Der Verführung, einen Kapitalismus in vermeintlich neuer Spielart auszurufen, will ich hier nicht nachgeben. Schließlich beantwortet sich die Frage nach dem wirklich Neuen nicht durch die vorschnelle Ausrufung eines neuartigen*-Kapitalismus auf der Basis (oft nicht wirklich verstandener) neuer technischer Phänomene. Die Analyse historisch-konkreter Entwicklungen benötigt stattdessen einen Blick auf das Konkrete – das Konkrete der Arbeit und das Konkrete der Technik. Einen solchen will ich hier wagen und zwar bewusst beschränkt auf Leichtbauroboter als eine der vielen technologischen Facetten von dem, was wir seit 2011 Industrie 4.0 nennen.
Leichtbauroboter sind einerseits technisch weitgehend ausgereift und praktisch einsetzbar; sie gleichen auf den ersten Blick ihren alten, schweren Verwandten – den großen Industrierobotern: Ohne humanoide Anleihen sind sie wie diese überwiegend ausgestattet mit einem einzigen Arm und vielen Freiheitsgraden, aber wesentlich leichter und kleiner. Damit bietet Leichtbaurobotik mit ihrem zudem deutlich geringeren Anschaffungspreis technisch wie ökonomisch neuartige Möglichkeiten.
Marketingmäßig im Begriff des Cobots (des kollaborativen Roboters) gefasst bieten Leichtbauroboter andererseits technisch so viel Neues, dass sie eine neue Qualität der Interaktion zwischen Mensch und Technik versprechen. Anders als ihre schweren Vorgänger sind sie ausgerüstet mit hochempfindlicher, adaptiver Sensorik und erlauben daher einen Einsatz außerhalb des für den Industrieroboter aus Sicherheitsgründen obligatorischen Schutzzauns. Der viel zitierte «Kollege Roboter» verlässt die sogenannte Zelle, Mensch und Roboter – so das Technik- und Marketingversprechen – koexistieren damit nicht nur, sondern teilen sich entweder abwechselnd und sequentiell den gleichen Arbeitsraum (Synchronisation), nutzen diesen gemeinsam und zeitgleich, ohne direkt am selben Bauteil tätig zu sein (Kooperation), oder arbeiten sogar tatsächlich gleichzeitig am selben Bauteil (Kollaboration)1.
Leichtbauroboter erlauben also einerseits die Ausweitung des klassischen Rationalisierungsansatzes (Ersetzung des variablen durch konstantes Kapital) in Branchen und Bereiche, in denen sich die Investition in große Industrieroboter nicht rechnet, also beispielsweise in der Lowtech-Serienproduktion. Wenn Marx feststellt, der «Maschinenbetrieb» treibe die «gesellschaftliche Teilung der Arbeit ungleich weiter als die Manufaktur», ermöglicht der Leichtbauroboter in diesem Sinne die Erhöhung der Produktivkraft des davon nun neu und zusätzlich «ergriffenen Gewerbe[s]».2 Der Leichtbauroboter verspricht aber andererseits auch etwas so von Marx nicht Vorhergesehenes, nämlich sozusagen die Rettung bzw. Neuerfindung der Manufaktur für deren kapitalistische Vernutzung; er könnte eben auch da die Produktivität in «ungleich höherem Grad vermehr[en]»,3 wo individualisierte Produkte in kleinsten Stückzahlen und in so unübersehbarer Variantenvielfalt gefertigt werden, dass auf das «Detailgeschick des individuellen », aber eben nicht wie in der großen Industrie «entleerten Maschinenarbeiters»4 nur bedingt verzichtet werden kann.
Mit ihrer – anders etwa als bei Künstlicher Intelligenz – bereits weitgehend ausgereiften Technik und diesem doppelten Produktivitätserhöhungsversprechen sollte die Leichtbaurobotik aktuell einen Siegeszug antreten. Das Angebot ist vielhältig: Rund 25 Hersteller bieten bereits serienreife, leicht bedienbare und vergleichsweise kostengünstige Leichtbauroboter an.5 Und rund 86 Prozent der von der Zeitschrift Produktion 2014 befragten Unternehmen gaben an, in Leichtbaurobotik investieren zu wollen.6 Es müsste sich empirisch also ein Rationalisierungsschub abzeichnen. Dem aber ist nicht so. Kaum etwas beschreibt das aktuelle Dilemma der Leichtbaurobotik besser als das bayerische Idiom in der Überschrift des nächsten und zentralen Kapitels. Den Ursachen gehen wir in zwei Schritten nach: Zunächst betrachten wir die Aus- und Wechselwirkungen betrieblicher Nutzungsregime der Leichtbaurobotik, um dann die für diesen Robotikansatz spezifische Option der Kollaboration näher zu analysieren. Dabei wird sich empirisch zeigen und soll theoretisch diskutiert werden, ob sich die für Leichtbauroboter passenden Nutzungsregime entwickeln. Abschließend wird gezeigt, dass das qualitativ Neue sich nicht nur empirisch im Konkreten zeigt, sondern auch im Konkreten (und dessen Bedürfnissen) neue Widersprüche begründet sind, die eine kapitalistische – auf Abstraktifizierung (im ökonomischen Sinne) zielende Wirtschaftsweise – immer schwerer in der Lage ist zu lösen.
