Schon zum zwölften Mal wird das Doktorand*innenjahrbuch «Work in Progress. Work on Progress» der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben, dessen Ziel es ist, den Stipendiat*innen eine zumeist erste Plattform für ihre wissenschaftliche Arbeit und kritische Diskussionsanstöße zu schaffen. Die diesjährige Ausgabe, welche unter dem Titel «Räume Um_Denken» erscheint, ist mindestens aus zwei Gründen besonders. Mit dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist Europa in eine neue Ära eingetreten – Bundeskanzler Olaf Scholz spricht mit Blick auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sogar von einer «Zeitenwende» – deren Folgen sich noch nicht vorhersehen lassen.
Während hunderte Soldat*innen und Zivilist*innen tagtäglich auf ukrainischem Boden sterben, treiben die stetig steigenden Energie- und Gaspreise die Inflation an und verschärfen die bestehenden sozialen Ungleichheiten, Prekarisierung und Armut weiter. Der Krieg führt zu neuen, bitteren Erkenntnissen, etwa über die Fragilität europäischer Sicherheit, aber aus einer ideologiekritischen Perspektive auch über die Arroganz des Westens gegenüber Mittelosteuropa und dem Globalen Süden. Unterschiedliche Stimmen, sei es aus Syrien, Afghanistan, Irak und Iran, sowie Litauen, Polen, Tschechien oder schließlich der Ukraine selbst, wurden über Jahre hinweg kontinuierlich ignoriert. [...]
Der Angriff auf die Ukraine zeigt die Leerstellen einer westeuropäischen, darunter deutschen, Linken und die Notwendigkeit internationaler Solidarität auf und fordert, bisherige Praktiken und Grundsätze umzudenken und damit vor allem auch Räume, ihre Grenzziehungen und Verbindungslinien, zur Kenntnis zu nehmen.
Allerdings treten räumliche Fragen im folgenden Band nicht nur aufgrund von Geopolitik in den Vordergrund. Die dieses Jahr außergewöhnlich hohe Anzahl an eingereichten Aufsätzen, die sich sowohl direkt als auch mittelbar mit Raum beziehungsweise verschiedenen Räumen befassen, haben uns dazu bewogen, eine neue, und zwar eine explizitraumwissenschaftliche Rubrik einzuführen – «Politik des Räumlichen».
Inhalt:
Erkenntnistheorie und Methodik
- Leon Junker
Ich muss sein!
Zum Status nihilistischer Theorien in der Debatte um personale Identität - Marc Ortmann
Über Literatureffekte
Rosa Luxemburg und Leo Tolstoi - Dolores Zoé Bertschinger
Die Gramsci-Hall-Linie
Beitrag zu einem geschichtsmaterialistischen Praxisbegriff für die Cultural Studies
Politische Ökonomie
- Michael Beykirch
Produktionsverhältnisse und Produktionsweise als Kategorien zur Untersuchung postkapitalistischer Alternativen
Eine Illustration am Beispiel der solidarischen Landwirtschaft - Bianca Ludewig
Transmedia Festivals
Hybride Musikevents der Gegenwart und Digitalisierung - Alexander Lenk
Widerstand an unternehmerischen Hochschulen
Transformation von Staatlichkeit
- Jakob Ole Lenz
Saul Ascher, Preußen und der Bonapartismus
Beitrag zur Eruierung einer komplizierten Beziehung - Dastan Jasim
Zivile Kultur und Unterstützung von Demokratie durch Kurd*innen im Iran, Irak und der Türkei
Politik des Räumlichen
- Diren Taş
Turkey’s Military Urbanism and Neocolonial Architecture in Kurdish Cities - Elisa Gerbsch
Wohnungsfragen als räumliche Dimensionen sozialer Ungleichheit
Eine kritisch-geographische Einführung in Entwicklungen und Begriffe ostdeutscher Wohn- und Arbeitsverhältnisse - Mathias Foit
»Manchmal glaubt man, die Hölle hat allen Insassen Urlaub erteilt«
Queere Stadtbilder der Ostgebiete des Deutschen Reichs und die Frage der Metronormativität
Körper – Macht – Identität – Gender
- Can Merdan Dogan
Zwischen Nationalflaggen und der Regenbogenflagge
Inszenierung von Homosexualität beim Eurovision Song Contest in den 2000er-Jahren - Sabrina Saase
Psychotherapie als privilegierte Form der Sozialen Arbeit?
Wie eine Polyamorie sozialer Bewegungen rund um Antipsychiatrie, Feminismus und Intersektionalität das Verhältnis psychosozialer Disziplinen verändert - Franziska Hille
Depathologisierung, Intersektionalität und Revolution
Einige Erläuterungen in Kurzform zu Begriffen und Konzepten meiner Dissertation im Kontext von Mad Studies, Kapitalismuskritik und queer_feministischen Perspektiven
Nachwort
- Marcus Hawel/Sara Khorshidi
Der Raum und Körper des Politischen
Das Buch ist im VSA:Verlag erschienen und kann dort bestellt werden. Es wird unter den Bedingungen einer Creative Commons License veröffentlicht: Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.