Publikation Staat / Demokratie - International / Transnational - Parteien / Wahlanalysen Europawahl 2004 in Frankreich

Die Franzosen haben am letzten Sonntag sowohl Desinteresse für die Europawahl, als auch den wiederholten Unwillen mit der Politik der Regierungspartei bekundet.

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Juni 2004

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Die Franzosen haben am letzten Sonntag sowohl Desinteresse für die Europawahl, als auch den wiederholten Unwillen mit der Politik der Regierungspartei bekundet.

 

Stell Dir vor es ist Wahl und niemand ...

 

Am Sonntag, den 13. Juni haben es nur wenige Franzosen bis zum Wahllokal geschafft. Mit 42,8% war die Wahlbeteiligung in Frankreich geringfügig niedriger als der europäische Durchschnitt, welcher bei unter 45% lag. Es war die niedrigste Wahlbeteiligung in Frankreich seit dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere sahen die Einwohner der französischen Überseedepartements (DOM) wie zum Beispiel Guadeloupe (14,4%) und Martinique (15,5%) keine Notwendigkeit der Stimmabgabe. Und dies obwohl man dort in Euro zahlt und die Normen für Subventionen zur Unterstützung im Agrarbereich vollständig angewendet werden. Die Wahlbeteiligung in allen Überseegebieten betrug 28,2 %.

Deutlich sichtbar wird jedoch hierbei, dass die jeweils Herrschenden keine Probleme haben sich auch von Minderheiten in ihre Positionen heben zu lassen. Wenn noch irgendjemand der Auffassung war, Nichtwählen nehme den Machtinhabern die Legitimität und führe auf  diesen Wege zu wie auch immer gearteten Veränderungen bei der Ausübung der Demokratie, der sieht sich getäuscht. Es wird auch nichts an der Ausübung der Macht ändern, wenn dessen Inhaber in vielleicht 20 Jahren nur noch von 30 % der Wahlberechtigten legitimiert werden.

 

Die Sieger

 

Mit 42,88 % der Stimmen haben die Listen der Linken (die von Mitterand gegründet PS, die Grünen, die Kommunistische Partei Frankreichs/PCF und die PRG) mehr als 4 Prozentpunkte im Vergleich zur Europawahl von 1999 zugelegt. Sie haben auch ihr Ergebnis aus den Regionalwahlen vom März 2004 noch verbessern können. Dort konnten sie 40,8 % der Stimmen auf sich vereinen, im Vergleich mit 34,8 % für die Listen der bürgerlichen Rechten.

Anders war jedoch insbesondere die Konzentration der Stimmen auf die PS. Im Verhältnis zur Regionalwahl, wo es scheinbar zunächst für einen Großteil der Franzosen entscheidend war die regierende UMP zu schwächen, und demzufolge (irgend)eine linke Partei zu wählen, kam es bei der Europawahl nicht mehr zu einer breiten Streuung der Stimmen unter den linken Parteien, sondern als Wahlsieger ging eindeutig die PS vom Platz. Mit 28,9 % der Stimmen hat sie 31 von 78 französischen Sitzen im europäischen Parlament erobert (als Vergleich: bisher hatte die PS 22 von 87 Sitzen im Parlament).

Dagegen mußten die Grünen und die Kommunisten trotz des eigentlich linken Gesamtsieges Sieges im Verhältnis zur letzten Europawahl Stimmenverluste hinnehmen.

Die Grünen kamen auf 7,4 % der Stimmen, was 6 Sitzen entspricht (Ergebnis 1999; 9,72 %),  und die Kommunisten (PCF) erhielten 5,25 % der Stimmen, somit 2 Sitze (Erg. 1999, 6,78 %).

Das Wahlbündnis zwischen den Trotzkisten (LO) und der Revolutionären Kommunistischen Liga (LCR) erreichte lediglich 2,56 % der Stimmen und schied somit aus dem europäischen Parlament aus (Erg. 1999, 5,18 %).

 

Die Verlierer

 

Um die Ergebnisse der rechten Parteien bei der Europawahl 2004 richtig einzuordnen ist ein Blick auf die Wahl von 1999 dringend geboten. Die Rechte trat damals mit drei Parteien an.