Leicht ist schwer was: Vom schweren Start der Leichtbauroboter
Zunehmend wird der Begriff Roboter auf ganz unterschiedliche – auch nicht stofflich wirkende – Technologien angewendet. Nachfolgend geht es ausschließlich um Leichtbaurobotik im einleitend skizzierten Sinne, also um Robotik, die in der Tradition bisheriger Robotik zu verorten ist, weil es um die Bewegung physischer Objekte geht und dabei der produktive Einsatz im Feld Wirtschaft im Fokus steht. Wir haben es also von der Zielrichtung, der grundlegenden Technik und den Einsatzgebieten mit Bekanntem – also erprobten Nutzungsregimen – zu tun. Gleichzeitig aber sind Leichtbauroboter etwas sehr Neues, sind sie doch anders als ihre schweren Vorgänger gekennzeichnet durch «konstruktive oder sicherheitstechnisch geregelte Harmlosigkeit», die einen Betrieb ohne trennende Schutzeinrichtungen und gerade dadurch eine «skalierbare Automatisierung » und einen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaftlichkeit ermöglichen sollen – gerade weil sie ohne Schutzzaun in vielen weiteren industriellen und nicht-industriellen Bereichen zum Einsatz kommen könnten.7 Auch die geringere Investition erlaubt bekannte Muster der Automatisierung in bisher nicht ökonomisch sinnvoll zu automatisierende Bereiche zu tragen – also etwa in der stark manuellen Montage mit kleinen Losgrößen, in variantenreicher Verpackung oder manufakturieller Herstellung unterschiedlicher Branchen und näher an den Kundenmärkten. Leichtbauroboter sind nicht nur technisch ausgereift und längst praxisfähig, sie sind mittlerweile schon mit Investitionskosten von unter 10.000 Euro zu haben. Alles also scheint für eine schubartige Verbreitung mit entsprechenden Effekten für Arbeit und Beschäftigung zu sprechen. Dazu aber finden sich wenige und zudem widersprüchliche Zahlen,8 Studien zu Beschäftigungseffekten verbleiben auf der Makroebene.9 Zu den wenigen Ausnahmen zählen eine Studie auf Basis des European Manufacturing Survey (EMS),10 bei dem produzierende Unternehmen befragt werden, und eine Studie auf der Basis von Erwerbsverlaufsdaten.11 Beide Studien verbinden eigene Daten mit denen der International Federation of Robotics (IFR) zu Robotikverkaufszahlen,12 die zwar seit Kurzem zwischen Industrie- und Servicerobotern unterscheidet13, auch in ihrer aktuellsten Fassung aber keine Zahlen zu Leichtbaurobotik ausweist. Diese Studien bescheinigen Deutschland jeweils einen vorderen Platz im globalen Ranking der Roboterdichte (Anzahl der Roboter pro 10 000 Beschäftigte). Bei den Effekten aber herrscht weniger Einigkeit: Während die einen eine erhöhte Produktivität ohne negative Beschäftigungseffekte konstatieren,14 zeigen andere negative Effekte des Robotikeinsatzes auf Löhne15 und wieder andere machen Roboter für einen dramatischen Arbeitsplatzrückgang in der produzierenden Industrie verantwortlich.16 Alle zitierten Studien beziehen sich schon zeitlich bedingt fast ausschließlich auf die bisherige Nutzung klassischer Industrieroboter. Es bleibt daher offen, inwieweit sich die Ergebnisse auf die Zukunft und auf die Leichtbaurobotik sowie deren Nutzung auch in anderen Bereichen übertragen lassen. Historisch betrachtet waren es die bisherigen Industrieroboter, mit deren extensivem Einsatz die Fließbandfertigung produktiver wurde als jemals zuvor.17 Daran lassen auch die zitierten Studien keinen Zweifel; dass dies trotzdem unterschiedliche und teils widersprüchliche Effekte hat, zeigt, dass die Folgen von Technologie nicht eindimensional, sondern abhängig von vielhältigen konkret-historischen Bedingungen sind – Bedingungen, die sich konkretisieren in spezifischen Formen der Gestaltung des konstanten und in unterschiedlichen Nutzungsformen des variablen Kapitels im Betrieb. Werfen wir im nächsten Schritt einen Blick auf den Forschungsstand zur Nutzung von Robotik und der arbeitsorganisatorischen und qualifikatorischen Ausgestaltung.
Betriebliche Nutzungsregime vor neuen Herausforderungen
Zusammen mit weiteren Industrie-4.0-Technologien wird aus technischer Sicht die «roboterbasierte Automation» als neues Automationsparadigma beschworen, mit dem sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine ganz neu stelle: «Wird die eine Hälfte der Beschäftigten Roboter ›programmieren‹ […], während die andere Hälfte […] von Robotern Arbeitsanweisungen entgegennimmt […]»?18 Letzteres sei für die Produktion noch nicht in Sicht,19 müsste dann aber deutliche Qualifikationseffekte nach sich ziehen. Eine der wenigen Studien zu Qualifikation im Kontext von Leichtbaurobotik hält je nach Einsatzszenario sowohl eine Aufwertung wie auch Kompetenzverluste auf Facharbeitsebene für möglich.20
Der Einsatz von Robotik in nicht-industriellen Bereichen – aus Kapitalsicht ein Vorteil des Leichtbauroboters – könnte zu ganz anderen Qualifikationseffekten führen als im industriellen Bereich mit seinen entlang von konkret-historisch entwickelten Automatisierungsstufen, Nutzungsregimen und Qualifikationsformationen: So führt zum Beispiel der Einsatz von Robotik in der Chirurgie zur Herausbildung einer Hyperspezialisierung für nur eine kleine Gruppe von Chirurginnen.21 Bei den Qualifikationseffekten durch Leichtbaurobotik scheint es also auf bisherige Nutzungsregime im Betrieb anzukommen. Die Hersteller von Leichtbaurobotern sind darauf angewiesen, dass Anwenderunternehmen diese in ihre unmittelbaren Produktionsprozesse integrieren, was nur passiert bei Aussicht auf Produktivitätseffekte. Integration aber bedeutet: konkrete Lösungen zu finden, Lösungen die ein bestimmtes (und meist neues) Ineinanderspiel des variablen und des konstanten Kapitals erfordern. Der Roboter als Produktionsmittel lässt sich nicht nur über das Verhältnis Mensch-Technik bestimmen, sondern die Produktionsverhältnisse sind unverzichtbar mitzudenken; erst wenn all dies ineinandergreift, kann sich ein neues Nutzungsregime etablieren. Zwar sind variables und konstantes Kapital analytische Begriffe, sie erfordern aber immer eine konkret-historische Ausprägung. Das war schon bei der ersten Generation der großen Industrierobotik der Fall. So bildete sich bei deren Einführung in den 1980er-Jahren eine dreigeteilte arbeitsorganisatorische Struktur des variablen Kapitals, die sich bis heute weitgehend gehalten hat:
Der Text erschien in gedruckter Form in:
Butollo, Florian / Nuss, Sabine (Hrsg.)
Marx und die Roboter
Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit
Mit Beiträgen von Florian Butollo,Timo Daum, Kristina Dietz, Franza Drechsel, Christine Gerber, Felix Gnisa, Frigga Haug, Georg Jochum, Elena Louisa Lange, Christian Meyer, Kim Moody, Phoebe Moore, Nadine Müller, Sabine Nuss, Sabine Pfeiffer, Simon Schaupp, Dorothea Schmidt, Sebastian Sevignani, Karsten Uhl, Judy Wajcman.
352 Seiten, Broschur.
ISBN 978-3-320-02362-1
Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2019
«1) Programmierung (Tätigkeit für Ingenieure und Technikerinnen), 2) Einstellung, Wartung, Programmanpassung (Tätigkeit für Instandhaltung und Einrichtung); und 3) Bedienung der Roboter (Tätigkeit für Produktionsarbeiter). Lackierung und Schweißen, ehemals Tätigkeiten auf Facharbeitsniveau, werden heute von Industrierobotern durchgeführt. Beschäftigte im Bereich Programmierung und Wartung sind die Gewinner im Rationalisierungsprozess; Produktionsarbeiterinnen sind die Verlierer. Es gibt keine Mobilität von Stufe 3 zu Stufe 2».22
Diese Nicht-Mobilität sollte damals wie heute keine sachlichfaktische Basis haben, haben doch Beschäftigte in Produktion wie Instandhaltung in der deutschen Automobilindustrie weitgehend Facharbeitsqualifikation (oft ergänzt um berufliche Aufstiegsqualifikationen) und könnten aufgrund ihres Fach- und Erfahrungswissens daher leicht jeweils um einen der genannten Level aufsteigen.23 Windolf konstatiert für Industrieroboter schon in den 1980er-Jahren, dass die Schneidung von Fähigkeiten und Aufgaben allein von der arbeitsorganisatorischen Ausgestaltung abhängt und die damals neuen Technologien nicht nur mit einer starren und hierarchischen Arbeitsteilung vereinbar seien, sondern auch mit anderen Formen der Verantwortungsverteilung in der Produktion.24
Es erscheint zunächst so, als sei die Frage der Qualifikation und der Arbeitsorganisation technikunabhängig beliebig sozial gestaltbar und allenfalls beschränkt von den jeweiligen Macht-und HerrschaFsverhältnissen im Betrieb. So wurden CNC-Programmierer, als der Bedarf ab den 1980er-Jahren neu entstand, zunächst nicht vom Arbeitsmarkt, sondern aus den eigenen Reihen rekrutiert – meist Facharbeiterinnen, die berufliche Fortbildungsqualifikationen zum Meister oder Techniker absolviert hatten, in entsprechenden Qualifikationen aber bis dahin nicht eingesetzt waren. Dass ansonsten in einem kapitalistischen Betrieb Aufstiegs- und Weiterbildungsoptionen immer auch Ausdruck wie Mittel von Macht- und HerrschaFsbeziehungen sind, gilt auch auf dem shopfloor. So weit so klar – aber nicht ausreichend für eine weiterführende Analyse und nicht spezifisch für Robotik. Denn andererseits wird meist die Frage außen vorgelassen, ob bestimmte technische Konstellationen auch sachlich bestimmte Formen der Arbeitsteilung nahelegen. Leider bleibt bis heute eine Folge der lange währenden Kontroverse um die (Nicht-)Determiniertheit des Sozialen durch die Technik,25 dass konkrete Setzungen des Technischen (also der Konkretion des konstanten Kapitals) selten ihren Weg in die kritische Analyse finden. Dabei gibt es eben auch Beschränkungen und Ermöglichungen des Technischen, sachliche Notwendigkeiten und kaum hintergehbare Pfadabhängigkeiten, die in konkreten Produktionsprozessen eine (wenn auch nie die einzige) wichtige Erklärungsdimension darstellen. Zwar sind diese immer auch fast unentwirrbar verwickelt mit den ökonomischen Bedingungen ihres Einsatzes, das entlässt aber nicht aus der Pflicht, genauer hinzusehen. Spielen wir das gedanklich und exemplarisch zunächst für den klassischen Industrieroboter durch.
Da dieser aus Sicherheitsgründen innerhalb des Schutzzauns bleibt, liegen damit auch arbeitsorganisatorische Formen der Nutzung und Gestaltung des variablen Kapitals nahe, die dem Einsatz anderer Maschinen ähnlich sind: Der meist für Füge- oder Handlungstätigkeiten eingesetzte Industrieroboter kann damit betrieblich genauso behandelt werden wie das spanende Bearbeitungszentrum oder die umformende Presse. Für die metallbearbeitende produzierende Industrie gilt daher seit den 1980er-Jahren ziemlich durchgängig: Die Ausführung des eigentlichen Arbeitsschritts …
- a) passiert automatisch in einem abgeschlossenen Schutzkorridor und in diesem Moment ohne unmittelbares Zutun des arbeitenden Menschen;
- b) erfordert eine anspruchsvolle Programmierung, die überwiegend zeitlich und räumlich entkoppelt passieren kann;
- c) geht schon qua Investitionsmasse in einem auf hohe Stückzahlen ausgerichteten, größeren Maschinenpark vonstatten;
- d) erfordert bei gleichzeitig hoher Variantenvielfalt die Fähigkeit, schnell auf andere Varianten umrüsten zu können;
- e) bedingt aus technisch-sachlichen Gründen präzise Wiederholgenauigkeiten und
- f) aus ökonomischen Gründen eine Minimierung von Ausschussquoten;
- g) findet in einem komplexen Produktionsumfeld mit multidimensionalen Einflussgrößen und dynamischem Verschleißverhalten statt und muss daher ständig vor Störungen bewahrt werden;
- h) realisiert sich auf Dauer ungestört nur, wenn eine vorausschauende und reaktionsschnelle Wartung unterschiedlichster Teilkomponenten (mechanisch, elektrisch, elektronisch, pneumatisch usw.) vor Ort gewährleistet werden kann; usw.
Diese Liste ließe sich verlängern und präzisieren, sie zeigt aber vor allem eines: Die in den 1980er-Jahren beobachtete arbeitsorganisatorische und qualifikatorische Struktur26 lässt sich weder ohne den Kontext eines kapitalistisch verfassten Betriebs, der alle Elemente des Schneller-Höher-Weiter bedingt, noch ohne Berücksichtigung der technisch-sachlichen Gegebenheiten verstehen. Diese Art von Fertigung kann mit einem möglichst geringen Anteil an variablem Kapital am produktivsten realisiert werden auf der Basis von (wenigen) einschlägig und breit qualifizierten Arbeitskräften (dreijährige gewerblich-technische Berufsausbildung als institutionelle Basis) und von etablierten Formen der Arbeitsteilung in Bedienung, Wartung, Programmierung (die mal mehr, mal weniger zusätzliche oder weitere betriebliche oder berufliche Qualifizierung erfordert).
Alles neu macht die Kollaboration?
Diese ebenso aus ökonomischen wie aus technisch-sachlichen Gründen etablierten betrieblichen Nutzungsregime von variablem und konstantem Kapital mögen für die große Industrie typisch sein, sie sind aber alles andere als exklusiv für den großen Industrieroboter. Glaubt man dem Marketing der Hersteller, könnten die oben genannten generischen Charakteristika nun aber überwunden werden: Der Leichtbauroboter …
- a) kann den Schutzraum verlassen und mit dem Menschen zeitgleich im selben Arbeitsraum gemeinsame Arbeitsschritte am gleichen Bauteil ausführen;
- b) benötigt keine aufwendige Programmierung und kann damit auch von Nicht-Fachpersonal bedient werden;
- c) benötigt nur geringe Investitionen.
