Deutsche Importeure sind für den Weinsektor in Südafrika von überragender Bedeutung. Deutschland ist nach Großbritannien der zweitgrößte Importeur von Wein aus dem Land am Kap.
Wein wird in zwei Formen gehandelt: entweder in großen Tanks oder in Flaschen. Tankwein aus Südafrika importiert Deutschland sogar noch mehr als Großbritannien. Kellereien wie Peter Mertes oder Zimmermann-Graeff & Müller füllen jährlich Millionen Liter Wein aus Südafrika ab, die dann in den Regalen deutscher Supermärkte und Discounter landen. Neben dem Lebensmitteleinzelhandel ist Deutschland jedoch auch über den Weinfachhandel und über die Gastronomie ein wichtiger Importeur von Wein aus Südafrika. Unternehmen wie die Hawesko-Holding – zu ihr gehören unter anderem Jacques’-Weindepot-Läden, die Champagner und Wein Distributionsgesellschaft (CWD) und Wein Wolf – importieren ebenfalls große Mengen an Wein aus dem afrikanischen Land. Daneben gewinnt der Onlinehandel mit südafrikanischem Wein immer stärker an Bedeutung.
Benjamin Luig arbeitet zu Fragen der Agrarpolitik und lebt in Berlin. Von 2016 bis 2019 leitete er das Dialogprogramm Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg, Südafrika. Der Autor dankt Paula Cardoso (TCOE) für ihre Hintergrundrecherchen zur Studie.
Insbesondere die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland setzt die Kellereien und Weinfarmen in Südafrika unter Flexibilisierungs- und Preisdruck. Unlautere Handelspraktiken stellen bei dem Ankauf durch den Einzelhandel eher die Regel als die Ausnahme dar. Zulieferer zahlen eine Gebühr von rund einem Viertel ihres Verkaufspreises, damit sie überhaupt in die Liste der Geschäftspartner aufgenommen werden. Auch für einen gut sichtbaren Platz im Supermarktregal müssen sie zusätzlich zahlen. Kellereien aus Südafrika erfahren vom deutschen Einzelhandel sehr kurzfristig, welche Weinmengen ihnen abgenommen werden. Diese ausgelagerten Risiken werden innerhalb der Lieferkette nach unten bis an die Farmen weitergereicht. Die technische Grundlage für diese Flexibilisierung stellt die Form des Handels mit Wein im Flexitank dar: Große Mengen Wein können nicht nur kostengünstig transportiert, sondern auch nach längerer Zeit gemischt werden, ohne an Geschmack zu verlieren. Das ermöglicht es Kellereien wie Peter Mertes, scheinbar homogenen Wein in großen Mengen auf den Markt zu bringen, der faktisch ein Verschnitt, also eine Mischung von Weinen unterschiedlicher Produzenten ist. Durch den Handel mit Tankwein werden Winzerbetriebe und Kellereien in Südafrika austauschbarer. Ein großer Teil der Wertschöpfung wandert von Südafrika nach Deutschland.
Die Preismargen entlang der Zulieferkette der Supermarktkonzerne sind extrem ungleich. In Südafrika bleibt bei dem Export von Tankweinen ein Anteil von weniger als 16 Prozent des Ladenpreises, der in Deutschland verlangt wird. Über 60 Prozent der Marge teilen sich der Discounter und die abfüllende Kellerei in Deutschland. Etwa sieben Prozent bleiben bei der Weinfarm und bei der exportierenden Kellerei in Südafrika. Die Arbeiter*innen erhalten lediglich 1,4 Prozent des Ladenpreises. Die Entwicklung des Importpreises von Tankwein in den letzten zehn Jahren verdeutlicht den Preisdruck, den deutsche Importeure auf den südafrikanischen Weinsektor ausüben: Der Preis lag bei durchweg weniger als 80 Cent (90 US-Cent) pro Liter und dies bei einem kontinuierlich sinkenden Wert des Südafrikanischen Rand. Inflationsbereinigt würde die Kurve also deutlich nach unten abfallen. Im Jahr 2018 lag der Preis pro Liter Tankwein bei knapp 60 Cent (66 US-Cent). Deutschland ist jedoch nicht nur im Niedrigpreissegment ein wichtiger Importeur, sondern auch in höherpreisigen Weinkategorien. In diesen Kategorien, die jedoch vom Volumen her deutlich kleiner sind, können südafrikanische Produzenten durchaus drei bis fünf Euro pro Liter erzielen.
Der vom Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland ausgeübte Preisdruck verschärft die Krise, in der sich der Weinsektor in Südafrika ohnehin befindet. Nach Angaben des südafrikanischen Arbeitsministeriums vom März 2020 war die Landwirtschaft der Sektor, in dem die Corona-Bestimmungen zum Gesundheitsschutz besonders stark verletzt wurden. Masken und Desinfektionsmittel wurden vielfach nicht verteilt und Abstände auf Feldern und in den Packhäusern nicht eingehalten. Zugleich ist der Weinsektor in besonderem Maße davon betroffen, dass die südafrikanische Regierung ein Verkaufsverbot für Alkohol im Land verhängt hat. Aktuell ist der Weinsektor in Südafrika daher besonders von seinen Exporten abhängig. Nach Angaben des Produzentenverbands werden im Weinsektor über 21.000 Jobs vernichtet werden. 80 Prozent der Landarbeiter*innen im Weinsektor sind saisonal beschäftigt. Mit Ende der Erntezeit ab März sind sie auf staatliche Arbeitslosenhilfe angewiesen. Der notwendige Zugang zu den Behörden wurde durch den Lockdown massiv erschwert. Der Stopp des öffentlichen Nahverkehrs während des Lockdowns traf vor allem die Arbeiter*innen, die isoliert auf den abgelegenen Farmen leben, weil sie für Arztbesuche, Behördengänge oder den Einkauf von Lebensmitteln in die nächstgelegenen Städte fahren müssen. Der Corona-Lockdown macht damit wie unter dem Brennglas die extreme Prekarität sichtbar, die in der Weinproduktion ohnehin herrscht. Aktuell beträgt der Mindestlohn in der Landwirtschaft 18,68 Rand pro Arbeitsstunde (das entspricht rund 1,16 Euro). Der Wochenlohn bei einer angenommenen 45-Stunden-Arbeitswoche liegt bei 840,60 Rand (knapp 52 Euro) und damit etwa ein Drittel unter dem von der Nichtregierungsorganisation PMBEJD (Pietermaritzburg Economic Justice & Dignity) errechneten notwendigen existenzsichernden Einkommen eines Haushalts.
Die Untersuchungen der vorliegenden Studie auf vier Farmen zeigen, dass dort elementare Menschenrechte und Arbeitsrechte verletzt werden. Alle diese Farmen beliefern auch den deutschen Markt, sowohl Einzelhandelskonzerne wie Edeka und Kaufland/Real als auch den Weinfachhandel.