Zum einen, der RPR (gegründet von Chirac in den 1970-er Jahren; Sarkozy als Spitzenkandidaten der Liste 1999) bekamen damals 12,5 %. Dies bezeichneten sie in der Folge selbst als Katastrophe.

Denn sie wurden geschlagen von der unabhängigen Liste (la liste souverainiste) von Charles Pasqua, welche damals 13,2 % erreichte.

Als dritte bürgerliche Partei warb die UDF (Union pour la democratie francaise) um Stimmen. Sie erreichte damals 9,2% der Stimmen.

Die RPR wurde von Chirac im Jahre 2002 in UMP (union pour un mouvement populaire) unbenannt. Dies geschah vor dem Hintergrund der Präsidentenwahl 2002 und dem Eindruck der starken Kandidatur von Le Pen als Versuch von Chirac, eine einheitliche bürgerlich-rechte Kraft zu bilden um auch für die Zukunft Konkurrenten mit ähnlichen politischen Ansichten einzubinden.

Dies gelang wohl zunächst nur zur zweiten Runde der Präsidentschaftswahl 2002 (wobei dort nur Chirac oder Le Pen zur Wahl standen). Denn die neue Partei UMP erhielt bei der Europawahl 2004 zwar 16,6 % der Stimmen und damit 17 Sitze im Parlament, was zwar durchaus eine Steigerung ihres bisherigen Ergebnis (also das Ergebnis der bisherigen RPR) darstellt, jedoch an der eigentlichen Zielstellung – Alleinvertreterin der bürgerlichen Rechten zu sein – eindeutig vorbei ging. So erlangte die UDF 11,95 % (Erg.: 1999 9,2 %) und 11 Sitze und die Liste des Charles Pasqua immerhin noch 6,67 % (Erg.: 1999 13,2 %), was drei Sitzen entspricht. Das ergibt für die bürgerliche Rechte einen Gesamtanteil von rund 34 %,  und dies wiederum ist ziemlich genau eine Wiederholung des Ergebnisses, welches sie schon 1999 erreichten. Wieso, so muss man sich dann fragen, begreifen die Franzosen die aktuellen Ergebnisse als einen Sieg der Linken und eine Niederlage der Rechten?

 

Eine Bewertung

 

Zunächst ist es für den französischen Präsidenten eine äußerst peinliche Angelegenheit nur 16,6 % der Stimmen hinter sich zu vereinen (der erste Präsident der fünften Republik beendete seine Amtszeit in dem er die Franzosen fragte, ob er noch Präsident sein solle, und er dafür in einen Referendum keine Mehrheit erhielt). Zum anderen ist das Ziel von Chirac eine einheitliche Rechte zu organisieren, eindeutig gescheitert. Die Niederlage der Rechten ist also auf das hohe Maß der Zersplitterung und der Streuung der Stimmen auf die verschiedenen rechten Parteien zurückzuführen.

Im Gegensatz dazu kam es im linken Lager der französischen Parteien zu einer Bündelung und Konzentration der Stimmen auf die PS mit 28,9 %.

Dieses Ergebnis sieht sodann natürlich in jeder Grafik nach einer eindeutigen Niederlage aus, obwohl eigentlich auch die Partei von Chirac um rund 4 % zulegte. Dies aber sollte Jacques Chirac nicht versuchen, irgendjemandem als Erfolg zu verkaufen. In Frankreich stellt sich dann nämlich sehr schnell die Frage, ob der direkt vom Volk gewählte Präsident noch das Vertrauen seiner Wähler genießt (und was ein Präsident macht, wenn er merkt dass dieses Vertrauen fehlt).

 

Die Sitzverteilung der 78 Sitze der Franzosen im EP gibt den eher linken oder grünen Parteien 40 Sitze und dem rechten Lager (auch mit der extremen Recht) 38 Sitze. Dies ist deutlich gegen den europäischen Trend wonach die größte Fraktion innerhalb des EP von konservativen Parteien bestimmt wird.

 

Erwähnt sei auch noch, das mit 9,8 % der Stimmen der Front National von Le Pen 7 Sitzen errungen hat. Damit konnte die rechtsradikale Partei also nicht an ihre signifikanten Erfolge bei der letzen Präsidentenwahl 2002 anknüpfen, als sie im ersten Wahlgang 16,8 % der Stimmen erhielt und damit Lionel Jospin aus dem Rennen warf.