Publikation Europa global Eine «neue Partnerschaft» der EU mit Afrika?

In seiner Rede zur Lage der Union am 12. September 2018 kündigte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein neues afrikanisch-europäisches Bündnis an.

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Claus-Dieter König,

Erschienen

März 2019

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State of Trade Regimes
«Economic Partnership Agreements» (EPAs) sind «entwicklungsorientierte» Handelsabkommen, die zwischen den afrikanischen, karibischen und afrikanischen (AKP) Ländern/Regionen und der Europäischen Union ausgehandelt werden. Aus: Guide to the world’s biggest free trade deal – the economic partnership agreements between the EU and Africa (ecdpm)

Immerhin sollen zehn Millionen Arbeitsplätze binnen fünf Jahren in Afrika neu geschaffen werden. Das vertiefende Begleitmaterial zu diesem Teil der Rede schweigt sich allerdings über die Berechnungsmethode, die der Zahl von zehn Millionen Arbeitsplätz zugrunde liegt, geflissentlich aus. Vollbracht werden soll dies mit einem Rahmenprogramm zur Förderung privater Investitionen nach Afrika. Zusätzlich sollen mit dem Erasmus-Programm in den nächsten acht Jahren knapp 100.000 afrikanische Studierende und Wissenschaftler*innen gefördert werden. Schließlich sollen «die zahlreichen Handelsabkommen zwischen Afrika und der Europäischen Union zu einem Freihandelsabkommen zwischen unseren Kontinenten verschmelzen (…) – als Wirtschaftspartnerschaft auf Augenhöhe.» Was da verschmelzen soll, so wird aus dem Begleitmaterial deutlich, sind die vorhandenen bzw. im Entstehen begriffenen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) der EU mit afrikanischen Staaten und Staatengruppen. In den Schmelztiegel soll zusätzlich die auf dem Gipfel der Afrikanischen Union im März 2018 in Kigali unterzeichnete Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (CFTA) geworfen werden.

Schauen wir uns die Maßnahmen und Initiativen, die Juncker in seiner Rede so pompös angekündigt hat, im Einzelnen an.

Investitionen

EU-Finanzhilfen in Höhe von 4,1 Milliarden Euro sollen bis 2020 private Investitionen in Höhe von 40 Milliarden Euro mobilisieren. Die Hälfte davon sei bereits angelaufen. Wie es der EU gelingen will, mit einem Beitrag von 10 Prozent der Investitionssumme dem Trend der rückläufigen ausländischen Direktinvestitionen (2016 auf 2017 ein Rückgang von 21 Prozent auf 42 Mrd. US-Dollar, vgl. UNCTAD 2018, 2) entgegenzuwirken, erschließt sich allerdings nicht. Insbesondere, da die Profitrate für ausländische Direktinvestitionen in Afrika ebenfalls fällt, von 12,3 Prozent im Jahr 2012 auf 6,3 Prozent im Jahr 2017 (ebd., 6). Es muss also davon ausgegangen werden, dass hier lediglich ohnehin geplante Investitionen von Unternehmen aus der EU subventioniert werden, d.h. dass die Förderung eher einen Mitnahmeeffekt erzeugt denn zusätzliche Investitionen mobilisiert.

Doch selbst wenn durch die Initiative zusätzliche 40 Milliarden Euro an Investitionen mobilisiert werden könnten, müsste man genauer die wirtschaftlichen Effekte ausländischer Direktinvestitionen in Afrika untersuchen. Handelt es sich um den Erwerb vorhandener Unternehmen, so ist damit im Sinne einer produktiven Investition nur etwas gewonnen, wenn darauf Investitionen der neuen Besitzer in das afrikanische Unternehmen folgen. Sonst sorgen die neuen Besitzverhältnisse lediglich dafür, dass Gewinne aus Afrika abgezogen werden und als Mittel für zukünftige Investitionen fehlen. Interessanter sind echte Neuinvestitionen (greenfield investments), also der Aufbau neuer Kapazitäten für die Produktion von Waren oder Dienstleistungen. Sie schaffen effektiv neue Arbeitsplätze und Einkommen. Aber auch sie transferieren Gewinne ins Herkunftsland des investierten Geldes.

Selbst echte Neuinvestitionen haben sehr unterschiedliche volkswirtschaftliche Auswirkungen, die vor allem damit zusammen hängen, ob sie sich eher in lokale Wertschöpfungsketten integrieren oder ob sie Teil globaler Wertschöpfungsketten sind. Die Einkommens- und Beschäftigungseffekte sind im ersten Fall deutlich höher. Im zweiten Fall befindet sich die ausländische Investition wirtschaftlich oft in einer Enklave, das heißt ihr Austausch und ihre Verbindungen mit der nationalen Wirtschaft sind beschränkt. Ihr Wachstum hat also auch nur geringe Auswirkungen auf die Entwicklung der Gesamtwirtschaft. Zudem bestehen wegen der Enklavensituation keine Voraussetzungen für einen nennenswerten technologischen Spillover oder Technologietransfer. Der Großteil der ausländischen Neuinvestitionen in Afrika betrifft diesen Fall (ebd., 10). Zum Anlocken solcher für die Volkswirtschaft des betreffenden Landes wenig nützlichen ausländischen Investitionen regt die EU (ebenso wie der Compact for Africa der G20) Steuervergünstigungen und die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen an, in denen zoll- und steuerrechtlich, aber auch was das Arbeits-, Umwelt- und Sozialrecht angeht, verringerte Standards gelten. So sollen Produktionsschritte aus globalen Wertschöpfungsketten ins Land geholt werden.

Allein die Förderung von Investitionen aus der EU in Afrika garantiert kein Wachstum und auch keine Diversifizierung für die Wirtschaften afrikanischer Staaten. Eine aktive eingreifende und lenkende Industriepolitik in den Empfängerländern könnte hier einen Unterschied bewirken und dafür sorgen, dass die Direktinvestitionen stärkere Effekte für die lokale Wirtschaft entfalten. «Es geht nicht mehr nur darum, unter allen Umständen möglichst viel Auslandskapital anzulocken, sondern auch Einfluss darauf zu nehmen, in welchen Bereichen und zu welchen Bedingungen dieses angelegt wird» (Goldberg 2018). Gefordert ist eine Art von Industriepolitik, von staatlichem Eingreifen, wie es Handels- und Investitionsschutzabkommen oft nur eingeschränkt zulassen.

«Knallharte Interessenkonflikte zwischen internationalen Investoren und nationalen Entwicklungszielen» (ebd.) sind zu erwarten, wenn afrikanische Staaten eine starke Industriepolitik im Interesse Ihrer Bevölkerungen umsetzen wollen. Dies gilt insbesondere, sollte, wie die UNCTAD vermutet, die Industriepolitik zunächst die Beteiligung und den Aufstieg innerhalb internationaler Wertschöpfungsketten in ihr Zentrum stellen (UNCTAD 2018, 129f.). Solche Wertschöpfungsketten werden von den transnationalen Konzernen als Werttransferketten angelegt, um möglichst viel Wert aus den afrikanischen Ländern abzuschöpfen und in die reichen Länder zu transferieren. Die Mittel dazu werden durch Handels- und Investitionsschutzabkommen erweitert: Lizenzgebühren für Urheberrechte, zollbefreiter internationaler Handel mit einer Preisgestaltung zugunsten der Konzernzentralen, Senkung der Umwelt-, Arbeitsschutz- und Sozialstandards.

Handelsabkommen und Wirtschaftspartnerschaft

Konsequent ist deshalb die Ausrichtung der Handelsabkommen auf umfassende Freihandelsabkommen, sei es als Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den Ländern Afrikas südlich der Sahara oder als sogenannte Vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen, wie sie derzeit mit Tunesien und Marokko verhandelt werden.

Im Mai 2020 läuft das Cotonou-Abkommen aus, dessen Vertragspartner einerseits die EU und andererseits die sogenannten AKP-Staaten sind. AKP steht für Afrika, Karibik und Pazifik, doch stellen die afrikanischen Staaten südlich der Sahara die Mehrheit in dieser Staatengruppe. Vorgänger des Cotonou-Abkommens waren die Lomé Verträge, von denen es seit 1975 insgesamt vier gab und die wegen ihrer einseitigen Präferenzen zugunsten der AKP-Länder nicht mehr den Standards der Welthandelsorganisation entsprachen. Die Lomé Abkommen waren zwar weit davon entfernt, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung umzusetzen, doch waren sie für die afrikanischen Staaten vorteilhafter als es die 1995 gegründete Welthandelsorganisation zulassen wollte. Einseitige Handelspräferenzen, also zollfreier Warenverkehr aus Afrika nach Europa, ohne dass in die Gegenrichtung Zollfreiheit gewährleistet war, das ging nach den Regeln der WTO nicht mehr. Und auch die in den Lomé-Abkommen vorgesehenen Systeme zur Stabilisierung der Exporterlöse der AKP-Staaten aus Landwirtschaft und Bergbau verstießen gegen WTO-Regeln.

War Lomé noch ein einheitliches Abkommen aller AKP-Staaten mit der EU, so stellt das Cotonou-Abkommen vielmehr einen Rahmen bereit, innerhalb dessen separat in vier Regionen Afrikas sowie mit den Karibik- und Pazifikstaaten sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (englisch: EPA) abgeschlossen werden sollten. Die EPA sollten umfassende Abkommen sein, die nicht nur den Handel liberalisieren und Zölle abbauen, sondern gleichzeitig der EU Zugang in den Markt für Dienstleistungen sowie zu Vergabeverfahren öffentlicher Aufträge ermöglichen. Zusätzlich im Programm: der Schutz geistigen Eigentums. Das zu schützende geistige Eigentum sind Patent- und Markenrechte, die gewährleisten, dass etwa durch Lizenzeinnahmen auch in globalisierten Wertschöpfungsketten die Profite weitestgehend in den Norden wandern.

Nach Zeitplan hätten die EPA 2007 abgeschlossen werden sollen, doch das scheiterte am starken Widerstand aus den afrikanischen Staaten. Der Preis, den sie für den erweiterten Marktzugang in die EU zahlen sollten, war einfach zu hoch. Wegen der Schwäche ihres industriellen Sektors hätten sie den Marktzugang ohnehin kaum nutzen können und aufgrund der EU-Agrarsubventionen ist auch der Spielraum für den Export landwirtschaftlicher Produkte beschränkt. Die Zollsenkungen hätten massive Einnahmeverluste für die afrikanischen Staaten bedeutet. Deren Staatsbudgets sind in hohem Maße von Zolleinnahmen abhängig, während die inländische Besteuerung nur einen geringen Teil ihrer Staatseinnahmen ausmacht. Zusagen der EU, diese Einkommenseinbußen auszugleichen, blieben unkonkret und kaum belastbar.

Nur ein EPA mit einer der afrikanischen Regionen ist in Kraft: mit dem südlichen Afrika. Das westafrikanische Abkommen ist von Nigeria, der wirtschaftlichen Großmacht der Region, noch nicht unterzeichnet worden, da der zivilgesellschaftliche Widerstand groß ist. Nur aufgrund des massiven Drucks der EU, sonst Marktzugänge in Europa zu verlieren, unterzeichneten und ratifizierten die Elfenbeinküste und Ghana Interimsabkommen. Das Abkommen mit der Elfenbeinküste wird seit 2016 umgesetzt. In Ostafrika haben lediglich Kenia und Ruanda ein EPA unterzeichnet, nachdem Tansania im Juli 2016 die Unterschrift unter ein regionales EPA verweigerte.

Am Beispiel Westafrika fasst der französische Agro-Ökonom Jacques Berthelot (2017) die Folgen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen wie folgt zusammen: Die Zölle auf Grundnahrungsmittel sollen innerhalb von fünf Jahren abgeschafft werden. Die dann in Afrika billig erhältlichen Nahrungsmittel aus subventionierter Produktion in Europa werden die Abhängigkeit von Importen massiv erhöhen. Milchviehzucht und das Produzieren einheimischer Getreidesorten oder auch Maniok und Yams lohnen sich dann nicht mehr für die einheimischen Produzent*innen, die folglich aus dem Markt gedrängt werden.

Nigerias Präsident Buhari, so Berthelot, begründet seine Ablehnung des EPA überzeugend: es zerstöre das Industrialisierungsprogramm des Landes. Tansania und Uganda haben ähnliche Vorbehalte. Die Einnahmeverluste durch entgangene Zölle und Mehrwertsteuern würden für die westafrikanischen Länder bis 2035 kumuliert 32,2 Milliarden Euro ausmachen. Die versprochene Kompensation durch erhöhte Hilfszahlungen findet aber nicht wirklich statt. Im EPA werden zwar Hilfsgelder zugesagt, die aber voraussichtlich ohnehin geflossen wären. Insgesamt wird das Volumen der Hilfsgelder aus der EU eher abnehmen, vor allem weil Großbritannien mit einem Anteil von knapp 15 Prozent an der Finanzierung des Europäischen Entwicklungsfonds die Union in Kürze verlässt. Zudem haben weitere Mitglieder, z.B. Frankreich, ihre Beiträge zum Fonds bereits gekürzt.

Die Verhandlungen für das Post-Cotonou-Abkommen, also das neue Abkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten nach dem Auslaufen des Cotonou-Abkommens im Jahr 2020, wurden im September 2018 offiziell eröffnet. Viel deutet darauf hin, dass die AKP-Gruppe als solches bestenfalls als formales Dach erhalten bleibt. Laut dem vom Rat beschlossenen Verhandlungsmandat strebt die EU auf dem gemeinsamen Fundament auf AKP-Ebene drei maßgeschneiderte regionale Partnerschaften an, eine davon für Afrika.

Für die momentan verhandelten «vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen» der EU mit nordafrikanischen Staaten sieht die Österreichische Forschungsstiftung für internationale Entwicklung (ÖFSE) am Beispiel Tunesien vor allem negative Auswirkungen: Die Handelsliberalisierung treffe insbesondere die Landwirtschaft, denn durch das Assoziierungsabkommen von 1995 seien die Zölle auf verarbeitete Produkte weitgehend abgeschafft. Durch den Verlust öffentlicher Einnahmen aus den Zöllen würde das Budgetdefizit um ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts zunehmen, was angesichts der Haushaltslage Tunesiens problematisch ist. Budgethilfen der EU wären zum Ausgleich erforderlich. Schließlich verweist die Studie des ÖFSE auf die Notwendigkeit aktiver industriepolitischer Interventionen in wichtigen Exportsektoren des Landes, wenn aus dem Abkommen eine wirtschaftliche Entwicklung resultieren soll (ÖFSE 2018).

Weil sie als Teil des Zusammenschmelzens zu einer einheitlichen Europäisch-Afrikanischen Freihandelszone gesehen wird, fördert die EU die von der Afrikanischen Union 2017 beschlossene kontinentale Freihandelszone CFTA, in deren Rahmen 90 Prozent der innerafrikanischen Handelszölle abgeschafft werden sollen. Angestrebt ist eine kontinentale Zollunion. Auch hier befremdet die einseitige Konzentration auf den Abbau von Handelszöllen und die Liberalisierung des Dienstleistungssektors. Wegen des Fehlens jeglicher industriepolitischer Komponenten führt die Freihandelszone allerdings dazu, dass ein großer afrikanischer Marktplatz geschaffen wird, auf dem aber nur wenige afrikanische Produkte gehandelt werden. Zusammen mit den EPA wäre der Haupteffekt der CFTA, dass aus Europa importierte Güter freier innerhalb Afrikas gehandelt werden können (Third World Network 2016, 4). Das Abkommen für die CFTA stockt, weil Nigeria sich bislang der Unterzeichnung verweigert hat.

Unfairer Handel

Die neue Partnerschaft mit Afrika droht einmal mehr vorrangig den Interessen der Konzerne Europas zu dienen. Handelsliberalisierung, Investitionsschutz und -förderung sind die Säulen dieser Partnerschaft. Afrikas Märkte sollen sich für europäische Produkte öffnen und die Produktion im Rahmen transnationaler Wertschöpfungsketten soll reibungslos funktionieren – bei kontinuierlichem Werttransfer in die EU. Langfristig wird dadurch die wirtschaftliche Abhängigkeit Afrikas von Europa vertieft und zementiert.

Eine aktive, auf den nationalen bzw. regionalen Markt orientierte Industrialisierungspolitik auf der Grundlage erneuerbarer Energien und mit einem Ausstiegsszenario aus dem Ressourcenextraktivismus (also aus einer auf Rohstoff-Export und somit häufig auf Raubbau begründeten Wirtschaftsform), basierend auf staatlichen Investitionen und lokalem Kapital, das wäre die politische Alternative, die durch die EU gefördert und finanziell unterstützt werden sollte. Sie müsste jedoch in den afrikanischen Staaten und regionalen wirtschaftlichen Zusammenschlüssen erst entworfen werden. Die Produktion im Rahmen transnationaler Wertschöpfungsketten kann dabei eine Rolle spielen, wenn industriepolitische Maßnahmen den Transfer von Technologie statt Urheberrechtsschutz fördern und die Verlinkung mit lokalen Wertschöpfungsketten vorantreibt.
 

Literatur

Berthelot, Jacques, 2017: Geplündert. Die neuen Freihandelsverträge schaden Afrika, in: Le Monde Diplomatique v. 9. November

Goldberg, Jörg: Globalisierung, FDI und neue Industriepolitik, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & EntwicklungNr. 06

Juncker, Jean-Claude, 2018: Rede zur Lage der Union. Die Stunde der Europäischen Souveränität, Brüssel

ÖFSE,  2018: Research Report. The economic and social effects of the EU Free Trade Agreement (DCFTA) with Tunisia, Wien

Third World Network, 2018: Editorial, in: African Agenda, 19.Jg., Nr.2.

United Nations Conference on Trade and Development, 2018: World Investment Report