Der Leichtbauroboter müsste also längst einen auch empirisch zu beobachtenden Siegeszug begonnen haben, denn zahlreiche bisher nicht automatisierbare Bereiche sollten sich nun gewinnbringend automatisieren lassen. Zudem – und gerade deswegen konzentriere ich mich in diesem Artikel bewusst auf diese technologische Facette von Industrie 4.0 – haben wir es mit einer trotz aller Neuheit ausgereiften und praxistauglichen Technologie zu tun, die ihre Erprobungsphase hinter sich hat und sozusagen «von der Stange» zu erwerben ist. Der Siegeszug aber bleibt bislang aus; das zeigt sich schon bei einem konkreteren Blick auf diese drei Dimensionen Kollaboration, Programmierung und Investition:
— Kollaboration jenseits des Schutzraums. Empirisch durchgesetzt hat sich überwiegend das Modell der Koexistenz,27 bei der Mensch und schutzzaunloser Roboter nebeneinander arbeiten und sich keinen gemeinsamen Arbeitsraum teilen. Die einleitend vorgestellten Varianten der Mensch-Roboter-Kooperation, die wenigstens einen gemeinsamen Arbeitsraum vorsehen, finden sich in der Praxis kaum. Das gilt erst recht für die elaborierteste Form der Arbeitsteilung zwischen Roboter und Mensch, die Kollaboration. Dabei wäre diese das revolutionär Neue, weil der eigentliche Arbeitsschritt von Mensch und Roboter gleichzeitig am selben Bauteil ausgeführt wird. Demgegenüber lag der große Produktivitätsfortschritt beim Wechsel von der konventionellen zur programmierbaren Bearbeitungsmaschine (egal ob über Lochkarte oder CNC, ob in der Werkstatt oder der Arbeitsvorbereitung programmiert), gerade in der zeitlichen und räumlichen Trennung von Mensch und Maschine. Die konventionelle Werkzeugmaschine benötigte noch eine sehr aktive Bedienung und direkte Steuerung durch den Menschen und band ihn daher stark an sich. Erst mit der Trennung von Maschinen- und Menschenhandeln durch den Programmablauf setzte ein neuer Rationalisierungsschub ein, erst dann konnten mehrere Maschinen durch einen Menschen bedient und erst damit im größeren Stil variables Kapital ersetzt werden. Und erst damit etablierte sich die oben beschriebene qualifikatorische Dreiteilung von Bedienung, Programmierung und Wartung. Bei der Leichtbaurobotik inspirierte zwar die Vision der Kollaboration zur marketingträchtigen Wortschöpfung des Cobots (aus collaboration und robots). Genau diese aber findet in der Praxis praktisch nicht statt. So fragt in einer Gruppendiskussion der Entwicklungsleiter eines Herstellers für Leichtbauroboter verzweifelt: «Das sind doch hier nun alles Experten. Was mich wirklich mal interessieren würde: Kann mir hier irgendjemand eine Situation nennen, bei der wirklich Mensch und Roboter gleichzeitig am selben Bauteil etwas tun? Wir haben Millionen in die Entwicklung unseres [Robotername] gesteckt, aber diese Anwendungshälle gibt es nicht. Keiner braucht das doch, oder?» Der Vertriebsverantwortliche eines anderen Herstellers resümiert seine Erfahrung im Vertrieb: «Wir hätten den Begriff des Cobots nie verwenden sollen, da weckst Du völlig falsche Erwartungen beim Management. Die denken, man kauft ihn, stellt ihn in die Produktion und dann geht es los mit der Zusammenarbeit. Aber so ist das nicht, und dann suchen sie verzweifelt nach Anwendungen».28
— Leichte Programmierung: Unterschieden wird zwischen klassischer Programmierung und der Programmierung «durch Vormachen», bei der der Roboter über «intuitive Eingabemethoden direkt oder indirekt belehrt» wird.29 Meist wird einerseits die einfache Handhabung der neuen Robotik betont, die gar keine Programmierkenntnisse mehr erfordere, sondern sich auf einfaches Führen und «Zeigen» des Roboters beschränke (sogenanntes Teachin).30 Andererseits wird oft bezweifelt, ob dieses auf der Facharbeitsebene angesiedelt sein kann, mindestens erfordere dies immense Weiterbildungsaufwände. Ein erstaunlicher Widerspruch: Wenn die Programmierung so einfach ist, dass davon im eigentlichen Sinne (also Geometrie- und Bearbeitungsbefehle in einer meist herstellerspezifischen Skriptsprache) nicht mehr die Rede ist, dann sollte dies für moderne Metall- und Elektroberufe kein Problem darstellen. Schließlich gehört die – als bislang komplizierter angesehene – CNC-Programmierung von Bearbeitungsmaschinen seit der ersten Reform der Metallberufe in den 1980er-Jahren fest zum Ausbildungscurriculum. Viel wichtiger als die Programmierung des Roboters im Sinne von Positionierungsbefehlen ist, was der Roboter tun soll. Das gilt für den großen Industrieroboter ebenso wie seinen leichten Bruder. So wie die Programmierung eines Industrieroboters zum Punktschweißen entlang einer Karosseriegeometrie ohne Fach- und Erfahrungswissen des Schutzgasschweißens oder zu den Materialien der zu schweißenden Teile nicht funktioniert, so benötigt auch der Leichtbauroboter mehr Überblicksund je nach Einsatzort Fachwissen jenseits der reinen Roboterpositionierung (zum Beispiel über Sinn und Unsinn bestimmter Montage- oder Verpackungsanforderungen und -schrittfolgen). Hier steckt die eigentliche – aber ebenso auf Facharbeitsebene unkritische – Herausforderung, auch für Leichtbaurobotik. Kein Problem in Bereichen mit Metall- und Elektroberufen, sehr wohl aber dann, wenn die neue Robotik außerhalb dieser Branchen eingesetzt werden soll.
— Als Intentionen für die Investition von Leichtbaurobotern wird neben der Verbesserung der Ergonomie und der Erpro bung innovativer Technologie in erster Linie eine verbesserte Wirtschaftlichkeit genannt; in der Praxis zeigen sich allerdings wesentlich längere Amortisationszeiten als bei klassischer Automatisierung.31 Brynjolfsson u. a.32 halten dies für typisch für sogenannte general-purpose technologies (GPTs), also Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Robotik, die in verschiedensten Anwendungen einsetzbar sind. Bei diesen käme es in den ersten Jahren zu weniger Ertrag und Produktivität als erwartet und erst später zu deren spürbaren Erhöhung – weil ein Großteil der anhänglichen Investitionen nicht für die Anschaffung der eigentlichen Produktionsmittel, sondern für die dafür benötigten «Intangibles» nötig sei (gemeint sind die ökonomisch schwerer fassbaren Aufwände für das mit diesen Technologien einhergehenden Re-Design der GeschäFsprozesse, die Ko-Investitionen für neue Produkte und Geschäftsmodelle sowie Investitionen in «Humankapital») – es geht also überwiegend um variables Kapital, das benötigt wird, um das generalpurpose- Versprechen einzulösen und zu einem ökonomisch nutzbringenden, konstantem Kapital werden zu lassen. Spricht man mit Experten der Branche, zeigen sich zwei Muster zum Thema Investition. Zum einen wird die Anschaffungsintention sehr häufig als eine me-too-Entscheidung geschildert, so der Experte eines Herstellers: «Unser [Name des Roboters] wird ja meist vom oberen Management, vom Geschäftsführer gekauft. Der hat den auf der Messe gesehen und sein Golumpel hat den auch schon, dann will er ihn auch haben. Ist manchmal echt so ein Status-Ding, ob sich das rechnet, wird da gar nicht gefragt.» Ein Ingenieur schildert: «Naja, und dann war das Ding da und dann wollte man unbedingt irgendwas Herzeigbares damit machen, am besten was für eine bessere Ergonomie, wegen der Akzeptanz und so. Was am Ende nach langem Getue rauskam, hätte man viel billiger und schon lange vorher mit einer üblichen Handhabungsautomatisierung lösen können.» Auch bei 25 vom Fraunhofer IAO untersuchten Anwendungshällen war der Aufwand bei schutzzaunlosem Einsatz durchgängig deutlich höher als am Anfang der Planung erwartet.33
Aus der leichteren und intuitiveren Programmierung der Leichtbauroboter, ebenso wie aus den Kollaborationsoptionen sowie den geringen Investitionskosten ergeben sich also Optionen für die Einsparung variablen Kapitals, die sich bisher kaum realisieren. Das ließe sich als Übergangsphänomen abtun oder als Symptom unprofessionellen Managementhandelns. Beides mag auch stimmen, erklärt aber alleine nicht den Gap zwischen Produktivitätsversprechen und dessen Nichteinlösung. Das bisherige Scheitern des Neuen liegt erstens offensichtlich nicht im eigentlichen Produktionsmittel und seiner stofflichen Artefaktspezifik begründet. Und es scheint zweitens nicht an fehlenden oder nicht passhähigen Kompetenzen der Beschäftigten zu liegen. Wir suchen abschließend nach einer weiterführenden Erklärung.
Die neuen Nutzungsregime scheitern am Konkreten
Eine weitere Erklärung könnte sein, dass das Anwenderkapital den Produktivitätsversprechen des Anbieterkapitals auf den Leim gegangen ist und deswegen (und aufgrund des hyperventilierenden Digitalisierungsdiskurses) vor der Investition die sachliche und ökonomische Sinnhaftigkeit des Leichtbauroboter nicht ausreichend geprüft hat. Schon Marx hat darauf hingewiesen, dass die Maschinerie als «übermächtiger Konkurrent » und als dem Lohnarbeiter «feindliche Potenz […] laut … vom Kapital proklamiert und gehandhabt» werde; man könne eine ganze «Geschichte der Erfindungen» schreiben, die bloß als «Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeiterproteste ins Leben traten».34 Die Proklamation der neuen Technologien gelingt dem Kapital aktuell über den Digitalisierungs- und 4.0-Diskurs erstaunlich gut35 und die Presse übernimmt unkritisch das Marketing der Herstellerfirmen.36 Mit der Handhabung aber scheint sich das Kapital derzeit weniger leicht zu tun. Dass dies selbst bei der Leichtbaurobotik der Fall ist, obwohl hier weitaus weniger technologische Hürden bestehen als bei anderen 4.0-Technologien, bedarf der weiteren Analyse. Bei der Leichtbaurobotik ist die Fähigkeit zur Kollaboration, zur direkten Zusammenarbeit von Mensch und Roboter die vermarktete killing application. Kooperation zu nutzen sieht Marx als ein wesentliches Element der kapitalistischen Produktion; es handele sich hierbei «nicht nur um Erhöhung der individuellen Produktivkraft […], sondern um die Schöpfung einer Produktivkraft, die an und für sich Massenkraft sein muss».37 Marx unterscheidet zwei Kooperationsarten, die eigentümlich an die einleitend zitierten unterschiedlichen Kooperationsformen zwischen Mensch und Roboter erinnern, aber gerade nicht die Interaktion zwischen einem individuellen Mensch und einem einzelnen Artefakt beschreiben: Bei der einfachen Kooperation werde Gleiches nacheinander oder nebeneinander getan,38 für komplizierte Arbeitsprozesse erlaube dagegen die arbeitsteilige Kooperation, «die bloße Masse der Zusammenarbeitenden, die verschiedenen Operationen unter verschiedene Hände zu verteilen, daher gleichzeitig zu verrichten und dadurch die zur Herstellung des Gesamtprodukts nötige Arbeitszeit zu verkürzen»; zudem ergäbe sich eine «Beschränkung der Raumsphäre der Arbeit bei gleichzeitiger Ausdehnung ihrer Wirkungssphäre».39
Neben diesen generisch-abstrakten Aussagen macht Marx aber auch sehr deutlich, dass die gesteigerte Produktivkraft eines solchen kombinierten Arbeitstags ganz unterschiedliche konkrete Ursachen haben kann, sei es die Erhöhung der mechanischen Kraftpotenz der Arbeit, sei es die Möglichkeit, «im kritischen Moment viel Arbeit in wenig Zeit flüssig» zu machen, «den Wetteifer der Einzelnen» erregen und ihre «Lebensgeister» spannen zu können, sei es, den «gleichartigen Verrichtungen vieler den Stempel der Kontinuität und Vielseitigkeit» aufdrücken zu können, oder sei es, die Produktionsmittel durch ihren gemeinschaftlichen Gebrauch zu ökonomisieren und bei alldem der «individuellen Arbeit den Charakter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit» zu verleihen – alle diese Möglichkeiten entspringen nach Marx «aus der Kooperation selbst».40
Sabine Pfeiffer ist Inhaberin des Lehrstuhl für Soziologie (Technik-Arbeit-Gesellschaft) am Nürnberg Campus of Technology der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg.
Zuletzt veröffentlichte sie: Digitale Arbeitswelten und Arbeitsbeziehungen: What you see is what you get?, in: Industrielle Beziehungen, Sonderband Digitale Arbeitswelten und Arbeitsbeziehungen: Direkte und indirekte Effekte digitaler Technik, 2019.
