Publikation Soziale Bewegungen / Organisierung - Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität 17. April – Tag des bäuerlichen Widerstands

Mit der Bauernrechteerklärung der UN das gute Leben auf dem Land erkämpfen

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Autor*innen

Benjamin Luig, Jan Urhahn,

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La Via Campesina protestieren in Brasilia zum 12. Jahrestag des Massakers von Eldorado dos Carajas am 17. April 2008
Mitglieder von La Via Campesina protestieren in Brasilia zum 12. Jahrestag des Massakers von Eldorado dos Carajas am 17. April 2008. Am 17. April 1996 wurden 19 Mitglieder der Landlosenbewegung MST in Eldorado do Carajás (Nordbrasilien) von Militärpolizisten bei dem Versuch, eine private Ranch zu betreten, getötet. EVARISTO SA / AFP

Bäuerliche Erzeuger*innen und Landarbeiter*innen sind weltweit nicht nur struktureller Gewalt durch Marginalisierung ausgesetzt, sondern auch unmittelbarer Gewalt. Seien es Folter und Ermordung bei Landkonflikten oder die Vergiftung durch Pestizide. Im Dezember 2018 wurde die Bauernrechteerklärung von der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) angenommen, mit den langfristigen Zielen, Menschen auf dem Land zu schützen und für gute Lebensbedingungen in ländlichen Regionen zu sorgen. Progressive linke Kräfte müssen an der Seite bäuerlicher Bewegungen für die Umsetzung der Erklärung kämpfen.

Erst Ende März 2019 wurden bei einem brutalen Einsatz von Polizei und Militär 14 Bauern und Bäuerinnen auf der philippinischen Insel Negros getötet. Nach Angaben der Internationalen Koalition für Menschenrechte sind dem Duterte-Regime seit seinem Amtsantritt als Präsident der Inselrepublik 205 Bauern und Bäuerinnen zum Opfer gefallen. Woanders werden kleinbäuerliche Gemeinden gewaltsam von ihrem Land vertrieben. So zum Beispiel in Nordsumatra, Indonesien, wo die Polizei im November 2016 die Häuser und Getreidefelder von über 100 Familien zerstörte, um dem industriellen Anbau von Palmöl durch die beiden Firmen LNK und PTPN II Platz zu machen. Einem aktuellen Bericht der UN zufolge sterben darüber hinaus weltweit 200.000 Menschen jährlich an akuten Pestizidvergiftungen. 99 Prozent dieser Todesfälle ereignen sich in Ländern des globalen Südens. Gründe dafür sind unter anderem die fehlende Regulierung des Handels und Einsatzes von Pestiziden. Die Liste an konkreten Beispielen für akute Menschenrechtsverletzungen ließe sich nahezu endlos weiterführen. Denn viele der rund zwei Milliarden Kleinbauern und –bäuerinnen und Landarbeiter*innen weltweit sind systematischen Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Kurz vor dem 17. April zeigen diese Ereignisse, dass es höchste Zeit ist, die verbrieften Menschenrechte von Menschen auf dem Land effektiver zu schützen und zugleich an aktuelle Entwicklungen anzupassen und damit weiter zu entwickeln. Seit 23 Jahren wird jedes Jahr am 17. April der Tag des bäuerlichen Widerstands begangen. Die internationale Organisation La Via Campesina, in der mehr als 200 Millionen bäuerliche Erzeuger*innen, Landarbeiter*innen, Indigene Gemeinschaften und Andere organisiert sind, ruft in der Woche um den 17. April weltweit zu Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen auf. Der Gedenktag geht auf ein Massaker im Jahr 1996 im brasilianischen Eldorado dos Carajás zurück, bei dem 19 Aktivist*innen der Bewegung der Landlosen MST gefoltert und erschossen wurden. Der Tag des bäuerlichen Widerstands 2019 steht unter dem Fokus bäuerliche Rechte mit Agrarreformen und sozialer Gerechtigkeit zu stärken. La Via Campesina möchte am diesjährigen Widerstandstag auf die neue UN-Bauernrechteerklärung aufmerksam machen und für ihre Umsetzung werben. Sie wurde erst im Dezember 2018 von der UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit angenommen. Der politische Prozess zur Erarbeitung dieser UN-Erklärung im Menschenrechtsrat wurde vornehmlich von La Via Campesina initiiert und ihre Annahme in zähen jahrelangen Verhandlungen mit Unterstützung von kritischen Nichtregierungsorganisationen erkämpft. Die Annahme der Bauernrechteerklärung ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Die Initiative zur Erarbeitung der Erklärung kam von bäuerlichen Bewegungen, und diese konnten den notwendigen politischen Druck aufbauen, um einen offiziellen UN-Prozess zu initiieren. Obwohl viele Regierungen aus dem globalen Norden, wie aus den USA oder aus vielen Mitgliedsstaaten der EU, gegen die Erklärung arbeiteten, konnten sie ihre Annahme nicht verhindern; zu stark und zu gut vernetzt war die politische Arbeit von La Via Campesina und ihren Unterstützer*innen. Zu ausgeprägt war auch die (historische) Solidarität, vor allem unter Ländern des Globalen Südens, die nahezu komplett im Block für die Annahme der Erklärung in der UN-Generalversammlung votierten.

