Hat die politische Linke, hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) nichts Besseres zu tun, als sich um Religionsgemeinschaften und noch dazu die Frage ihres Rechtsstatus und ihrer Finanzierung zu kümmern? Ist das nicht ein eher abwegiges Thema? Können Linke zu religionspolitischen Fragen überhaupt substanzielle Beiträge leisten? So oder ähnlich mögen manche Reaktionen auf diese Studie ausfallen.
Wir meinen demgegenüber: Ja, Linke sollten sich auch mit Religionsfragen befassen, sofern diese das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben und Rechtsgefüge betreffen. Das tut die RLS auch seit langer Zeit.
Die Arbeit der RLS zu Fragen des weltanschaulichen Dialogs begann zunächst mit der kritischen Aufarbeitung des christlich-marxistischen Dialogs vor 1989 – als Teil der selbstkritischen Aufarbeitung des Umgangs mit «Andersdenkenden». Folgerichtig gehört die Zusammenarbeit mit linken Christinnen und Christen und Vertreter*innen anderer Religionen bei der Suche nach Alternativen zum Kapitalismus zum Selbstverständnis der Stiftung. Die RLS präsentiert sich auf Kirchentagen, diskutiert befreiungstheologische Ansätze in heutiger Zeit und setzt sich mit religionspolitischen Fragen auseinander. So stand 2018 das erste Religionspolitische Kolloquium der RLS unter dem Titel: «Religion als Privatsache». Auf ihrem zweiten Kolloquium unter dem Titel «Neutralität – Macht – Vielfalt» wurde die Frage der «weltanschaulichen Neutralität des Staates» aufgeworfen und nach deren konkreter Gestaltung, zum Beispiel auch im Bildungsbereich, gefragt.
Organisiert wird diese Arbeit durch die maßgebliche Unterstützung von Ilsegret Fink, langjähriges Vereinsund zeitweiliges Vorstandsmitglied der RLS, und den Mitgliedern des Gesprächskreises «Weltanschaulicher Dialog», der von Jürgen Klute koordiniert wird. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählt «Die Linke und die Religion. Geschichte, Konflikte, Konturen», erschienen 2019 beim VSA-Verlag. Mit der Studie von Franz Segbers legt die RLS nunmehr eine vertiefende Ausarbeitung zur Finanzierung von Religionsgemeinschaften vor.
Nun ist die Frage der rechtlichen Verfasstheit von Religionen und ihre sich daraus – zumindest idealtypisch – ableitende Finanzierungsbasis sicherlich kein Massenthema und kein Gegenstand breiter öffentlicher Debatten. Allerdings, und das war für uns ein Grund, diese Studie auszuschreiben, gibt es immer wieder einzelne politische und mediale Diskussionen, die freilich außerhalb einer relativ kleinen Welt von Spezialist*innen und Religionsvertreter*innen oft oberflächlich und selten systematisch geführt werden. Als Stichworte seien hier die etwa Ende 2018 wieder aufgeflackerte Debatte um eine «Moscheesteuer» ebenso genannt wie langjährige juristische Auseinandersetzungen um die Finanzierung der sich ausdifferenzierenden jüdischen Gemeinden, um den Status der Zeugen Jehovas oder um Staatsverträge auf der Ebene der Bundesländer mit muslimischen Verbänden.