Für den kollaborativen Leichtbauroboter stellt sich genau hier eine immanente Hürde: Nur auf den ersten Blick und klebend am Begriff der «Kollaboration» wäre er zu deuten als eine neue Stufe einer beispielsweise erweiterten arbeitsteiligen Kooperation. Dann aber müsste er sich betrieblich leichter eingliedern lassen. Schließlich tritt der Leichtbauroboter dort auf einen Zustand der «Entwicklung der Maschinerie», der nach Marx erst eintrete, wenn die «große Industrie schon höhre Stufe erreicht hat und die sämtlichen Wissenschaften in den Dienst des Kapitals gefangengenommen sind; andrerseits die vorhandne Maschinerie selbst schon große Ressourcen gewährt».41 Damit stoßen wir möglicherweise auf den Kern und damit auf meine erste These: Die sich im bisherigen Kapitalismus entwickelte Kooperation in all ihren Spielarten ist – in ihren entwickeltsten Produktionsformen der aktuellen großen Industrie – an die Grenze ihrer weiteren Ökonomisierung gekommen.42 Das zeigte sich arbeitsorganisatorisch an den Grenzen des alten Taylorismus und den verschiedenen Antworten des Toyotismus (von der Lean Production über Ganzheitliche Produktionssysteme bis zur Agilen Produktion). Und es zeigt sich bei den technischen Produktionsmitteln nun an der zögerlichen Einführung des Leichtbauroboters.
Eine zweite These ist daher, dass der Leichtbauroboter für die hoch-automatisierten und hoch arbeitsteiligen Kooperationsformen der heutigen großen Industrie in den entwickelten kapitalistischen Ländern in seiner kollaborativen Nutzungsform kein ökonomischer Fortschritt ist, weil diese historisch in langen Zyklen aufgebaute arbeitsteilige Kooperationsform keine letztlich manufakturielle individuelle Kooperation (auch wenn sie sich zwischen Mensch und Maschine abspielt) integrieren kann.
Der Leichtbauroboter würde dagegen – das ist die dritte These – hervorragend in eine individualisierte und personalisierte sowie dezentralisierte On-demand-Produktion passen. Häufig wird diese als zukünftiges Gegenmodell zur Massenproduktion gesehen und dabei impliziert, es würde derzeit in der Automobilherstellung in großen Serien jeweils der gleiche Autotyp hergestellt und erst in Zukunft und auf Basis von Industrie-4.0-Technologien sei ein Mehr an personalisierten Produkten möglich. Allerdings ignoriert diese Gegenüberstellung die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in Richtung einer modularisierten und kundenspezialisierten Serienfertigung. So kann man heute allein bei einem Hersteller von rund 1032 Fahrzeugausstattungsvarianten ausgehen;43 auch heute schon ist jedes einzeln bestellte Fahrzeug identifizierbar und wird entsprechend spezifisch gefertigt. D. h. auch heute schon wäre eine On-demand-Produktion technisch gesehen machbar, sie bricht sich aber mit der herrschenden ökonomischen Logik, das heißt konkret: Sie hätte negative Auswirkungen auf betriebswirtschaftliche Kennzahl der Anlagenproduktivität. Gehen nicht ausreichend spezifische Kundenaufträge ein, so werden später aufwändig vermarktete Sondermodelle in größeren Losen produziert, um die Produktionsmittel am Laufen zu halten. Ob in der heutigen Produktionsform der mass customization oder einer weiter personalisierteren Form: Eine On-demand-Produktion wäre ohne Frage technisch denkbar und ökologisch höchst sinnvoll – sie ist aber nur in Nischen umsetzbar, denn sie widerspricht den Prinzipien einer kapitalistischen, zum Wachstum (und damit zur Überproduktion) verdammten Ökonomie. Denn es würde in ihr nur dann produziert werden, wenn der konkrete Gebrauchswert für ein konkretes einzelnes Produkt formuliert ist. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Optionen des Leichtbauroboters, mit denen sich die Ergonomie verbessern und eine altersgerechte und vor allem nicht-taktgebundene Produktion technisch leichter realisieren ließe. Auch hier aber gilt erstens, dass es oft bereits andere technische Möglichkeiten gibt, mit denen dies erreicht werden könnte – wenn denn bei Investitions- und Technikeinsatzentscheidungen die Qualität von Arbeit erste Priorität hätte. Sie ist aber meist eine nur abgeleitete oder in Konflikten rund um die Arbeitsgestaltung ausgehandelte Größe, nicht die Leitorientierung. Qualitative Aspekte in Bezug auf Umwelt wie auf lebendige Arbeit können mit technischen Mitteln gestern wie heute oder morgen verbessert werden, aber das ist kein Automatismus, denn Qualitatives widerspricht der herrschenden ökonomischen Logik und wird meist nur umgesetzt, wenn es sich kostenneutral realisieren lässt.
Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass das Potenzial der kollaborativen Leichtbauroboter für eine erweiterte Form der Kooperation auch in kapitalistischer Logik ökonomisch sinnvoll genutzt werden könnte. Dies würde aber voraussetzen – das ist die vierte These –, dass das Kapital die konkreten Potenziale des Zusammenspiels eines spezifischen konstanten Kapitals mit dem bestehenden konstanten und variablen Kapital erkennen würde. Der Leichtbauroboter entwickelt sein Potenzial nicht aus sich heraus, sondern nur in einem innovativen und oft völlig neu zu konfigurierendem Zusammenspiel mit bestehender Technik und bestehenden Abläufen – oft sogar verbunden mit konstruktiven Veränderungen auf Produktebene. Dafür Lösungen zu finden, erfordert ein eingespieltes Team spezifischer lebendiger Arbeit (etwa von Konstrukteurinnen in Forschung und Entwicklung mit Automatisierungsspezialisten im Engineering und erfahrenen Facharbeiterinnen in Produktion und Instandhaltung). In den Industrien, in denen diese historisch-konkrete Formation lebendiger Arbeit infolge einer über 150-jährigen Entwicklungsgeschichte vorhanden ist, wird diese Anforderung angesichts der geringen Investitionssumme des Leichtbauroboters strategisch oft gar nicht erwogen und im Konkreten unterschätzt. In anderen möglichen Einsatzbereichen wie Logistik oder Handel fehlt es genau an diesen Ausprägungen lebendiger Arbeit. In beiden Fällen – und diese Aussage gilt ganz ähnlich für viele der neuen Industrie-4.0-Technlogien – unterschätzt das auf die Tauschwertseite orientierte Management die innovationsrelevante Bedeutung der lebendigen Arbeit. Eine – in der kapitalistischen Logik angelegte und nicht ausgeschlossene Lösung dieses Dilemmas – wäre die Etablierung eines eben dieses Dilemma adressierende Geschäftsmodells. So bieten sich bereits erste kleine Beratungsunternehmen und Start-ups als «Integratoren » für Leichtbauroboter in diesem Sinne an. Anders formuliert: Das Kapital kann die Gebrauchswertseite seines variablen wie konstanten Kapitals vernutzen und auf dieser Basis die Tauschwertseite immer wieder inkrementell optimieren lassen. Es tut sich aber schwer damit, die Gebrauchswertseite beider Ressourcen ausreichend zu verstehen, um daraus strategischen und innovativen Nutzen über die bestehende Logik hinaus zu entwickeln. Dazu müsste die «Erfindung […] ein Geschäft und die Anwendung der Wissenschaft auf die unmittelbare Produktion selbst ein für sie bestimmender und sie sollizitierender [antreibender] Gesichtspunkt» werden.44 Sprich: der Leichtbauroboter als einzelnes konstantes Kapital bringt nichts, es braucht zunächst eine qualitativ andere Nutzung (und in einer Übergangsphase sogar quantitativ mehr) an menschlichem Arbeitsvermögen, um das Umfeld für dessen (dann auf technisch-organisatorisch veränderter Ebene) Mehrwert generierenden Einsatz erst zu schaffen.
