Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Gesellschaftstheorie Staatsfragen - Einführungen in die materialistische Staatskritik

Der Sammelband dokumentiert mehrere Diskussionsveranstaltungen der Rosa-Luxemburg-Initiative Bremen (RLI) in Kooperation mit Associazione delle talpe aus den Jahren 2007 bis 2009 zu Fragen materialistischer Staatskritik.

Information

Reihe

RLS Papers

Erschienen

Dezember 2009

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Nur online verfügbar

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Associazione delle talpe: Vorwort

Moritz Zeiler: Staatsfragen. Die materialistische Staatskritik zwischen der Renaissance klassischer 􀄃eorien und aktuellen Herausforderungen
Materialistische Theorien über den Staat

Ingo Stützle: Staatstheorien oder „BeckenrandschwimmerInnnen aller Länder, vereinigt euch!“

Michael Heinrich: Grenzen des ‚idealen Durchschnitts’.
Zum Verhältnis von Ökonomiekritik und Staatsanalyse bei Marx

Ingo Elbe: (K)ein Staat zu machen?
Die sowjetische Rechts- und Staatsdebatte auf dem Weg zum adjektivischen Sozialismus

John Kannankulam: Zur westdeutschen Staatsableitungsdebatte der siebziger Jahre.
Hintergründe, Positionen, Kritiken.

Ingo Stützle: Von Stellungs- und Bewegungskriegen – Kämpfe in und um den Staat
Birgit Sauer: Staat, Demokratie und Geschlecht – aktuelle Debatten

Historische Transformationen des Staates
Heide Gerstenberger: Der bürgerliche Staat.

Zehn Thesen zur historischen Konstitution
Heide Gerstenberger: Staatsgewalt im globalen Kapitalismus
Literaturempfehlungen

Vorwort

Hier gilt es, die Utopie, die viel geschmähte von der Assoziation der Freien und Gleichen aus der Verbotszone zu befreien, in die interessierte Ideologen der Ideenlosigkeit, die Vertreter der zweckrationalen Vernunftlosigkeit sie gedrängt haben. Die Maulwurfsarbeit wird untergründig und mühsam bleiben. (Johannes Agnoli 2000)

Die kapitalistischen Verhältnisse und ihre staatliche Vermittlung fordern nach wie vor eine emanzipatorische Kritik heraus – und das nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen Krise, sondern auch in Zeiten vermeintlicher kapitalistischer Normalität. Schließlich sind die Krise wie auch die Prosperität und nicht zuletzt der Staat integrale Bestandteile kapitalistischer Totalität, so dass – entgegen der gängigen (Lehr-)Meinungen, wie sie durch die Sozialwissenschaften, die Wirtschaftswissenschaften und den gesunden Menschenverstand vertreten sind – die permanente Akkumulation von Kapital und nicht der allgemeine Wohlstand als eigentliche Triebkraft der kapitalistischen Weltgesellschaft  identifiziert werden kann. Mit einer emanzipatorischen Überwindung des Kapitalismus würden auch der Staat des Kapitals und seine Grenzen, Kontrollen etc. obsolet werden. Die Idee einer staaten- und klassenlosen Gesellschaft hat daher nichts an ihrem Reiz verloren. Aber so attraktiv ein postkapitalistischer Verein freier Menschen (MEW 23, S. 92) ist, so fern ist seine Realisierung bei dem bescheidenen gesellschaftlichen Einfluss einer kapitalismus- und staatskritischen Linken momentan. Weder ein radikaler Reformismus, der den Staat strategisch für emanzipatorische Veränderungen nutzen will, noch dem Staat gegenüber distanzierte autonome Bewegungen haben über kurze historische Phasen hinaus größere Erfolge gefeiert. Diese Erfahrungen gilt es für eine aktuelle staatskritische Praxis zu reflektieren, um nicht frühere Fehler zu wiederholen und Illusionen beizubehalten. Dabei bedarf es auch bei der profundesten Analyse, der pointiertesten Kritik und der brillantesten Polemik an Geduld und Ironie, um
weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen. (Adorno 1998, S. 63)

Um ein weiteres beliebtes Zitat erneut zu strapazieren:
Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach sich die Wirklichkeit zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.
(MEW 3, S. 35)

Eine solche nach der Aufhebung des jetzigen Zustands strebende staatskritische Bewegung sollte also nicht auf emanzipatorische Veränderungen von staatlichen Institutionen zählen, sondern realisieren, dass diese ausschließlich durch Selbstorganisation und Selbstverwaltung erkämpft werden können. Die kollektive Aneignung, Diskussion und Weiterentwicklung (staats-)kritischen Wissens ist daher gewissermaßen Maulwurfsarbeit, um in Zeiten fern der befreiten Gesellschaft überwintern zu können und die Waffen der Kritik für künftige Auseinandersetzungen scharf zu halten. Dies ist umso wichtiger, da spontane Proteste alleine noch nie die gesellschaftlichen Verhältnisse emanzipatorisch verändert haben und Geschichtslosigkeit, antiintellektuelle Ressentiments und Theoriefeindlichkeit linke und linksradikale Bewegungen leider immer wieder frühere (und vermeidbare) Fehler haben wiederholen lassen. Unter diesen Bedingungen ist die Perspektive einer staaten- und klassenlosen Gesellschaft eine schöne, aber auch ferne und ungewisse, also ist es für deren Freund_innen unerlässlich, sich bis zu deren Aufhebung ein profundes Wissen der aufhebungswürdigen Verhältnisse anzueignen. Hierzu kann die materialistische Staatskritik einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Beiträge in diesem Sammelband dokumentieren mehrere Diskussionsveranstaltungen, die wir in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Initiative Bremen (RLI) zu Fragen materialistischer Staatskritik in den Jahren 2007 bis 2009 organisiert haben. Ergänzt sind diese um einige weitere einführende Texte. Wir möchten uns herzlich bei allen Autor_innen, der Redaktion der Zeitschrift grundrisse, Günter Thien vom Dampfboot Verlag, Sabine Berghahn vom Internetportal www.gender-politik-online.de der FU Berlin und Marion Schütrumpf von der Rosa-Luxemburg-Stiftung für die angenehme und unkomplizierte Kooperation und die Erlaubnis zum Nachdruck der bereits erschienenen Texte bedanken.

Associazione delle talpe

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