Text der Woche 19/2003Zum Ausgang der Kommunal- und Regionalwahlen in Großbritannien
Nach den heftigen Emotionen, welche der Irak-Krieg in Großbritannien aufwühlte (1), nach den massiven Stimmungsumschwüngen, die sich in den Meinungsumfragen der letzten Monate ausdrückten (2), waren die Kommunalwahlen in Teilen Englands und Schottlands sowie die Wahlen zu den Regionalparlamenten von Schottland und Wales am 1. Mai der erste wichtige Stimmungstest nach dem Irak-Krieg und gleichzeitig eine Art Zwischenwahl genau 6 Jahre nach Labours Wahlsieg von 1997 und knapp zwei Jahre nach der Wahlbestätigung von 2001. Ihr Ergebnis stellt sicherlich kein Geburtstagsgeschenk für den Premierminister dar, der am 6. Mai 50 wird. Genauso wenig legen die Ergebnisse (3) aber einen raschen Machtverlust Blairs oder der Labour Party nahe.
Schottisches Parlament | Walisische Versammlung | Kommunen (Teilwahl) | |
Labour | 50 (-6) | 30 (+2) | 3001 (-833) |
Conservatives | 18 (=) | 11 (+2) | 4423 (+566) |
Liberal Democrats | 17 (=) | 6 (=) | 2624 (+193) |
Scottisch National | 27 (-8) | --- | 182 (-21) |
Plaid Cymru (Wales) | --- | 12 (-5) | --- |
Green | 7 (+6) | --- | |
Scottisch Socialist Party | 6 (+5) | --- | |
Unabhängige/Andere | 4 (+3) | 1 (+1) | 1396 (-51) |
Mandate Gesamt | 129 | 60 | 11626 |
Auf den ersten Blick erscheinen die Konservativen mit ihrem ausstrahlungsarmen und umstrittenen Parteichef Ian Duncan Smith ("IDS") die Gewinner der Wahlen zu sein, haben sie doch in den 340 englischen und schottischen Kommunalvertretungen, die am 1. Mai zur Wahl standen, rund 35% der Stimmen gewonnen, während Labour und die Liberaldemokraten auf jeweils rund 30% kamen. Auch in Wales, wo die Tories weder 1997 noch 2001 auch nur einen der vierzig Unterhaussitze erobern konnten, legten sie leicht auf rund 19% zu. Doch in Schottland, wo sie 2001 gerade einmal einen der 72 Unterhaussitze errangen, verloren sie weiter und sackten auf kaum mehr als 13% der Stimmen ab. Die Erfolge der Tories relativieren sich vor allem wegen der geringen Wahlbeteiligung (um die 35% bei den Kommunalwahlen, etwa 40% in Wales und knapp 50% in Schottland). Der Abwärtstrend der nationalen Wahlen von 2001, als mit einer Beteiligung von nur 59% der tiefste Stand seit 1918 registriert wurde, setzt sich fort. Daran konnte auch die Einführung des "E-Voting" in einigen Kommunen im Ganzen wenig ändern, obwohl in diesen Gemeinden ein Anstieg der Wahlbeteiligung festgestellt wurde. Erfolge der Opposition auf lokaler Ebene zur Mitte einer Legislaturperiode sind in Großbritannien nicht ungewöhnlich. So errang Labour in den achtziger und frühen neunziger Jahren die Mehrheit in einer Vielzahl von Gemeinden, verlor aber Wahl um Wahl für das Unterhaus gegen Maggie Thatcher und John Major. Umgekehrt erlebte Labour 1999, gerade einmal 2 Jahre nach ihrem erdrutschartigen Sieg vom Mai 1997, Rückschläge bei den Kommunalwahlen und eine Niederlage bei den Europawahlen, ohne dass ihr Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen im Juni 2001 deshalb ernsthaft in Frage gestellt worden wäre.
Trotzdem sind Labours Verluste in den meisten englischen Kommunalvertretungen, die zur Wahl standen, ein bedenkliches Zeichen für die Partei. Der Verlust der Mehrheit in Birmingham, Englands zweitgrößter Stadt, schmerzt dabei besonders, doch ging auch in 27 weiteren Kommunen die Mehrheit verloren, so dass Labour nur noch in 66 der 340 am Donnerstag gewählten Gemeinden eine absolute Mehrheit hält, im Gegensatz zu 110 Tory-dominierten Kommunen und 28 mit einer Mehrheit der Liberaldemokraten. Mehr als ein Drittel aller neu gewählten Kommunen hat nach wie vor keine klaren Mehrheitsverhältnisse. Warnzeichen für Labour sind vor allem die geringe Unterstützung durch jüngere und die traditionell Labour-orientierten muslimischen Wähler, die als Ausdruck einer Ablehnung von Blairs Kriegskurs interpretiert werden können. Die Stabilisierung der kriegsgegnerischen Liberaldemokraten auf hohem Niveau spricht für diese These, während die Gewinne der kriegsbefürwortenden Tories und die Verluste der Kriegsgegner von Scottish National (von 27 auf 21% gesunken) und Plaid Cymru in Wales (von über 30 auf knapp 20% abgesackt) diesen Eindruck relativieren. Die Kriegsfrage hat die Wahlen für Labour überwiegend nur insofern geprägt, als die schon länger zu beobachtende Tendenz zur Distanz und Resignation in bezug auf die Labour Party unter Linken, in den Gewerkschaften und bei vielen bisherigen aktiven Parteimitgliedern sich deutlich verschärft hat. Hierin liegt eine langfristige Bedrohung für Tony Blair, die gravierender als die aktuellen kommunalen Mandatsverluste ist. Der Rückzug vieler Menschen aus der Partei- und Wahlpolitik, wie er sich auch in den sinkenden Wahlbeteiligungen niederschlägt, ist ein übergreifendes Problem, das nicht nur Tony Blair betrifft.
Zu den Wahlsiegern, und das ist ein weiterer Grund für die Labour Party, aufmerksam zu werden, gehören zumindest in Schottland die Grünen (knapp 7% der Stimmen und 7 der 129 Mandate) und die schottischen Sozialisten (7,5% und 6 Mandate) sowie einige unabhängige Kandidaten, darunter frühere Labour-Politiker wie John Marek in Wales. Ferner sind die relativ guten Ergebnisse von Labour in Schottland (gut 32% der Stimmen und 50 Mandate, ein Verlust von nur 1,3% und 6 Sitzen) sowie in Wales (leichter Zugewinn auf 36,6% und 30 von 60 Mandaten sowie die Rückgewinnung von symbolträchtigen Wahlkreisen in Südwales wie Rhondda), die Labour in Schottland eine Fortsetzung der Koalition mit den Liberaldemokraten und in Wales möglicher Weise sogar eine Alleinregierung erlauben, nicht als uneingeschränkte Zustimmung zur Blair-Politik zu verstehen, da Labour in Schottland unter Jack McConell und vor allem in Wales unter Rhodri Morgan mehr Elemente von "Old" Labour aufweist als es Blair lieb ist.
Umgekehrt besteht für Linke innerhalb und außerhalb der Labour Party auch kein Anlass zu übergroßer Begeisterung. Die Erfolge in Schottland, die in Wales keine Entsprechung fanden, wurden vor dem Hintergrund einer niedrigen Wahlbeteiligung und eines Wahlrechtes errungen, das kleineren Parteien deutlich mehr Chancen bietet als das strikte Mehrheitswahlrecht, das bei den Unterhauswahlen Anwendung findet. Zudem wird eine Linke außerhalb der Labour Party nur dann eine Chance haben, wenn sie auch in England, wo vier Fünftel der Briten leben, eine Verankerung hat. Deshalb kommt der nächsten Runde der Kommunalwahlen in 2004 (und in geringerem Maße auch den Europawahlen) Bedeutung zu, wählt dann doch unter anderen auch London. Gelingt es Ken Livingston dann erneut, gegen den Willen der Labour-Führung Oberbürgermeister von London zu bleiben, hätte dies eine erhebliche Symbolwirkung. Eine landesweite verankerte linke Partei neben der Labour Party ist bis auf weiteres jedoch nicht in Sicht. Es wäre bereits ein Erfolg, wenn punktuelle linke Wahlerfolge gegen die offizielle Labour-Politik in Verbindung mit einer wachsenden Politisierung in den Gewerkschaften und der Stellung der Liberaldemokraten, die in einer Reihe von Fragen "links" von Blair stehen, eine partielle Veränderung der Labour Party und eine Beschränkung der Macht der "Blairites" nach sich zögen.
Anmerkungen:
1 Siehe hierzu auch Weis, "Verirrter Fanatiker" oder "Bahnbrechender Visionär"? Tony Blair führt eine gespaltene Partei und ein gespaltenes Land in den Irak-Krieg. [pdf]
2 Siehe etwa Guardian, 22. April 2003: Blair reaps spoils of war with surge in support (www.guardian.co.uk/Print/0,3858,4652354,00.html) - Im Trend, wenn auch nicht im Ausmaß, erwartungsgemäß, stieg die Zustimmung zum Irak-Krieg und zu Blair und seinen wichtigsten Verbündeten im Kabinett mit Beginn der Kriegshandlungen deutlich an.
3 Siehe hierzu BBC (http://news.bbc.co.uk/2/hi/in_depth/uk_politics/2003/vote_2003/default.stm), Guardian (http://politics.guardian.co.uk/elections/0,13008,926580,00.html) und "Parties and Elections in Europe (http://www.parties-and-elections.de/indexe.html)
Berlin, 3. Mai 2003