Im März 2020 legten die Bundestagsfraktionen von FDP, DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag im Deutschen Bundestag vor, der gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes und Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung die Einlösung und damit auch abschließende Regelung eines seit 100 Jahren offenen Verfassungsauftrages vorschlägt. Auch wenn dies nicht den Schwerpunkt der vorliegenden Studie bildet, so macht dieser Antrag doch deutlich, wie komplex Fragen der Religionsfinanzierung und der rechtlichen Grundlagen von Religionsausübung sind.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die vor genau 30 Jahren als «Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e. V.» auch deshalb gegründet wurde, um grundsätzliche gesellschaftliche Fragen jenseits tagespolitscher Kurzatmigkeit mit einem klaren linken politischen Profil und gleichzeitig differenziert und gründlich bearbeiten zu können, steht der Partei DIE LINKE nahe. Die große Mehrheit der Parteimitglieder (fast 80 Prozent) haben keine religiöse Bindung, eine Minderheit hingegen durchaus. Für jene, die aus der PDS kommen, gehörte die Aufarbeitung des Verhältnisses von Staat, Kirchen und Glaubensgemeinschaften sowie die Absage an jede Form eines Kampfes gegen Andersdenkende, zu denen ausdrücklich Menschen mit religiösen Bindungen zählen, bis heute zum Gründungskanon der Partei. Zu ihrem Selbstverständnis als (links-)plurale Partei gehört auch, dass es unterschiedliche Begründungen, Motive und Wege zu einer linken Politik für Gerechtigkeit und Frieden geben kann, darunter auch religiös begründete. Die Partei DIE LINKE versteht sich also keineswegs als antireligiös, sondern als offen für Konfessionslose ebenso wie für religiös orientierte Menschen und ihre Gemeinschaften. In ihrem Programm von 2011 verteidigt sie «das Recht aller Menschen auf ein Bekenntnis zu einer Weltanschauung oder Religion. Sie tritt ein für den Schutz weltanschaulicher und religiöser Minderheiten. Laizismus bedeutet für sie die notwendige institutionelle Trennung von Staat und Kirche und sie stellt sich ihrer historischen Verantwortung und den Lehren aus dem in der DDR begangenen Unrecht gegenüber Gläubigen.»
Dieser programmatischen Positionsbestimmung stehen zugleich unterschiedliche Positionen in der konkreten Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat, Kirchen, Konfessionslosen und Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber. In dem von der RLS herausgegebenen Band «Die Linke und die Religion» finden sich hierzu zahlreiche Belege – bis hin zur Frage der Kirchenfinanzierung, die dort jedoch nur eines der zahlreichen Themen ist. Aber gerade weil die Frage der Finanzierung auf besondere Weise das Staat-Kirchen- Verhältnis herausfordert, sollte dies in einer Studie unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Pluralität gründlicher bearbeitet werden, auch mit einem Seitenblick über Deutschland hinaus.
Die Finanzierung der christlichen Religionsgemeinschaften und teilweise auch anderer Konfessionen, so beschreibt es Franz Segbers in der vorliegenden Studie, variiert in den europäischen Ländern erheblich. Auch die Haltungen der politischen Linken zum Stellenwert von Religion und zu ihrer rechtlichen Stellung differieren erheblich – während in Frankreich eine jakobinisch- laizistische Tradition lange prägend war und vielfach noch ist, galt für die britische Arbeiterbewegung eher das Bonmot, der Sozialismus verdanke hier dem Methodismus mehr als dem Marxismus. Unterschiedliche Haltungen von linken Strömungen zu Religionsfragen zeigen sich heute in Europa oftmals vor allem im Umgang mit muslimischen Gemeinschaften.
Die vorliegende Arbeit des Theologen und Sozialethikers Franz Segbers will einen Beitrag zu einer sachlichen Debatte über den Platz von christlichen Kirchen, anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie Konfessionslosen in einer demokratischen, pluralen und säkularen Gesellschaft leisten. Europa und Deutschland sind von größerer Diversität und Pluralität geprägt als noch vor einigen Jahrzehnten. Dazu gehören in Deutschland gerade auch die jüdischen Gemeinden, die sich nach der Nazi-Herrschaft und der Shoah wieder gebildet haben und seit 1990 erheblich gewachsen sind. Ihre Förderung ist vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen antisemitischen Politik, die in der Shoah schrecklich endete, aber bereits vor dem Massen- und Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden die jüdischen Gemeinschaften in Deutschland entrechtete und drangsalierte, besonders geboten. Eine materielle Kompensation angesichts der Zerstörungen von Synagogen und Gemeindebesitz ist zwingend notwendig; eine «Wiedergutmachung» des Völkermordes konnte und kann es ohnehin nicht geben.
Neben den christlichen Kirchen, den jüdischen und muslimischen Gemeinden und Verbänden existieren zahlreiche weitere religiöse Gemeinschaften in Deutschland, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, die aber mitzudenken sind. Dieser Pluralität in einer säkularen Gesellschaft Rechnung zu tragen ist eine stete Herausforderung in Deutschland und Europa. Diese Entwicklungen für die Gestaltung des Verhältnisses von Staat und religiösen Gemeinschaften sowie Konfessionslosen zu bedenken heißt etwa auch, die Rolle der muslimischen Gemeinden hinsichtlich ihrer theologischen Grundlegungen und religiösen Praxen des Gemeinschaftslebens stärker zu berücksichtigen. Der Islam in Deutschland wird deshalb in dieser Studie systematisch im Kontext der Gleichbehandlung der Religionen behandelt.
