In der vorliegenden Studie untersucht die Tübinger Forschungsgruppe für Migration, Integration, Jugend und Verbände anhand einer Befragung von jungen Auszubildenden und gewerkschaftlich organisierten Betriebsrät_ innen in einer Region Baden-Württembergs Phänomene des Rechtspopulismus in ihrer spezifischen regional-lokalen Ausformung und Artikulation. Mit dem Forschungsauftrag verband die Rosa-Luxemburg- Stiftung die Erwartung, Rechtspopulismus analytisch greifbarer zu machen, um aus einer solchen analytischen Verortung Schlussfolgerungen für Akteure der Zivilgesellschaft und der politischen Bildung ziehen zu können.
Die vorgelegten Ergebnisse zeigen, dass sich diese Annahme als richtig erwiesen hat. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass der Rechtspopulismus zwar beweglich und variantenreich auftritt, sich diese Erscheinungsformen allerdings um einen fixen Kern gruppieren: eine komplexitätsreduzierende Sichtweise auf gesellschaftliche Konflikte im Sinne einer starren vertikalen Oben-Unten-Dichotomie und der Markierung einer horizontalen Innen-Außen-Differenz. Linke Politik und politische Bildung müssen diese Diagnose ernst nehmen. So wird zum Beispiel deutlich, dass die häufig artikulierte eindimensionale «Establishment»- Kritik – unabhängig von den politischen Intentionen der Akteure, die diese Kritik vortragen – strukturell eine Perspektive auf Gesellschaft befördert, die anschlussfähig ist für rechte Argumentationsmuster.
Als weiteres wichtiges Ergebnis konnte die Tübinger Forschungsgruppe den in den Trenderhebungen der Leipziger «Mitte»-Studien und in den «Deutsche Zustände»-Studien der Bielefelder Forschungsgruppe um Wilhelm Heitmeyer wiederholt festgestellten Befund eines «Extremismus der Mitte» auf lokaler Ebene bestätigen, sie beschreibt dieses Phänomen mit der Chiffre «Mitte-Performance» allerdings neu und – wie wir finden – angemessener: Die «Mitte-Performance» ist ein Modus der Selbstpräsentation und -repräsentation, der sich als scheinbar politisch neutral und unideologisch darstellt, ja «rechte» politische Orientierungen in Sprechakten explizit von sich weist und dennoch die Deutungsmuster autoritärer, kulturrassistischer und standortnationalistischer Orientierungen reproduziert und aktualisiert. Dieser Einstellungs-Artikulations- Widerspruch geht mit einer Konsensorientierung im nahen Umfeld einher, die die Artikulation politischer Widersprüche und Interessengegensätze abwertet – wenn nicht sogar verunmöglicht.
Die Herausforderungen, die aus diesem Modus politischer Selbstrepräsentation und Artikulation für linke Politik und politische Bildung resultieren, liegen auf der Hand. Es reicht nicht aus, die parteipolitischen Repräsentant_ innen des Rechtspopulismus zu kritisieren, sind doch die diesbezüglichen Einstellungsmuster mit ihrer parteipolitischen Artikulation nur lose verknüpft. Linke Politik und eine emanzipatorische Bildung müssen sich darum bemühen, gesellschaftliche Widersprüche zu identifizieren, ohne in einen «links»-populistischen «Blaming»-Diskurs zu verfallen.
Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie betrifft die Entstehungsbedingungen politischer Orientierungen: Die befragten Auszubildenden und gewerkschaftlich organisierten Betriebsrät_innen entwickeln ihre politischen Orientierungen in starker Abhängigkeit von ihrem lebens- und arbeitsweltlichen (Nah-)Umfeld, hier bildet sich ihre politische und persönliche Identität heraus. Diesem Befund folgend muss ein gewerkschaftliches, zivilgesellschaftliches und politisches Handeln, das entschieden gegen rechtspopulistische Einstellungen und eine daraus resultierende politische Praxis eintritt, in diesem Feld ansetzen.
Besonders hervorzuheben ist das Fazit, dass die Jugendlichen, die persönlichen Kontakt zu Geflüchteten haben und/oder sich in flüchtlingssolidarischen Projekten engagieren, am wenigsten stark rechtspopulistische politische Orientierungen entwickelt haben. Die Erfahrung mit der Organisierung gruppenübergreifender Solidarität durch gewerkschaftliches Handeln in den Betrieben und mit einer politischen Bildung, die auf die Verallgemeinerung von Solidarität im internationalen Maßstab zielt, zeigen, dass das lokale Umfeld eines der zentralen Felder der politischen und bildnerischen Auseinandersetzung ist und deshalb der Ansatzpunkt für politische und zivilgesellschaftliche Akteure, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen, sein sollte. Die Arbeit von Fußballvereinen und anderen gesellschaftlichen Gruppen, die zusammen mit Geflüchteten Sport- und Kulturangebote machen, ist daher von unschätzbarem Wert. Solche Projekte sind unbedingt zu unterstützen, da sie niedrigschwellige Kontakte ermöglichen und nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle Menschen vor Ort ein neues soziales Miteinander schaffen. In jedem Fall muss darüber hinaus insbesondere mit Jugendlichen verstärkt der Dialog gesucht und ein entsprechendes Angebot der politischen Bildung geschaffen werden.
Alexander Schlager, Geschäftsführer des Vereins Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, Forum für politische Bildung und Kultur e. V. und Leiter des Regionalbüros
Josef Held forscht und lehrt am Institut für Erziehungswissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er leitet die Tübinger Forschungsgruppe für Migration | Integration | Jugend | Verbände.
Johanna Bröse ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit den Themenschwerpunkten Flucht- und Migrationsforschung, Rassismus, Theorien der Abwertung, Kritische Soziale Arbeit. Sie gestaltet die Tübinger Forschungsgruppe für Migration | Integration | Jugend | Verbände mit.
Rita Hackl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den Drittmittelprojekten «Rechtspopulismus und Rassismus im Kontext der Fluchtbewegung» und «Berufseinstieg von Geflüchteten – Chancen und Probleme des Übergangs in die Arbeitswelt» der Tübinger Forschungsgruppe für Migration | Integration | Jugend | Verbände am Institut für Erziehungswissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen.