Öffentliche Dienstleistungen und die Daseinsvorsorge stehen seit einigen Jahren unter Druck. Lange wurden Ausgaben massiv gekürzt, Leistungen reduziert und wurde Personal abgebaut. In den letzten Jahren hat sich dieses Bild zwar teilweise etwas verändert, wie einzelne Rekommunalisierungen wie etwa der Berliner Wasserbetriebe ebenso zeigen wie eine auch konjunkturell bedingte bessere Finanzsituation der öffentlichen Hand. Außerdem übernimmt der Bund vermehrt zumindest Teilkosten, für die ehemals Länder oder Kommunen allein verantwortlich waren, etwa im Bereich der frühkindlichen Bildung.
Allerdings zeigt sich auch, dass die Ungleichheit zwischen Städten und Gemeinden, zwischen urbanen und ländlichen Räumen und auch innerhalb von Städten zugenommen hat. Insgesamt ist eine wachsende sozialräumliche Polarisierung zu beobachten und die grundgesetzlich eigentlich garantierte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht mehr gegeben, wenn in einigen Regionen Leistungen der Daseinsvorsorge wie zum Beispiel öffentlicher Personennahverkehr nicht mehr oder nur noch zu sehr ausgedünnten Taktzeiten angeboten wird. Die wachsende finanzielle Kluft zwischen Kommunen zeigt sich auch beim Investitionsrückstand und den öffentlichen Investitionen. Das KfW-Kommunalpanel 2018 (KfW Bankengruppe 2018: 24) konstatiert: «Gerade bei Schulen und Kitas sind regionale Ungleichheiten beim Investitionsrückstand besonders ausgeprägt. So fallen die Investitionen im Schulbau beispielsweise in solchen Regionen deutlich niedriger aus, wo es aufgrund eines hohen Anteils an Kindern in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften eigentlich einen besonders ausgeprägten Unterstützungsbedarf gäbe.»
Diese Entwicklung findet in einer Situation statt, in der die Daseinsvorsorge vor großen Umbrüchen und Herausforderungen steht. Zu nennen sind hier insbesondere:
Ein Mehr an Kindern und Jugendlichen sowie von Menschen mit Migrationshintergrund macht insbesondere auf kommunaler Ebene den Aus- bzw. Aufbau bestehender Infrastrukturen erforderlich. Dies betrifft neben dem Wohnungsbau insbesondere den Bildungsbereich. Auch durch staatliche Vorgaben angestoßene Projekte wie etwa der Ausbau des Angebots von Ganztagsschulen und der frühkindlichen Bildung über den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige begründen neue Bedarfe im Bereich der Bildungsinfrastrukturen. Angesichts von Klimawandel, Verkehrswachstum, Urbanisierung und wachsenden Pendlerströmen ist eine sozial-ökologische Verkehrswende notwendig. Doch gerade bei der Verkehrsinfrastruktur haben jahrelang unterlassene Investitionen zu einem starken Verfall der Infrastruktur geführt. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs ist dabei nicht nur ökologisch geboten, sondern auch eine soziale Frage, denn es sind eher die Bezieherinnen und Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen, die nicht auf ein eigenes Auto zurückgreifen können. In der Digitalisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft dominieren kommerzielle Interessen und das Primat technologischer Machbarkeit. Dies hat auch Konsequenzen für die Daseinsvorsorge. So firmieren unter dem Label der «Smart City» unterschiedlichste Konzepte der Digitalisierung urbaner Räume. Zu ihnen zählen etwa Konzepte für die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen, die technisch unterstützte Lenkung von Verkehrsströmen oder die «smarte» Steuerung des Energieverbrauchs von Häusern bzw. ganzen Stadtvierteln. Doch statt digitale Lösungen für urbane Probleme und Plattformen in der Hand der Kommunen zu entwickeln, fördern diese meistens von großen ITK-Unternehmen entwickelten Ansätze die Privatisierung des öffentlichen Raums.
Während insbesondere viele Großstädte wachsen und hier die Infrastruktur ausgebaut werden muss, sind zwischen 2005 und 2015 37 Prozent der Mittelstädte und 52 Prozent der Kleinstädte geschrumpft (Deutscher Bundestag 2017: 4). Diese Regionen mit schrumpfender und alternder Bevölkerung müssen ihre Infrastruktur für eine zahlenmäßig immer geringere Bevölkerung erhalten und gleichzeitig bezahlbar gestalten.
Die Nachfrage und der Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum sind so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Eine Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass in den 77 deutschen Großstädten gut 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen, darunter etwa 1,4 Millionen günstige Apartments unter 45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte (Holm et al. 2018). Die Knappheit an bedarfsgerechten und bezahlbaren Mietwohnungen und die darauf basierenden steigenden Grundstücks- und Wohnungspreise in den urbanen Zentren verschärfen die soziale Spaltung und Segregation in den Städten. Zusätzliche Anforderungen an die kommunale Infrastruktur und Daseinsvorsorge entstehen.
Inhalt
Martin Beckmann / Horst Kahrs
Öffentliche Daseinsvorsorge im Umbruch. Herausforderungen, Handlungsfelder und Gestaltungsoptionen
Ines Wallrodt
Kommunale Selbstverwaltung und die Zukunft der Daseinsvorsorge – Berichte
- Workshop 1: Öffentliche Daseinsvorsorge im Umbruch
- Workshop 2: Bürgerservice und digitale Verwaltung
- Workshop 3: Freiwilligenarbeit, Bürgerbeteiligung und Gemeinwohl
- Workshop 4: Zukunftsaufgabe Mobilität sozial und ökologisch gestalten
Martin Beckmann
Ein kurzes Fazit
Anhang
Dokumentation: Fünf Werbeflyer zur Veranstaltungsreihe
Martin Beckmann, Dr. phil., ist Gewerkschaftssekretär in der ver.di-Bundesverwaltung und Referent für Dienstleistungspolitik, Regional- und Strukturpolitik.
Horst Kahrs ist Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung und arbeitet zu den Themen Wahlen, Demokratie, Klassen und Sozialstruktur.
Ines Wallrodt ist Journalistin.
Die vorliegende Publikation stellt den Abschlussbericht zu vier Workshops von ver.di und Rosa-Luxemburg-Stiftung im Jahr 2018 dar.