Ohne eine Unterstützung aus der Industriearbeiterschaft ist jedes Projekt einer sozial-ökologischen Transformation zum Scheitern verurteilt. In der Bundesrepublik Deutschland gilt dies in besonderem Maße mit Blick auf die Beschäftigten der Leitindustrie Automobilbau. Für die breite gesellschaftliche Unterstützung einer klimagerechten Verkehrswende ist darüber hinaus auch die Haltung der Beschäftigten in anderen mit der Verkehrsinfrastruktur zusammenhängenden Branchen wichtig. Doch wie schauen Belegschaften der Automobilhersteller und anderer verkehrsmittelproduzierender Industriebetriebe auf Themen wie Klimawandel, Transformation und sozial-ökologische Verkehrswende? Welche Anknüpfungspunkte ergeben sich daraus für einen sozial-ökologischen (Green) New Deal?
Auf Grundlage von 38 leitfadengestützten Interviews vor allem mit mittleren betrieblichen Gewerkschaftsfunktionär*innen können wir sagen: Die Sicht in den Betrieben und gewerkschaftlichen Gremien ist differenzierter, als die durch Einlassungen von Gewerkschafts- und Betriebsratsspitzen sowie der Regierung geprägte öffentliche Meinung nahelegt. Belegschaften, Gewerkschaftsmitglieder und ehrenamtliche Funktionär*innen sind keine Bastion von Verfechter*innen einer vorökologischen Industriepolitik. Vielmehr finden sich Potenziale und Anknüpfungspunkte für eine sozial-ökologische Mobilitätswende. Diese zeigen sich sowohl in einer weitverbreiteten Sensibilität für die ökologischen Folgen der Automobilproduktion als auch in einer sinkenden Identifikation mit «ihren» Unternehmen, insbesondere im Zuge des Abgasskandals («Dieselgate») und des lange verschleppten Einstiegs in die Elektromobilität.
Zugleich werfen die Interviews ein Schlaglicht auf die Hindernisse, die eine sozial- ökologische Politik zu überwinden hat. So gibt es eine verbreitete Skepsis gegenüber «der Politik», einen auch nur halbwegs adäquaten Ausbau des Schienenverkehrs, des ÖPNV oder gar den Aufbau innovativer multimodaler und vernetzter Mobilitätssysteme ernsthaft in Angriff zu nehmen. Es gibt berechtigte Befürchtungen, dass eine allein unternehmensseitig vorangetriebene Transformation der Industrie mit einem Abbau von tariflich abgesicherten Arbeitsplätzen sowie einer massiven Prekarisierung und Entqualifizierung der Arbeit einhergehen könnte. Alles in allem zeigt sich, wie nötig es ist, den gesellschaftlichen Konsens, wirksame Schritte gegen den Klimawandel auch im Verkehrssektor zu gehen, mit einem politischen Masterplan und einer breit anschlussfähigen Vision für ein sozial gerechtes, ökologisches Verkehrsmodell der Zukunft zu verbinden.
Inhalt:
1 Einleitung
- 1.1 Blockieren Automobilbeschäftigte die Industriewende?
- 1.2 Zum Inhalt
2 Mit den unmittelbaren Produzent*innen reden: Angaben zur Methode
3 Die Sicht der Beschäftigten der Automobilindustrie
- 3.1 Wie wird der Klimawandel in den Belegschaften diskutiert?
- 3.2 Wie bewerten Beschäftigte die Abwrackprämie?
- 3.3 Wie werden die Chancen der Elektromobilität eingeschätzt?
- 3.4 Wie stehen die Befragten der Verkehrswende und dem Ausbau des ÖPVN gegenüber?
4 Die Transformationsstrategien des Managements
- 4.1 «Wo ist die Ladestation? Beim Aldi»
- 4.2 «Arbeitnehmer werden nicht mitgenommen»
5 Die Transformationsstrategie der IG Metall
- 5.1 Die «ökologische, soziale und demokratische Transformation» der IG Metall
- 5.2 Mehr Beteiligung gefragt
- 5.3 «Wir Betriebsräte sind nur noch getrieben»
6 Konversionsmöglichkeiten
- 6.1 Technische und technologische Voraussetzungen
- 6.2 Beschäftigungseffekte
- 6.3 Best Practice: betriebliche Transformationsseminare
7 Fallstudie Schienenfahrzeugbauer
- 7.1 Industrielle Basis einer klimagerechten Verkehrswende
- 7.2 «Kostenzwang» und «Ausschreibungen ausschließlich über den Preis» als politische Hindernisse
- 7.3 «Das Zulassungsverfahren als Kostentreiber»
- 7.4 Wie es besser geht?
8 Schlussfolgerungen. Neun Thesen zu Chancen und Hindernissen für eine sozial-ökologische Politik im Betrieb