Schließlich sollte man die Aussage aus dem Maschinenfragment ernst nehmen, dass mit der Entwicklung der großen Industrie die unmittelbare Arbeit auöre, «als solche Basis der Produktion zu sein, indem sie nach der einen Seite hin in mehr überwachende und regulierende Tätigkeit verwandelt wird».45 Nach Marx hört also nicht die Aneignung fremder Arbeit an sich auf, sondern nur in ihrer Form direkter Produktionstätigkeit. Dieser Satz ließe sich für die hoch automatisierte und vernetzte Produktion ergänzen um – meine fünfte These: Während die quantitative Bedeutung des variablen Kapitals abnimmt, steigt seine qualitative Bedeutung für die Umsetzung und Gewährleistung der dauerhaften Produktivität des Gesamtprozesses. Nicht nur die Bedeutung menschlicher Arbeit für die Gewährleistung bestehender Produktion, sondern auch und zunehmend für die ständige Neugestaltung (Planung, Vernetzung, Re-Organisation) des Gesamtprozesses nimmt zu. Dies könnte für eine Übergangszeit – wohl eher nicht quasi-automatisch vom Kapitalismus zu einem wie auch immer gearteten Postkapitalismus, sondern vom bisherigen zum neuen Nutzungsregime konstanten und variablen Kapitals innerhalb des Kapitalismus – sogar zu einem erhöhten quantitativen Bedarf an menschlichem Arbeitsvermögen in dafür nötigen Spezialqualifikationen führen.
Friedrich Krotz fasst den Roboter dialektisch als «technisch hergestellte Gattung in einem ambivalenten Verhältnis zur menschlichen Gattung», seien diese doch «einerseits subordinierte und andererseits gleichzeitig mit Menschen konkurrierende Akteure, insofern sie Anordnungen befolgen und Aufgaben erfüllen, aber auch Anordnungen geben und Aufgabenerfüllung verlangen».46 Auch das ist keine ganz neue Entwicklung. Nicht das Artefakt – der (also alle?) Roboter bei Krotz, der Leichtbauroboter in diesem Artikel – ist aus einer marxistischen Kritikperspektive das Interessante, sondern ob ein neuer Produktivkraftsprung damit zu verbinden sei. Dieser aber umfasst sehr viel mehr als das, was in der direkten Produktion passiert. Wenn die dort bestimmenden Akteure das Konkrete des technischen Potenzials und des menschlichen Arbeitsvermögens nicht ausreichend verstehen, wenn sich dort keine neuen Nutzungsregime zwischen variablem und konstantem Kapital herausbilden, wäre das eine neue Grenze. Das Potenzial eines ProduktivkraFsprungs in eine ökologischere, dezentrale On-demand-Produktion bleibt in einem unauflösbaren Widerspruch zu der Ressourcen vernutzenden und verschwendenden Logik einer erweiterten großen Industrie innerhalb einer tauschwertorientierten Ökonomie. Es werden nicht die robot overloards sein, die zukünftig in Davos den Champagner trinken.47 Und mit David Harvey stellt sich angesichts technologischen Wandels weiterhin (und mit immer dramatischeren und langfristig wirkenden Antworten) die Frage: «Wer profitiert von dem schöpferischen Prozess und wer hat darunter zu leiden?»48
[1] Zur üblichen Unterscheidung dieser fünf Arten der Mensch-Robotik-Interaktion (Zelle, Koexistenz, Synchronisiert, Kooperation, Kollaboration) vgl. Wilhelm Bauer/Manfred Bender/Martin Braun/Peter Rally/Oliver Scholz: Leichtbauroboter in der manuellen Montage – einfach einfach anfangen. Erste Erfahrungen von Anwenderunternehmen, Stuttgart 2016, S. 8.
[2] Karl Marx: Das Kapital, Bd. 1, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke [MEW], Berlin 1956ff., Bd. 23, S. 468.
[3] Ebd.
[4] Ebd., S. 446.
[5] Zu den bekanntesten Leichtbaurobotern zählen YuMi von ABB, Panda von Frank Emika, BionicCobot von Festo, iisy von KUKA oder Sawyer von RethinkRobotics, nun Hahn Group.
[6] Zitiert in: Wilhelm Bauer u.a.: Leichtbauroboter in der manuellen Montage, S. 2.
[7] Bjoern Matthias/Hao Ding/Volker Miegele: Die ZukunF der Mensch-Roboter Kollaboration in der industriellen Montage, Internationales Forum Montage 2013, 30.–31. Oktober 2013 in Winterthur.
[8] Zum Teil wird zu unkonkret gefragt. So unterscheidet der DGB-Index »Gute Arbeit« 2016 nicht zwischen computergesteuerten Maschinen und Robotern (24 Prozent aller BeschäFigten arbeiten damit) und in der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 wird nur die Tätigkeit »Überwachen, Steuern von Anlagen, Maschinen« erhoben (39 Prozent tun dies häufig oder manchmal).
[9] Robert Seamans/Manav Raj: AI, Labor, Productivity and the Need for Firm-Level Data, Cambridge 2018, S. 5–8. http://papers.nber.org/tmp/85128-w24239.pdf
[10] Angela Jäger/Cornelius Moll/Christian Lerch: Analysis of the Impact of Robotic Systems on Employment in the European Union, Karlsruhe 2016.
[11] Wolfgang Dauth/Sebastian Findeisen/Jens Suedekum/Nicole Woessner: German Robots – The Impact of Industrial Robots on Workers, London 2017.