Franz Segbers diskutiert daher auch den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts vor dem Hintergrund unterschiedlicher religionsinterner Organisationsformen. Anhand der Frage der Finanzierung von Religionsgemeinschaften leistet Segbers Studie auch einen wichtigen Beitrag zum Nachdenken über den künftigen Platz von Religionsgemeinschaften in einer pluralen Gesellschaft, denn, so der Autor: «Und jede Art der Religionsfinanzierung zeigt auch den Einfluss der Kirche in der Gesellschaft und ihre Rolle in ihr an.» Das im europäischen Vergleich ungewöhnliche Instrument des staatlichen Kirchensteuereinzugs, die Kritik daran sowie mögliche Weiterentwicklungen und Alternativen stehen im Zentrum der vorliegenden Arbeit, deren Gegenstand aber nicht konsequent von derjenigen des generellen Rechtsstatus von Religionsgemeinschaften zu trennen ist. Die Studie entwickelt die italienische Kultursteuer für eine säkulare und religionsplurale Gesellschaft weiter und schlägt vor, die Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit der von gemeinnützigen Organisationen in der Zivilgesellschaft zu verbinden. Auf andere Fragen des Rechtsstatus von Religionsgemeinschaften, wie etwa solche des Religionsunterrichtes, der theologischen Ausbildung oder der Seelsorge in Krankenhäusern, Gefängnissen, der Bundeswehr usw., kann hier nicht eingegangen werden.
Neben Franz Segbers als Verfasser der Studie möchten wir vor allem auch Christine Buchholz, MdB, Mitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung und aktiv in unserem Gesprächskreis Weltanschaulicher Dialog, sowie Susanne Hennig-Wellsow, MdL, und Katja Mitteldorf, MdL, herzlich danken, mit denen wir über das Anliegen und die Fragestellungen einer Studie ausführlich beraten und diskutiert und von denen wir wichtige Hinweise aufgenommen haben.
Einen wesentlichen Impuls für die Ausschreibung einer solchen Studie verdanken wir dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der als RLS-Mitglied und früheres Vorstandsmitglied unserer Stiftung Ende 2018 den Vorschlag machte, die Debatten um die Kirchensteuer, eine mögliche «Moscheesteuer» und das italienische «Kultursteuermodell» durch eine systematische Studie zu versachlichen.
Die vorliegende Studie von Franz Segbers hat uns in ihrer Differenzierung, in der Systematik, im europäischen Vergleich und mit den in ihr enthaltenen Vorschlägen für eine zeitgemäße und zukunftsfeste Neuausrichtung der Religionsfinanzierung angeregt und überzeugt. Die vorliegende Ausarbeitung einer Reform und gewissermaßen evolutionären Weiterentwicklung und Veränderung der Kirchen- und Religionsfinanzierung erscheint uns als ein verfassungsrechtlich möglicher und gesellschaftlich sensibler Weg und in jedem Fall als eine gute Diskussionsgrundlage.
Gleichwohl ist die vorliegende Studie eine Positionsbestimmung des Autors, der die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die sich als Bildungs- und Wissenschaftseinrichtung den Luxus erlauben kann, keine abschließende und geschlossene Position vertreten zu müssen, nicht zwingend an jeder Stelle folgen muss. Wir sind davon überzeugt, mit dieser Ausarbeitung einen wichtigen Beitrag für eine ergebnisoffene Debatte leisten zu können. Wir freuen uns auf Rückmeldungen, auch kritische, und vor allem auf die Möglichkeit zum vertiefenden Gespräch mit dem Autor und unserer Stiftung.
Cornelia Hildebrandt und Florian Weis Berlin, Oktober 2020
Zum Autor:
Dr. Theol. Franz Segbers war bis zu seiner Emeritierung Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie, Universität Marburg, sowie zuletzt Referatsleiter für Sozialethik und Sozialpolitik im Diakonischen Werk in Hessen und Nassau. Er arbeitet seit Langem in religionspolitischen Arbeitszusammenhängen der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit. Siehe dazu auch: www.franz-segbers.de.