Auf den ersten Blick scheint die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag keinen Interpretationsspielraum zuzulassen: «Niederlage für Serbien. Gerichtshof erkennt Kosovos Unabhängigkeit an», titelte Spiegel Online am 22. Juli 2010 direkt im Anschluss an die Verlesung des IGH-Gutachtens. Doch bei genauerem Hinsehen stellt sich der Richterspruch als keineswegs so eindeutig dar. Denn die Richter haben lediglich festgestellt, dass die unilaterale «Erklärung» der Unabhängigkeit nicht gegen das Völkerrecht
verstoße. Ausdrücklich haben sie sich aber nicht zur Rechtmäßigkeit der tatsächlichen Realisierung der Sezession des Kosovo aus Serbien geäußert. Die Frage was im Völkerrecht wann Vorrang hat – die «territoriale Souveränität» eines Staates oder das «Selbstbestimmungsrecht» einer bestimmten Bevölkerungsgruppe – wurde vom Gericht weder im spezifischen Fall Kosovo noch im allgemeinen beantwortet. Der Konflikt um das Kosovo wird nach dem Gutachten des IGH nun wieder aktuell. [...]
Publikation International / Transnational - Europa Kosovo: Optionen und Gefahren
Perspektiven nach dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Rechtmässigkeit der Unabhängigkeitserklärung. Standpunkte International 14/2010 von Boris Kanzleiter.