Prekarität. Müssten wir ein Wort wählen, das den zurzeit wichtigsten Wirtschaftstrend in den Vereinigten Staaten beschreibt, wäre der Begriff „Prekarität“ ein Kandidat für den ersten Platz.
Dass die amerikanische Mittelklasse schrumpft, ist allgemein bekannt. Jüngste Umfragen zeigen,
dass die Chancen, durch Leistung sozial aufzusteigen, nie schlechter standen als heute. Immer mehr Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor, häufig unter prekären Bedingungen – ohne dauerhafte Arbeitsplatzsicherheit, Gesundheitsversorgung und Aussicht auf Beförderung oder Ruhestand. Für
viele kann sogar ein einziger Krankheitstag dazu führen, entlassen und durch jemanden ersetzt zu werden, der oder die ebenso verzweifelt eine Familie zu versorgen hat. Prekarität ist in unserem Arbeitsleben und persönlichen Umfeld mehr und mehr zur Norm geworden. Und angesichts steigender Ungleichheit und einer US-Regierung, die weitgehend den Forderungen der Unternehmer gehorcht und auf das Rezept der Sparpolitik schwört, scheinen die Aussichten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer düster.
Doch während andere reden, haben Frauen und people of color – die noch immer am meisten unterschätzten und benachteiligten Niedrigverdiener – sich an die Spitze von neuen Bewegungen gestellt, die aktiv gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse ankämpfen. Diese landesweiten Bewegungen
von Geringverdienern entwickeln originelle Strategien, Medien und Aktionen und gewinnen dabei die Unterstützung neuer und alter Verbündeter.
In dieser Studie analysiert die Journalistin Sarah Jaffe, die regelmäßig für die „Washington Post“, „The Atlantic“, „Guardian“, „The Nation“ und „In These Times“ schreibt, verschiedene, an Stärke gewinnende Bewegungen innerhalb des Niedriglohnsektors. Sie untersucht, welche Gemeinsamkeiten, Verbindungen und Überschneidungen es gibt zwischen Fast-Food-Streiks, dem Kampf für 15 Dollar Mindestlohn sowie den vielen Kampagnen von Einzelhandels- und Supermarktangestellten, Restaurantpersonal, Taxifahrern, Autowäschern, Hausangestellten, Pflegekräften und ausländischen Arbeitnehmern. Außerdem erforscht Jaffe die Hindernisse und Rückschläge dieser neuen Organisationsformen, damit wir lernen können, deren Erfolge zu erkennen und zu reproduzieren. Obwohl es noch einige Zeit dauern kann, bis diese Kampagnen Veränderungen in der Bundesgesetzgebung bewirken, haben sie bereits einen bedeutsamen Einfluss auf die kommunale Politik in vielen Teilen der USA – von Mindestlohnerhöhungen und bezahlten Krankheitstagen bis zu gesetzlich anerkannten Tarifverhandlungen und Zugeständnissen von Arbeitgebern infolge von Protesten.
Vielleicht noch wichtiger ist, dass die kraftvollen Arbeitskämpfe und neuen Bündnisse im Niedriglohnsektor den traditionellen Arbeitnehmerorganisationen und einem großen Teil der Linken in den Vereinigten Staaten neuen Antrieb geben – vor allem da die progressive Politik gegenwärtig allzu oft in der Defensive steht. Die Bewegung der Geringverdiener setzt alles daran, dass künftig der Sieg gegen die Prekarität und nicht deren Fortbestand der wichtigste Trend in der US-Wirtschaft sein wird.
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