Liebe Leserin, lieber Leser,
die ersten 100 Tage der Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP waren geprägt vom Gezänk der Koalitionäre über Steuersenkungen und dem Skandal um das todbringende Bombardement bei Kundus in Afghanistan. «Fehlstart» und «Durcheinander» – so wurde der Arbeitsauftakt des konservativ-marktliberalen Bündnisses wohl am häufigsten genannt.
Freilich kristallisiert sich nach einem Vierteljahr auch heraus, wohin die Reise mit Schwarz-Gelb gehen wird. Der politische Klimawandel,spätestens seit 2003 und der Agenda-Politik von SPD und Bündnis90/Die Grünen im Gange, unter der Großen Koalition teils verstärkt, teils ein wenig verlangsamt, dürfte sich unter Kanzlerin Merkel und ihrem Vize Westerwelle weiter beschleunigen. Seine Kennzeichen sind anhaltender Sozialabbau, wobei die Gesundheitspolitik ein besonderes Auseinandersetzungsfeld werden wird, die fortgesetzte Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben sowie verstärkte Repression im Inneren und Krieg nach außen.
Der Themenschwerpunkt dieses Heftes, für den die Rosa-Luxemburg-Stiftung renommierte Gastautorinnen und -autoren gewinnen konnte, veranschaulicht die Konsequenzen des Machtwechsels vom Oktober. Georg Fülberth etwa verweist darauf, dass der einsetzende Sparkurs zuerst und erheblich die Kommunen treffen wird. AlfredSpieler prangert das fehlende Engagement im Kampf gegen die Armut an, Cornelia Möhring macht die Gleichstellung von Mann und Frau als ein erstes Opfer der Regierungsarbeit aus. Wolf-Dieter Narr konstatiert Nichtstun bei den drängenden Problemen – Stephan Lessenich zeigt, dass die Regierungspolitik vom Kulturkampf gegen die unteren Schichten begleitet ist.
Die Reaktionen der parlamentarischen Opposition und einer breit verstandenen gesellschaftlichen Linken auf die Mischung aus medialem Fehlstart und Verschärfung einer antisozialen Politik sind freilich verhaltener und uneinheitlicher als es erforderlich und wünschenswert wäre. Einerseits signalisieren Umfragen, dass die Mehrheit der schwarzgelben Koalition von kurzer Dauer sein könnte, andererseits äußern sich befragte Bürgerinnen und Bürger auch vom Auftreten der parlamentarischen Opposition enttäuscht. Sozialer Protest bleibt zumeist punktuell begrenzt. Die Berichterstattung über die Partei DIE LINKE konzentrierte sich zuletzt zudem auf interne Konflikte und Personalfragen.
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(aus dem Editorial)
Inhalt:
RÜCKBLICK
Kongress «ÜberLeben in den Creative Industries»
Tagung zumFrauenaufbruch von 1989
Linke verabschieden «Brüsseler Perspektiven»
Internationale Konferenz zurMetropole Istanbul
Symposiumzu Krisenauswirkungen in Afrika
Antonio Negri fordert Sowjets für Banken
AUSBLICK
Zur Stiftungsinitiative «Neue Solidarität»
Gesellschaftspolitische Foren starten
LinkeMedienakademie imMärz in Berlin
ANALYSE
Das Scheitern der Kopenhagener Klimakonferenz
Energiepolitische Diskussion auf Gegengipfel
THEMA «100 TAGE SCHWARZ-GELB»
POLITISCHER KLIMAWANDEL
G. Fülberth: Streichen nachMasterplan
L. Brangsch: Zurück zu Zuckerbrot und Peitsche
A. Spieler zur Armutsfrage – Gespräch
A. Krumrey/F. Burschel: Extremdaneben
C.Möhring: Frauen zuerst betroffen
L. Brangsch: Teure Gesundheit
S. Staack/T. Schulze: Bildung wird Privatsache
W.-D. Narr: Schrecken der Leere
S. Lessenich: Kulturkämpferische Begleitmusik
STUDIENWERK
Bildungsreise zu NS-Vernichtungslagern in Polen
Soziale Netzwerke von Erwerbslosen – Gespräch
INTERNATIONALES
Brasilianische Fischer kämpfen gegen Stahlwerk
Erstmals Frau an Indigena-Spitze – Gespräch
Luxemburg-Seminar amMST-Bildungszentrum
STIFTUNGSVERBUND
Stiftung in Sachsen-Anhalt kooperiertmit Unis
Mitgliederversammlung nimmt 14 Neue auf
LESENSWERT
Neuerscheinungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung