erschienen in "Das Blättchen" Nr. 3 vom 4.Februar 2001
Ende 1926 erschien in der Schriftenreihe des sowjetischen Staatsverlages das Buch Die KPR(B) im Kampf gegen Abweichungen, ein von Jemeljan Jaroslawski eingeleiteter Band mit Materialien und Dokumenten der Arbeiteropposition. Im Vorwort polemisierte der Parteihistoriker gegen die »letzten Mohikaner der Arbeiteropposition«, wobei er es sorgfältig vermied, Alexander Schljapnikow und Alexandra Kollontai über einen Kamm zu scheren.
Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzungen, in die Jaroslawski als Mitglied der Zentralen Kontrollkommission der KPR(B) eingriff, war die seit 1920 in der Partei umstrittene Einschätzung des Oktoberumsturzes und die daraus abgeleitete Politik der Abkehr vom Kriegskommunismus. Es ging um die Frage, wer letztlich den Wirtschaftsaufbau in Sowjetrußland realisiert – die Gewerkschaften oder der Staatsapparat. Die Leitung der Produktion den Arbeitern vor Ort zu übertragen und die Partei auf diese Weise von ihrer »organischen Krankheit zu heilen«, vermochte der bolschewistische Führungszirkel nur als eine Schwächung der Zentralmacht zu denken.
1922 teilte Alexandra Kollontai Stalin in einem persönlichen Brief mit, daß sie sich von ihrem Mann Pawel Dybenko getrennt und mit der Arbeiteropposition, die sich wenig später als Gruppe auflöste, gebrochen hatte. Daraufhin wurde sie 1923 im diplomatischen Dienst eingesetzt.
Mit diesen Unterwerfungsgesten – dem Hinweis auf Lenins geschickten diplomatischen Schachzug in Brest-Litowsk und dem Dank für Stalins wegweisende Worte für ihre diplomatische Mission – leitete Kollontai ihr noch zu Lebzeiten Stalins (1949) zur Drucklegung vorbereitetes Diplomatisches Tagebuch ein.
Kollontai erwähnt zu Beginn der Diplomatischen Tagebücher, die den Zeitraum von 1922 bis 1940 umfassen, sehr »diplomatisch« jene Episode, die das Ende ihrer Mitgliedschaft in der Arbeiteropposition markiert.
Im Februar 1922 hatten sich 24 Mitglieder der Arbeiteropposition mit einer Erklärung an das EKKI gewandt, in der sie die Innenpolitik und die Parteilinie der KPR(B) kritisierten. Von einer Einheitsfront, die die Komintern anstrebe, könne weder in Sowjetrußland noch in der KPR(B) die Rede sein. Die Exekutive der Komintern antwortete, die Kritiker »rennen offene Türen ein« und verlangte, sie sollten sich um die Partei scharen und deren Einheit und Geschlossenheit festigen. Die Partei hingegen zog es vor, den Abtrünnigen die Instrumente zu zeigen.
Nach Auflösung der Arbeiteropposition interpretierte das Politbüro die kritischen Äußerungen von Schljapnikow als Fortsetzung seiner »Fraktionsarbeit«. Nach dem Juliplenum des ZK 1926 schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, sich der Widerspenstigen zu entledigen und dabei gleich die »Neue Opposition«, das heißt Sinowjew und Trotzki, mit zu erledigen. Die Prawda bezeichnete Schljapnikow als ideologischen Wortführer der Opposition. Auf Parteiaktivtagungen im Juli wurden die Genossen über den »Fall Schljapnikow« informiert. Von Mai bis Oktober 1926 versuchte Schljapnikow vergeblich, die Mitglieder des Politbüros und der ZKK umzustimmen.
Am 17. Oktober 1926 offerierte die Prawda in einem Artikel über die innerparteiliche Situation die alten Anschuldigungen. Schljapnikow antwortete darauf am 19. Oktober 1926 in einem Brief an die ZKK und das Politbüro des ZK der KPdSU(B). Daraufhin entschied das Präsidium der ZKK, Schljapnikow eine strenge Rüge zu erteilen. In die Enge getrieben, gab Schljapnikow seine »Fehler« zu. Nach Veröffentlichung der von Lasar Kaganowitsch redigierten Reueerklärung, die am 31. Oktober 1926 in der Prawda erschien, wurde die Schljapnikow angedrohte Parteistrafe zurückgenommen.
Doch am 28. Mai 1930 begann alles wieder von vorn. Das Parteikollegium der ZKK warf Schljapnikow »Wühlarbeit« vor und erteilte ihm am 3. August 1930 eine strenge Rüge. Nachdem die Prawda eine »kritische« Besprechung des vierten Bandes von Schljapnikows Erinnerungen Das Jahr 1917 veröffentlicht hatte, beschäftigte sich das Politbüro erneut mit dem Fall. Schljapnikow gestand daraufhin am 9. März 1932 öffentlich seine »Fehler«, doch diesmal endete die Angelegenheit mit seinem Parteiausschluß am 17. Juni 1933. Schljapnikow wurde aus der Staatlichen Plankommission entlassen und (bis April 1934) nach Nordkarelien verbannt. Drei Jahre später verurteilte ihn das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR wegen »Vorbereitung von Attentaten auf Führungsmitglieder der KPdSU(B)« zum Tode.
Das ist nur ein Beispiel für jene »innersowjetischen Ereignisse«, die bei der Lektüre der über tausend Seiten umfassenden Tagebücher von Alexandra Kollontai mitzudenken sind, deren deutsche Ausgabe von Helmut Steiner vorbereitet wird.
Am 9. März 2002 wird sich eine Konferenz der Luxemburg-Stiftung mit der »russischen und deutschen Kollontai-Rezeption« beschäftigten.