Wenn man Umverteilung internationalisieren will, ließe sich für dieses Wollen der Begriff «Internationalismus» benutzen. Sarah Ninette Kaliga, die Geschäftsführerin des SODI, sagt: «Klar ist das so, auch wenn wir den Begriff nicht verwenden. Wir tragen nicht umsonst das Wort ‹Solidarität› im Namen.»
Begriffe sind wichtig, um einzuordnen, was der SODI tut und was er lässt, weil er es nicht tun will. «Wir wollen niemanden entwickeln, also reden wir auch nicht von Entwicklungshilfe, wenn wir über unsere Arbeit sprechen. Die zu uns kommen, entwickeln ihre Projekte. Wir haben es mit den Situationen zu tun, in denen sich diese Menschen befinden, nicht mit unseren Wünschen, wie die zu sein und was sie zu tun hätten. Das heißt: Wir wissen es nicht besser. Aber wir können zusammenarbeiten.»
Zusammenarbeiten heißt, gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen Eigeninitiative zu ermöglichen und zu unterstützen, Selbsthilfepotenzial zu fördern, Lösungsansätze, die bereits da sind, umzusetzen. Es sind lokale Projekte, die der SODI unterstützend begleitet und bei denen er im besten Fall Kontinuität und Erfolge ermöglicht. Mal kleiner, mal größer.
Manchmal ist es – wie in Mosambik – eine ganze Städtepartnerschaft. Daraus ist eine Erfolgsgeschichte geworden, bei der man voneinander lernt und miteinander tut. Es sei in dem Fall die beste und vielversprechendste Form gewesen, auf Augenhöhe etwas aufzubauen, sagt Sarah Ninette Kaliga.
Über 1.000 Projekte gab und gibt es inzwischen, für die auch der Name SODI steht. Gegenwärtig engagiert man sich in zwölf Ländern. Wenn man bedenkt, dass es den Verein erst seit 1990 gibt, ist das viel. Und an dieser Stelle muss der Einschub zur Geschichte stehen.
Hervorgegangen, was Bürde und Möglichkeit zugleich war, ist der SODI aus dem Solidaritätskomitee der DDR, einer juristisch eigenständigen Organisation, die dem Zentralkomitee der SED unterstand und die Aufgabe hatte, die Entwicklungshilfe-Aktivitäten des Landes zu koordinieren. Das hieß: Ländern im Kampf gegen den Imperialismus helfen, außenpolitische Ziele durchsetzen, wirtschaftliche Entwicklung dort fördern, wo man – so die Hoffnung – den Sozialismus aufbauen würde. Gegründet 1960, speiste sich das Komitee aus den Spenden der Bevölkerung, eingesammelt durch den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund FDGB. Freiwilligkeit war ein sehr dehnbarer Begriff, wer sich verweigerte, bekam dies zu spüren.
Nach Auseinandersetzungen mit der Treuhandanstalt konnten die bis 1990 aufgebrachten Spenden, mehr als 32 Millionen DM, in die 1994 gegründete Stiftung Nord-Süd-Brücken eingebracht werden, die es bis heute gibt. Da gab es den SODI e.V. schon vier Jahre. Als Stifter legte der Verein die vorhandenen Spendenmittel ein und begann sich auf Grundlage dessen zu konsolidieren, was inhaltlich da und nicht verlorengegangen war. Erst mal ohne institutionelles Geld, aber mit Unterstützung durch Spenden und Fördermitglieder und mit dem Willen, mit möglichst vielen Partnern, einem starken Engagement in Netzwerken, das ambivalente Erbe für solidarisches Engagement zu nutzen. Und es ließ sich aufbauen, denn die Idee, der Gedanke der Solidarität, des Internationalismus', war ja nicht mit der DDR verschwunden. Da lebte was. Viel sogar.
Heute gibt es Vereinsmitglieder, Fördermitglieder, Ortsgruppen, es werden Fördermittel akquiriert, der SODI ist Mitglied in verschiedenen Bündnissen und Dachverbänden der Entwicklungshilfe und in Netzwerken.
«Wir haben uns neu erfunden und zugleich vieles von dem, was da war, fortgeführt, neu diskutiert, anders organisiert, ein eigenes Selbstverständnis entwickelt. Viele Länder, in denen sich auch das einstige Solidaritätskomitee engagierte, sind unser Aufgabenbereich geblieben: Vietnam, Südafrika, Laos, Mosambik. Das ist Kontinuität, zugleich haben wir ein anderes, nicht paternalistisches Verständnis von Zusammenarbeit entwickelt», so Sarah Ninette Kaliga. «Es geht uns um Nachhaltigkeit – sozial, ökonomisch, ökologisch. Es geht vor allem darum, dass Menschen, die Armut und Umweltzerstörung erleben, sich selbst für eine gerechtere Welt einsetzen können. Da, wo sie leben, mit anderen zusammen und möglichst eben nicht nur im Rahmen eines kurzen Projektzeitraums, sondern verstetigt.»
Zur Kontinuität des Bestehenden kamen neue Aufgabenfelder in einer Welt, wie es beim Verein heißt, «in der viele Menschen keinen oder wenig Zugang zur politischen Teilhabe und zu sozialen, ökonomischen und kulturellen Gütern haben». In einer Welt, ließe sich hinzufügen, in der Heldinnen und Helden nicht mehr so einfach zu finden sind.
Denn auch das gehört zur Geschichte des SODI: Aus Befreiungsbewegungen und Namen, die mit ihnen verbunden waren, wurden zum Teil autoritäre oder noch schlimmere Gebilde, aus Helden Machthaber, aus vielleicht einmal hoffnungsvollen Entwicklungen durch Bürgerkriege und Armut zerrüttete Länder.
Dem stehen hoffnungsvolle «Inseln» gegenüber und verstetigte Projekte. Vor allem die Verstetigung ist schwer zu erlangen, was auch etwas mit der immer wieder notwendigen Akquise entsprechender Gelder zu tun hat. Die kommen von Stiftungen, vom Entwicklungsministerium, aus den Spenden der Fördermitglieder und anderer Menschen. Auch die Stiftung Nord-Süd-Brücken gehört zu denen, die immer wieder angefragt werden, wenn ein Projekt, vor allem im Rahmen der Bildungsprojekte, neu aufgestellt oder fortgeführt werden soll.
Eines der spannendsten, weil mühsamsten, da mit weltweit verfestigten Vorurteilen, die Jahrhunderte überdauern und vor denen auch Linke oft nicht gefeit sind, konfrontierten Projekte ist «Arbeit und Zukunft für Roma» in Serbien. Es sei noch nicht lange her, erzählt Sarah Ninette Kaliga, dass sie auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Reise nach Belgrad gemacht habe, um dort Roma-Organisationen und deren Arbeit kennenzulernen.
Daraus ist die Idee entstanden, Stadtteilzentren zu entwickeln, gemeinsam mit den Roma. Rechtsanwält*innen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen vor Ort, die Partnerorganisation Roma Forum Serbia, der SODI und andere Partner*innen entwickeln praktische Strategien und setzen sie um, zum Beispiel im serbischen Požarevac, wo rund 7.500 Roma (etwa ein Fünftel der Stadtbevölkerung) in prekären Verhältnissen leben. Rassistische Gewalt, Diskriminierung durch staatliche Institutionen, schlechte bis gar keine Bildungschancen, kaum Arbeitsmöglichkeiten, keine Papiere – über Generationen hinweg scheint dieser Kreislauf auf ewig geschlossen und kein Entkommen möglich. Es geht also um Zugang zu Bildung, um die Vermittlung von Jobs, die Behandlung von Traumata, die Stärkung von Kleinunternehmertum und – sehr wichtig – um Hilfe bei der Beschaffung von Personaldokumenten. Vor allem Frauen bekommen auf diese Art Unterstützung, die keine Idee offeriert, stattdessen die Ideen jener Menschen aufnimmt, um die es geht, und dabei hilft, sie umzusetzen.
Bald soll das Projekt, erzählt Sarah Ninette Kaliga, auf Albanien und den Kosovo ausgeweitet werden. «Roma sind die größte Minderheit Europas. Und die am meisten diskriminierte, die ärmste Gruppe. Es besteht nur wenig Interesse, dagegen etwas zu tun. Im Gegenteil, in den letzten Jahren hat sich die Lage dieser Menschen weiter verschlimmert, wenn wir nur an Länder wie Ungarn denken.»
In Indien gibt es seit zwei Jahren ein Tee-Projekt, das gemeinsam mit der dortigen Partnerorganisation CTRD aufgebaut wird. Es ist initiiert von den Adivasi in den südindischen Nilgiri-Bergen, deren Lebenssituation schwierig ist. Der Aufbau von Teekooperativen und einer eigenen Teefabrik zur Produktion von zertifiziertem Bio-Grüntee ermöglicht 500 Kleinbäuer*innen wirtschaftliche Sicherheit und ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben.
Ist das Solidarität, ist diese Art des Tuns Internationalismus?
«Wenn der Internationalismus Bewegungen braucht, dann sind es die für Umverteilung. Darum dreht sich alles», sagt Sarah Ninette Kaliga. «Unsere jüngste Kampagne wird ‹Eine Wirtschaft für alle› heißen. Wir müssen nicht unbedingt wachsen, aber im Denken weiterkommen, noch politischer werden. Da waren wir bisher zu vorsichtig. Mehr über Gerechtigkeit reden und für sie kämpfen. Das können wir dann auch Internationalismus nennen. Obwohl ich das Wort ‹Solidarität›, wie wir es im Namen tragen, schön und treffend finde.»
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Neuer Internationalismus
maldekstra #3 zu globaler Solidarität von unten