Dem Text «Politologentrug» von Wolfgang Wippermann liegt sein Vortrag beim Gesprächskreis «Rechtsextremismus» der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Duisburg am 19. März 2010 zugrunde. In Kooperation mit dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) stellten drei Wissenschaftler ihre Thesen zum «Extremismus»-Begriff zur Diskussion. Neben Professor Wippermann sprachen Stefan Kausch (Forum Kritische Rechtsextremismusforschung, Leipzig) zu «Ordnung.Macht.Extremismus. Das Konstrukt der ‹guten Mitte› und alternative Perspektiven» sowie der DISS-Mitarbeiter Jens Zimmermann zu «Wissenschaftstheoretischen Elementen einer Kritik der Extremismusforschung und Kritische Diskursanalyse als alternative Perspektive für eine kritische Rechtsextremismusforschung». Dem Gesprächskreis ging es um die Problematik des Extremismusbegriffs und seine politische Instrumentalisierung. In den zurückliegenden Monaten konnte beobachtet werden, wie der seit Jahren umstrittene und wissenschaftlich eigentlich verworfene Begriff des Extremismus fröhliche Urstände feiert und in durchsichtiger Weise instrumentell in Dienst genommen wird. Der Koalitionsvertrag der zweiten Merkel-Regierung in Koalition mit der FDP gibt den Rahmen vor, in dem Linksextremismus zum neuen Feindbild aufgebaut und mit Rechtsextremismus gleichgesetzt wird.
Obwohl es an diesem politischen Rollback, der in der neuen rechtskonservativen Bundesfamilienministerin eine eifrige Verfechterin hat, auch heftige Kritik gibt (z. B. seitens des DGB), vollziehen auch viele SozialdemokratInnen und andere OppositionspolitikerInnen – ohne Not – einen Schwenk in Richtung dieser unzulässigen Gleichsetzung. Ausgegrenzt und kriminalisiert wird hier linke Kritik und Organisierung. Sowohl kleine Projekte und Initiativen sind davon betroffen (Antifa-Zeitschrift LOTTA NRW, Unrast-Verlag Münster, die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archiv-Stelle (a.i.d.a.) in München, das Mehrgenerationenhaus-Projekt Inwole in Potsdam etc.) als auch die Partei DIE LINKE und in Baden Württemberg sogar die Rosa-Luxemburg-Stiftung . Der behördliche Verfassungsschutz, im Grunde ja der Inlandsgeheimdienst, rekrutiert willige WissenschaftlerInnen, maßt sich einen dezidierten Bildungsauftrag an – in Niedersachsen etwa werden die VS-Bildner, die etwa durch Schulen tingeln, ohne Ironie «Demokratielotsen» genannt – und kontrolliert den Zugang zum erlauchten Kreis der «Zivilgesellschaft». Die drei Wissenschaftler und die rund 35 TeilnehmerInnen des Gesprächskreises sprachen über diese Besorgnis erregende Entwicklung, um in einer Diskussion auch Möglichkeiten zu ventilieren, wie ihr sowohl wissenschaftlich als auch politisch entgegengewirkt werden kann. Dies Standpunkte-Papier soll diesen ersten Aufschlag einer dringend notwendigen Diskussion dokumentieren und über den Gesprächskreis hinaus Interessierte zur weiteren kritischen Auseinandersetzung mit Extremismusbegriff und Totalitarismusdoktrin ermuntern.
Friedrich Burschel, für Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit zuständiger Bildungsreferent an der Akademie für Politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Weiter im PDF.