Publikation Pop und Politik I: »Still Jenny From the Block«. Der Sound der Klasse

Musik kann in ihrem Material soziale Verhältnisse spiegeln

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Public Enemy live in Hamburg 2000 (Von Mika Väisänen, CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org/w/index.php)

»I’m Still Jenny From the Block«

Klangverhältnisse als Spiegel von Klassenverhältnissen

Von Jonas Engelmann

»Lemme hear you say: Fight the Power« – kaum ein anderer HipHop-Act hat so stark zur Politisierung des Rap beigetragen wie Public Enemy, die 1988 mit »It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back« eines der einflussreichsten Alben der HipHop-Geschichte veröffentlicht haben. Trotz aller verbaler Militanz der Gruppe um Flavor Flav und Chuck D bemerkt Jace Clayton aka DJ Rupture in seinem Buch »Uproot«, der Sound des Albums habe stärkere politische Bezüge als die Texte. »Wenn man Lärm zu Lärm akkumuliert, ärgert sich die ganze Welt«, erklärte Hank Shocklee vom Produzententeam Bomb Squad, das für Public Enemy einen auf Samples basierenden »Lärm« erschaffen hat, der gleichzeitig tanzbar blieb. Zwar finden sich unter den Samples viele Verweise auf die afroamerikanische Kultur- (Malcom X, Khalid Abdul Muhammad) und Musikgeschichte (James Brown, Isaac Hayes, Aretha Franklin, Sly and the Family Stone), die als Entwurf eines neuen, angriffslustigen afroamerikanischen Selbstbewusstseins gelesen werden können, daneben stehen allerdings zahlreiche weitere Samples von Queen über Sweet und David Bowie bis Jefferson Starship – nicht nur die afroamerikanische Geschichte, sondern die gesamte westliche Kulturgeschichte ist also die Basis, auf der Public Enemy ihre Kritik an der Gegenwart formulieren. Und diese Geschichte besteht aus jenem »Lärm«, den Shocklee beschrieben hat, sie ist nicht harmonisch, sondern ein Wettstreit verschiedener Stimmen darum, Gehör zu finden, aus dem Lärm herauszustechen.

Sounds können also ebenso wie die Texte Auskunft über historische Kämpfe geben, Musik kann in ihrem Material soziale Verhältnisse spiegeln. Der Erfolg von Public Enemys samplebasiertem HipHop hatte zur Folge, dass das ökonomische Potential des Samplings entdeckt und Anfang der Neunziger juristisch neu ausgehandelt wurde: die Nutzung von musikalischem Material wurde zu einer kostenpflichtigen Angelegenheit, Samples erfolgreicher Künstler musste sich ein HipHop-Act in der Folge überhaupt erstmal leisten können. Die Klangverhältnisse wurden auch auf dieser Ebene zu einem Spiegel sozialer Verhältnisse – oftmals mit einem rassistischen Subtext. So hat David Hesmondhalgh am Beispiel von Mobys Erfolgsalbum »Play« herausgearbeitet, welche Auswirkungen Urheberrechtsgesetze für die musikalische Aneignung von Material haben, wer an welchen Samples verdient und unter welchen Umständen die Urheber leer ausgehen, während die Rechte an der Musik innehabenden Label und die das Material nutzenden Künstler selbst an der Lizensierung der Musik an z.B. Werbepartner noch verdienen. So stehen die Nachkommen der afroamerikanischen Sängerinnen und Sänger, auf deren Aufnahmen aus den 1940ern und 1950ern sich letztlich der Erfolg von »Play« stützt, ganz am Ende der ökonomischen Verwertungskette. Trotz juristischer Klärung bleibt Sampling eine Frage kreativer Rechtsabteilungen von Künstlern und Plattenfirmen.

Schon vor der Klärung der rechtlichen Fragen haben sich HipHop-Acts über Sounds, Samples und andere Klangverhältnisse ihrer sozialen Situation angenähert, durch die veränderte juristische Situation hat sich auch diese Klangfarbe geändert. Wie klang Klassenbewusstsein im HipHop in den Achtzigern im Vergleich zu zwanzig Jahren später? Wie klingt die Geschichte des sozialen Aufstiegs, welche Sounds nutzen Rapper zur Untermalung ihres Lebenswegs aus dem Ghetto zum Millionär, des Überschreitens von Klassengrenzen? Diesen Fragen soll hier an einigen Beispielen nachgegangen werden.

