Publikation Sozialökologischer Umbau Risse im Block. Fukushima als Katalysator für einen Green New Deal (und mehr).

Früher oder später musste sich das Restrisiko in eine atomare Katastrophe verwandeln. Doch selbst viele Kernkraftgegner, die dies immer wussten, sind vom GAU in Fukushima überrascht worden. Eher hätte man ihn in Schwellen- oder Transformationsländern erwartet, denen geringere Sicherheitsstandards und ein schlampiger Umgang zugetraut werden.

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Ulrich Schachtschneider,

Erschienen

April 2011

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Ganz ähnlich die Dynamik einer weiteren großen Krise: Früher oder später musste die Blase der Profiterwartungen auf den Finanzmärkten zusammenbrechen. Selbst viele Kapitalismusgegner, die dies immer wussten, sind vom GAU großer US-Investmentbanken im Jahre 2008 überrascht worden. Eher hätte man ihn eher in überschuldeten Drittweltstaaten als im kapitalistischen Kernland Amerika erwartet. Die Energiekrise ist damit ebenso wie die Finanzkrise im Zentrum der führenden Industrienationen manifest geworden - vielleicht etwas schneller als gedacht.

Auf die Katastrophe folgten zunächst die unmittelbaren, hektisch-verzweifelten Löschversuche. Doch genauso wenig wie die Rettungsmannschaften in Japan die köchelnden Reaktoren unschädlich machen konnten, vermochte die Bundesregierung die atomkritische Öffentlichkeit in Deutschland durch ein vorübergehendes Aussetzen der Laufzeitverlängerungen ausreichend zu beruhigen. Ganz ähnlich der Verlauf bei der Finanzkrise: Auch der globale Absturz der Finanzwerte und Gewinnerwartungen ließ sich nicht mehr durch kurzfristige Reparaturversuche wie Geldspritzen, Bürgschaften etc. stoppen.

Auf die unmittelbaren folgen die etwas weitergehenden Reparaturen. Die Sicherheitsauflagen für die Atomkraftwerke werden genauso erhöht wie für die Finanzmarktspekulationen. Besonders risikoreichen Reaktoren wird der Weiterbetrieb ebenso untersagt werden wie besonders risikoreichen Geschäften ohne ausreichend Eigenkapital. Bei diesen Reparaturen, durch die herrschende Politik selber initiiert, wird es nicht bleiben können. Zu deutlich sind die Katastrophen, als dass ein „Weiter So!“ gesellschaftlich ausreichend Akzeptanz finden könnte. Die nächste Kernschmelze ist nur eine Frage der Zeit. Und sie droht nicht nur in einem der über 400 Atomreaktoren auf der Welt. Auch die Kernschmelze des globalen Finanzsystems ist längst nicht gebannt, sind doch die uneinlösbaren Profitansprüche bzw. die Schulden immer nur verschoben worden, zuletzt in die öffentlichen Haushalte hinein. Die Ansprüche der Geldbesitzer können aber von der Realwirtschaft nach wie vor nicht befriedigt werden, da entsprechende Wachstumsraten nicht mehr zu realisieren sind.

Die Risse verbleiben nicht in den Reaktoren der Atom- bzw. Finanzkraftwerke. Die atomare und finanzielle Kettenreaktion findet ihre Fortsetzung in Politik, Ökonomie und Gesellschaft des Neoliberalismus und vergrößert Risse im herrschenden konservativ-wirtschaftsliberalen Block, aktuell an den Meinungsverschiedenheiten in der bundesdeutschen Regierungskoalition und der sie tragenden gesellschaftlichen Schichten gut ablesbar. Dissens gibt es nicht nur bei der Frage der Rettung von AKWs, sondern auch bei der Rettung von Banken.

Wir können noch nicht absehen, wie sich die Diskussion in Japan entwickeln wird, wenn die unmittelbare Not, die die Menschen zusammenrücken lässt, erst überwunden ist. Das Festhalten an fossiler und atomarer Technik gerät jedoch zumindest in den europäischen Ländern mit den weltweit stärksten Umweltbewegungen strukturell ins Hintertreffen. Auch wenn es aktuell noch durchaus starke Gegenkräfte und mächtige alte Kapitalfraktionen gibt, ist die Idee einer Energiewende hin zu Erneuerbaren längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, gestritten wird nur noch über Zeiträume und Übergangsszenarien. Nicht nur die Energieversorgung, die gesamte Industrie soll ergrünen und damit gleichzeitig die Finanz- und Wirtschaftskrise lösen. Ein grundlegender technologischer Wandel, eine vierte industrielle Revolution hin zu besserer Ressourcenausnutzung (Effizienz), hin zu Kreislaufwirtschaften und damit zu mehr Verträglichkeit technischer mit natürlichen Kreisläufen (Konsistenz) soll einen riesigen Innovations- und Investitionsschub auslösen. Erst dies macht neues Wachstum möglich, das mit der Weiterführung der erschöpften alten Produktlinien und Produktionsparadigmen nicht mehr zu erreichen ist, so dass die Kapitalanleger aus der Realwirtschaft fliehen und ihr Glück in der abgehobenen Sphäre der Finanzspekulation versuchen mussten.

