Anlass für den vorliegenden Text war ein Symposium der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das im Oktober 2010 unter dem Titel «Die Krise als Symptom» stattfand. Thema dieses Symposiums und des von mir beigesteuerten Diskussionsbeitrags waren die Auswirkungen gegenwärtiger Arbeitsmarkt- und Wirtschaftstendenzen auf die Geschlechterverhältnisse. Wie, so lautete eine zentrale Frage des Symposiums, wirken sich Prekarisierungsprozesse auf die Geschlechterverhältnisse in dieser Zeit aus?
Der Titel der Veranstaltung «Krise als Symptom» bietet ein erstes Deutungsangebot. Denn er ist eine Anspielung auf den von Karl Marx als Symptom der Krise ausgemachten «Konflikt(s) zwischen der materiellen Entwicklung der Produktion und ihrer gesellschaftlichen Form.» (Marx 1894: 891) und damit ihrer zunehmenden gesellschaftlichen Widersprüche. Diese Widersprüche seien der kapitalistischen Produktionsweise als Krisen inhärent und würden sich Marx zufolge «in großen Ungewittern entlade(n), die mehr und mehr es selbst als Grundlage der Gesellschaft und Produktion selbst bedrohn.» (Marx 1857/58). Ein solches «Ungewitter» war die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise nach 2008 ganz ohne Zweifel, – inwieweit sie jedoch einer neuen historischen Gesellschaftsformation Platz macht oder von der Gesellschaft kulturell einverleibt wird (vgl. Boltanski/Chiapello 2000), ist wohl noch nicht ausgemacht.
Mindestens aber mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse scheint Marx insoweit Recht zu behalten, als die grundlegenden Konturen der traditionellen Geschlechterordnung zusehends verschwimmen und die industriegesellschaftliche Sozialordnung «bedrohn» – und nicht erst seit der Finanzmarktkrise. Doch auch hier zeichnet sich eine neue historische Formation noch nicht glasklar ab. Legt man aber einmal die industriegesellschaftlich geprägte Geschlechterordnung als Arbeits- und Lebensmodell der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zugrunde, das auf einer strikten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung aufbaute – der Mann als Ernährer, die Frau als Ehefrau und Mutter – dann ist diese Ordnung seit geraumer Zeit tatsächlich in ihren Grundlagen erschüttert. So ist sich die arbeitssoziologische Geschlechterforschung weitgehend einig darin, dass sich das die Industriegesellschaft kennzeichnende fordistische, wohlfahrtsstaatlich eingehegte Geschlechterverhältnis in einer Krise befindet (Nickel/Hüning/ Frey 2008: 44). Anders gesagt: das Ernährermodell ist für eine zunehmende Anzahl von Menschen kein «Lebensmodell» mehr. Allein in welches historische Gewand es sich künftig kleiden wird und ob es sich in näherer Zukunft überhaupt noch einmal so unilinear beschreiben lassen wird wie in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, ist von heute aus besehen fraglich.
Zu vielfältig, aber vor allem zu widersprüchlich stellen sich die real existierenden Geschlechterverhältnisse dar. Damit ist jedoch keineswegs ein buntes und postmodern anmutendes Nebeneinander gemeint. Angesprochen sind eher zeitgleiche Wandlungs- und Beharrungstendenzen in den Geschlechterverhältnissen. Diese gegenläufigen Tendenzen, um nicht zusagen: Paradoxien zeichnen vordergründig ein uneindeutiges Bild aktueller Konfliktlinien in den Genderrelationen. Zugleich drücken sie aus, wie sich unter den aktuellen Transformationsbedingungen im Übergang in einen neuen Typus von Arbeitsgesellschaft geschlechtsspezifische Ungleichheitsverhältnisse figurieren. Denn einerseits schlagen sich pfadabhängige, industriegesellschaftlich geprägte Ungleichheiten in den Genderrelationen nieder und schreiben traditionelle Geschlechterungleichheiten fort. Andererseits zeigen sich neue Konfliktlinien, welche das Aufbrechen der industriegesellschaftlichen Geschlechterordnung signalisieren und insofern eine Neuordnung bisheriger Machtstrukturen andeuten. «Tatsächlich», so schreibt etwa Klaus Dörre, «entzieht die flexible Produktionsweise […] überkommenen Formen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung mehr und mehr ihre gesellschaftliche Basis.» (Dörre 2010: 65). Traditionelle Geschlechternormen und -verhältnisse werden offenbar brüchig (vgl. Dölling/Krais 2007), Macht- und Herrschaftsverhältnisse werden neu gemischt, ohne dass alte Strukturen komplett aufgebrochen würden.