Auf ihrem Debütalbum »All Hail to the Queen« von 1989 beschreibt Queen Latifah (Dana Elaine Owens) in ihrem Song »Evil That Men Do« die soziale Ausgrenzung in den USA, der vor allem schwarze Frauen ausgesetzt sind: »A woman strives for a better life, but who the hell cares?/Because she’s living on welfare/The government can‘t come up with a decent housing plan/So she‘s in no man’s land/It‘s a sucker who tells you you‘re equal«. Der Beschreibung der klassistisch wie auch rassistisch fundierten strukturellen Armut folgt ihr Anspruch, zur Bildung der Betroffenen und auch zum Widerstand gegen die Verhältnisse beizutragen: »It‘s time to teach the def, the dumb, the blind/That black-on-black crime only shackles and binds«. Die Co-Produktion mit KRS One integrierte ein Sample des Tracks »The Revolution Will Not Be Televised« von Gil Scott-Heron, erschienen 1974 auf dem gleichnamigen Album des 1949 geborenen afroamerikanischen Musikers, der nicht zuletzt aufgrund dieses Songs als einer der Wegbereiter des HipHop gilt. »The Revolution Will Not Be Televised« arbeitet mit Sprechgesang und richtet sich wie 15 Jahre später Queen Latifah an eine afroamerikanische Gegenwart: »You will not be able to stay home, brother/You will not be able to plug in, turn on and drop out/You will not be able to lose yourself on skag and skip/Skip out for beer during commercials/Because the revolution will not be televised«. Das Fernsehen als Medium sozialer Kontrolle, Drogenmissbrauch und andere Formen der Ablenkung von der Notwendigkeit tatsächlicher gesellschaftlicher Veränderungen wurden von Gil Scott-Heron benannt und ebenso wie bei Queen Latifah mit der Aufklärung über die Schieflage verbunden sowie der Forderung, die Revolution mit der Revolutionierung der eigenen Lebenswelt zu beginnen: »The revolution will put you in the driver‘s seat/The revolution will not be televised/The revolution will be live«. Der Song wurde unzählige Male zitiert, gecovert und auch gesampelt. Queen Latifah nutzte für ihren Song interessanterweise die Bass-Spur der Vorlage, jenes Instrument also, das der Musik eine mehr spür- als hörbare Struktur gibt und sich selten in den Vordergrund drängt. So funktioniert Queen Latifahs Kritik an klassistischen Ausgrenzungen auf dreifacher Ebene: Über deren Benennung im eigenen Text, den Bezug auf Gil Scott-Herons Aufforderung, sich von determinierenden Strukturen zu lösen und zuletzt über den Sound: Scott-Herons Kritik wird über das Sample eines Struktur gebenden Instruments zu einer Kritik an strukturellen Ausgrenzungen der Gegenwart der späten Achtziger.

Während Queen Latifah hier über den Sound Klassenverhältnisse thematisiert, um zur Überwindung solcher Grenzziehungen beizutragen, hat Jennifer Lopez in ihrem Track »Jenny From the Block« (2002) ein Klassenbewusstsein formuliert: »Don‘t be fooled by the rocks that I got/I‘m still, I‘m still Jenny from the block/Used to have a little, now I have a lot/No matter where I go, I know where I came from (from the Bronx!)«. Anders als Queen Latifah geht es Lopez nicht um eine Kritik an den sozialen Verhältnissen, die sie nur durch Zufall hinter sich lassen konnte, sondern lediglich um die Versicherung an ihre Hörer, »eine von ihnen« geblieben zu sein: »Love my life and my public/Put God first/Then can‘t forget to stay real/To me it‘s like breathing«. So recht wollte ihr dieses »real« jedoch niemand abkaufen, zumal im Musikvideo ihr damaliger Verlobter, der Schauspieler Ben Affleck, eine zentrale Rolle spielt. Lopez wurde in der Folge in der Musikpresse und der HipHop-Szene stark kritisiert. Unabhängig von der Frage nach der Angemessenheit der Kritik ist auch hier ein Blick auf den Sound interessant: »Jenny From the Block« ist oberflächlich ein seichtes R’n’B-Stück, enthält jedoch zahlreiche Samples, die den Inhalt des Songs unterstreichen sollen, etwa »South Bronx« (1987) von Boogie Down Productions, in dem die Bedeutung der Bronx für die HipHop-Geschichte betont wird, der Namen wie Grandmaster Flash oder DJ Kool Herc erwähnt und sich dabei selbst über die Nutzung von Samples in die afroamerikanische Musikgeschichte eingeschrieben hatte. Die Linernotes des Albums von Lopez erwähnen auch das im Intro genutzte Sample aus »Heaven and Hell Is on Earth« der 20th Century Steel Band, einer britischen Band aus den Siebzigern, deren Mitglieder von Trinidad nach Großbritannien migriert waren. Samples aus diesem Song wurden auch von anderen HipHop-Acts verwendet, unter anderem von Salt-N-Pepa, Doug E. Fresh und Lauryn Hill, der Bezug soll also erneut die Zugehörigkeit von Jennifer Lopez zu einem musikalisch-politischen Kontext unterstreichen. Nicht genannt wurde jedoch ein Sample des HipHop-Acts The Beatnuts aus Queens, erst Jahre später erhielten die Produzenten der Vorlage eine Abfindung. The Beatnuts hatten in ihrem Song »Watch Out Now« (1999) ein Sample des Songs »Hi-Jack« von Enoch Light genutzt, das ebenfalls bei Lopez Verwendung fand. In Kombination mit den identischen Beats von »Jenny From the Block« und »Watch Out Now« fühlten sich The Beatnuts vom Produzententeam um Jennifer Lopez hintergangen – zurecht, wie die spätere Abfindung deutlich macht. Im Falle von Lopez dienen die Klangverhältnisse also der Versicherung des eigenen Klassenbewusstseins: Der Sound von Boogie Down Productions wird zur Unterstreichung der eigenen Herkunft herangezogen, die 20th Century Steel Band zur Verortung in der politischen HipHop-Szene der Gegenwart. Beide Samples dürften aufgrund ihrer Prominenz mit erheblichen Lizenzgebühren verbunden gewesen sein, gerade die verwendeten Sounds zeigen also, dass Lopez ihre soziale Herkunft weit hinter sich gelassen hat – sie kann sich die teuren Samples leisten, im Gegensatz zu Acts wie den Beatnuts. Die Beatnuts, die es eben nicht »geschafft« haben wie Lopez, spielen keine Rolle für die Beweisführung des eigenen Aufstiegs und werden daher gar nicht erst genannt, Boogie Down Productions und 20th Century Steel Band dagegen stellen das symbolische Kapital im Austausch gegen reales Kapital – gegen die Lizenzgebühren.