Dieser Green New Deal soll nicht nur Anlegern helfen. Auch die von Exklusion betroffenen oder bedrohten Schichten sollen wieder in die Gesellschaft hereingeholt werden, indem ihnen eine neue Arbeits- und Qualifikationsperspektive geboten wird. Die Idee ist bereits hegemonial in der gesamten politischen Klasse, großen Teilen der Wirtschaft und der öffentlichen Meinung. Es reicht ein Blick in Branchengazetten, Messeprogramme oder beliebige Tageszeitungen. Sie alle sind voll von lobenden Beispielen für innovative Ideen, Firmenerfolge und Bildungsbemühungen in umwelttechnischen Branchen. Deutlicher Ausdruck des Durchbruchs der Idee eines Greening of Industry ist auch der Aufstieg der Grünen zur Volkspartei. Sie haben nicht nur die Ablehnung der Atomkraft in der Geburtsurkunde, sondern in der Folge die Idee des Green New Deal - zunächst gegen Widerstände - groß gemacht, vertreten sie am entschiedensten und werden daher zu Recht heute als originäre Urheber und Vorantreiber dieses Reformprozesses im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsweise mit Wählerstimmen belohnt.

Die Katastrophe von Fukushima ist ein Katalysator für den Wechsel zum grünen Kapitalismus, der vor 25 Jahren mit der Katastrophe von Tschernobyl den ersten größeren Anschub bekam. Der Green New Deal kann auf Dauer natürlich nur seinem Namen gerecht werden, wenn die Hoffnung auf Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Naturbelastung durch Effizienz- und Konsistenztechnologien in Erfüllung geht. Empirisch gibt es dafür bisher keine Anhaltspunkte. Seit etwa 25 Jahren gibt es einen Aufschwung von Ökotechnologien. Der Anteil erneuerbarer Quellen an der Stromversorgung in Deutschland etwa stieg von 4% auf 17%, Häuser werden immer besser gegen Wärmeverlust gedämmt, Automotoren effizienter gemacht. Der „ökologische Fußabdruck“ ist in dieser Zeit dennoch nicht kleiner geworden. Zwar gibt es Fortschritte bei einzelnen Stoffen, die Ressourcenentnahmen und die Belastung natürlicher Senken mit schädlichen Rückständen sind insgesamt aber etwa gleich groß geblieben. Oft kompensieren Mengeneffekte Effizienzfortschritte. Die Häuser verbrauchen weniger Heizenergie pro Quadratmeter, die Wohnfläche pro Person nimmt aber zu. Die Motoren werden effizienter, die Menschen fahren aber mehr Kilometer und kaufen sich schwerere Fahrzeuge. Die Kilowattstunde Strom verursacht weniger Emissionen, es werden jedoch immer mehr Elektrogeräte verkauft. Nun kann natürlich eingewandt werden, die Effizienzsteigerungen sind noch nicht groß genug, der Dematerialisierungseffekt werde mit dem Trend zur Dienstleistungsökonomie sich erst in Zukunft richtig ausbilden etc. In der Tat kann nicht vorausgesagt werden, ob es nicht für einen gewissen Zeitraum diesen Entkopplungseffekt von Wachstum und Ressourcenverbrauch geben könnte. Fraglich ist aber, ob er dauerhaft möglich ist und ob er schnell genug ist, um bis zur Mitte des Jahrhunderts das hinzubekommen, was für eine Begrenzung des Klimawandels und für globale Gerechtigkeit übereinstimmend als nötig angesehen wird: Eine Reduktion unseres heutigen Umweltverbrauchs um 90%.

Ohne eine Infragestellung von Wachstum, seinen treibenden Kräften in Gesellschaft, Kultur und kapitalistischer Ökonomie, ohne eine Diskussion unseres Lebensstils und eine Mäßigung unseres Konsums wird sich dieses Ziel nicht erreichen lassen. Ein Green New Deal, der mehr sein möchte als eine grüne Frischzellenkur für die Aufrechterhaltung der Profitrate, müsste also ein Konzept der Mäßigung und der Postwachstumsökonomie beinhalten. Das wäre die Aufgabe einer ökologisch und sozial orientierten Linken: Sie muss die durch Fukushima neu entfachte Diskussion um technische Alternativen (regenerative Energie) und ihre Bremser (Atomkonzerne und atomfreundliche Regierungen) auf die Frage hin erweitern, warum die in den Industrieländern vorherrschende Lebens- und Produktionsweise überhaupt soviel Energie, Rohstoffe und Produkte benötigt, deren Befriedigung immer wieder zu sichtbaren (im Reaktor) und eher unsichtbaren (in der natürlichen Regenerationsfähigkeit) Rissen führen wird.

Ulrich Schachtschneider, 29.03.2011


Zum Autor:

Ulrich Schachtschneider ist Energieberater, Sozialwissenschaftler und Autor. Er ist Mitglied im Rosa-Luxemburg-Club Oldenburg und im Gesprächskreis Nachhaltigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Ein Dossier der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Fukushima und den Folgen ist unter www.rosalux.de/news/37419/fukushima-sinnbild-der-atomaren-bedrohung.html zu finden.