Von seinen ersten überlieferten Äußerungen zu grundlegenden politischen Problemen bis zum Ende seines Lebens bekannte sich Robert Havemann zur Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft. Das vierte der im Flugblatt Nr. 35 der «Europäischen Union» formulierten Ziele betrifft die «endgültige Überwindung aller ökonomischen und politischen Grundlagen des Faschismus durch Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung»1, und am Schluss seines 1980 erschienenen Buches Morgen steht die Aussage, dass der Sozialismus bei den Arbeitern in aller Welt wieder seine Glaubwürdigkeit zurückgewönne, wenn der in den östlichen Ländern erfolgten Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln der Übergang zur sozialistischen Demokratie folgen würde2. Es ist unverkennbar, dass er den Terminus «Sozialismus» affirmativ und nicht pejorativ verwendete; zur Kritik und Distanzierung benutzte er das Kompositum «realer Sozialismus» als Persiflage auf den Sprachgebrauch der SED. Die Havemann-Forschung sollte dieses grundlegende Moment seiner Überzeugungen gleichgewichtig mit den Fakten seines Lebenslaufes im Blick behalten. Heute dienen Worte wie «Sozialismus» oder «sozialistisch» vornehmlich als Distanzierungs- und Diskreditierungsvokabeln im polemischen Schlagabtausch; die jüngste Hartz-IV-Debatte hat das gerade wieder vor Augen geführt. Die Versuchung ist stark, dem Druck des Zeitgeistes nachzugeben und eher ganz auf dieses Wort zu verzichten. Würde man das jedoch tun, um damit Distanz zu der mit dem offiziellen Gebrauch des Wortes «Sozialismus» in der DDR verbundenen politischen Praxis zu bekunden, so liefe man Gefahr, dass zugleich die Fülle der Ideen gesellschaftlichen Wandels unterschiedlichster Provenienz aus dem Blickfeld verschwindet, die sich im Laufe der Geschichte unter dieser Chiffre versammelt haben. Es ist vielleicht nicht übertrieben zu behaupten, dass die Magistrale der gesellschaftstheoretischen Bemühungen Havemanns von 1963/64 bis zu seinem Lebensende darin bestanden hat, die Idee des Sozialismus von der politischen Praxis der DDR und des gesamten Sowjetblocks zu emanzipieren.
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