verweis auf die hohen Anteile früherer SED-Kader abtun zu können. Mit einem Seufzer der Erleichterung war zur Kenntnis genommen worden, dass die 4,2 Prozent im Westen zwar eine Verdopplung gegenüber den Vorwahlen waren, aber die magische Fünf-Prozent-Marke unangetastet geblieben war. Nun hat die PDS im Land Berlin insgesamt knapp 23 Prozent, 48 Prozent im Osten und 7 Prozent im Westen. Sie ist die Partei der Ostberlinerinnen und Ostberliner, und sie hat für einen großen Teil der linken Milieus im Westen den Makel der Unberührbaren verloren.
Das eigentlich Wesentliche an den Wahlergebnissen bildet die Botschaft, dass eine Zwischenepoche deutscher Geschichte wohl endgültig vorbei ist. Landowsky und Diepgen standen für den Versuch, mit einem rückwärts gewandten Konzept neue Ufer zu erreichen. Das ist gescheitert. Das Berlin von heute ist ein anderes Gemeinwesen als die alte Frontstadt Westberlin, die nur ein paar Bezirke dazu gewonnen hat, so wie die Bundesrepublik Deutschland ein anderes Gebilde ist als nur die vergrößerte Bonner Republik. Die Eliten der alten Bundesrepublik waren offenbar nur begrenzt fähig, sich den veränderten Realitäten zu stellen. Sicherheitshalber blieben sie in den Schützengräben des Kalten Krieges sitzen, offenbar ohne ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen, dass mit ihrem Sieg auch der Feind abhanden gekommen war. Geblieben ist ihnen die Arroganz der Macht, die ausgespielt wurde, koste es, was es wolle. Obwohl sie immer hektischer Geld zu den falschen Fenstern hinaus warfen und sich als die größten Schuldenmacher der Nation profilierten, konnten sie keines der Probleme in der Gesellschaft dieser Stadt einer Lösung auch nur ein Stück näher bringen.
Das neue politische Kräfteverhältnis in Berlin ist nur ein Vorgriff auf das, was insgesamt in der Gesellschaft der Deutschen ansteht. Es ist zugleich eine Chance, nämlich die, die Nachkriegszeit endgültig zu beenden. Die Kooperation mit der PDS wäre das Signal für eine neue deutsche politische Rationalität und eine Hinwendung zu europäischer Normalität. Und es ist die Herausforderung, die gesellschaftlichen Probleme nicht nur als Munition für Wahlkampfsprüche zu nutzen, sondern sie gemeinsam anzugehen. Viele Frauen und Männer auf der Straße - so die heutige Berichterstattung - sehen das wohl auch so.
Wenn es denn so kommt, muss sich auch die PDS beeilen, von den Freudensprüngen der Wahlfeten auf den Boden der Realitäten zurück zu kehren. Denn auch für sie stecken in dem Wahlergebnis und in den Vorgängen, aus denen heraus es produziert wurde, einige Probleme. Bereits im Sommer waren die Positionsgewinne absehbar. Aber seit dem 11. September wurde die öffentliche Meinung auch in Berlin durch internationale Ereignisse überlagert. Die als Medienereignisse inszenierten Terroranschläge in New York und Washington verdrängten zunächst viele Alltagssorgen. Ängste und Sicherheitsbedürfnisse bestimmten die Atmosphäre, und sie bestimmen sie teilweise noch. In den Kompetenzzuschreibungen gilt die PDS nicht gerade als Spezialistin für Sicherheitspolitik und innere Sicherheit. Das ist so und deshalb rutschte die PDS von den im Sommer möglichen 22 Prozent bis Anfang Oktober auf 16 Prozent ab. Das Wochenende vom 7. und 8. Oktober mit dem Dresdner Parteitag der PDS und vor allem dem Beginn des Krieges der USA in Afghanistan brachte den Umschlag.
Dieser Gesamtvorgang muss gründlich analysiert werden. Seit einigen Jahren ist im Umfeld der PDS ein Umbau zu beobachten. Neu hinzu kommende Wählergruppen sind nicht nur sozial anders strukturiert als der Kern der Stammwählerschaft, sie sind jünger, aktiver und offener, von ihnen kann nicht darauf gerechnet werden, dass sie immer wieder treu und brav PDS wählen werden. Hier gibt es Erwartungen, auf die die PDS sich einstellen muss. Die PDS hatte in Berlin drei Stärken ins Spiel zu bringen: ihre Kommunalpolitiker, die zunehmend auch öffentlich wahrgenommene Kompetenz ihrer Landespolitiker und Gregor Gysi und mit ihm die Bundespolitik. Der PDS hat nicht geschadet, dass sie konsequent die politische Stimme des nicht unerheblichen Teiles der Bevölkerung ist, der Krieg und militärische Gewalt ablehnt. Aber das allein reicht nicht, sie muss alle ihre Stärken weiter ausbauen, sie muss daran arbeiten, ihr Image über das einer Ostpartei, einer Gerechtigkeitspartei und einer Anti-Kriegs-Partei hinaus zu erweitern. Davon wird abhängig sein, ob sie sozialistische Politik als eine Perspektive in Berlin und Deutschland stärker verankern kann, egal ob in der Koalition oder in der Opposition.
auch veröffentlicht in: Neues Deutschland, 23. 10.2001