[12] International Federation for Robotics: World Robotics. Industrial Robots 2018, Frankfurt a. M./New York 2018.
[13] Auf dieser Basis schätzt eine weitere Studie Arbeitsmarkteffekte insbesondere für Serviceroboter: Michael Decker/Martin Fischer/Ingrid Ott: Service Robotics and Human Labor: A First Technology Assessment of Substitution and Cooperation, in: Robotics and Autonomous Systems, Vol. 87 (2017), S. 348–354.
[14] Angela Jäger/Cornelius Moll/Christian Lerch: Analysis of the Impact of Robotic Systems on Employment in the European Union, Luxemburg 2016.
[15] Dauth u. a.: German Robots.
[16] Decker u. a.: Service Robotics.
[17] David E. Nye: America’s Assembly Line, Cambridge 2013, S. 242.
[18] Michael Haag: Kollaboratives Arbeiten mit Robotern – Vision und realistische Perspektive, in: Alfons Botthoff/Ernst Andreas Hartmann (Hrsg.): ZukunF der Arbeit in Industrie 4.0, Wiesbaden 2015, S. 60.
[19] Ebd., S. 64.
[20] Lars Windelband/Bernd Dworschak: Arbeit und Kompetenzen in der Industrie 4.0, in: Hartmut Hirsch-Kreinsen/Peter Ittermann/Jonathan Niehaus (Hrsg.): Digitalisierung industrieller Arbeit, Baden-Baden 2015, S. 71–86.
[21] Matthew Beane: Shadow Learning: Building Robotic Surgical Skill When Approved Means Fail, in: Administrative Science Quarterly online first, 2018, S. 1–37.
[22] Paul Windolf: Industrial Robots in the West German Automobile Industry, in: Politics & Society, Vol. 14 (1985), Nr. 4, S. 459–495, hier S. 481.
[23] Sabine Pfeiffer: Industry 4.0: Robotics and Contradictions, in: Paško Bilić/Jaka Primorac/Bjarki Valtýsson (Hrsg.): Technologies of Labour and the Politics of Contradiction, Cham 2018, S. 19–36.
[24] Windolf: Industrial Robots, S. 482.
[25] Sabine Pfeiffer: Technisierung von Arbeit, in: Fritz Böhle/Günter G. Voß/Günther Wachtler (Hrsg.): Handbuch Arbeitssoziologie. Band 1: Arbeit, Strukturen, Prozesse, 2. Aufl., Wiesbaden 2018, S. 321–358.
[26] Windolf: Industrial Robots.
[27] Vgl. Wilhelm Bauer u.a.: Leichtbauroboter in der manuellen Montage.
[28] Alle zitierten Interviewpassagen stammen aus eigener, qualitativer Empirie, die in 2018 mit Experten deutscher Leichtbauroboter-Hersteller durchgeführt wurde.
[29] Martin Naumann: Mensch-Maschine-Interaktion, in: Thomas Bauernhansl/ Michael ten Hompel/Birgit Vogel-Heuser (Hrsg.): Industrie 4.0 in Produktion. Automatisierung und Logistik. Anwendung – Technologien – Migration, Wiesbaden 2014, S. 510.
[30] Teach-in ist zudem kein neues Konzept, sondern findet sich schon bei Industrierobotern der 1990er-Jahre, vgl. Gerd Hirzinger: Neue Teach-In-Verfahren in der Robotik, in: Ingbert Kupka (Hrsg.): GI – 13. Jahrestagung. Hamburg, 3.–7. Oktober 1983, Proceedings, Bd. 73, Berlin/Heidelberg 1983, S. 177–193.
[31] sk Wilhelm Bauer u.a.: Leichtbauroboter in der manuellen Montage, S. 9.
[32] Vgl. Erik Brynjolfsson/Daniel Rock/Chad Syverson: The Productivity J-Curve: How Intangibles Complement General Purpose Technologies, Cambridge 2018.
[33] Ebd.
[34] MEW, Bd. 23, S. 459, Hervorh. S.P.
[35] Sabine Pfeiffer: Warum reden wir eigentlich über Industrie 4.0? Auf dem Weg zum digitalen Despotismus, in Mittelweg 36, Jg. 24 (2015), H. 6, S. 14–36.
[36] Vgl. die Studie über die KI-Berichterstattung in UK: J. Scott Brennen/Philip N. Howard/Rasmus Kleis Nielsen: An Industry-Led Debate: How UK Media Cover Artificial Intelligence, Oxford 2018.
[37] MEW, Bd. 23, S. 344–345.
[38] Ebd., S. 346.
[39] Ebd., S. 347–348.
[40] Ebd., S. 348–349; für die digitale Transformation ließe sich zum einen die Crowdund Plattform-Ökonomie deuten als ein Versuch, diesen Nutzen der Kooperation und ihrer im Kapitalismus entwickelten Spielarten auch ohne den physischen Ort des Betriebs, ohne den (bei Marx noch als notwendig erachteten Manager) und unter der Nutzung der (durch das Kapital anderer finanzierter) Produktionsmittel zu ermöglichen.
[41] Karl Marx: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, MEW, Bd. 42, S. 600 (im Abschnitt «Fixes Kapital und Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft», dem sogenannten Maschinenfragment).
[42] Alle Thesen beziehen sich auf den Einsatz von physischen Produktionsmitteln in physischen Produktionsumfeldern. Es geht mir hier nicht um eine Generalthese dazu, was die Digitalisierung aus dem Kapitalismus mache.
[43] Christoph Tripp: Distributions- und Handelslogistik. Netzwerke und Strategien der Omnichannel-Distribution im Handel, Wiesbaden 2019, S. 38.
[44] MEW, Bd. 42, S. 600.
[45] Ebd., S. 604–605.
[46] Friedrich Krotz: Die Begegnung von Mensch und Roboter. Überlegungen zu ethischen Fragen aus der Perspektive des Mediatisierungsansatzes, in: Matthias Rath/ Friedrich Krotz/Matthias Karmasin (Hrsg): Maschinenethik. Normative Grenzen autonomer Systeme, Wiesbaden 2019, S. 22.
[47] Diane Coyle: Welcoming our Robot Overlords: The Disruptive Potential of Technological Progress, in: Tony Dolphin (Hrsg.): Technology, Globalisation and the Future of Work in Europe, London 2015, S. 100–105, hier S. 104.
[48] David Harvey: Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus, Berlin 2015, S. 123. In der deutschen Übersetzung geht leider Harveys Wortspiel mit Schumpeters »schöpferischer Zerstörung« (creative destruction), die er kurz zuvor im Text erwähnt, verloren: «[…] who gains from the creation and who bears the brunt of the destruction?» David Harvey: Seventeen Contradictions and the End of Capitalism, London 2014, S. 98.