Die kapitalistische Globalisierung kenne Gewinner und Verlierer, heißt es. Zeit für Kapitalismuskritik? Unsinn! Die Menschheit ist mit dem System insgesamt gut gefahren und der «Wohlstand der Nationen» sei so hoch wie nie zuvor: Seit mehr als zwei Jahrhunderten gibt es jahresdurchschnittliche Wachstumsraten von 2% und mehr, das hat es in der Menschheitsgeschichte vor dem Kapitalismus nie gegeben. Da ist die ebenfalls wachsende Ungleichheit der Einkommen, Vermögen und Lebenschancen zwischen den Gewinnern und Verlierern zu verschmerzen.
So könnte es noch lange weitergehen und es ginge dann nur um eine mehr oder weniger gerechte Verteilung des produzierten Reichtums. Doch keine Bäume wachsen in den Himmel. Daher sind der Inwertsetzung, also der Verwandlung natürlicher Ressourcen in Werte, Grenzen gesetzt, zumal die kapitalistischen Gesellschaften nur wenige Ressourcen, die sie für die Inganghaltung des Akkumulationsprozesses benötigen, selbst produzieren können. Allenfalls gilt dies für immaterielle Ressourcen wie die Qualifikation der Arbeitskraft oder manche technologische Entwicklung, nicht aber für mineralische und agrarische Rohstoffe und vor allem nicht für die fossilen Energieträger – das sind heute vor allem Erdöl und Erdgas. Ohne sie würde die Kapitalakkumulation zusammenbrechen. Wenn man sich, wie zu Beginn des fossilen Zeitalters vor gut 150 Jahren, fern von den Ressourcengrenzen befindet, brauchen diese einen nicht zu kümmern. Wenn der Höhepunkt der Ölförderung («Peak oil») aber kurz bevorsteht, muss jede Kapitalismusanalyse den gesellschaftlichen Naturverhältnissen Rechnung tragen. Für die Kapitalismuskritik wird spätestens dann der von Karl Marx als «Springpunkt» bezeichnete Doppelcharakter des Wirtschaftens bedeutsam: Dass die stofflich-natürliche Dimension der in Wert gesetzten Ressourcen auch im Prozess der kapitalistischen Akkumulation bedeutsam bleibt.
Auch endogene Widersprüche der Akkumulation stellen sich als Entwicklungsgrenzen dar. Denn die Verluste der VerliererInnen und die Gewinne der GewinnerInnen der kapitalistischen Globalisierung lassen sich nicht einfach saldieren. Die GewinnerInnen sind Geldvermögensbesitzer, reiche Kapitalisten, kaufkräftige KonsumentInnen. VerliererInnen sind viele derjenigen, die von ihrer Arbeit abhängig sind, um ein passables Einkommen zu erzielen. Das verweist nicht nur auf ein Verteilungs- und Gerechtigkeitsproblem. Denn ihre Konsumtionskraft reicht periodisch nicht aus, um die Produkte der stets größer werdenden Produktionskraft aufkaufen zu können.
Die periodische Krise der kapitalistischen Produktionsweise wird offenkundig: Die Kapitalakkumulation stockt, weil die kaufkräftige Nachfrage fehlt, und mit ihr das Wachstum. Kapital wird vernichtet, dabei gehen viele Arbeitsplätze und damit die Lebenschancen vieler Menschen verloren. Die Einkommen sinken, die Staatseinnahmen auch. Die Krise erfasst auch die Finanzmärkte. Sie lässt sich nicht mehr eingrenzen, und wenn dies versucht wird, erlaubt die immer weiter reichende Liberalisierung der Finanzmärkte die Erfindung immer abenteuerlicherer Finanzinnovationen. Mit diesen können sich «Finanzinvestoren» selbst in der Krise hohe Renditen sichern, auf Kosten ganzer Bevölkerungsschichten und Länder, die in die Armut abgedrängt werden. Akkumulation des Kapitals erfolgt dann nicht mehr durch Produktion eines (relativen) Mehrwerts, sondern durch Enteignung.
Würde das System krisenfrei and anstandslos funktionieren, gäbe es gar keinen Anlass für Kritik und daher auch keinen Grund, sich Gedanken über Alternativen zum Kapitalismus zu machen. Die Krisen der Gesellschaftsformation sind es also, die die intellektuelle und praktische Kritik provozieren. Worauf muss diese vor allem zielen? Darauf, dass sich der Kapitalismus an sich selbst bemisst und andere Kriterien als Rendite, Profitabilität und Akkumulations- oder Wachstumsrate nicht akzeptiert. Erstens bringt der Akkumulationsprozess aus seiner eigenen widersprüchlichen Dynamik periodische Krisen hervor. Weder keynesianische, antizyklische Interventionspolitik hat diese verhindern oder eindämmen können, noch – und erst recht nicht – neoliberales Vertrauen auf die «grundsätzliche Stabilität des privaten Sektors». Zweitens tendiert der Kapitalismus dazu, die Ressourcen der Akkumulation zu übernutzen, in erster Linie die menschliche Arbeitskraft. Zu ihrem Schutz ist der moderne Sozialstaat erkämpft worden, der nun in der «neoliberalen Konterrevolution» mehr und mehr abgeschafft wird, um die Ausbeutung ungehindert steigern zu können. Aber auch die Reproduktionsbedingungen der äußeren Natur werden systematisch missachtet. Die Ressourcen werden bis zur Neige ausgebeutet und die Senken der globalen Natur bis zum Zusammenbruch von Ökosystemen, wie des globalen Klimasystems, übernutzt.
Zum Weiterlesen
Altvater, Elmar (2005): Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Münster.
Harvey, David (2003): Der neue Imperialismus, Hamburg. Koch, Claus (1995): Die Gier des Marktes, München.
Marx, Karl: Das Kapital, Band 1-3, Marx-Engels-Werke, Band 23-25.