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Am 24. Februar 2019 werden im Senegal die Präsidentschaftswahlen abgehalten.

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Erschienen

Februar 2019

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Präsident Macky Sally von Senegal CC BY-SA 2.0, MONUSCO Photos

Am 24. Februar 2019 werden im Senegal die elften Präsidentschaftswahlen abgehalten. Gerechnet wird mit dem engsten Kopf-an-Kopf-Rennen seit der Unabhängigkeit des Landes von Frankreich im Jahr 1960. Vier Kandidaten treten gegen den aktuellen Amtsinhaber, Macky Sall, an und sind fest entschlossen seinen Platz einzunehmen.

Der Kontext

Senegal ist ein mehrheitlich muslimisches Land und gilt als politisch stabiles Demokratiemodell auf dem afrikanischen Kontinent. Schon 1974 wurde das Mehrparteiensystem eingeführt – damit lange vor seiner allgemeinen Verbreitung in den subsaharischen afrikanischen Ländern in den 1990er Jahren. Léopold Sédar Senghor (1960–1980), Dichter und Mitglied der Académie Française, und sein von ihm persönlich ausgewählter Nachfolger Abdou Diouf (1981–2000) hatten das Präsidentenamt des Landes während der 40-jährigen Regierung der Sozialistischen Partei (Parti Socialiste – PS) inne. Im Jahr 2000 kam es im Senegal zum ersten politischen Machtwechsel, als der geschichtsträchtige Oppositionelle und Gründer der Demokratischen Partei Senegals (Parti Démocratique du Sénégal – PDS) Abdoulaye Wade das Amt übernahm. Der Anwalt und Wirtschaftswissenschaftler Wade hatte sich schon immer zum Liberalismus bekannt und konnte einen Großteil der senegalesischen Jugend mit seiner damaligen Losung Sopi (Wandel) für sich gewinnen. 2007 wurde er wiedergewählt und 2012 von Macky Sall geschlagen, einem seiner früheren Protegés, der sich mit einer Rekordgeschwindigkeit in der staatlichen Hierarchie emporgearbeitet hatte. Der gelernte Geologe und ehemalige Maoismus-Sympathisant war zum Liberalismus à la Wade konvertiert. Zwischen 2000 und 2008 war er nacheinander Hauptgeschäftsführer der senegalesischen Erdölgesellschaft Petrosen, Minister für Bergbau, Energie und Hydraulik, Innenminister, Premierminister sowie Parlamentsvorsitzender. 2008 wurde Macky Sall von Wade aus dem Parlamentsvorsitz gedrängt, da dieser verhindern wollte, dass Sall seinen Sohn Karim Wade zu sehr in den Schatten stellte, der Wades Nachfolge als Staatsoberhaupt antreten sollte. Macky Sall gründete seine eigene Partei, das Bündnis für die Republik (Alliance pour la République – APR), dank der er 2012 den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden konnte.

Wie vor ihm schon Wade weckte Macky Sall zu Beginn gewisse Erwartungen in der senegalesischen Bevölkerung, die auf einen Wandel in der Regierungsführung und der Ausrichtung der öffentlichen Politik hoffte. Der heute 57-jährige Macky Sall gehört einer Generation an, die nach der Unabhängigkeit des Senegals geboren wurde. In den Augen vieler Senegales*innen sollte diese «Jugend» für den Mut stehen, mit parteipolitischen Traditionen zu brechen und «Komplexe» gegenüber Frankreich und dem Ausland abzulegen. Zudem hatte Macky Sall im Wahlkampf soziale Maßnahmen und eine «sparsame und tugendhafte Regierungsführung» versprochen. Damit konnte er diejenigen Wähler*innen für sich gewinnen, die entschlossen waren, Wades Dynastie-Projekt ein Ende zu setzen.

Trotz seiner «Jugend» stand Salls siebenjährige Amtszeit im Großen und Ganzen in der Kontinuität von Wades Politik. Sein Wahlversprechen, das Präsidentschaftsmandat auf fünf Jahre zu verkürzen, nahm er schließlich unter dem Vorwand juristischer Spitzfindigkeiten zurück. Besagte politische Kontinuität wird auf drei Ebenen deutlich.

Erstens stützte Sall sich wider Erwarten auf die traditionelle politische Klasse, um seine Macht auszubauen. Er ging Bündnisse ein mit Tanor Dieng, dem Generalsekretär der PS, und mit Moustapha Niasse, der 1999 infolge seines Austritts aus der PS – unter anderem wegen Ego-Streitereien mit Tanor Dieng – das Bündnis der Kräfte für den Fortschritt (Alliance des Forces du Progrès – AFP) gegründet hatte. Niasse wurde mit dem Amt des Parlamentsvorsitzenden «belohnt», während Dieng den Vorsitz des Hohen Rats der Gebietskörperschaften (Haut Conseil des Collectivités Territoriales – HCCT) erhielt, einer Institution, die in den Augen vieler Senegales*innen ein Mittel für das Staatsoberhaupt ist, seine politische Klientel unterzubringen. Durch das Bündnis mit Macky Sall provozierten Niasse und Dieng großen Aufruhr in ihren jeweiligen Parteien, woraufhin manche Mitglieder rebellierten und ihre politische Unabhängigkeit sowie ihre Angehörigkeit zur Opposition betonten. Khalifa Sall, ehemaliger Bürgermeister von Dakar, leistete innerhalb der PS untergründig Widerstand, während Malick Gackou, ein führender Politiker der AFP, seine eigene Partei gründen musste. Um mehr Mitglieder für seine junge Partei zu finden, ermutigte Macky Sall die transhumance [1], ein in der senegalesischen Politik genutzter, moralisch aufgeladener Begriff, der Oppositionsführer*innen bezeichnet, die sich dem Lager der Machthabenden anschließen, um in den Genuss von Privilegien zu kommen.

Zweitens stellte Macky Salls Regime auch in Bezug auf den institutionellen Apparat und das Gewaltengleichgewicht keinen Bruch mit der von Wade geerbten Tradition unbeständiger Regierungen dar (drei Premierminister zwischen 2012 und 2019) und baute die Vormachtstellung der Exekutive noch weiter aus. Die Judikative stand ganz im Dienst des Staatsoberhaupts und wurde von ihm genutzt, um mit politischen Gegnern abzurechnen, die ihm gefährlich werden konnten und verdrängt werden sollten, darunter Karim Wade und Khalifa Sall.

Drittens verfolgte Macky Sall auf wirtschaftlicher Ebene weiterhin Wades Politik, kostspielige, von ausländischen Unternehmen ausgeführte Infrastrukturprojekte durch öffentliche Verschuldung zu finanzieren. Im vorteilhaften Kontext einer Anhebung der Terms of Trade (verbessertes Verhältnis zwischen den durchschnittlichen Ein- und Ausfuhrpreisen) führte der Plan Sénégal Émergent (PSE) ab 2013 zur höchsten und dauerhaftesten Wachstumsrate in der Geschichte Senegals. Doch auch wenn das Wirtschaftswachstum beachtlich ist, bleibt es doch nach außen gerichtet – mehr als die Hälfte verlässt das Land wieder als Zahlungen des Schuldendiensts, als Gewinne und Dividenden ausländischer Unternehmen sowie als Lohnzahlung für ausländische Arbeitnehmer*innen. Wie nahezu überall in Afrika führte dieses Wachstum keineswegs zur massiven Schaffung von annehmbaren Arbeitsplätzen für die rasant zunehmende Zahl der Arbeitskräfte. Macky Sall versprach die Schaffung von 500.000 Arbeitsplätzen während seiner siebenjährigen Amtszeit. Er selbst spricht zur Rechtfertigung seiner Bilanz von 491.000 zwischen 2012 und 2018 geschaffenen Arbeitsplätzen, wobei diese Zahl bisher in keiner überprüfbaren Statistik bestätigt wurde. Zweifellos führten die mangelnden Bemühungen in diesem Bereich zur Einrichtung der DER – Délégation à l‘Entreprenariat Rapide (Delegation für schnelles Unternehmertum) –, ein staatlich finanziertes Programm von Projektträgern, das eher eine Wahlkampfmaßnahme als ein wirkliches Unterstützungsprogramm für kleine und mittlere Unternehmen und Industriezweige darstellt. Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt bleiben bestehen und könnten sich zukünftig wohl noch verschlimmern, angesichts der Zerstörung von Arbeitsmöglichkeiten im informellen Kleingewerbe durch Infrastrukturprogramme, die zur Abschottung der vom Straßenhandel lebenden Städte führen, oder durch die Konkurrenz der Oligopole im Handelssektor. Darüber hinaus ist der langfristige Nutzen derartiger Entwicklungen für die Bevölkerung sehr fragwürdig, wenn sich das wirtschaftliche Wachstum negativ auf die Umwelt auswirkt, wie im Fall der Stadt Bargny, die zum Symbol für die Widersprüche des Plan Sénégal Émergent geworden ist.

Die parrainage citoyen – Patenschaft durch Bürger*innen

Neu war bei den Präsidentschaftswahlen 2019 der von den Kandidat*innen zu erbringende Nachweis, über genügend Rückhalt in der Bevölkerung zu verfügen. Es reichte nun nicht mehr, eine finanzielle Kaution zu leisten. Um für das Präsidentenamt zu kandidieren, müssen die Anwärter*innen mindestens 53.000 Unterschriften von Bürger*innen erhalten, die einen senegalesischen Personalausweis besitzen, wobei wenigstens 2.000 davon aus mindestens sieben Regionen Senegals stammen müssen. Da es keine wirklichen Absprachen zwischen der Regierung und der Opposition gab, wurde die Maßnahme anfänglich von Zivilgesellschaft und Opposition stark kritisiert. Deren Befürchtungen haben sich bewahrheitet, denn die Regierung hatte in der Eile nicht die notwendigen technischen Vorkehrungen getroffen, um doppelte Stimmabgaben zu vermeiden – also dass Pat*innen die Listen für zwei verschiedene Kandidat*innen unterschreiben – und für die Sicherheit der Sammlung sowie der Überprüfung der Unterschriften zu sorgen. Trotz dieser Mängel war die Patenschaftsmaßnahme von großem Nutzen. Auf ihrer Grundlage konnte die ursprünglich angekündigte Zahl der Präsidentschaftskandidat*innen – etwa einhundert! – drastisch gesenkt werden. 27 Anwärter*innen nahmen schließlich am Ausschlussverfahren durch die Patenschaften teil. Am Ende konnten sieben Kandidaten die benötigten Unterschriften vorweisen, doch nur fünf von ihnen wurden vom Verfassungsrat bestätigt. Khalifa Sall und Karim Wade erklärte der Rat aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen als nicht wählbar. Khalifa Sall befindet sich zurzeit im Gefängnis wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder. Karim Wade hat ebenfalls eine Haftstrafe wegen ungerechtfertigter Bereicherung abgesessen, bis ihm eine Art bedingte «Gnade» gewährt wurde: Als Gegenleistung zu seiner Freilassung ging er nach Katar ins Exil.

Das Patenschaftsprinzip erleichtert demnach die Organisation des Wahlkampfs, erschwert jedoch die Kandidaturen von Frauen und jungen Menschen, die beide zu den großen Verlierer*innen der aktuellen Präsidentschaftswahlen gehören. Ohne eine grundsätzliche Vermögensprüfung der Kandidat*innen sowie strenge Kontrollen über die Wahlkampfgelder führt das Patenschaftsprinzip lediglich dazu, dass sich der Wettkampf auf die finanzstärksten Kandidat*innen verengt, also häufig diejenigen, die sich illegal an öffentlichen Geldern bereichert oder nicht deklarierte Gelder von in- und ausländischen Sponsoren erhalten haben.

Die Kandidaten

Der Präsidentschaftswahlkampf begann am 2. Februar und endet am 22. Februar. Macky Sall wird gegen vier weitere Kandidaten antreten: Idrissa Seck, Madické Niang, Ousmane Sonko und Issa Sall.

Idrissa Seck ist Generalsekretär der Partei Rewmi (das Land) und ein gewiefter Politiker. Er war der zweite Premierminister unter Abdoulaye Wade. Nachdem er sich mit diesem überworfen hatte, landete er wegen Veruntreuung von Geldern und Korruption im Gefängnis, wurde aber schließlich von der senegalesischen Justiz freigesprochen. Der ehemalige Bürgermeister von Thiès erreichte bei den Präsidentschaftswahlen 2007 mit 15 Prozent der Stimmen den zweiten Platz. Er galt damals als aussichtsreicher Kandidat, um Wade abzulösen. Da er sich in der Folge nicht als Oppositionspolitiker profilierte, nahm seine Beliebtheit schnell ab. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 wurde er Fünfter mit 7,9 Prozent der Stimmen. Der 59-Jährige ist der erfahrenste unter den Herausforderern von Macky Sall. Seine Beliebtheit nimmt gegenwärtig wieder zu. Er profitiert am stärksten von der Ungültigkeitserklärung der Kandidaturen Khalifa Salls und Karim Wades. Viele Anhänger*innen der beiden werden sich wahrscheinlich seinem Lager anschließen, so wie es schon einige der Kandidat*innen getan haben, die nicht genügend Unterschriften vorweisen konnten.

Wie Idrissa Seck gehört der 65-jährige Madické Niang dem liberalen Lager an. Er war nacheinander Justizminister und Außenminister unter Abdoulaye Wade, mit dem er sich ebenfalls überworfen hat. Die Kandidatur des PDS-Abgeordneten sorgte für einige Überraschung. Da Wade seinen Sohn Karim als Kandidaten der PDS aufstellen wollte, rechnete niemand damit, dass Madické Niang seinen Mentor mit der Gründung der Koalition Madické 2019 offen herausfordern würde. Der Anwalt stammt aus der Nähe der Stadt Touba, Hochburg der mächtigen Bruderschaft der Mourid*innen, und hat geschworen, sich nicht in den Dienst von Macky Sall zu stellen.

Ousmane Sonko, Vorsitzender der Partei PASTEF (Patriotes du Sénégal pour le Travail, l‘Éthique et la Fraternité – Patriot*innen Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit), ist die politische Entdeckung der letzten Jahre. Mit seinen öffentlichen Anprangerungen bezüglich der Verwaltung öffentlicher Gelder sowie mutmaßlicher Korruptionsskandale, in die Macky Salls Umfeld, seine Regierung und hohe Beamte verwickelt sein sollen, wurde der Steuer- und Rechnungsprüfer der Regierung lästig. Nachdem er per Verordnung des Staatspräsidenten aus dem Beamtenwesen ausgeschlossen wurde, erhielt er bei den Parlamentswahlen 2017 einen Sitz als Abgeordneter. Seitdem nimmt seine Beliebtheit stetig zu. Der 44-Jährige präsentiert sich als Anti-System-Politiker und konnte einen Teil der von der traditionellen politischen Klasse enttäuschten Jugend wieder für Politik begeistern. Er genießt den meisten Zuspruch in den sozialen Netzwerken sowie der Diaspora.

Issa Sall ist die zweite politische Sensation dieser Präsidentschaftswahl. Professor Sall (keinerlei Verwandtschaft mit Macky Sall) hat einen Doktortitel in Informatik aus den Vereinigten Staaten und ist vor allem bei den letzten Parlamentswahlen bekannt geworden, bei denen seine Partei für Zusammenhalt und Vereinigung (Parti de l’Unité et du Rassemblement – PUR) zur allgemeinen Überraschung drei Sitze im Parlament erhielt. Der diskrete Politiker ist allerdings kein Neuling. Der 63-Jährige war vor der Gründung der PUR im Jahr 1998 bei der PS aktiv. Obschon die PUR keine religiöse Partei ist, was in Senegal verboten ist, besteht ihre politische Basis vor allem aus Moustarchidines, einer Bewegung innerhalb der Tidjane-Bruderschaft. Das erklärt gewiss auch die strenge Organisation und kollektive Disziplin ihrer Mitglieder.

Linke Kandidat*innen gibt es bei diesen senegalesischen Präsidentschaftswahlen nicht. Das ist keine Überraschung. Die politischen Parteien des linken Lagers haben weder ihre Themen, noch ihre Aktionsformen oder Mobilisierungsmethoden erneuert. Sie haben stets darauf gesetzt, die staatliche Macht durch Wahlen zu erobern – bei denen sie angesichts ihrer Finanzschwäche zwangsläufig schlechtere Karten haben –, anstatt durch Solidarität mit den alltäglichen Kämpfen der sozial Schwachen und der Mittelschicht politische Alternativen zu entwickeln. Seit 1960 gab es keine Wahl, bei der eine sogenannte linke Partei auf 100.000 Stimmen kam. Paradoxerweise geschieht die Marginalisierung der sogenannten linken Parteien zu einem Zeitpunkt, an dem die Mehrheit der Wähler*innen aus den Vorstädten und anderen benachteiligten Stadtvierteln stammt, also aus sozialen Kontexten, in denen ein tatsächlicher und bleibender Bedarf an fortschrittlichen linken Perspektiven besteht. Die sogenannten linken Parteien sind sich ihrer Marginalisierung sehr wohl bewusst und die meisten haben beschlossen Wasserträger der Macht zu werden: Sie haben sich in Koalitionen aufgelöst und jegliche eigenständige Identität verloren. Sie haben sich zugunsten eines Kampfes um Pfründe vom Klassenkampf verabschiedet, wie es der senegalesische Intellektuelle Amadou Kah formuliert.[2] Die wiederholte Beteiligung an sogenannten liberalen Regierungen hat ihr Ansehen stark beschädigt. Als Konsequenz daraus existiert das linke Lager im Senegal nicht als politisches Programm oder organisierte Bewegung. Gegenwärtig beschränkt es sich auf einen ideologischen Identitätsdiskurs, der nur auf internationaler Ebene Relevanz besitzt. Es sei trotzdem darauf verwiesen, dass ein Teil der bürokratischen aber ihren Grundsätzen treu gebliebenen Linken den Kandidaten Ousmane Sonko unterstützt. Dieser behauptet, ideologisch gesehen sei er vor allem «pragmatisch», auf wirtschaftlicher Ebene vertritt er jedoch patriotische Positionen.

Die Themen

Zum ersten Mal verfassten alle zugelassenen Kandidaten ein Wahlprogramm, was zumindest formell einen bedeutenden Fortschritt darstellt. Die Programme der PUR und der Koalition Madické Niang gleichen allerdings eher einer Maßnahmenliste. Idrissa Seck präsentierte das ausführlichste Programm, doch ebenso wie bei Macky Sall wird die dahinterstehende Vision nicht weiter erläutert. Eine Ausnahme stellt Ousmane Sonko dar. In seinem Buch Solutions (Lösungen) stellt er ausgehend von einer Bestandsaufnahme seine Vision des Zusammenlebens und seine Entwicklungsstrategie ausführlich dar. Doch fehlt bei ihm eine Gesellschaftsanalyse, um diejenigen gesellschaftlichen Kräfte auszumachen, auf die er sich im Falle eines Wahlsieges stützen könnte.

Im Allgemeinen gleichen sich die von den Kandidaten angekündigten Maßnahmen, denn sie entsprechen mehr oder weniger den Forderungen der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft. Die meisten versprechen unter anderem, die Gewaltenteilung zu respektieren, die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken, Führungsposten öffentlicher Unternehmen statt wie bisher durch Ernennung durch ein Wettbewerbsverfahren zu besetzen, sowie eine das Wahlverfahren für die Parlamentswahlen in Richtung eines Verhältniswahlrechts zu reformieren. Selbstverständlich versprechen alle Kandidaten mehr Arbeitsplätze für junge Leute, den Ausbau der Industrie, mehr Unterstützung für die senegalesische Privatwirtschaft und eine Einschränkung der Ausgaben für die Staatsführung. Eines der wenigen umstrittenen Themen ist die Frage nach einem möglichen Ausstieg aus dem CFA-Franc, den die italienische Regierung vor kurzem wieder ins Gespräch gebracht hatte. Ousmane Sonko verspricht als einziger Kandidat den Ausstieg Senegals aus dem CFA-Franc, insofern Frankreich nicht die Kontrolle über die westafrikanische Währung aufgibt. Madické Niang, Issa Sall sowie Macky Sall schätzen einen Ausstieg aus dem CFA-Franc als zu riskant ein und Idrissa Seck erklärte seinerseits, dass er sich für eine Einheitswährung in der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS stark machen will.

Die meisten Beobachter*innen sprechen Macky Sall die größten Gewinnchancen zu. Er verfügt über die staatlichen Mittel und auch die von ihm eingeführte Sozialpolitik verfehlt ihre Wirkung auf das Wahlverhalten nicht. Zu nennen sind das Programm für Nothilfe und gemeinschaftliche Entwicklung (Programme d’Urgence et de Développement Communautaire – PUDC), das den Zugang der ländlichen Bevölkerung zu sozialer Grundversorgung sichern soll, die universelle Krankenversicherung (Couverture maladie universelle) – die allerdings beschränkt ausfällt – sowie die Familienbeihilfe von 25.000 CFA-Francs pro Quartal (ca. 38€), die 300.000 Haushalten zugutekam; 2018 wurde die Zahl der Empfänger*innen auf 400.000 erhöht.

Könnte Macky Sall schon im ersten Wahlgang gewinnen? Die Frage stellt sich, denn im zweiten Wahlgang wären seine Chancen weitaus geringer. Eine Situation wie im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2012 könnte sich ergeben, als alle im ersten Wahlgang unterlegenen Kandidat*innen Macky Sall gegen Wade unterstützten. Dementsprechend ist das Ziel von Macky Salls Anhänger*innen der Sieg im ersten Wahlgang. Sollte es zu einem zweiten Wahlgang kommen, müsste Macky Sall vermutlich gegen Idrissa Seck oder Ousmane Sonko antreten.

In Anbetracht des seit dem Jahr 2000 bestehenden Trends werden diese Präsidentschaftswahlen mit Sicherheit um einiges enger ausfallen als die vorherigen. Knapp 6,7 Millionen Wähler*innen sind auf den Wahllisten eingeschrieben, 55 Prozent davon in den Städten Dakar, Thiès, Diourbel und Saint-Louis. Es bestehen jedoch weiterhin einige Ungewissheiten, die eine präzise Prognose erschweren. Erstens ist nicht bekannt, wie viele Wähler*innen im Besitz einer Wahlkarte wählen gehen wollen. Je mehr Bürger*innen wählen gehen, umso wahrscheinlicher wird es zu einem zweiten Wahlgang kommen. Zweitens hat Abdoulaye Wade, der bei einem nicht zu unterschätzenden Teil der Wahlberechtigten weiterhin sehr beliebt ist, noch keine Wahlempfehlung abgegeben. Bis jetzt hat er lediglich zu einem Wahlboykott aufgerufen, der weder bei den Kandidaten noch bei den Wähler*innen auf großes Interesse stößt.

Alles in allem finden bei diesen Präsidentschaftswahlen zwei Auseinandersetzungen statt. In der ersten stehen sich die Kandidaten des liberalen Lagers gegenüber: Macky Sall gegen Idrissa Seck und Madické Niang. Dort geht es darum, wer das Lager anführt, wie es sich umstrukturiert und welches Privileg, welchen Status oder welche Strafe die Politiker erwarten können. In der zweiten Auseinandersetzung tritt die traditionelle politische Klasse (das liberale Lager) gegen den jungen Anti-System-Kandidaten Ousmane Sonko an, sowie gegen Issa Sall, der Bildung, Kultur und Wissenschaft in seinem Programm eine große Bedeutung zuschreibt. Hier stellt sich die Frage, ob sich ein politischer Wandel durchsetzen kann, um der neokolonialen Miss- und Vetternwirtschaft, die in der senegalesischen Politik seit 1960 vorherrscht, ein Ende zu setzen. Ein transversales Thema ist die Verwaltung der Gelder aus den Erdöl- und Erdgasvorkommen, die der Senegal ab 2021 ausbeuten will. Das macht sich unter anderem in Idrissa Secks Programm bemerkbar, der beabsichtigt, einen Teil seiner Wahlversprechen mit den von ihm erwarteten jährlichen 1.000 Milliarden CFA-Francs (ca. 1,5 Millionen Euro) aus der Erdöl- und Erdgasgewinnung zu finanzieren.

Ndongo Samba Sylla ist Projektkoordinator der Rosa Luxemburg Stiftung Westafrika im Programm Jugend und Politik. Übersetzung und Lektorat: Inga Frohn und Martina Körner für lingua•trans•fair


[1]  Anm.d.Ü.: Der Begriff der Transhumanz bezeichnet ursprünglich eine Form der Wanderweidewirtschaft in Gebirgsregionen, in der das Vieh von Hirt*innen auf höher oder tiefer gelegene Weideflächen gebracht wird, auf denen je nach Jahreszeit mehr Futter zur Verfügung steht.

[2] Kah, Amadou: De la lutte des classes à la bataille des places. Le tragique destin de la gauche sénégalaise, L’Harmattan, Paris, 2016.