Anders als bei Lopez, die sich zu ihrer Herkunft bekennt und dazu, sich nicht verändert zu haben, hebt Jay Z in einem seiner diversen Aufstiegs-Songs hervor, die Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben. »No Hook« beschreibt »die Straße« als seine Schule, zu der er jedoch keinerlei nostalgische Verbindung pflegt, die er vielmehr über seine Musik überwunden hat: »Guidance I never had that, streets was my second home/Welcomed me with open arms, provided a place to crash at/A place to study math at, matter fact I learned it all/Burnt it all, this music is where I bury the ashes at«. In Abgrenzung zu jenen, denen es nicht gelungen ist, aufzusteigen, die eigene soziale Herkunft hinter sich zu lassen, betont er, es geschafft zu haben: »End of the story, I followed the code, cracked the safe/Other niggas ain't in the game, so they practice hate«. Klasse ist zu überwinden, dabei ist jedoch jeder auf sich alleine gestellt, vermittelt Jay Z. Die Solidarität, die noch Queen Latifah einforderte, und selbst ein Restbewusstsein darüber, dass zum eigenen Aufstieg auch all jene gehören, denen der soziale Aufstieg eben nicht gelungen ist, das Jennifer Lopez im Subtext ihres Songs noch transportierte, ist in »No Hook« nicht mehr gegeben. Für seinen Erfolg, so Jay Z, benötige er noch nicht einmal mehr eine Hookline, die sonst einen Rap-Hit für den Mainstream interessant macht. Wohl aber benötigt er Samples, die seinen Status als Rap-Star, der es vom Drogenverkäufer zum Millionär geschafft hat, unterstreicht. Zwei fremde Sounds sind im Song integriert, zunächst im Intro ein Sample des Schauspielers Denzel Washington aus dem Film »American Gangster«, der zunächst in ähnlicher Weise wie Lopez auf die Bedeutung der eigenen Herkunft verweist: »Most important thing in business is honesty, integrity/Hard work, family/Never forgetting where we came from«. Statt aus dieser Herkunft allerdings die Notwendigkeit einer Solidargemeinschaft anzuregen, bleibt es bei Jay Z beim Kampf aller gegen alle um die vorhandenen Ressourcen. Seine eignen ökonomischen Ressourcen ermöglichen es ihm, ein Sample von Barry White zu nutzen, dessen Song »Love Serenade« (1975) in »No Hook« verwendet wurde. Jace Clayton veranschlagt die Kosten für ein Sample von Musikern dieser Größenordnung – er gibt als Beispiel Otis Redding an – bei 50.000 bis 100.000 Dollar. Der Sound steht hier nicht mehr für die Verortung in einer afroamerikanischen Geschichte, für soziales Bewusstsein oder die Kämpfe der Geschichte, Sound ist zu einem reinen Statussymbol geworden, die Klangverhältnisse sollen den eigenen sozialen Aufstieg bezeugen. Das kulturelle Kapital, auf das Acts wie Public Enemy oder Queen Latifah zurückgriffen, um Kritik an sozialen und rassistischen Ausschlüssen in der US-amerikanischen Gesellschaft zu üben, könnten sie sich heute nicht mehr leisten. Soundverhältnisse geben also nach wie vor Aufschluss über die sozialen Verhältnisse. Allerdings haben sich hier die Verhältnisse komplett verändert: Wer Nina Simone, Aretha Franklin, Curtis Mayfield oder Gil Scott-Heron sampelt, hat es ökonomisch geschafft, die Abwesenheit solcher digital eingefügter kritischer Stimmen der afroamerikanischen Musikgeschichte in HipHop-Songs dagegen sind Indikator für jene Orte, an denen nach wie vor Kritik an sozialen Ausgrenzungen und Diskriminierungen geübt wird, wo Klangverhältnisse kritische Kommentaren von Klassenverhältnissen sind.