Die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, unter denen unser Essen produziert wird, sind vielfach dokumentiert. Doch die Anbauregionen sind meist weit weg, und die Werbeagenturen der Nahrungsmittelkonzerne schaffen es gut, Missstände zu vergessen zu machen. »Food from nowhere«, Essen von nirgendwoher, nennt der US-Soziologe Philip McMichael diese strukturellen Verdrängungsleistungen.
Mehr als eine Milliarde Menschen arbeitet in der Landwirtschaft, ein Drittel der Arbeitskräfte weltweit. 300 bis 500 Millionen von ihnen sind Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter, schätzt die UN-Arbeitsorganisation ILO. Zu dieser Klasse gehören einerseits Landlose, unter ihnen immer mehr Migranten, andererseits aber auch Kleinbauern, die ergänzend auf bezahlte Jobs angewiesen sind, sei es temporär auf der Farm ihres Nachbarn oder saisonal in entfernteren Regionen. Sie malochen sowohl im »informellen« bäuerlichen Sektor als auch auf Großfarmen und Plantagen.
Die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich sind extrem prekär und von gravierenden Rechtsverletzungen gekennzeichnet. Die Bezahlung auf Zuckerrohr- und Palmölplantagen oder auf Gemüsefarmen erfolgt oftmals nach Erntemenge im Akkord statt nach Arbeitszeit. Und die (angeblichen) Kosten der Grundversorgung mit Essen und einem Bett sowie für den Transport zum Arbeitsort und die Bereitstellung von Arbeitsschutzkleidung etc. werden vom Nominallohn abgezogen. Vielfach bleibt davon wenig bis nichts übrig. Rund 3,5 Millionen Landarbeiter weltweit arbeiten laut ILO (Bericht »Profits and Poverty. The Economics of Forced Labour«, 2014) sogar unter sklavereiähnlichen Bedingungen. Mangelnder Arbeitsschutz und sexuelle Übergriffe sind weit verbreitet. Das alles passiert keineswegs nur in kleineren bäuerlichen Firmen, sondern genauso auf Großplantagen, die für den Weltmarkt produzieren.
Kartelle drücken Preise
Diese Ausbeutung hat strukturelle Gründe. Es gibt eine wachsende »Reservearmee« im ländlichen Raum, und gleichzeitig wurde in der neoliberalen Phase des Kapitalismus der letzten Jahrzehnte der Druck auf die Erzeuger der Rohprodukte enorm erhöht. Die Differenz zwischen den an sie gezahlten Beträgen und den Lebensmittelpreisen im Supermarktregal wird immer größer. Was der Bauer oder das Agrarunternehmen bekommt, macht nur noch 20 bis 30 Prozent dessen aus, was der Konsument für ein Produkt zahlt, schätzte der britische Agrarökonom Steve McCorriston 2012.
Vorbei die Zeiten, in denen staatliche Vermarktungsorganisationen Mindestpreise für Agrarrohstoffe sicherstellten und über internationale Rohstoffabkommen versucht wurde, den Weltmarkt zu stabilisieren. Seit den 1990er Jahren haben global agierende Konzerne der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie sowie des Einzelhandels mit ihrer enormen Marktmacht den Preisdruck auf die Rohstoffproduzenten erhöht und die Spielregeln entlang der Lieferketten verändert. Das Nachsehen haben Bauern und Plantagenbetreiber – die in der Folge die Löhne ihrer Arbeiter weiter drücken. Eine Teepflückerin im indischen Distrikt Darjeeling erhält für 15 Kilo, die sie an einem Tag erntet, keine zwei Euro. Der aus dieser Menge gewonnene Tee bringt in Deutschland, wenn er unter dem Fairtrade-Label verkauft wird, 600 Euro und mehr an Umsatz. Gleichzeitig wird von vielen Regierungen versucht, die Ausbeutung von Arbeitern in der Landwirtschaft mit der Notwendigkeit niedriger Lebensmittelpreise für ärmere Konsumenten zu rechtfertigen. Doch eine Vielzahl von Studien zeigt, der Anteil der Lohnkosten am Preis für das Endprodukt im Vergleich zu den Profitmargen wie auch zu den Marketingausgaben der Ernährungsindustrie marginal ist.
Politisch marginalisiert
Verbunden mit diesem ökonomischen Druck ist in vielen Ländern die politische Marginalisierung der Betroffenen. Oftmals, etwa in Indien oder Südafrika, liegt der Mindestlohn im Agrarsektor deutlich unter dem in anderen Wirtschaftszweigen. Die Arbeit von Gewerkschaften im ländlichen Raum taucht in Berichten der Medien kaum auf. Zugleich werden Gewerkschafter bei Versuchen der Organisierung bedroht und nicht selten ermordet wie jüngst Alberto Acosta González, Vorsitzender der kolumbianischen Gewerkschaft der Zuckerrohrarbeiter Sintrainagro, der am 1. Juli von Scharfschützen erschossen wurde. Im ländlichen Raum mit großen räumlichen Distanzen zwischen den Arbeitern einerseits und einer existentiellen Abhängigkeit ganzer Familien vom Farmmanagement andererseits greifen klassische gewerkschaftliche Ansätze oft nicht.
In internationalen Debatten um Beschäftigtenrechte kommen Landarbeiter praktisch nicht vor. Die ILO beschränkt sich darauf, in einzelnen Fällen, in denen besonders dreiste Rechtsbrüche bekannt werden, Daten zu sammeln und dann in »Multistakeholderforen« gemeinsam mit Plantagenunternehmern, Regierungs- und Gewerkschaftsvertretern »Aktionspläne« zu entwickeln. Sie hat keine Agenda, ernsthaft die Einhaltung von Arbeitsrechten und die Zahlung existenzsichernder Löhne auf Grundlage der ILO-Konventionen durchzusetzen.
Ähnlich sieht es in der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung aus. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat zwar die Sonderinitiative »Eine Welt ohne Hunger« gestartet. Deren Zielgruppe sind Kleinbauern. Zugleich aber hat es öffentlich-private Partnerschaften mit Agrarkonzernen auch mit dem Argument vereinbart, »Jobs« im ländlichen Raum seien ein wichtiger Faktor im Kampf gegen Armut und Hunger. Unterstützung oder Konsultation von Gewerkschaften ist dabei kein Thema. Dabei ist soziale Sicherung im ländlichen Raum ein Schwerpunkt der BMZ-Sonderinitiative. Die Arbeitsverhältnisse werden jedoch ausgeklammert.
Undogmatische Bündnisse
Von zentraler Bedeutung sind unter diesen Bedingungen innovative Organisierungsformen. Der jungen Gewerkschaft CSAAWU (Commercial Stevedoring Agricultural and Allied Workers Union) in Robertson in der südafrikanischen Provinz Westkap ist es im vergangenen November gelungen, nach einem 14wöchigen Streik unter harten Bedingungen auf Weinplantagen und in einer Weinabfüllanlage deutliche Verbesserungen zu erreichen. 220 Arbeiter hatten durchgehend die Arbeit niedergelegt und so eine signifikante Erhöhung des Lohnes, eine Prämie und ein Übereinkommen durchgesetzt, das rassistische Praktiken wie die Vorzugsbehandlung weißer Arbeiter in der Abfüllanlage beenden soll. Dies gelang aufgrund eines starken Zusammenhalts der Arbeiterinnen und Arbeiter untereinander wie auch der Bevölkerung in der Region.
Dazu dürfte beigetragen haben, dass CSAAWU vor Ort ein »Legal Ressource Center« betreibt. Aktive der Gewerkschaft bieten hier Rechtsberatung für alle Menschen der Kleinstadt an. Ein zweiter Faktor war, dass CSAAWU seit Jahren gezielt Bündnisse aufbaute. Die Basisgewerkschaft war im April an der Gründung der neuen linken südafrikanischen Gewerkschaftsförderation SAFTU (South African Federation of Trade Unions) beteiligt und arbeitet eng mit progressiven Nichtregierungsorganisationen (NGO) zusammen. Auch internationale Kontakte sind von großer Bedeutung. Denn CSAAWU konnte mit Unterstützung europäischer Gewerkschaften und eines Filmemachers den Boykott des Weins der Marke Robertson durch einem wichtigen Abnehmer in Dänemark erreichen und damit im Arbeitskampf den Druck auf das Unternehmen erhöhen. Neue, undogmatische Bündnisse zwischen Gewerkschaften genau wie mit NGO, progressiven Bauernorganisationen und Aktiven aus anderen sozialen Bewegungen sind zentral, damit Landarbeiterinnen und Landarbeiter in Debatten um Ernährungssysteme endlich sichtbar und hörbar werden.
Benjamin Luig koordiniert für die Rosa-Luxemburg-Stiftung das »Dialogprogramm Ernährungssouveränität«. Er lebt in Johannesburg, Südafrika. Dieser Beitrag erschien zuvor in der Tageszeitung «junge welt» am 9.8.2017.
Anfang Oktober werden Vertreter der Landarbeitergewerkschaft CSAAWU gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) auf einer Tour durch die Bundesrepublik in Deutschland von ihren Arbeitskämpfen berichten. Nähere Informationen dazu ab September auf www.rosalux.de
Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen, ILO, zu Profiten und »erzwungener Arbeit« (2014): kurzlink.de/iloreport