Menschenrechte müssen erkämpft und weiterentwickelt werden

Die UN-Bauernrechteerklärung ist ein starkes Beispiel dafür, wie Globale Soziale Rechte (GSR) schrittweise erweitert werden können: Erstens bündelt und ergänzt sie alle Rechte des existierenden Menschenrechtskanons, die für die in der Erklärung definierten Rechteträger*innen – zum Beispiel kleinbäuerliche Erzeuger*innen und Landarbeiter*innen – besonders notwendig sind. Zweitens interpretiert sie bestehendes verbindliches Völkerrecht so, dass die Rechte angemessen auf die spezifischen Bedürfnisse und Lebenssituationen von Kleinbauern und -bäuerinnen und anderen ländlichen Bevölkerungsgruppen ausgerichtet sind. Drittens wird in der Erklärung eine Zahl neuer Rechte formuliert.

Beispiel kollektive Rechte: Zu den spezifischen Lebenssituationen der genannten Bevölkerungsgruppen gehören zum Beispiel kollektive Rechte. Weltweit beziehen viele Menschen ihren Lebensunterhalt aus gemeinschaftlich bewirtschafteten Ländereien, Wäldern und Fischgründen. Die kollektive Form der Verwaltung natürlicher Ressourcen erfolgt oftmals ohne offizielle Anerkennung und steht daher in Konflikt zu nationalen Rechtsrahmen. Die UN-Erklärung schreibt ländlichen Gemeinden die entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten zu.

Das in der UN-Erklärung formulierte Recht auf Land ist eine der wichtigsten Grundlagen für ein Leben in Würde. Ein Recht auf Land geht weit über ein Recht auf Zugang zu Land hinaus, weil damit Menschen in Entscheidungsprozesse zum Umgang mit Land einbezogen werden. Land ist ein wichtiges Produktionsmittel für Menschen in ländlichen Regionen und darüber hinaus nicht nur als Ackerland zu verstehen, sondern als das gesamte Gebiet, auf dem die Rechteträger*innen der Erklärung wohnen, ihre Wasserquellen haben, arbeiten, Feuerholz finden, sich versammeln etc.

Beispiel Recht auf Saatgut: In der Erklärung wird zum ersten Mal ein Recht auf Saatgut formuliert, und es gewinnt gerade im Hinblick auf die jüngsten Fusionen der weltweit größten Saatgutkonzerne an Bedeutung. Saatgut ist ähnlich wie Land ein wichtiges Produktionsmittel und als grundlegende Ressource für die Verwirklichung des Rechts auf angemessene Nahrung anerkannt. Weltweit müssen Kleinbauern und -bäuerinnen jedoch erleben, wie Saatgutkonzerne zunehmend Kontrolle über diese Ressource bekommen, obwohl der Internationale Saatgutvertrag (International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture, ITPGR) Staaten verpflichtet, ihren Zugang zu Saatgut zu erhalten. Das neue Menschenrechtsinstrument bietet die Möglichkeit, dies einzufordern.

Rechte auf dem Papier sind das eine, die Umsetzung in der Realität das andere. Damit die Erklärung ihre Wirkung entfalten kann, muss im nächsten Schritt Druck auf Regierungen auf nationaler Ebene aufgebaut werden, damit die Inhalte der Erklärung auch implementiert werden. Für Bewegungen weltweit kann dieses neue Menschenrechtsinstrument ein wichtiger Bezugspunkt in ihren lokalen Kämpfen für Saatgut, Land oder bessere Arbeitsbedingungen sein. Klar ist jedoch: Nur wenn bäuerliche Bewegungen weltweit, unterstützt von linken Kräften, sowohl für die Bekanntmachung der Erklärung sorgen als auch für ihre Umsetzung eintreten, dann kann das Papier eine Wirkmacht entfalten. Mit ihrer Umsetzung – egal ob komplett oder in Teilen – in einzelnen Ländern und Regionen, könnten die Ausgangsbedingungen für weiterführende Kämpfe für bäuerliche Erzeuger*innen, Landarbeiter*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und andere verbessert werden. Dies wäre die Voraussetzung für ein linkes Modell einer sozial-ökologischen Transformation auf dem Land, das die Masse der bäuerlichen und landlosen Akteure in den Mittelpunkt stellt, anstatt sie an den Rand zu drängen oder gar zu töten.
 

Von Jan Urhahn und Benjamin Luig, Dialogprogramm Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung